Freitag, 31. Dezember 2010

Schumann: Piano Quintet op. 44 - String Quartets op. 41 1-3 (MDG)

"Denk' ich nun freilich an die Höchste Art der Musik, wie sie uns Bach und Beethoven in einzelnen Schöpfungen gegeben, sprech' ich von seltenen Seelenzuständen, die mir der Künstler offenbaren soll, verlang' ich, daß er mich mit jedem seiner Werke einen Schritt weiter führe im Geisterreich der Kunst, verlang' ich mit einem Wort poetische Tiefe und Neuheit über- all, im Einzelnen wie im Ganzen", schrieb Robert Schumann, nach- dem er sich vom Leipziger David-Quartett an sechs Vormittagen neue Streichquartette hatte vorspie- len lassen - und mit den Werken höchst unzufrieden war. 
Also beschloss Schumann, selbst welche zu schreiben. Doch zunächst, 1839, blieben sie Bruchstücke, und der Komponist zog es vor, die Quartette Haydns, Mozarts und Beethovens weiter intensiv zu stu- dieren. Erst 1842 ging er wieder an das Projekt: Im Juni und Juli entstanden die drei Streichquartette op. 41. Im September und Oktober schrieb er zudem noch das Klavierquintett op. 44, das dann gemeinsam mit dem ersten Streichquartett im Januar 1843 im Gewandhaus öffentlich uraufgeführt wurde. Während das Quintett schnell populär wurde, und etliche Komponistenkollegen zu ähnli- chen Werken anregte, galten die Streichquartette als "schwierig", und wurden selten gespielt. 
Schumann hat zudem, nachdem er seinem Freund Felix Mendelssohn Bartholdy die Werke vorgestellt hatte, dessen Kritik berücksichtigt und zahlreiche Änderungen vorgenommen. Das Leipziger Streich- quartett hat jetzt für Dabringhaus und Grimm jene "originale" Fassung eingespielt, die die Gäste bei einer privaten Aufführung im September 1842 zum Geburtstag von Clara Schumann zu hören bekamen. Das macht die Aufnahme zu einer Rarität. Doch auch ihre musikalische Qualität erfreut - Stefan Arzberger und Tilman Büning, Violine, Ivo Bauer, Viola und Matthias Moosdorf, Violoncello, musizieren perfekt aufeinander abgestimmt. Nicht umsonst gelten sie als eines der besten Streichquartette der Welt. Beim Quintett werden die Leipziger Musiker von Christian Zacharias ergänzt, der allerdings seine eigenen Akzente setzt - und die finde ich nicht durchweg überzeugend.

Chopin: Etudes; Backhaus (Profil)

"Nicht nur die Mutter, sondern alle meine sieben Geschwister spielten Klavier", erinnerte sich Wilhelm Backhaus (1884 bis 1969). "Während die älteren Schwestern und Brüder übten, hörte ich ihnen aufmerksam zu und als ich dann ein Kinderklavier erhielt, ein kleines Instrument mit sieben Tönen, studierte ich mir ganz allein einfache Melodien ein, die ich auf dem großen Klavier nachzuspielen versuchte, was mir auch keinerlei Mühe verursachte. Noch bevor ich in die Schule kam, hatte ich lesen gelernt, anhand einer bebilderten Lesefibel, und nun war ich auch in der Lage, mir durch sogenannte musikalische Unterrichtsbriefe die Notenkenntnis anzueignen. Als ich also mit sechseinhalb Jahren Klavierunterricht erhielt, war ich bereits über die Anfangsgründe hinaus. Ich spielte ohne Schwierigkeit vom Blatt und ein besonderes Vergnügen bereitete es mir, Transponierungen vorzunehmen, also statt Cis-, C-Dur zu spielen und dergleichen." 
Der Leipziger Musikverleger Erst Wilhelm Fritzsch war auf das Talent des Jungen aufmerksam geworden, und brachte Backhaus zu seinem Schwager, Professor Alois Reckendorf vom Leipziger Konserva- torium, der den Knaben prüfte - und sich dann dazu bereit erklärte, ihn zu unterrichten. Mit zehn Jahren wurde Backhaus offiziell Student des Konservatoriums; mit 14 Jahren beendete er die Schule und wechselte nach Frankfurt/Main, wo er bei Eugen d'Albert weiter lernte, und wohl auch bei Alexander Siloti. Im Oktober 1899 gab er in Leipzig seinen ersten eigenen Klavierabend. Viele weitere Konzerte weltweit folgten - bis zu 134 pro Saison zählte Backhaus einmal, "aber ich sträube mich mit Händen und Füßen dagegen, jemals wieder in die Nähe dieser Ziffer zu kommen".
1928 spielte Wilhelm Backhaus die Études op. 10 und op. 25 von Frédéric Chopin ein. Das Label Profil Edition Günter Hänssler hat nun, quasi zum Finale des Chopin-Jahres 2010, ein Remastering dieser legendären Uralt-Aufnahme vorgelegt - ein Weihnachtsgeschenk für alle, die Chopins Musik lieben. Denn Backhaus' Interpretation dieser Konzertetüden kann es mühelos mit allen anderen Aufnahmen aufnehmen, die der Musikmarkt derzeit bietet. Der Pianist spielt die schwierigen Werke flüssig und präzise, ausdrucksstark und mit einer Noblesse, die beeindruckt. Kaum zu glauben, aber dies bleibt wohl auch nach mehr als 80 Jahren die Referenzaufnahme. Grandios!

Nardini: Kammermusik mit Flöte (Musicaphon)

Pietro Nardini (1722 bis 1793) war ein Schüler von Giuseppe Tartini. Er war nicht in erster Linie für seine Virtuosität berühmt, son- dern für seinen schönen Ton. Leopold Mozart, seinerzeit ein gesuchter Violinpädagoge, erlebte sein Spiel 1763 auf Schloss Ludwigsburg, und berichtete daraufhin in einem Brief: „Sagen sie dem H: Wenzl daß ich gewissen Nardini gehört habe, und daß, in der Schönheit, reinigkeit, gleich- heit des Tones und im Singbaren Geschmacke nichts schöners kann gehöret werden.“
1760 und 1765 musizierte Nardini am Wiener Hof auf den Hochzeiten des Thronfolgers und späteren Kaisers Joseph II. Von 1762 bis 1765 wirkte er als Kammermusiker und Konzertmeister am Hofe des Herzogs Carl Eugen in Stuttgart.  Mehrere Reisen führten ihn auch an den Braunschweiger Hof. 1769 wurde er Konzertmeister und 1770 Musikdirektor am Hofe des Großherzogs Leopold in Florenz.
Seine Musik ist frühklassisch-empfindsam; sie ist unterhaltsam und gefällig. Obwohl Nardini in erster Linie für die Violine komponierte, sind von ihm auch fünf Triosonaten für Flöte, Violine und Basso continuo sowie einige Flötensonaten überliefert. Eine Auswahl dieser hübschen Stücke hat das Ensemble "musica solare" für das Label Musicaphon eingespielt. 
Darja Großheide, Traversflöte, Gabriele Nußberger, Violine, Ulrike Schaar, Violoncello und Willi Kronenberg, Cembalo, sind ausgewie- sene Spezialisten für Kammermusik des 18. Jahrhunderts. Sie musi- zieren mit schönem Ton und mit Gespür für die speziellen Qualitäten der Musik Nardinis - die keine Barockmusik mehr ist, aber auch noch nicht jenem Geniekult huldigt, der im 19. Jahrhundert Rolle und Selbstverständnis des Musikers grundlegend ändern sollte.

Donnerstag, 30. Dezember 2010

Biber & Biber: Sonatas for trumpet, strings and continuo (Dynamic)

Heinrich Ignaz Franz von Biber (1644 bis 1704) stammt aus dem böhmischen Wartenberg. Er war möglicherweise ein Schüler des renommierten Violinvirtuosen Johann Heinrich Schmelzer; jedenfalls erhielt er 1668 eine erste Anstellung in der Kapelle des Olmützer Bischofs. 1670 trat Biber in den Dienst des Erzbischofs von Salzburg, wo er bereits neun Jahre später Vizekapellmeister und 1684, nach dem Tode seines Vorgängers Kapellmeister wurde.
Biber war ein so exzellenter Geiger und herausragender Komponist, dass ihn Leopold II. 1690 adelte. Besonderes Kabinettstückchen auf dieser CD: Seine Sonata representativa à violino solo e basso conti- nuo, die in entzückenden Miniaturen Tierstimmen imitiert, wie Nachtigall, Kuckuck, Frosch und Katze. Roberto Falcone, der die Solopartie spielt, hat insbesondere an diesem Stück hörbar Vergnü- gen. Doch auch die anderen Mitglieder des Ensembles "Pian & Forte" musizieren sehr engagiert und machen diese CD in der Tat zu einer musikalischen Köstlichkeit - auf weitere Leckereien in dieser Reihe darf man also neugierig bleiben.
Auch Bibers Sohn Carl Heinrich musizierte am Salzburger Hof. Er war ein würdiger Nachfolger seines Vaters, wie diese CD beweist. Aller- dings ersetzte er die Violine, die in den Werken Heinrich Ignaz Franz von Bibers selbst dann dominiert, wenn sie mit anderen Instrumen- ten gemeinsam konzertiert, in den hier eingespielten Sonaten durch Blechbläser. Insgesamt sollen derartige Stücke in seinem umfang- reichen Werk aber eher selten sein.

