Sonntag, 28. Februar 2010

Daniel Hope: Air. a baroque journey (Deutsche Grammophon)

Daniel Hope ist ein vielseitig begabter Musiker. Ein Interview im Booklet - als Stichwortgeber fungiert übrigens Roger Willemsen - zeigt ihn als engagierten Musik- historiker, Tag und Nacht auf der Suche nach den Quellen. Das liest sich so: "W: Sie forschen, Sie re- cherchieren dauernd, nicht wahr? H: Das muss ich. Ich lese am liebsten die zeitgenössischen Briefe, die Augenzeugenberichte. W: Und selbst die Noten erweisen sich als ungehobener Schatz? H: Unbedingt. Ich liebe es, in der Ver- gangenheit zu graben, an die Wurzeln zu kommen." In diesem Stil geht es weiter - Kommentar überflüssig.
Hope ist offenbar auch ein interessantes Model - tolle Fotos, in der Tat! Und dann liest man im Booklet: "Daniel Hope is dressed by Herr von Eden." Kommentar? Lieber nicht. Wer mit dem Barock vertraut ist, der wird das Cover-Foto ohnehin emblematisch lesen - und sich dann fragen: Warum tut eine Plattenfirma einem Künstler so etwas an??
Eines muss man dem Geiger lassen: Er ist ein hinreißender Musik- pädagoge, der mit dem Häppchenprogramm auf dieser CD etliche Leute begeistert, die für Klassik normalerweise nichts übrig haben. Das Menü ist klug gewählt; es enthält neben den bekannten Hits wie Händels Sarabande, Pachelbels Canon und Gigue oder Bachs Air auch etliche sehr charmante, aber weniger bekannte Miniaturen. Die kleinen Stücke, beispielsweise von Paul von Westhoff, ermöglichen es dem Solisten, sein Instrument (und seine Technik) vorzuführen. Und die Placierung der CD in den einschlägigen Hitlisten beweist, dass dieses Konzept ankommt. 

Cavalli: Magnificat and other sacred works (Dynamic)

Giovanni Battista Caletti Bruni, Kapellmeister am Dom zu Crema, begann schon im Kindesalter mit der musikalischen Ausbildung seines Sohnes Pier Francesco. Das zahlte sich aus, denn der Gesang des Knaben fiel Federico Cavalli, dem Vogt der Stadt, auf. Der Patrizier nahm den Vierzehn- jährigen mit nach Venedig, wo er ihm eine Ausbildung bei Claudio Monteverdi ermöglichte. Francesco war in Venedig erst als Chorsänger, und später dann als Organist und Kapellmeister tätig. Er schrieb Motetten und Canzonen, später auch erste Bühnenwerke. Aus Dankbarkeit nahm der Komponist, der zu Lebzeiten in ganz Europa bekannt und berühmt war, den Namen seines Mäzens an. 
Cavalli erweist sich als Meister des opulenten Wohlklangs. Seine Werke erinnern durchaus noch an seinen Lehrer Monteverdi, aber sie weisen teilweise auch weit über dessen musikalisches Erbe hinaus. Fünfmal hat Cavalli das Magnificat vertont - die früheste dieser Kompositionen, Magnificat a sei voci, veröffentlicht 1650, ist noch ganz im Stil Monteverdis geschrieben. Das Magnificat a otto voci aus Vespero delli Cinque Laudate (1675) hingegen zeigt den Komponisten am Ende seiner Lebensspanne - und da standen ihm, nicht zuletzt aus der Erfahrung seines reichen Opernschaffens, längst ganz andere Mittel zur Verfügung. 
Der Coro Claudio Monteverdi und das Ensemble La Pifarescha erweisen sich für Cavallis Werke als Idealbesetzung. Die Sänger und die Blechbläser zelebrieren unter der Leitung von Bruno Gini eine barocke Klangpracht, wie sie schöner kaum vorstellbar ist - doch stets im Dienste des Wortes, des Geistigen und Geistlichen, und nie als Virtuosenstück um der Virtuosität willen.