Sarasate: Music for Violin and Orchestra 2 (Naxos)

Pablo de Sarasate (1844 bis 1908) begann seine Ausbildung auf der Geige als Fünfjähriger. Mit acht Jahren war er bereits so gut, dass sich ein Mäzen fand, der ihm das Studium in Madrid finanzierte. Mit Stipendien von Königin Isabella II. und der Provinz Navarra wechselte er anschließend im Alter von zwölf Jahren an das Pariser Konserva- torium, wo er ein Schüler von Jean-Delphin Alard wurde. Drei Jahre später startete er seine Solistenkarriere. 
Sarasate war als Virtuose berühmt - und viele Zeitgenossen schrieben Werke für ihn, unter anderem Saint-Saens, Bruch, Wieniawski, Dvorák oder Lalo. Sarasate komponierte aber auch selbst eine Vielzahl von Stücken für sein Instrument. Auf dieser CD hat die junge chinesische Violinistin Tianwa Yang einige davon eingespielt - so die berühmten Fantasien über Carmen op. 25 und über Gounods Roméo et Juliette, op. 5. Solche Opernparaphrasen machten Sarasate bekannt, sie führten aber auch dazu, dass er zunächst als musikalisches Leicht- gewicht galt. Darunter litt insbesondere sein deutscher Kollege Joseph Joachim, der sich als sehr viel seriöser empfand, aber in der Gunst des Publikums ebenso wie bei den Gagen oftmals hinter seinem spanischen Kollegen zurückstehen musste. 
Mit den Canciones rusas op. 49 bedankte sich Sarasate bei seinem russischen Publikum. El canto del ruisenor op. 29 imitiert kunstvoll den Gesang einer Nachtigall. Eduard Lalo war von diesem Stück so beeindruckt, dass er es orchestrierte. La Chasse op. 44 widmete Sarasate seinem brillanten belgischen Kollegen César Thomson - und Yang zeigt, dass dieses kühne Virtuosenstück noch heute durchaus in der Lage ist, Zuhörer zu verblüffen. Das gilt erst recht für das letzte Stück auf dieser CD, Jota de Pablo op. 52, mit seiner enormen tech- nischen Raffinesse. Yang spielt exzellent, virtuos und überzeugend. Begleitet wird sie vom Orquesta Sinfónico de Navarra, gegründet 1879 von Sarasate, und bei dieser Aufnahme dirigiert von Ernesto Martínez Izquierdo, der das Orchester seit 1997 leitet.

Mittwoch, 29. Dezember 2010

Beethoven: Piano Sonatas op. 109, 110, 111 (MDG)

Die drei letzten Klaviersonaten Ludwig van Beethovens hat Elisabeth Leonskaja für Dabring- haus und Grimm eingespielt. Es sind durchweg ruhige, sangliche Werke - Lichtjahre entfernt von den Temperamentsausbrüchen früherer Jahre, aber musikalischen Scherzen dennoch nicht abge- neigt. 
So zitiert die Sonata in As-Dur op. 110 nach einem langen ersten Satz, Moderato cantabile molto espres- sivo, im zweiten Satz, einem Allegro molto, zwei Wiener Gassenhauer - auf Hochdeutsch lautet ihr Text "Unsre Katz hat Kätzchen gehabt" sowie "Ich bin liederlich, du bist liederlich". Und gleich darauf zitiert er im dritten Satz die Alt-Arie "Es ist vollbracht" aus Bachs Johannes-Passion. Wie das zusammen- passt, darüber haben sich Generationen von Musikwissenschaftlern den Kopf zerbrochen. Leonskaja spielt - und wie! Sie lässt den Steinway singen. So differenziert, so nuancenreich und mit einer solchen Sorgfalt in der Phrasierung und im Einsatz von Klangfarben - man möchte diese Aufnahme immer wieder anhören. Kaum zu glauben, aber so poetisch kann Klaviermusik sein.

Beethoven: Piano Sonatas vol. 8 (Oehms Classics)

Michael Korstick spielt die Klavier- sonaten von Ludwig van Beetho- ven - sehr maskulin, temperament- und kraftvoll. Schon seine Wald- stein-Sonate verschlägt einem schier den Atem, denn hier ist eine gestalterische Intensität zu erleben, die man in der Flut der allmonatlich neu auf dem Markt kommenden Silberscheiben nicht sehr oft findet. 
Furios geht Korstick auch die Appassionata an. Dieses Stück, eines der populärsten der Wiener Klassik, ist ein Schlusspunkt, und danach kam auch für Beethoven lange Zeit nichts mehr: Fünf Jahre dauerte es, bis der Komponist dann mit den Sonaten 24 bis 27 zu einem eher gemäßigten, gebändig- ten Tonfall zurückfindet. Korstick treibt sein Klavierspiel bei der Appassionata bis an die Grenzen - und lässt einen so dieses vielmals strapazierte Werk neu hören. Es mag verblüffen, aber seine Auffas- sung erscheint gerade aufgrund ihrer Kompromisslosigkeit durchweg schlüssig - und Korstick spielt grandios! Wer seine extreme Inter- pretation gehört hat, der weiß, warum diese Sonate den Beinamen "die Leidenschaftliche" erhielt.
Zwischen den gewaltigen Klanggebirgen der Sonaten Nr. 21 in C-Dur op. 53 ("Waldstein") und Nr. 23 in f-Moll op. 57 ("Appassionata") befindet sich jedoch die Sonate Nr. 22 in F-Dur op. 54. Dieses kleinere, weniger emotionsgeladene, zweisätzige Werk sieht sich von jeher dem Vorwurf der Minderwertigkeit ausgesetzt. Korstick wagt sich an seine Rehabilitation, indem er es so spielt, wie Beethoven es notiert hat - ohne einen Versuch, diese Sonate "gefällig" glattzubügeln, mit den Akzenten und dynamischen Kontrasten, die Beethoven vorgesehen hatte, und in dem von ihm gewünschten Tempo. Das Ergebnis erstaunt: Korstick verhilft auch dieser Sonate zu einem angemessenen Platz zwischen ihren berühmten Schwestern. Auf die Fortsetzung dieser Gesamteinspielung der Klaviersonaten Beethovens jedenfalls darf man jetzt schon gespannt sein.

Borodin, Brahms: Cello-Sonaten (Ambitus)

Obwohl er eigentlich Mediziner und Professor für Chemie war, gehörte Alexander Borodin (1833 bis 1887) zu den führenden Köpfen des "Mächtigen Häufleins" - jener St. Petersburger Komponisten- gruppe, die eine von westeuropä- ischen Einflüssen freie, national eigenständige russische Musik schaffen wollte. Seine Sonate für Violoncello und Klavier h-Moll entstand wahrscheinlich in Hei- delberg, wo Borodin 1860 als Chemiker forschte. Das Werk ist in einer Handschrift überliefert, die nach der Exposition des dritten Satzes abbricht. Der Violinist und Komponist Michael Goldstein hat die Sonate vollendet und 1982 veröffentlicht.
Borodin, der selbst ein guter Cellist und mit den Möglichkeiten des Instrumentes daher bestens vertraut war, beginnt den ersten Satz mit einem Bach-Zitat. Bach bleibt auch Kern dieser Musik, die aber dennoch unverkennbar russisch-romantisch ist - jedenfalls in den beiden ersten Sätzen. Der dritte Satz ist moderner; außerdem hält Goldstein das Pathos, mit dem der Satz beginnt, nicht lange durch. So endet das Werk geradezu heiter, und hochvirtuos dazu. Das Leipziger Max-Reger-Duo - Hans-Georg Jaroslawski, Violoncello und Ulrich Urban, Klavier - musiziert, dass es eine Freude ist. Die beiden Solisten beeindrucken durch ihr exzellentes Zusammenspiel ebenso wie mit ihrem Sinn für musikalische Strukturen.
Jaroslawski, ein Schüler des legendären Friedemann Erben, und Urban, Professor für Klavier an der Hochschule für Musik Leipzig, zeigen auch anschließend bei der Sonate für Klavier und Violoncello F-Dur op. 99 von Johannes Brahms (1833 bis 1897), dass es durchaus vorteilhaft sein kann, wenn Musiker über einen langen Zeitraum regelmäßig gemeinsam konzertieren. Denn dieses Werk, das Brahms 1886 komponierte, fordert den Cellisten mit einem enorm schwieri- gen Part, den Pianisten mit einem Paradebeispiel für Brahms Neigung zum "vollgriffigen", orchestral angelegten Klaviersatz - und den Hörer aufgrund seiner Komplexität. In dieser Einspielung allerdings kann man das Werk genießen. Diese CD gehört für mich zu den besten Kammermusik-Aufnahmen des Jahres 2010. Unbedingt anhören!

Dienstag, 28. Dezember 2010

Orff: Carmina Burana (Deutsche Grammophon)

Die Carmina Burana von Carl Orff gehören zu den oft und gern ein- gespielten Werken. An Aufnahmen herrscht also kein Mangel, und darunter sind wirklich exzellente, wie beispielsweise jene legendäre mit Gundula Janowitz, Gerhard Stolze und Dietrich Fischer-Dies- kau sowie dem Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Eugen Jochum. Sie stammt aus den 60er Jahren, wurde von Orff sehr geschätzt, und gilt noch heute als Referenzaufnahme.
Daniel Harding setzt in erster Linie auf Rhythmus und Dynamik. Diese beiden Gestaltungsmöglichkeiten reizt er aus; das ist aber bei diesem Werk wahrlich keine Überraschung. Der Tölzer Knabenchor sowie Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks folgen Harding behende - und eines muss man der Aufnahme lassen: Hier wird Textdeklamation als Mittel zur rhythmischen Strukturierung verwendet; damit ist die Textverständlichkeit auch ziemlich gut, was mittlerweile ja leider ziemlich selten geworden ist. Patricia Petibon, Sopran, Hans-Werner Bunz, Tenor, und Christian Gerhaher, Bariton, nehmen ihre Solopartien ziemlich theatralisch.
Im Orchesterklang wird so manches hübsche Detail hörbar, was in anderen Aufnahmen nicht so zur Geltung kommt. Leider wird damit aber auch das gewollt grobgewebte Kleid erbarmungslos glattge- bügelt, das Orff vielen der mittelalterlichen Texte verpasst hat. Das macht diese Version gefällig, aber es bringt sie um jene Tiefe, die Orffs Partitur eigentlich hat. Schade.