Freitag, 26. Februar 2010

Liszt: Hungarian Rhapsodies; Duo Egri & Pertis (Hungaroton)

Was es nicht alles gibt! Da hat doch ein Flötist namens Franz Doppler eine Orchesterversion von Liszts Ungarischen Rhapsodien ge- schrieben - und die gefiel dem Weimarer Virtuosen so gut, dass er daraus gleich noch eine Fassung für Klavier zu vier Händen machte. 
Das Pianisten-Ehepaar Monika Egri und Attila Pertis zeigt in dieser Einspielung deutlich, welch er- staunlichen Unterschied zur Aus- gangskomposition das ermöglicht. Der orchestrale, dichtere Klavierklang fällt sofort auf - doch später hört man auch eine Vielzahl feiner Unterschiede in der musikalischen Gestaltung. Egri & Pertis nehmen Liszts Bravourstücke sehr sachlich, ohne das Zigeunermelos zu übertreiben. Eine Entdeckung!

Sonntag, 21. Februar 2010

Christoph Graupner: Per il flauto; Sabrina Frey, Ars Musici Zürich (Berlin Classics)

Woran liegt es, dass Bach längst wieder gespielt und gewürdigt, Graupner aber noch immer weitestgehend vergessen ist? Seine Zeitgenossen urteilten da anders. Denn als es um die Auswahl eines neuen Thomaskantors ging, ent- schieden sich die Leipziger zuerst für Telemann.
Als der absagte, boten sie das Amt Graupner an. Den aber ließ sein Dienstherr, Landgraf Ernst Ludwig zu Hessen-Darmstadt, nicht ziehen. Und so hieß es dann abschließend zu Leipzig, Bach sei "so gut als Graupner".
Wie kamen die Bürger zu dieser Meinung? Graupner, geboren 1683 im erzgebirgischen Kirchberg, war in Leipzig kein Unbekannter. Denn er hatte dort bei den Thomaskantoren Schelle und Kuhnau einen soliden Unterricht genossen, und Jura studiert. 1706 floh er vor den Schweden nach Hamburg, wo er bald mit seinen Werken auf sich aufmerksam machte. 1709 wurde er Kapellmeister am Darmstädter Hof. Dort blieb er, bis zu seinem Tode. 
Graupners Musik ist voll Anmut. Er nimmt, ähnlich wie die meisten seiner Zeitgenossen, Anregungen aus der italienischen, französischen oder anderen europäischen Musikkulturen auf und gibt ihnen Form, dem seinerzeit modernen, "galanten" Stil entsprechend. Es fehlt ihm nicht an Ideen, aber manchmal an Substanz. Das zeigen auch die Werke für diverse Flöten, die Sabrina Frey mit den Ars Musici Zürich und diversen Gastmusikern eingespielt hat. 
Da finden sich Experimente mit Fugenthemen, die aber schnell wieder in den "normalen" Fortgang des Satzes überführt werden. Einer kompletten Sonate, GWV 216, gibt Graupner die Struktur des Kanons. Diese Sonata canonica für 2 Blockflöten, Viola da Gamba und Basso continuo ist eindeutig der Höhepunkt der CD. Das liegt nicht zuletzt an den Gästen, die mit der Solistin musizieren: Maurice Steger, Blockflöte, Rodney Prada, Viola da Gamba und Markus Bernhard, der mit seiner Violone das Continuo-Cembalo von Vital Julian Frey ergänzt. Der Blockflötenton von Sabrina Frey ist generell nicht unbedingt schön; das macht sich besonders in den langsamen Sätzen mitunter störend bemerkbar. Sie spielt das Instrument hochvirtuos, aber wenig differenziert. Im Duett mit Steger jedoch läuft sie zur Hochform auf. Schon allein wegen dieser Welt-Ersteinspielung wäre die CD hörenswert.

Fantasy - A night at the opera; Emmanuel Pahud (EMI Classics)