Tansman: 24 Intermezzi - Petite Suite (Naxos)

Auch das Label Naxos legt dieser Tage eine CD mit Klaviermusik von Alexandre - wie der gebürtige Pole seinen Namen in Frankreich romanisierte - Tansman vor. Er war einst ähnlich bekannt wie sein Landsmann Chopin, und wird der- zeit wiederentdeckt.
Das ist ein durchaus spannend, wie diese Aufnahme beweist. Die junge belgische Pianistin Eliane Reyes hat hier die 24 Intermezzi erstmals eingespielt. In diesen kurzen Stücken, die Tansman 1939/40 zunächst unter dem Eindruck der Luftangriffe und dann auf der Flucht komponiert hat, spiegelt sich in komprimierter Form das, was Tans- man liebte - und nun bedroht sah: Die europäische Kultur, die huma- nistische Tradition, die Vielfalt der Handschriften und Meinungen. Und zugleich, auch das macht Reyes deutlich, sind die 24 Intermezzi trotz ihrer Kürze und Knappheit exquisite Musik - schön, dass es sie nun auf CD gibt. 
Einen gänzlich anderen Charakter haben die sieben Miniaturen der Petite Suite, entstanden 1917-1919, also vor Tansmans Umzug nach Paris. Auch bei diesen originellen Werkchen handelt es sich, man staunt, um eine Weltersteinspielung. Abschließend erklingt schließlich ein Valse-Impromtu aus dem Jahre 1940, das Tansman Lycette Darsonval gewidmet hat, der damaligen Primaballerina der Pariser Oper.

Montag, 27. Dezember 2010

Tansman: Les jeunes au piano (Acte Préalable)

Paris war einst eine der euro- päischen Musikmetropolen, ein Zentrum der Avantgarde. Auch Aleksander Tansman, geboren 1897 in Lodz, siedelte dorthin über. Denn der junge Musiker, der in Warschau studierte, hatte zwar 1919 mit seinen Werken den Natio- nalen Polnischen Kompositions- wettbewerb gewonnen. Doch die Kritiker lehnten seine Stücke ab. 
In Paris konnte sich Tansman, der auch ein exzellenter Pianist war und dirigierte, bald etablieren. 1932/33 ging er auf eine große Konzertreise, unter anderem durch die USA, wo er schnell zum Liebling des Publikums und der Kritiker wurde. 
Als die Nazis in Frankreich einmarschierten, floh der polnische Jude mit dem französischen Pass über Lissabon nach Amerika. Er ging nach Hollywood, wo er Filmmusik schrieb und etliche Freundschaf- ten schloss. So lernte er unter anderem Igor Strawinski kennen, der ihn sehr beeindruckt und beeinflusst hat - und dessen Biograph er später werden sollte. 1946 kehrte Tansman nach Paris zurück, wo er 1986 starb. "Natürlich verdanke ich Frankreich eine Menge", schrieb er einmal. "Aber niemand, der jemals meine Stücke gehört hat, wird daran zweifeln, dass ich immer ein polnischer Komponist war, bin und sein werde."
Tansman hat immer wieder Stücke für Kinder komponiert. Dabei war es sein erklärtes Ziel, für den musikalischen Nachwuchs eine Brücke zwischen den Etüden, die für den Unterricht notwendig sind, und der "richtigen" Literatur, den Werken der großen Meister, zu schaffen. Sein Zyklus Les jeunes au piano, den Elzbieta Tyszecka auf der vorliegenden CD exemplarisch eingespielt hat, besteht aus vier Teilen mit ansteigendem Schwierigkeitsgrad. Das erste Notenheft, gewidmet Tansmans Tochter, besteht aus zwölf Stücken - und der Titel verrät, worum es geht: Mireille et les animaux schildert in entzückenden Miniaturen Tiere wie Schnecke, Schmetterling oder ein Kätzchen, das nach einer Fliege hascht. Das zweite Heft, Marianne devant le kiosque à journaux, ist ebenfalls einer Tochter Tansmans gewidmet, und charakterisiert mit musikalischen Mitteln acht Pariser Zeitungen. Das dritte Heft, L'autobus imaginaire, lädt zu einer kleinen Rundreise durch Paris ein. Und das vierte und letzte Heft, Au telescope, entführt den jungen Musiker und seine Zuhörer dann in die Weiten des Welt- raumes. 

Sonntag, 26. Dezember 2010

Albinoni: Sonate da Chiesa - Opera Quarta (Genuin)

"Wenn ein Komponist für das eigene Instrument mehrere Stücke geschrieben hat, empfindet man eine gewisse Sympathie, die dann in Dankbarkeit übergeht", erläu- tert Jaime González, Professor für Oboe an der Hochschule der Künste in Bern, die Auswahl der Werke für diese CD. "Deshalb wollte ich mich bei Albinoni bedanken für die wunderschönen Oboenkonzerte Op. 7 und Op. 9 und dabei zeigen, wie gut die Musik ist, die er komponiert hat." 
Tomaso Giovanni Albinoni (1671 bis 1751) war der Sohn eines vene- zianischen Spielkartenmachers. Er erlernte ebenfalls diesen Beruf, und als er 1694 seine erste Oper und die erste Sammlung von Trio- sonaten vorstellte, bezeichnete er sich als dilettante veneto. Schon bald schuf er mehrere Opern jährlich, und entschied sich endgültig für den Musikerberuf. In diesem war er recht erfolgreich; so erhielt er, insbesondere in den 1720er Jahren, Aufträge aus ganz Europa. Albinoni komponierte in erster Linie Opern, Kantaten und Instru- mentalmusik. Nicht alles, was unter seinem Namen kursiert, stammt auch von ihm. Das berühmte Adagio für Orgel und Streicher beispielsweise hat sein Biograph Remo Giazotti 1958 aus einer Triosonate "rekonstruiert".
Die Sonate da Chiesa auf dieser CD werden in den Werklisten als "Pseudo-op.4" geführt. Zumindest bei einem dieser Werke ist die Autorschaft umstritten; darüber freilich findet sich kein kritisches Wort. Auch soll der Druck aus dem Jahre 1708 stammen - das Beiheft verweist ihn allerdings kommentarlos auf 1704. Darüber staunt man dann doch. Und es wäre auch interessant gewesen, im Beiheft der CD einen Hinweis auf die Quelle für die Sonata da Camera in C-Dur zu finden, die abschließend erklingt.
Werke, die ursprünglich für Violine bestimmt waren, auf der Oboe zu spielen, ist in der Barockzeit durchaus üblich gewesen. Einige Passa- gen werden dadurch technisch eine Herausforderung, aber genau dort ist González am besten. Asa Akerberg, Barockcello, Thomas C. Boysen, Barockgitarre und Theorbe, und Martin Müller, Cembalo, erweisen sich als versierte Besetzung für den Basso continuo. Musiziert wird wirklich hörenswert, und die Aufnahme sei daher hier gern empfohlen.

E.T.A. Hoffmann: Liebe und Eifersucht (cpo)

Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann, geboren 1776 in Königsberg, stammte aus einer Juristen- dynastie. Und selbstverständlich wurde auch er Jurist. Hoffmann war aber vielseitig begabt: Dieser preußische Beamte malte, ver- diente ein ordentliches Zubrot als Schriftsteller, und komponierte. Napoleon mochte er keinen Treu- eid leisten; statt dessen ging er ans Theater und war auch als Kapell- meister tätig - nicht sonderlich erfolgreich freilich, so dass er nach dem Sieg Preußens gern in den Staatsdienst zurückkehrte. 
Fast hätte seine spitze Feder Hoffmann noch ein Disziplinarverfahren eingetragen. Doch dann erkrankte der Herr Kammergerichtsrat schwer und starb 1822 - an einer Atemlähmung als Folge einer fortgeschrittenen Syphilis. Seine literarischen Figuren, wie Kater Murr, Pate Droßelmeier, Kapellmeister Kreisler oder Archivarius Lindhorst, sichern ihm für alle Zeit einen Platz im Herzen von Freunden phantastisch-satirischer Geschichten.
Sein musikalisches Schaffen hingegen vermag nicht ganz so begei- stern. Das gilt auch für eine spektakuläre Wiederentdeckung: Liebe und Eifersucht, ein Singspiel in drei Akten AV 33, das Hoffmann 1807 komponierte, nachdem er Calderón de la Barcas La banda y flor in der Übersetzung von August Wilhelm Schlegel gelesen hatte. Die Handlung erinnert ein bisschen an Mozarts Gärtnerin aus Liebe, doch ist Die Schärpe und die Blume lang nicht so dramatisch wie die Geschichte der Marchesa Onesti, die als Gärtnerin Sandrina in die Fremde zieht, um ihren Grafen Belfiore aufzuspüren, obwohl der sie zuvor beinahe umgebracht hätte - und die Musik ist deutlich schwächer.
Vor zwei Jahren haben die Ludwigsburger Schlossfestspiele in Kooperation mit dem Staatstheater am Gärtnerplatz München Liebe und Eifersucht uraufgeführt. Das Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele auf Originalklanginstrumenten, so das Beiheft, unter Michael Hofstetter musiziert farbenreich. Doch das zeigt die Schwächen des Werkes nur um so deutlicher: Hier werden jede Menge Emotionen behauptet - die Musik aber weiß davon wenig. Man kann verstehen, warum kein Theater seinerzeit das Stück bringen mochte, denn schon bald langweilt man sich furchtbar. Getrappel und Chargieren der Darsteller verstärken noch den Eindruck, nur die Tonspur zu einem ohnehin wenig aufregenden Film zu erleben. Ein Abend ist lang. Und drei ambitionierte Finali, frei nach Mozart, machen noch keine Oper.