Diese CD sollte wohl besser
"A flute at the opera" über- schrieben werden. Denn sie bringt eine lange Reihe nur Insidern vertraute, halsbrecherische Opernparaphrasen für dieses Instrument. 
Bearbeitungen von populären Opernpartien für Flöte waren ausgesprochen beliebt. Sie dienten zwei sehr verschiedenen Zwecken - und waren dementsprechend auch extrem unterschiedlich angelegt. Da war die brave Paraphrase für die Hausmusik - klangschön, aber mit einiger Übung vom Laien gut zu spielen. Und da gab es jene Bearbeitungen, die Flötisten eigens dafür geschaffen haben, um dem Publikum anhand von Melodien, die jedermann vertraut waren, ihre Virtuosität sowie die Klangschönheit des eigenen Tones vorzuführen. Solche Stücke, gern "Fantaisie brillante sur..." genannt, erkunden die Möglichkeiten des Instrumentes, und gehen oft bis an die Grenzen der Spielbarkeit. Die Blütezeit dieser Art von Literatur war ohne Zweifel das 19. Jahr- hundert. Doch diese Stücke sind für jeden Flötisten noch heute eine Herausforderung.
Emmanuel Pahud spielt auf der vorliegenden CD zum einen Glucks Selige Geister, wie einen Gruß aus der Zeit vor Theobald Boehm. Und er zeigt, was die Virtuosengeneration, der Boehms Ringklappenflöte erstmals zur Verfügung stand, mit dem Instrument anzufangen wusste. Ihren Stil imitieren auch die beiden jüngeren Bearbeitungen. Wir erleben Stücke aus Verdis Opern La Traviata und Rigoletto, aus Bizets Carmen, Mozarts Zauberflöte, von Webers Freischütz sowie die Arie des Lenski aus Tschaikowskis Eugen Onegin. Bei einigen Stücken spielt Pahud gemeinsam mit Juliette Hurel; es begleitet - und das darf man hier durchaus als Kompliment lesen - das Rotterdam Philhar- monic Orchestra unter Yannick Nézet-Séguin.

Daniel Hope - Mendelssohn (Deutsche Grammophon)

 Was unterscheidet einen Popstar von einem Musiker? Es ist doch offensichtlich: Der Name des Stars steht über allem. Erst Daniel Hope. Und dann, darunter und schlecht zu lesen: Mendelssohn. Auch das Booklet, knallbunt, überschlägt sich schier in Superlativen, und macht einem den jungen Violinisten nicht sympatischer. Ratlos schaut man auf die Homepage des Labels - und erfährt dort, dass Daniel Hope nur deshalb Geige spielt, weil seine Mutter einst einen Job bei Jehudi Menuhin hatte. Wer so beworben wird, der ist nicht wirklich empfohlen.
Für sein Label-Debüt wählte Hope das berühmte Violinkonzert in e-Moll op. 64 - allerdings nicht in der Version, die bislang alle seine Kollegen gespielt haben, sondern in einer "Original-Version" nach einem Autographen aus dem Jahre 1844. Bevor das Konzert 1845 uraufgeführt wurde, folgte der Komponist seinerzeit den Ratschlägen des Solisten Ferdinand David und änderte einige Passagen - nichts wirklich substantielles, eher ein Feintuning, um das Werk noch abzurunden. 
Hope gelingt damit eine "Welt-Ersteinspielung" - ob es das wert war, darf freilich hinterfragt werden. (Wenn Mendelssohn wirklich der Meinung gewesen wäre, dass diese Variante das Original ist - warum hätte er dann dem Publikum eine minderwertige Kopie vorstellen sollen?) Auch sonst finde ich keinen Grund, warum es dieses Repertoire in dieser Besetzung sein muss. Denn Einspielungen dieses Violinkonzertes gibt es wie Sand am Meer, und der Solist kann da nicht wirklich eigene Akzente setzen. Das gilt auch für das Chamber Orchestra of Europe unter Thomas Hengelbrock, das hier in Konkurrenz tritt zu wirklich renommierten Orchestern - und dem Vergleich in diesem Falle nicht gewachsen ist. 
Das auch vielfach strapazierte Oktett für Streicher in Es-Dur, op. 20, eingespielt von Hope mit einigen Mitgliedern des Chamber Orchestra of Europe, folgt ebenfalls der erst unlängst erschienenen revidierten Notenausgabe. "Das Oktett ist sicher das größte Werk, das je von einem Teenager geschrieben wurde, schon aufgrund seines Einfalls- reichtums und Selbstvertrauens", begeistert sich Hope. "Ich mag seine ausladenden Dimensionen, aber erst durch die neue Ausgabe lernte ich Mendelssohns eigene Anweisung kennen, das Oktett sei im Stile einer Symphonie zu spielen. Dass ein 16jähriger so etwas schreiben konnte, zeigt doch, dass er genau wusste was er wollte!" Die Musiker folgen dieser Anweisung - und spielen engagiert, wobei sich Hope bestens in die Solistengruppe einfügt. Eine Sternstunde aber darf man auch hier nicht erwarten; das ist alles ganz solide, aber nicht überragend. 
Die drei Liedbearbeitungen zum Schluss wirken wie Zugaben, während das Publikum eigentlich schon aufgestanden ist, um zu gehen - dabei sind die Stücke wirklich hübsch, und Sebastian Knauer am Flügel begleitet ebenfalls sehr ordentlich. Insgesamt eine CD, die die Welt nicht braucht. Schade.