Lamenti - furore e dolore (Genuin)

Nach der Uraufführung von Monteverdis Oper L'Arianna im Jahre 1608 soll es in Mantua kein Cembalo gegeben haben, auf dem nicht die Noten der Klage der Königstochter stand, die sich von Theseus verlassen und auf Naxos ausgesetzt sah. Das berühmte Lamento ist das einzige, was von dieser Oper heute noch erhalten ist. 
Und weil diese musikalische Innovation so erfolgreich war, haben sie auch Opernkomponisten nach Monteverdi gern genutzt. Die Mezzosopranistin Mareika Morr hat nun mit der Hannoverschen Hofkapelle eine ganze CD voll Klage- gesänge der Barockzeit vorgelegt. Sie ist in der Movimentos Edition bei Genuin Classics erschienen - und sie ist grandios.
Das hat mehrere Gründe; der wichtigste aber ist die Stimme vom Mareike Morr - ein dunkel timbrierter, wundervoller Mezzo, wie lang keiner mehr zu hören war. Die Sängerin, die auch eine erfolgreiche Pianistin ist, gestaltet klug, und die meisten dieser Lamenti erschei- nen wie für sie geschrieben. Nur in Koloraturpassagen würde man sich noch mehr Geschmeidigkeit und Geläufigkeit wünschen. 
Die Auswahl der Arien ist ebenfalls interessant, denn natürlich er- klingen die "Hits" der Gattung aus der Feder von Claudio Monteverdi, Antonio Vivaldi, Christoph Willibald Gluck, Georg Friedrich Händel und Henry Purcell. Doch daneben sind auch einige nicht ganz so bekannte Werke zu hören. Die Hannoversche Hofkapelle begleitet die Sängerin mit kammermusikalischer Finesse und einem Engagement, dass man kaum glauben mag, dass dieses Ensemble das dienstälteste Barockorchester Deutschlands ist. Meiner Ansicht nach ist das die beste Debüt-CD des Jahres 2010.

Samstag, 25. Dezember 2010

Georg & Franz Benda: Flute Sonatas (Hungaroton)

In der Giedde-Sammlung der Königlichen Bibliothek Kopenhagen befindet sich eine Abschrift von vier Flötensonaten von Franz Benda und elf Flötensonaten von Georg Benda. Die Brüder - sie hießen eigentlich Frantisek und Jiri Antonín - gehören zu jenen böhmi- schen Musikern, die im 18. Jahr- hundert ihre Heimat verließen, um andernorts, irgendwo in Europa, anerkannt zu werden und ihren Lebensunterhalt zu verdienen. 
Franz Benda, der ältere Bruder, kam schon als Zehnjähriger nach Dresden, wo er als Kapellknabe an der Katholischen Hofkirche diente und im Geigenspiel unterwiesen wurde. Mit 14 Jahren begann er, eigene Stücke zu komponieren. Er spielte in verschiedenen Hofkapellen, und lernte schließlich in Dresden Quantz kennen, der ihm eine Anstellung als Erster Geiger am Hof des preußischen Kronprinzen in Ruppin verschaffte. Franz Benda wurde später Konzertmeister und nach Quantz' Tod auch der wichtig- ste musikalische Ratgeber Friedrichs des Großen. 
1742 ermöglichte es der König dem Musiker, seine Familie nach Berlin zu holen. So gab Benda seinen Brüdern Joseph und Georg Unterricht auf der Geige, seiner Schwester Anna Franziska Gesangs- stunden. Dies erwies sich als Ausgangspunkt für eine Dynastie von Berufsmusikern, die bis heute existiert; Georg Benda beispielweise war zunächst Geiger in der Hofkapelle Friedrichs, und wurde dann 1750 Hofkapellmeister des Herzogs Friedrich III. von Sachsen-Gotha. Er gilt als Schöpfer des Melodrams, und war zu Lebzeiten sehr populär.
Die Flötensonaten werden die Gebrüder Benda vermutlich für Friedrich den Großen geschrieben haben. Der König beherrschte das Instrument virtuos, und entsprechend anspruchsvoll ist auch der Solopart dieser galanten Werke. Veronika Oross - sie spielt übrigens eine Flöte von August Richard Hammig, Markneukirchen, ein ausgesprochen klangschönes Exemplar - bereitet dies keinerlei Probleme. Die Solistin nimmt die Sonaten temperamentvoll, und gestaltet trotz des zügigen Tempos ganz wunderbar. Ihr Ton begeistert ebenso beständig wie ihre Phrasierung, und auch Kousay Mahdi am Barockcello und Angelika Csizmadia am Nachbau eines Nachbaus eines Ruckers-Cembalos tragen dazu bei, dass sich der Zuhörer keine Sekunde langweilt. Brillant!

Mittwoch, 22. Dezember 2010

Händel: Messiah; Budday (K&K)

Andreas Otto Grimminger und Josef-Stefan Kindler dokumen- tieren seit vielen Jahren in exzellenten Mitschnitten auf ihrem Label K & K Konzerte im Kloster Maulbronn. 1147 gegründet, ist es ein eindrucksvolles Zeugnis der Zisterzienserkultur - und die besterhaltene Klosteranlage nördlich der Alpen. Seit 1993 gehört Kloster Maulbronn zum Unesco-Weltkulturerbe.
Jürgen Budday, Musiklehrer am Evangelisch-theologischen Se- minar Maulbronn, Kirchenmusikdirektor und Leiter der Konzerte im Kloster Maulbronn, der Kantorei Maulbronn und des Maulbronner Kammerchores, hat sich ganz besonders den Oratorien Händels verschrieben, und im Laufe der Jahre etliche davon im Rahmen der Kloster-Konzerte aufgeführt. 
Die vorliegende CD dokumentiert ein Konzert vom September 2005, bei dem Händels Messias erklang - selbstverständlich in englischer Sprache, und in einer Fassung aus dem Jahre 1748, in der Budday so viel wie möglich von den Absichten des Komponisten deutlich machen wollte. So griff er auf die Ripieno-Vorschriften der Dubliner Partitur zurück, und erzielt damit außerordentlich interessante dyna- mische Effekte - für jedermann hörbar unter anderem am Beginn des legendären Halleluja-Chores. Dabei geht es nicht nur um die Differen- zierung zwischen "laut" und "leise"; mit der barocken "Terrassendyna- mik" verbunden ist in diesem Falle auch ein ganz erstaunlicher Zuwachs in der Palette der verfügbaren Klangfarben. Das macht diese Einspielung spannend - und der ganz außerordentlich gut studierte Maulbronner Kammerchor, in Verbindung mit der versierten Hannoverschen Hofkapelle, die hier auf rekonstruierten historischen Instrumenten spielt, und bei einem Stimmton von 415 Hertz. Die Solisten - Miriam Allan, Sopran, Michael Chance, Countertenor, Mark LeBrocq, Tenor und Christopher Purves, Bass - sind solide, aber ich finde sie nicht überragend.

Montag, 20. Dezember 2010

Bach: Great Choral Works; Münchinger (Newton)

Der Stuttgarter Kantor und Kapellmeister Karl Münchinger (1915 bis 1990) gründete 1945, nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft, das Stutt- garter Kammerorchester. Mit schlanker Besetzung, klanglicher Homogenität, ausgeglichener Dynamik, reduzierten Tempi und handwerklicher Perfektion beein- druckte dieses Ensemble das Publikum, und erwarb sich so innerhalb weniger Jahre weltweit einen ausgezeichneten Ruf.
Münchinger versammelte um sich auch eine ganze Riege erstklassiger Sänger - diese CD mit den großen Chorwerken Bachs gibt davon in herausragender Art und Weise Zeugnis. So singen beispielsweise die Matthäus-Passion Peter Pears als Evangelist, Hermann Prey als Christus, Elly Ameling, Marga Höffgen, Fritz Wunderlich, Tom Krause, Manfred Ackermann und Allan Ahrans. Bei der h-Moll-Messe sind Elly Ameling, Yvonne Minton, Helen Watts, Werner Krenn und Tom Krause zu hören. Und das Weihnachtsoratorium, aufgezeichnet 1966 in der Kirche von Schloss Ludwigsburg bei Stuttgart, singen ebenfalls Peter Pears, Elly Ameling, Helen Watts und Tom Krause. Natürlich enthält die immerhin neun CD starke Box auch das Magnificat BWV 10 und die Johannes-Passion
Die Aufnahmen sind ein Dokument der Suche nach neuen musika- lischen Wegen zwischen Postromantik und der historischen Auf- führungspraxis. Sie wirken insbesondere in der Wahl der Tempi und in manchen Details der Interpretation mitunter museal, sind teilweise aber auch sehr ausdrucksstark und faszinierend - und man darf nicht vergessen, dass sie mittlerweile gut 40 Jahre alt sind. Dennoch beeindrucken diese historischen Einspielungen durch ihre hohe Qualität; wer sich für Musikgeschichte interessiert, der sollte sie unbedingt in seine Sammlung aufnehmen.

Sonntag, 19. Dezember 2010

Mattheson: Das größte Kind (cpo)

Johann Mattheson (1681 bis 1764), heute vor allem bekannt als ein bedeutender Musiktheoretiker der Barockzeit, nahm 1715 das Amt Musikdirektors am Hambur- ger Dom an. Zwar war es schlecht bezahlt, aber es brachte dem streitbaren Musikpublizisten den Status eines Canonicus minor am Domkapitel und somit einige Freiheiten ein, weil das Domkapitel nicht der städtischen Gerichts- barkeit unterstand. Auch war der Aufwand, den diese Tätigkeit mit sich brachte, nicht allzu groß - nur an sechs Tagen pro Jahr hatte im Dom Figuralmusik zu erklingen, und genau dafür war der Musikdi- rektor verantwortlich.1728 musste Mattheson dieses Amt allerdings wieder aufgeben, weil er kaum noch etwas hörte; für den Rest seines Lebens blieb er taub.
In den Werken, die Mattheson als Domkantor schuf, versuchte er, einen theatralischen, stark von der Oper beeinflussten Stil durchzu- setzen. Für die Aufführungen engagierte er Sänger und vor allem Sängerinnen von der Hamburger Oper - was zunächst einen hand- festen Skandal verursachte, bald aber offensichtlich akzeptiert wurde. Für den Nachmittagsgottesdienst am zweiten Weihnachtstage, also am 27. Dezember, komponierte Mattheson 1720 Das Gröste Kind, in einem Oratorio auf Weynacht musicalisch vorgestellet - ein zwei- teiliges, üppig instrumentiertes Oratorium, das im Stall zu Bethlehem nach der Geburt Christi spielt. Dieses prachtvolle Werk, das mit seinen virtuosen Arien auch den Sängern allerhand abfordert, liegt nun auf CD vor. 
Die Einspielung ist ringsum gelungen. Es singen Susanne Rydén und Nele Gramß, Sopran, Anna Schmid und Melissa Hegney, Alt, Gerd Türk und Ulrich Cordes, Tenor sowie Wolf Matthias Friedrich und Thilo Dahlmann, Bass, und dazu musiziert die Kölner Akademie unter Michael Alexander Willens - und zwar mit so viel Temperament und Spielfreude, dass es trotz der angestaubten Texte das reine Vergnü- gen ist, dieses Werk anzuhören. Bravi!

Joy in the Morning (Orchid Classics)

Ex Cathedra, gegründet 1969 von Jeffrey Skidmore, hat auf dieser CD ein Weihnachtsprogramm einge- spielt, das von Giovanni Gabrieli über Felix Mendelssohn Bartholdy und Benjamin Britten bis hin zu Alec Roth und Naji Hakim reicht - mit einem deutlichen Schwerpunkt im Bereich der zeitgenössischen Musik.
Der semiprofessionelle, etwa 40köpfige gemischte Chor aus Birmingham, in dem ausgebildete Sänger, Studierende und stimmlich exzellent geschulte Laien gemeinsam musizieren, gehört ohne Zweifel zu den besten der Welt. Er singt blitzsauber, durch und durch homo- gen, und stellt selbst schwierigste Chorsätze absolut perfekt vor. Auch der sängerische Nachwuchs, der in der Academy of Vocal Music von Ex-Cathedra-Mitglied Rebecca Ledgard unterwiesen wird, darf bei einigen Stücken sein Können zeigen.
Das Ensemble klingt, bei aller Exzellenz, niemals steif und akade- misch. Musiziert wird mit viel Temperament und Ausdruck, und in dem dramaturgisch geschickt zusammengestellten Programm wird die Front der A-cappella-Werke ohnehin durch instrumental beglei- tete Stücke aufgelockert. Zu hören sind unter anderem Andrew Fletcher an der Orgel, Harfe, Schlagwerk und vier Renaissance- posaunen. Es ist kaum zu glauben - aber so lebendig, so kraftvoll und anregend kann geistliche Musik sein!

Samstag, 18. Dezember 2010

Georg Gebel d.J.: Christmas Cantatas Vol. 1 (cpo)

Georg Gebel d.J., geboren 1709, wurde von seinem Vater, dem Breslauer Organisten Georg Gebel d.Ä., schon in frühestem Alter im Spiel von Tasteninstrumenten und im Komponieren unterwiesen. Der Knabe hatte Talent - und wurde ähnlich wie Mozart als Wunderkind vorgeführt. Gebel senior legte allerdings auch größten Wert auf eine solide schulische Ausbildung seines Sohnes, und schickte ihn anstatt auf Konzertreisen ans Gymnasium. 
Nach einer ersten Anstellung als Kapellmeister in Oels wurde Gebel 1735 für die Privatkapelle des sächsischen Premierministers Heinrich Graf von Brühl engagiert. Dort wirkte er bis 1746 als Komponist und Cembalist. Dann ging er nach Rudolstadt, wo er zunächst Konzert- meister und 1750 schließlich Kapellmeister wurde. Bei Hofe war seine Arbeit geachtet und derart gefragt, dass der fleißige Gebel sich buch- stäblich zu Tode komponierte. Er starb 1753, trotz Kur und aller Fürsorge der Herrschaft, infolge eines Burn-out-Syndroms, wie man heute sagen würde - noch keine 44 Jahre alt. 
Neben zwei nahezu komplett erhaltenen Kirchenkantaten-Jahrgängen von 1747/48 und 1750/51 und zwei Passionsmusiken soll Gebel zwölf Opern, mehr als hundert Sinfonien und Partiten sowie Cembalo- konzerte komponiert haben. Überliefert sind 144 Kirchenkantaten, ein Weihnachts- und ein Neujahrsoratorium sowie die Johannes-Passion; sie befinden sich im Musikalienbestand Hofkapelle Rudol- stadt des Thüringischen Staatsarchivs Rudolstadt auf Schloss Heidecksburg. 
Die Wiederentdeckung dieses Werkes begann 2004 mit der Einspie- lung der Oratorien, die als Sensation gefeiert wurden. Ludger Rémy stellt nun mit seinem Ensemble Les Amis de Philippe zwei Kantaten Gebels vor. Es sind "große", zweiteilige Werke, geschrieben für den Gottesdienst am zweiten Weihnachtsfeiertag und am Sonntag nach Weihnachten 1747. Von Weihnachtsstimmung ist darin allerdings keine Spur - die Kantaten nehmen Bezug auf den gesteinigten Märtyrer Stephanus, dessen Gedenktag der 26. Dezember ist, und auf Galater 3, verkündend in musikalisch kühner Weise die Befreiung vom Gesetz Mose durch Christus. Man hört und staunt, und wundert sich, dass solch eine Handschrift in Vergessenheit geraten konnte.
Es singen Veronika Winter, Sopran, Britta Schwarz, Alt, Andreas Post, Tenor und Matthias Vieweg, Bass, verstärkt in den Chören durch Cantus Wettinianus Dresden - Anna Moritz, Sopran, Inga Phillipp, Alt, Jörg Mall, Tenor und Falk Joost, Bass. Musiziert wird historisch fundiert sowie mit großem Engagement. Das Ergebnis ist sensationell - eine Entdeckung, der hoffentlich weitere folgen werden.

Freitag, 17. Dezember 2010

Bryn Terfel - Carols & Christmas Songs (Deutsche Grammophon)

"Die Weihnachtsfeste meiner Kindheit auf einem Bauernhof in Nordwales waren idyllisch. Ständig gab es Geselligkeiten mit Familie und Freunden, man führte wundervolle Krippenspiele auf, und verschneite Wiesen wurden zu weihnachtlichen Spielplätzen. Auch das fröhliche gemeinsame Singen von Liedern unterschied- lichster musikalischer Richtungen gehörte dazu", erinnert sich Bryn Terfel. "Im Hintergrund ist die Musik stets gegenwärtig und wichtiger Teil dieser festlichen Zeit. Wie begeistert war ich bei der Aussicht, einige dieser herrlichen Lieder aufzunehmen, vor allem da ich wusste, dass auch das walisische Liedgut zum Programm gehö- ren würde." 
Denn bei dieser Einspielung handelt es sich um eine ganz besondere Doppel-CD: Auf der ersten Silberscheibe gibt's internationales Lied- gut, inklusive einiger Überraschungen - so singt Tenor Rolando Villazón gemeinsam mit dem Bassbariton ein entspanntes El Naci- miento. Die zweite ist die Welsh Bonus Disc, mit Liedern in Terfels geliebter Muttersprache, und ebenfalls mit diversen Gästen, wie dem Nidus Children's Choir, der Sopranistin Gwawr Edwards und den Only Men Aloud oder Caryl Parry Jones & Band. Die exzellente Harfenistin Catrin Finch ist auf beiden CD zu hören, wie auch der Chor Cordydd und das Orchestra of the Welsh National Opera unter Tecwyn Evans.
Leider hat das Label bei durchaus dafür erstklassigen Spezialisten "marktgängige" Arrangements anfertigen lassen. Sie sorgen vom ersten bis zum letzten Lied für einen kaufhauskompatiblen Einheits- sound. Beim Publikum wird das sicherlich ankommen - aber man fragt sich, wie diese Lieder mit etwas weniger Streicherteppich hätten klingen können.

In dulci jubilo - Weihnachtliche Chorsätze der Romantik (MDG)

Der Norddeutsche Figuralchor, 1981 von Jörg Straube gegründet, gehört zur kleinen Riege der leistungsfähigen, semiprofessio- nellen Kammerchöre hierzulande. Dieses grundsolide Ensemble widmet sich unter anderem der Chorliteratur der Romantik - und hat auch für diese weihnachtliche CD Chorsätze aus jener Zeit aus- gewählt. 
Das erscheint erstaunlich. Denn einerseits wurde in jener Zeit Weihnachten zusehends von einem kirchlichen zu einem familiären Fest. Mit dem Rückzug ins Private wandelte sich auch die Funktion althergebrachter Institutionen - und während die Singakademien und die Akademischen Gesangsvereine aufblühten, durchlitt die evangelische Kirchenmusik eine Schwäche- phase.
Die Komponisten, die für die weltlichen Chöre schrieben, bemühten sich aber insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, auch für die Kirchenmusik wieder ansprechende Werke zu schaffen. Sie sichteten das Vorhandene - und griffen letztendlich auf jene Melodien zurück, die schon zur Reformationszeit bekannt und beliebt gewesen waren. Diesen Fundus "modernisierten" sie radikal, den Hörgewohnheiten und ästhetischen Idealen ihrer Zeit entsprechend. Besonders beliebt: Volksliedhaft schlichte Melodien, kühne Harmo- nien, A-cappella-Gesang. Und so enthält diese CD beispielsweise Chorsätze von Felix Mendelssohn Bartholdy, Friedrich Silcher, Karl Riedel, Gustav Schreck, Franz Wüllner oder Max Reger - und das einzige überlieferte Chorwerk von Alban Berg, die Motette Es ist ein Reis entsprungen.

Sancta Lucia - Licht in dunkler Zeit (Cantate)

In Schweden wird in der Advents- zeit der heiligen Lucia gedacht. Dort beginnt man die vorweih- nachtliche Fastenzeit am 13. De- zember bei Tagesanbruch - und deshalb stärkten sich die Familien vor Sonnenaufgang noch einmal mit dem Luciagebäck, dem lussekatter, und feierten. Und weil in Schweden viel gesungen wird, kennen selbst die Kleinsten schon Lucia-Lieder. Alle Mädchen wollen einmal die Lucia sein, die im weißen Gewand und mit Lichter- krone im Luciazug von Brautjungfern und Sternenbuben begleitet wird. Und bis zum heutigen Tage komponieren schwedische Musiker für dieses Fest; in Schweden gibt es schließlich eine Vielzahl exzellen- ter Chöre.
Eine Auswahl zumeist zeitgenössischer Werke für Luciafest und Adventszeit haben der Kinderchor St. Gregorius Aachen und Die Europäischen Vokalsolisten unter Steffen Schreyer weitgehend a cappella eingesungen. Dabei zeigen sie sich durchaus ehrgeizig - diese Chorsätze sind nichts für Anfänger. Heinz Werner Zimmermanns Chorfantasie für zwölfstimmigen gemischten Chor Wachet auf, ruft uns die Stimme beispielsweise ist ziemlich knifflig, und Arnold Schönbergs Friede auf Erden gehört wohl bis heute zum Schwierig- sten, was die Literatur zu bieten hat. Die beiden Chöre singen souverän und ausgewogen; und Steffen Schreyer, von 2001 bis 2007 Professor für Chordirigieren an der Katholischen Hochschule für Kirchenmusik St. Gregorius Aachen, bringt die Sänger locker über alle Klippen.