Samstag, 20. Februar 2010

Brahms: Die späten Klavierstücke; Anna Gourari (Berlin Classics)

"Wenn wir nicht selbst am Klavier sitzen, erleben wir die Stücke am richtigsten wie einer, der im Flur vor der Tür von Brahms' Musik- zimmer stünde und hörte, wie der Alte drinnen für sich spielte", schreibt der Dirigent und Musik- wissenschaftler Peter Gülke im Booklet zu dieser CD. Anna Gourari aber setzt sich ans Klavier, und lässt mit sicherer Hand jene Alterswerke des Komponisten erklingen, die er Capriccio oder oftmals auch Intermezzo nannte - und schmunzelnd in die Welt entließ.
Die Pianistin pustet den Goldstaub von den Noten, den die romantische Tradition dort reichlich hinterlassen hat: Alterswerk hin, Alterswerk her - Gourari sucht nach der musikalischen Substanz der Stücke. Und da wird sie reichlich fündig, wie diese CD beweist. Altersweisheit, Transzendenz, Abschied? Möglicherweise. Aber auch jede Menge Energie, Lebenslust - und Spaß am musikalischen Rätsel.
Energisch startet Gourari in das Capriccio d-Moll op. 116 Nr.1, zupackend, fast drängend, voll Kraft und auch Leidenschaft. Doch schon bald sind ganz andere Töne zu hören - Klanginseln, wie das Echo eines Traumes, die von der Pianistin mit subtilem Anschlag ausgesprochen zart und gefühlvoll gestaltet werden. 
Gourari lotet die Extreme aus. Und dennoch bereitet sie das komplexe Geflecht des Brahmsschen Klaviersatzes derart durch- hörbar auf, dass man erstaunt ist ob der Logik des Vorgetragenen.
Ein großer Wurf! Und was für eine musikalische Trickkiste. Da gibt es sangliche Passagen, wo die Melodiestimme minimal verzögert dem Bass folgt. Die Melodie ortet Gourari keineswegs immer in der Oberstimme - aber die Pianistin verfügt über eine derart brillante Anschlagstechnik, dass sie hervorheben, einfärben und in feinsten Schattierungen differenzieren kann, was immer sie will. Für die Brahms-Stücke verzichtet sie zudem weitgehend auf die klangliche Fülle, die sie dem modernen Flügel mühelos entlocken könnte. Sie wählt statt dessen einen trockenen, geradezu hölzernen Klang; man fühlt sich an das Fortepiano der Brahms-Zeit erinnert.

Freitag, 19. Februar 2010

Salieri: Ouvertüren & Bühnenmusik (Hänssler)

Antonio Salieri muss ein ebenso humorvoller wie intelligenter Mozart-Zeitgenosse gewesen sein. Dieser Eindruck drängt sich jeden- falls geradezu auf, wenn man diese CD hört, die in jeder Phrase sein Vergnügen an der dramatischen Gestaltung verrät. 
Man muss Thomas Fey und seinem Mannheimer Mozartorchester dankbar sein für die Wieder- entdeckung von stimmungsvollen, farbenreichen Werken, die vor musikalischen Ideen geradezu sprühen. Geradezu plastisch schildert er in Daliso e Delmita den Einzug von Athleten und ihren anschließenden Ringkampf; und in der Picciola Sinfonia aus Axur, Re d'Ormus erlebt man förmlich mit, wie die Diener des Sultans eilen, die Gärten des Serails zu illuminieren. Die Musiker orientieren sich an der historischen Aufführungspraxis; sie spielen allerdings, mit Ausnahme der Blechbläser und Pauken, auf modernen Instrumenten. 
Diese CD enthält überwiegend Welt-Ersteinspielungen. Der Komponist und Salieri-Forscher Timo Jouko Herrmann hat all die musikalischen Preziosen in der Musiksammlung der Österreichischen National- bibliothek Wien ausgegraben, und nach den handschriftlichen Quellen wieder für Bühne und Konzertsaal verfügbar gemacht. Diese Funde sind überaus beeindruckend; man darf sehr gespannt darauf bleiben, was er bei seinen Recherchen weiter auffinden wird - und auf die nachfolgenden Einspielungen mit Fey und dem Mannheimer Mozartorchester. Ausgesprochen vergnüglich!

Tartini: Violin Concertos (Helios)

Tartini gilt als Spätberufener. Violinisten beginnen noch heute ihre Karriere üblicherweise im Vorschulalter - doch Wunderkind-Berichte sind über den Violin- virtuosen nicht bekannt. Statt dessen besagt die Überlieferung, er habe seine Jura-Studien, im Priestergewand, wohl ausgiebig auf dem Fechtboden betrieben. Als er dann 1710 auch noch heiratete, obwohl er doch eigentlich die geistliche Laufbahn hätte ergreifen sollen, muss es Ärger gegeben haben. Tartini floh nach Asissi, und erwarb sich offenbar innerhalb kurzer Zeit einen erstklassigen Ruf als Instrumentalist. 1721 wurde er erster Violinist im Orchester der Basilica di San Antonio zu Padua - eine ausgesprochen renommierte Stelle, die er bis zu seinem Tode 1770 innehatte. Er reiste durch Europa, begeisterte das Publikum mit seinen Konzerten und mit seinen Kompositionen, überwiegend Konzerte und Sonaten für Violine, darunter die berühmte Teufels- triller-Sonate, die Generationen von Violinvirtuosen herausforderte - und dafür sorgte, dass der Name ihres Komponisten nicht in Vergessenheit geriet. 
Es ist Pionieren der historischen Aufführungspraxis wie der Barock-Violinistin Elizabeth Wallfisch zu verdanken, wenn wir heute wieder eine ganze Reihe seiner Werke hören können. Für die vorliegende CD hat sie gemeinsam mit den Raglan Baroque Players unter Nicholas Kraemer fünf Konzerte eingespielt, die seine Eigenheiten aufzeigen - den typischen "Tartini-Klang" mit seinen akustischen Raffinessen, und seine Suche nach Ausdruck jenseits des Barockstils, den er nur noch in Zitatform nutzt - so in jener brillanten Fuga à la breve im Violinkonzert g-Moll D85, übrigens ohne Solovioline. Ansonsten klingen seine Werke schon nach Vorklassik. Und die Solo-Violine wechselt zwischen ausgedehnten sanglichen Abschnitten und fleißiger Fingerarbeit; ganz offenbar schätzte Tartini Arpeggios. Wallfisch hat an Tartinis technischer Brillanz wie an seinen melodischen Einfällen hörbar Vergnügen. Brava!

Mittwoch, 17. Februar 2010

Gesualdo: Responsoria; De labyrintho (Stradivarius)

Don Carlo Gesualdo, Fürst von Venosa, ist nicht zuletzt aufgrund der wenigen Fakten, die über sein Leben bekannt sind, ein dankbarer Forschungsgegenstand. Denn er ertappte 1590 seine Ehefrau in flagranti - was offenbar weder die Ehebrecherin noch ihr Liebhaber und wohl auch nicht die kleine Tochter überlebten.
Gesualdo lebte mit seiner Schuld weiter, noch 23 Jahre lang - und je älter er wurde, desto mehr plagten ihn offensichtlich Depressionen. 
"Il canto dell'ombra", der Gesang des Schattens, lautet das Motto dieser CD - und das trifft das Wesen dieser ergreifenden Musik nur zu gut. 
Tod und Leben begegnen sich nicht nur in der Kombination von Teilen aus der Totenmesse mit Abschnitten aus der Ostersonntags- liturgie, wie sie für diese Aufnahme gewählt wurde. Dieselbe Spannung, das Ausharren zwischen Zeit und Ewigkeit, prägt auch die einzelnen Responsorien Gesualdos mit ihren halsbrecherischen harmonischen Rückungen und ihrer kühnen musikalischen Auslegung des Textes. Die Sänger von De labyrintho, geleitet von Walter Testolin, sind den Herausforderungen dieses extremen Repertoires jederzeit gewachsen. Das will etwas heißen - wagen sie sich doch in die Fußstapfen des Hilliard Ensembles, dem eine atemberaubende Einspielung der Oster-Responsorien gelungen ist. Der Chorgesang von De labyrintho klingt nicht ganz so rund und in sich gekehrt; das liegt aber in der Natur der Sache, denn in dem Ensemble, das sich ganz der Renaissance-Musik verschrieben hat, sind die hohen Stimmen mit Frauen besetzt. 
Mit Überraschungen muss man bei einem Chor, der einen solchen Namen wählt, wohl rechnen. "Patientia est ornamentum custodia et protectio vitae", mahnt das Booklet. Ansonsten ist es leider nicht besonders informativ. Warum die CD nur die Responsorien, nicht aber die Vorsängerverse dazu enthält, bleibt so ein Geheimnis. Statt dessen bringt die CD vier meditative Stücke für Viola da Gamba, von und mit Vittorio Ghielmi, die vom Gestus her wie ein Echo des Gesungenen wirken. Und zum Abschluss, wenn keiner mehr damit rechnet - und in der Trackliste auch nicht verzeichnet - folgt ein weiteres Stück von Carlo Gesualdo, wie die Auflösung eines musikalischen und theologischen Rätsels: Das Ave, dulcissima Maria aus dem Sacrarum Cantionum quinque vocibus Liber Primus, denke ich. Oder?