Lullabies and Carols for Christmas (Naxos)

Wer die Harfe gerne hört, der findet hier eine ziemlich exklusive Einspielung: Die Kanadierin Judy Loman, eine der weltweit führenden Harfen-Virtuosinnen, hat Weihnachts- und Wiegenlieder, die in ihrer Heimat populär sind, speziell für dieses Instrument arrangiert. Die meisten davon interpretiert sie gemeinsam mit der Sopranistin Monica Whicher. Doch dazwischen hat sie auch einige sehr spannende "richtige" Solostücke für Harfe placiert - beispielsweise das Interlude from A Ceremony of Carols von Benjamin Britten, die Six Noels Pour la Harpe von Marcel Tournier und die Concert Variations on Adeste Fideles von Carlos Salzédo, Erster Harfenist an der Met in New York unter Toscanini. Mehr davon! denn dieses Repertoire hört man viel zu selten.

Dienstag, 14. Dezember 2010

Bach: Weihnachtsoratorium; Max (cpo)

Viel und vieles wurde geschrieben über das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach. Darauf verweist auch Hermann Max im Beiheft zu der vorliegenden Super Audio-Doppel-CD. Leider begibt er sich in seinem Text ziemlich rasch ins Reich der Spekulation - dabei bietet Bachs Notentext doch so viel interessantes; ob Bach "modern" komponieren wollte, erscheint mir angesichts dieses gewaltigen Werkes hingegen eher eine von jenen Fragen, wie sie heute vorzugsweise die Kollegen vom Boulevard stellen.
Warum also noch eine weitere Einspielung des Weihnachtsorato- riums, das im CD-Regal schon in etlichen Aufnahmen zu finden ist - und einige davon sind ja gar nicht schlecht. Das innovative Aufzeich- nungsverfahren mag sicher für einige Technikfreaks ein Kaufargu- ment sein. Doch ist die neue Aufnahme besser als ihre Vorgänger? Bringt sie neue Ideen, zeigt sie Strukturen auf, ist sie von besonderer musikalischer Qualität? 
Neugierig startet man den Player - und erschrickt sofort über die Dominanz und den ungewohnt flachen Klang der Pauken. Willkommen im Reich der historical correctness. Nun ja - die Rheinische Kantorei ist bei dieser Interpretation gerade einmal mit 16 Sängerinnen und Sängern besetzt. Und das Barockorchester Das Kleine Konzert spielt ebenfalls mit schlanker Besetzung, wobei aber das Continuo jeweils mit Violoncello, Violone, Fagott, Orgel und Cembalo vergleichsweise üppig ausgestattet ist. 
Die Chöre nimmt Max zügig, aber nicht flüchtig. Der Chor singt ge- schmeidig, und hat keine Mühe, diesen Tempi zu folgen. Veronika Winter, Sopran, Wiebke Lehmkuhl, Alt, Jan Kobow, Tenor und Markus Flaig, Bass, singen klangschön und solide, aber nicht umwer- fend. Am meisten beeindruckt mich Jan Kobow dort, wo er die Partie des Evangelisten singt. Die Arien sind ansonsten durchweg sehr konventionell gestaltet; insbesondere bei der Wahl der Tempi ist Max von beeindruckender Inkonsequenz (Beispiel: Frohe Hirten - die Aufforderung, zu eilen, dürfte ganz sicher niemand ernst nehmen, wenn sie so lässig-tänzerisch vorgetragen wird). Vom Orchester sind leider nicht nur schöne Töne zu hören - Originalklang hin, Barock- musik her, das ist keine Entschuldigung, Profis müssen das bringen. Tut mir leid, aber diese Aufnahme kann ich nicht empfehlen.

Vom Himmel hoch - Festliche Weihnachten mit Ludwig Güttler (Berlin Classics)

Natürlich darf auch in diesem Jahr die obligatorische Weihnachts-CD mit den Musikern um Ludwig Güttler nicht fehlen. Es ist kaum zu glauben, aber der legendäre Dresd- ner Trompeter, der sich große Verdienste um das Musikleben in seiner Heimat erworben hat, ist noch immer aktiv. Er engagiert sich nicht nur für Projekte wie "Jedem Kind ein Instrument", sondern er gibt auch tatsächlich noch immer Konzerte in großer Zahl - ob als Solist, bevorzugt gemeinsam mit seinem langjährigen Organisten Friedrich Kircheis, oder mit einem der von ihm gegrün- deten Ensembles. 
Leider hat Güttler in jüngster Vergangenheit bei Berlin Classics keine neuen Aufnahmen mehr eingespielt, so dass diese Kompilation aus- schließlich auf bereits Bekanntem beruht. Wer diese Güttler-CD nicht besitzt, der findet hier eine Best-of-Auswahl für die Weihnachtszeit.

Noel - Angèle Dubeau & La Pietà (Analekta)

Streichermusik zur Weihnachtszeit hat die kanadische Violinistin Angèle Dubeau mit ihrem Damen- ensemble La Pietà eingespielt. Diese CD enthält Klassiker wie das Concerto in E-Dur Per il santissimo natale von Antonio Vivaldi, das Concerto a Quatro in Forma di Pastorale Per santissimo natale von Giuseppe Torelli oder das ebenfalls sehr bekannte Concerto Pastorale in G-Dur von Johann Melchior Molter, aber auch vertraute und weniger bekannte, aber darum nicht weniger schöne Weihnachtslieder aus aller Welt in ansprechenden Arrangements. Wer sich beim Blick in das Flockengewirbel nach einer handwerklich rundum soliden, klangschönen CD sehnt, auf der zur Abwechslung einmal nicht gesungen wird, der wird an dieser Einspielung seine Freude haben.

Sonntag, 12. Dezember 2010

Graupner: Frohlocke, werte Christenheit (cpo)

In Darmstadt war es in der Ad- ventszeit 1727 "nebelig und kalt", schrieb Hofkapellmeister Christoph Graupner (1683 bis 1760) seinerzeit in einem Brief. Vize-Hofkapellmeister Gottfried Grünewald war seit längerem erkrankt. Das war ein Problem, denn Grünewald war zugleich der einzige Vokal-Bassist der Hof- kapelle. 
So musste Graupner nicht nur sämtliche Werke für die Feiertage alleine liefern und die Auffüh- rungen leiten. Er musste sich außerdem etwas einfallen lassen, um das Fehlen des Sängers zu kompensieren: Wie bringt man einen Chor zum Klingen, ohne Bass? Am zweiten Feiertag aber feierte obendrein sein Dienstherr, Landgraf Ernst Ludwig, Geburtstag, so dass die Kirchen- kantate an diesem Tage besonders prächtig auszufallen hatte. 
Graupner löste das Problem, indem er Weihnachtskantaten kompo- nierte, die mit der in der Tat sehr ungewöhnlichen Besetzung Sopran - Alt - Tenor auskommen - und trotzdem so gut klingen, dass man längere Zeit fasziniert lauscht, bevor man bemerkt, dass diesem Ensemble eigentlich die tiefste Stimme fehlt. Eines dieser kuriosen Werke, die Kantate Von Gott will ich nicht lassen, erklingt auf dieser CD - wobei allerdings im Choral dann doch ein Bassist mitsingt; wer damals diese Partie übernommen hat, das wird wohl ein Geheimnis bleiben.
Die vier anderen Weihnachtskantaten Graupners, die für diese CD ausgewählt wurden, sind durchweg nach 1740 entstanden. Sie zeigen den Darmstädter Hofkapellmeister als überaus versierten Musiker, der auf Pauken und Trompeten verzichten kann - und mit Eleganz und Virtuosität überzeugt. 
Das gilt auch für die Musiker, die auf dieser CD zu hören sind: Veronika Winter, Sopran, Franz Vitzthum, Alt, Jan Kobow, Tenor und Markus Flaig, Bass ergeben ein überaus stimmiges Ensemble, das gemeinsam mit dem etablierten Barockorchester Das Kleine Konzert unter Hermann Max durch engagiertes Musizieren und präzise Klangrede begeistert. Bravi!

Christmas with The Washington Chorus (Dorian)

Dieses Weihnachtskonzert wurde am 23. Dezember 2009 im Strathmore Music Center, Washington DC, aufgezeichnet. Was für ein Sound! Das ist Amerika: Knapp 200 Sängerinnen und Sänger stark ist The Washington Chorus, einer der besten Chöre der USA, geleitet von Julian Wachner. Und er wird hier noch verstärkt durch The Whitman Choir, das Elite-Ensemble der Walt Whitman High School mit noch einmal mehr als 50 gut geschulten Stimmen. Er erklingen traditionelle Weihnachts- lieder in nicht zu gewagten modernen Arrangements, und zum Schluss gibt's natürlich Händels berühmtes Halleluja
Die beiden Chöre musizieren gemeinsam mit dem Ensemble National Capital Brass & Percussion - drei Trompeten, drei Posaunen, Horn, Tuba, Harfe, Orgel, Pauken, Schlagwerk, ebenfalls vom Allerfeinsten. Und erstaunlicherweise behaupten sich die Bläser souverän gegen- über dem riesigen Chor. Das Ergebnis ist derart pathetisch, dass der Europäer den Kopf schüttelt - aber wer amerikanische Weihnachten liebt, der wird bezaubert sein.