Dienstag, 16. Februar 2010

Schubert: Die schöne Müllerin; Jonas Kaufmann (Decca)

Diese Aufnahme lässt sofort auf- horchen: Derart beredt hat man einen Steinway selten gehört. Helmut Deutsch zelebriert "seinen" Schubert, und man bemerkt schon nach wenigen Takten, wieviel Wissen und wieviel Erfahrung, Virtuosität und Überlegung hinter dieser Interpretation stecken. Chapeau!
Schubert hat seine "Schöne Müllerin" für Tenor geschrieben. Das ist die Stimmlage von Jonas Kaufmann, und er ist mit seinen
40 Jahren auf der Opernbühne offenbar bereits fest verwurzelt. In dieser Live-Aufzeichnung vom Juli 2009 jedenfalls ist kein Zögern und Zagen zu spüren. Es ist erstaunlich, wie gut diese Stimme zu dem Liedzyklus passt. Kaufmann gestaltet die Strophenlieder wie Mini-Opern; er scheut keinen Überschwang und kein Pathos. Ironie hingegen ist ihm offensichtlich fremd. Eine respektable Lesart, die man aber nicht teilen muss.

Sonntag, 14. Februar 2010

Giuliani Carulli Schubert - Music for Flute and Guitar (VMS)

Virtuoses für Gitarre und Flöte - und zwar für beide Instrumente gleichermaßen - präsentieren Eugen Bertel, Flöte, und Gitarrist Alexander Swete. Das Duo Con- certant e-Moll op. 25 von Mauro Giuliani entstand ursprünglich für Violine und Gitarre. Das vier- sätzige, durchaus anspruchsvolle Werk dürfte seinerzeit, in den Wie- ner Salons, das Publikum schwer beindruckt haben. Es ist aber ziemlich gefällig, und das schreibe ich hier nicht als Kompliment. 
Die Serenade Nr.3 C-Dur von Ferdinando Carulli zitiert im ersten Satz, Largo, den Marsch der Priester aus Mozarts Zauberflöte. In anschließenden Rondo übernehmen Gitarre und Flöte abwechselnd Melodie und Begleitung. Das ist anspruchsvoll - und sehr reizvoll.
Die Sonate a-Moll "Arpeggione" von Franz Schubert wurde eigentlich für ein Instrument geschrieben, das man sich wie eine Kreuzung aus Gitarre und Violoncello vorstellen kann - es hatte sechs Saiten und Bünde, wurde aber mit dem Bogen gestrichen. Diese Innovation aus der Werkstatt des Wiener Instrumentenbauers Johann Georg Staufer war jedoch ausgesprochen kurzlebig. Sie verschwand binnen weniger Jahre aus dem Musikleben, und wäre heute längst vergessen - wenn nicht dieses Stück wäre, an dem sich nunmehr Cellisten und Bratscher versuchen. 
Diese CD beweist, dass auch die Flöte sich als Alternative zur "guitarre d'amour" ganz exzellent eignet. Die Gitarre übernimmt in diesem Falle den Part des Klaviers. Wenn sie so souverän gespielt wird, wie durch Alexander Swete, dann bringt das Klangfarben, die zu dem Stück durchaus ebenso gut passen wie jene des (Hammer-) Klaviers der Schubert-Zeit. Und auch Eugen Bertel beherrscht seine Flöte brillant, keine Frage. So darf sich der Hörer entspannt zurücklehnen und an diesen musikalischen Kabinettstückchen erfreuen - auch ohne Salon.