Samstag, 11. Dezember 2010

Mattheson: Die heilsame Geburt (cpo)

Johann Mattheson, geboren 1681 und gestorben 1764 in Hamburg, war ein musikalisches Wunderkind. Sein Debüt gab er im Alter von neun Jahren als Sopran und Orga- nist - und als Mitglied des Ham- burger Opernchores. 1699 kom- ponierte er seine erste Oper, leitete ihre Aufführung selbst und sang darin auch gleich noch eine Haupt- rolle, so wird berichtet. 
Berühmt wurde Mattheson als Freund und Rivale Georg Friedrich Händels. Mattheson und Händel bewarben sich im August 1703 um die Nachfolge von Dieterich Buxtehude als Organist an der Lübecker Marienkirche. Zu den Bedingungen für den Bewerber gehörte es allerdings, eine Tochter Buxtehudes zu heiraten. Und so blieb die Stelle weiter unbesetzt. Händel reiste 1706 nach Italien, Mattheson blieb in Hamburg, wo er ab 1704 als Hofmeister, bald auch als Sekretär und Korrespondent des englischen Gesandten tätig wurde. 
Mattheson und Händel waren aber nicht immer einer Meinung, und wohl auch beide impulsiv und temperamentvoll. Während einer Aufführung von Matthesons Oper Cleopatra beispielsweise gab es einen lautstarken Streit, der sogar zu einem Duell vor dem Ham- burger Opernhaus führte. Die Legende besagt, dass ein Knopf an Händels Jacke den Degen Matthesons abgleiten ließ. So blieben beide Streithähne unversehrt - das enge kollegiale Verhältnis aber nahm wohl doch Schaden. 
1715 wurde Mattheson Musikdirektor am Hamburger Dom. Dort sorgte er für einen handfesten Skandal, als er Weihnachten 1715 erstmals auch Sängerinnen für die Kirchenmusik engagierte. In diesem Jahr erklang Matthesons Weihnachtsoratorium Die heilsame Geburt und Menschwerdung unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi - ein geradezu klassischer Actus musicus, sehr gelehrt, und furchtbar spröde. Ein Jahr später entstand das Magnificat a due chori, das ebenfalls stark auf rhetorische Effekte abzielt, aber zugleich reichlich spätbarocke Klangpracht entfaltet, und so geneigt ist, den Hörer nicht nur zu belehren, sondern auch zu erfreuen und zu berühren. Die beiden letzten Aspekte kommen mir bei dem ersten Werk zu kurz. 
Es singen Nicky Kennedy und Anna Markland-Crookes, Sopran, Ursula Eittinger und Dorothee Merkel, Alt, Andreas Post und Sven Hansen, Tenor sowie Stephan MacLeod und Johannes Gsänger, Bass. Und es musiziert die Kölner Akademie unter Michael Alexander Willens. Meine Lieblings-Weihnachts-CD wird das wohl nicht; so manches Werk, das im Staub der Archive vor sich hinschlummert, ist dem Vergessen gnädigerweise anheimgefallen. Diese beiden werden sicherlich auch umgehend wieder in dem mächtigen Strom versinken, der alles davonspült, was ein Publikum nicht begeistern kann.

Montag, 6. Dezember 2010

Handel: Messiah (Newton)

Händels Oratorium Der Messias gehört heute zum Standard- repertoire der Kirchenmusik. Dass diesem Werk dauerhaft Erfolg beschieden sein würde, war aber nicht von vornherein abzusehen. Denn in London, wo Georg Fried- rich Händel das Opus nach seiner Premiere in Dublin etablieren wollte, kam Messiah zunächst gar nicht gut an. Die Leute nahmen Anstoß daran, dass Bibelworte im Theater erklangen, dass Zitate aus den Evangelien zur Unterhaltung dienen sollten. Händel zog sich geschickt aus der Affäre - und die Wohltätigkeit half ihm dabei.
Und so wurde Messiah das einzige Oratorium Händels, das zu seinen Lebzeiten außerhalb eines weltlichen Gebäudes erklang. Denn ab 1750 beschloss Händel seine Oratoriensaison in der Fastenzeit mit diesem Werk, und veranstaltete nach Ostern zusätzlich eine weitere Vorstellung in der Kapelle des Foundling Hospital, deren Erlös den Findelkindern zugute kam. Und ganz allmählich verstummten auch die Blasphemie-Vorwürfe.
Die Besetzung, die Händel dabei zur Verfügung stand, war nicht groß. So dokumentiert eine Abrechnung aus dem Jahre 1754, dass bei dem Benefizkonzert für das Foundling Hospital 14 Violinen, sechs Violen, drei Violoncelli, zwei Kontrabässe, vier Oboen, vier Fagotte, zwei Hörner, zwei Trompeten und zwei Pauken verwendet wurden. Der Chor bestand aus ungefähr 20 Sängern, wobei der Sopran von Chor- knaben und der Alt von Countertenören gesungen wurde. Außerdem sangen die Solisten die Chorpartien mit.
Nach Händels Tod wurde das Werk zur Ikone. Bis zu 4000 Choristen und 500 Instrumentalisten kamen zum Musizieren zusammen; und neigte schon Händel dazu, seine Stücke vor jeder Aufführung zu überarbeiten, so wurden für diese Riesenbesetzungen nun weitere Versionen geschaffen. Mozart beispielsweise schuf zusätzliche Begleitstimmen, und auch weniger versierte Zeitgenossen bearbei- teten insbesondere die Orchestrierung, so dass Händels Werk zusehends unter einer dicken Schicht von Aufführungstraditionen verschwand.
Der britische Musikwissenschaftler Julian Herbage (1904 bis 1974) grub die Original-Partituren wieder aus und schuf so die Voraus- setzung für die vorliegende Aufnahme aus dem Jahre 1961, bei der es sich um die jüngere von zwei Einspielungen mit dem London Symphony Chorus und dem London Symphony Orchestra unter Sir Adrian Boult handelt. Die Solopartien sind grandios besetzt mit Joan Sutherland, Sopran, Grace Bumbry, Mezzosopran, Kenneth McKellar, Tenor und David Ward, Bass. An der Continuo-Orgel ist Ralph Downes zu hören, am Cembalo George Malcolm. Und weil noch Platz auf CD drei war, hat das Label noch einige Arien aus anderen Händel-Oratorien mit Dame Joan Sutherland und mit dem wirklich exquisiten Tenor Kenneth McKellar dazugepackt. 
Achtung! diese Aufnahme hat Suchtpotential. Und das, obwohl von historischer Aufführungspraxis, von barocker Musik und von leichten, beweglichen Stimmen hier so gar nichts zu finden ist. Immer wieder fragt man sich erstaunt, wieso diese alten Aufnahmen dennoch eine Ausstrahlung haben, die den jüngeren fehlt, obwohl diese doch musikalisch eigentlich so viel besser sind. Mir drängt sich da der Verdacht auf, dass Spannung und Tempo unmittelbar etwas miteinander zu tun haben - und dass eine schnellere Interpretation daher nicht unbedingt auch die spannendere sein muss; da möchte ich doch Bedenken anmelden. 
Sir Adrian Boult zelebriert Händels Messiah mit Hingabe, und die Sänger singen nicht nur mit Technik, sondern mit Seele. Das Ergebnis ist von einer Qualität, die noch immer überzeugt - wer eine bessere Aufnahme hören möchte, der kann lange suchen.

Sonntag, 5. Dezember 2010

Mozart: Duets for violin & viola, Divertimento (Concerto)

Die Sage berichtet, der jüngere Bruder von Franz Joseph Haydn, Johann Michael Haydn, war Hofmusicus und Concertmeister beim Erzbischof Sigismund von Schrattenbach in Salzburg, und habe für seinen Dienstherrn, der gut und gern Geige spielte, Sonaten liefern sollen. Das Minimum, das erwartet wurde, seien sechs Stück gewesen. Doch im Verzeichnis der Werke Haydns finden sich für das Jahr 1783 nur vier Stück - wo also sind die anderen beiden? 
Die Legende besagt, es handele sich dabei um die beiden Duette für Violine und Viola KV 423 und 424 von Wolfgang Amadeus Mozart. Er habe sie 1783 für den älteren Freund geschrieben, der wohl gern und oft gefeiert haben soll. -- Ob dies Dichtung oder Wahrheit ist, werden wir nicht mehr herausfinden. Aber Francesco Manara, Violine, und Simonide Braconi, Viola, zeigen, welch spannende Musik diese beiden Duosonaten sind. Beim letzten Werk werden sie durch den Cellisten Massimo Polidori komplettiert, der ebenfalls zu den Solisten der Mailänder Scala gehört. Denn die CD wird ergänzt durch das Diverti- mento in Es-Dur KV 563 für Streichtrio, das Mozart im September 1788 vollendete. Dieses Divertimento ist weit mehr als Unterhal- tungsmusik; hinter der formal konventionellen Fassade greift Mozart zur vollen Palette seiner gestalterischen Möglichkeiten, und die scheinbar schlichten Melodien führen in eine schwindelerregende Tiefe. Dieses Werk, das musikalisch das Format seiner besten späten Streichquartette hat, ist ebenso wie die beiden Duette in Mozarts Schaffen ein Solitär geblieben.

Baroque Christmas in Hamburg (cpo)

Im 17. Jahrhundert war Hamburg eine Musikmetropole von europä- ischem Rang. In der reichen Han- sestadt wirkten zahlreiche bedeu- tende Musiker der unterschiedlich- sten Provenienz, und sie bescher- ten dem "norddeutschen" Barock einen Farben- und Formenreich- tum, der seinesgleichen sucht.
Aus dem reichen Fundus der Organisten- und Kantorenmusik der damaligen Zeit schöpft das Bremer Barock Consort, ein Ensemble von Studierenden und Absolventen derHochschule für Künste Bremen unter Leitung von Manfred Cordes. Musiziert wird sehr achtbar und solide. So erklingen auf dieser CD Werke des Organisten Hieronymus Praetorius und seines Sohnes Jacob Praetorius, der ebenfalls in Hamburg als Organist wirkte. Er war wie Heinrich Scheidemann und Samuel Scheidt, von denen gleichfalls Werke auf dieser CD vorgestellt werden, ein Schüler des Amsterdamer "Organistenmachers" Jan Pieterszon Sweelinck. Stadtkantor Thomas Selle ist mit zwei Werken vertreten; auch sein Nachfolger Christoph Bernhard und Johann Philipp Förtsch, der als Kantoreisänger nach Hamburg kam, aber eigentlich Arzt war, werden mit prachtvollen Werken einbezogen. Auch Matthias Weckmann ist zu hören; allerdings will mich die Zuschreibung der Toccata primi toni an Bernhard nicht recht überzeugen - dieses Werk klingt gar zu typisch nach Weckmann. Die CD endet mit Christoph Bernhards Kantate Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren - eine hochkomplexe Vertonung des Nunc dimittis, die an Schütz denken lässt.
Auffällig ist, dass all diese Werke auf Pauken und Trompeten ver- zichten. Möglicherweise ist dies auf die traditionelle Zurückhaltung des Bürgertums der Hansestadt zurückzuführen, das seinen Reichtum fleißig mehrte, aber eher nicht zeigte.

Samstag, 4. Dezember 2010

Bach: Weihnachtsoratorium - Chailly (Decca)

Bachs Weihnachtsoratorium in einem Mitschnitt vom Januar 2009 - aufgezeichnet wurde das sogenannte Große Concert des Gewandhausorchesters Leipzig, und dass ausgerechnet Bach dort gespielt wurde, das ist eine Sensation. Denn das gewaltige Werk erklang in der Messestadt erstmals 1634/35 - wie vom Komponisten vorgesehen, jeweils eine Kantate in sechs Gottes- diensten vom ersten Weihnachts- feiertag bis zum Epiphaniasfest, bekannter wohl als Dreikönigstag.
Ob es zu Bachs Lebzeiten noch einmal aufgeführt worden ist, das ist nicht sicher festzustellen. Nach dem Tode des Komponisten erbte Carl Philipp Emanuel Bach Partitur und Originalstimmen. Einzelne Teile führte Johann Theodor Mosewius in den 1840er Jahren mit der Breslauer Singakademie auf. Am 17. Dezember 1857 erklang das Weihnachtsoratorium zum ersten Male wieder "komplett" - allerdings aus Rücksicht auf die Sänger um einen Halbton tiefer, und aus Rück- sicht auf das Publikum drastisch gekürzt - im Konzerthaus der Sing-Akademie zu Berlin. Geleitet hat diese denkwürdige Aufführung, die die Wiederentdeckung des Werkes einleitete, Eduard Grell. War es zunächst weniger bekannt als Bachs Passionen, so erlebte das Weihnachtsoratorium im Zuge der kirchenmusikalischen Erneuerungsbewegung sowie der Debatten um die historisch korrekte Aufführungspraxis eine Renaissance. Aus dem Gottesdienst allerdings ist das "WO" weitgehend verschwunden; sein Platz ist heute üblicher- weise in der Adventsmusik, wo es auf zwei Abende aufgeteilt Kantor und Kirchenchor zum Schwitzen und den Profis ein Zubrot bringt, und für volle Kirchen sorgt.
Wenn Riccardo Chailly Bachs großartigem Werk einen Platz im Großen Concert einräumt, dann ist er nach Carl Reineke, der 1861 einige Ausschnitte im Gewandhaus dirigierte, der erste Gewandhaus- kapellmeister, der das Weihnachtsoratorium in Leipzigs traditions- reichen Konzertsaal holt. Und er macht es konsequent zu einem Konzertstück - mit kammermusikalischem Zugriff, teilweise atem- beraubenden Tempi, sauber gesetzten Akzenten. In den Mittelpunkt des Weihnachtsgeschehens stellt Chailly nicht etwa die Erzählung des Evangelisten, sondern vielmehr die Arien der Altistin, die er offenbar als Stimme Mariens deutet. Dabei gelingen ihm Momente von berückender Intimität.
Mit welcher Zartheit er etwa die Sinfonia dahintupft, das ist grandios. Sie wirkt wie ein Echo aus der Himmelskantorei, eher nicht wie gemeinsames Musizieren von Menschen und Engeln. Die Oboen klingen hier nicht wie bäuerliche Instrumente, grob und laut, sondern süß und schmeichelnd. Und auch der Chor ist eine Wucht - der Dresd- ner Kammerchor, gegründet 1985 von Hans-Christoph Rademann, einstudiert von seinem ersten Dirigenten Jörg Genslein, folgt Chaillys Dirigat, als könnte er Gedanken lesen. 
Als Solisten sind auf dieser CD zu hören Carolyn Sampson, Sopran, Wiebke Lehmkuhl, Alt, Martin Lattke, Tenor - als sehr achtbarer Evangelist - und Wolfram Lattke, Tenor, mit einer preisverdächtigen Version der Arie Frohe Hirten, ach eilet, sowie Konstantin Wolff, Bass - naja, eigentlich ja wohl mehr Bariton. 
Chailly kennt und liebt "seinen" Bach. Und es gelingt ihm, einen ganz eigenen Zugang zu dieser Musik zu finden, was - zumal in Leipzig - nicht ganz einfach sein dürfte. Aber diese Version mit ihrem Esprit und ihrer tänzerischen Leichtigkeit, mit ihrer Balance zwischen den innigen und den dramatischen Momenten mag man immer wieder hören. Bravi!

 

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Klassische Musik für Kinder (Berlin Classics)

Für musikliebende Familien, oder auch interessierte Kindergärten, hält Berlin Classics ein ganz beson- deres Bonbon bereit: Fünf CD, prall gefüllt mit Klassischer Musik für Kinder - ich würde mal sagen, im Alter zwischen vier und zwölf. Denn für jüngere Minis sind die meisten Stücke zu lang, und Ju- gendliche werden dafür wahr- scheinlich nicht mehr spontan zu begeistern sein. 
Unsere beiden Mäuse haben mit größtem Interesse der Ouvertüre zu Humperdincks Hänsel und Gretel gelauscht - Frage: Wann kommt denn nun endlich die Hexe!? - fanden Haydns Sinfonie mit dem Paukenschlag sehr komisch, und waren von Leopold Mozarts Musi- kalischer Schlittenfahrt schwer begeistert. In den Archiven des VEB Deutsche Schallplatten Berlin, heute betreut durch die Edel Records GmbH, fand sich so manches, was Kinder entzückt, in durchweg erstklassiger Einspielung. Und für die Großen gibts im Beiheft zu jedem Stück einen kurzen Text, der bei Erklärungen - falls notwendig - hilft. Prima!

Sonntag, 28. November 2010

Shadows - Baroque Music by Vivaldi, Blavet, Dieupart and Veracini (Solo Musica)

"Aus Liebe zur Barockmusik habe ich dieses Programm eingespielt", schreibt Ramón Ortega Quero, Solo-Oboist des Symphonie- orchesters des Bayerischen Rund- funks und Rising Star der European Concert Hall Organization 2010/11. "Wir haben die drei italienischen Sonaten und drei französische Stücke aufgenommen und versucht, Ähnlichkeiten und Unterschiede beider Stilrichtun- gen deutlich zu machen."
Das ist offenbar gar nicht so einfach, denn die Musiker der Barockzeit reisten umher, um zu lernen, einander zuzuhören und Arbeiten berühmter Kollegen zu kopieren. Italien galt damals als das Maß aller Dinge. Concerti grossi nach Corelli, die Kirchensonate oder die nea- politanische Oper wurden bald in ganz Europa nachgeahmt. 
Die Franzosen bevorzugten Suiten, Folgen von Tanzsätzen; sie über- nahmen aber bald die Innovationen aus Italien. So steht auf dieser CD nur noch ein Werk für den französischen Stil - und die Suite VI in f-Moll stammt lustigerweise von Charles Dieupart, der in London lebte und arbeitete. Die beiden Werke von Michel Blavet, damals der berühmteste Flötist in Frankreich, folgen bereits dem Modell der Sonate. Die CD enthält zudem Sonaten von Francesco Maria Veracini und Antonio Vivaldi - darunter auch die Sonate c-Moll RV 53, das einzige der sechs Werke, das ursprünglich für Oboe entstanden ist.
Alle sechs Werke stehen zudem im Tongeschlecht Moll, was das Label veranlasste, den Titel Schatten für die CD zu wählen. Nach der Affektenlehre, die im Beiheft sogar zitiert wird, haben aber nicht alle Moll-Tonarten etwas Düsteres; erst die Wiener Klassik bevorzugte die Dur-Tonarten, und degradierte Moll zum Kontrast. Johann Mattheson beschreibt in seinem Neu-Eröffneten Orchestre (1713) aber nicht nur die Charaktere der einzelnen Tonarten: "Der gleichsam redende Haut- bois, ital. Oboe, ist bey den Frantzosen, und nunmehro auch bey uns, das, was vor diesem in Teutschland die Schalmeyen (von den alten Musicis Piffari genandt) gewesen sind, ob sie gleich etwas anders eingerichtet. Die Hautbois kommen, nach der Flute Allemande, der Menschen-Stimme wol am nähesten, wenn sie mannierlich und nach der Sing-Art tractiert werden, wozu ein großer Habitus und sonder- lich die gantze Wissenschaft der Singe-Kunst gehöret. Werden aber die Hautbois nicht auff das aller delicateste angeblasen, (es sei denn im Felde oder inter pocula, wo mans eben so genau nicht nimmt) so will ich lieber eine gute Maultrummel oder ein Kamm-Stückchen davor hören, und glaube, es werden ihrer mehr also verwehnet seyn." 
Was die Qualität des Oboenspiels angeht, so ist bei dieser CD nicht viel zu befürchten; auch wenn der Ton vielleicht noch ein wenig weicher, singender, samtiger werden könnte. Und mit Luise Buchberger am Violoncello und Peter Kofler am Cembalo steht Ramón Ortega Quero ein versiertes Continuo zur Seite.