Haydn: Cellokonzerte 1&2, Kraft Cellosonate (Berlin Classics)

"Keiner kann alles: schäkern und erschüttern, Lachen erregen und tiefe Rührung, und alles gleich gut als Haydn." Dieser Ausspruch Mozarts mag insbesondere für das D-Dur-Cellokonzert gelten.
Es verweist in seiner formalen Brillanz bereits auf die Klassik - und enthält, bei aller Dramatik, doch so manche galante Wendung, manches Augenzwinkern.
Jens Peter Maintz lässt dieses Werk, das bis heute im Konzertsaal zu den Standards gehört, auf das C-Dur-Konzert Haydns folgen - und überrascht zwischendurch noch mit einer Ersteinspielung: Die Cellosonate op. 2/2 von Anton Kraft zeigt uns jenen Cellisten, der zwölf Jahre lang als erster Violoncellist in der von Haydn geleiteten Hofkapelle Esterházys wirkte - und für den wohl auch Haydns D-Dur-Konzert geschrieben worden ist. Er war ein hochgeschätzter Instrumentalsolist, und er hatte Kompositions-unterricht bei Haydn. 
Seine Sonate erweist sich als ein ebenso virtuoses wie kraftvolles Stück, ganz in der Tradition der barocken Continuo-Sonate. Maintz hat das Continuo hier lediglich mit einem zweiten Cello besetzt;  ihm sekundiert sehr solide Dávid Adorján. Die Konzerte begleitet die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, die dabei hörbar den Vorstellungen des Solisten folgt: Kein romantisches Pathos, kein Vibrato; hier wird behende musiziert, nicht wuchtig. Das bringt mitunter Probleme. Denn in den Kadenzen, die Maintz auswählte, erweist er seinen Vorbildern und Lehrern Referenz. Das passt nicht immer zu seinem ansonsten so leichtfüßigen und beschwingten Vortrag. Er interpretiert die Stücke mit hellem, sanften Ton - sehr gediegen, sehr elegant, aber mitunter ein bisschen langweilig.


Mozart: Complete Clavier Works, Vol. 11; Siegbert Rampe (MDG)

Siegbert Rampe, ausgewiesener Experte für eine dem historischen Original angenäherte Inter- pretation, spielt in diesem Zyklus Mozarts Werke auf Instrumenten seiner Zeit ein - statt Bechstein, Blüthner oder Bösendorfer erklingen hier Cembalo, Clavi- chord und Hammerklavier. 
Die verwendeten Instrumente sind mit Bedacht ausgewählt. So hat Mozart bei seinem Aufenthalt in London 1765 nachweisbar ein Cembalo von Burkat Shudi ge- spielt, das mit einigen damals hochmodernnen technischen Raffinessen ausgestattet war - und ein ganz ähnliches Cembalo aus Shudis Werkstatt, wenn auch erst 1771 gebaut, bringt Rampe hier zum Klingen. Es befindet sich heute im Museum des Landes Glarus in der Schweiz, wo der renommierte Londoner Instrumentenbauer ursprünglich herstammte.
Der Professor zeigt, dass die spieltechnische wie klangliche Identität der historischen Instrumente durchaus Auswirkungen auf die Kompositionen Mozarts hatte. Die Stücke, dem Musikfreund zumeist ja gut bekannt, klingen zunächst extrem ungewohnt - und dann stellt der Zuhörer fest: Jawohl, das passt. Aus diesem Klangbild wird die Struktur des Werkes besser verständlich. Ein spannender Ausflug in eine längst verstummte, aber sehr reizvolle Klangwelt.

Samstag, 13. Februar 2010

Recorders greate and smale - Mezzaluna (Ramée)

So manchem Zeitgenossen, besonders wenn er seine musikalische Karriere in der Kindheit auf jenem Instrument begann, mag die Blockflöte als Inbegriff musikalischer Schrecknis in Erinnerung sein. Dass ein Blockflötenensemble auch sehr harmonisch klingen kann, zeigt das Ensemble Mezzaluna. 
Es ist aus der Zusammenarbeit des belgischen Blockflötisten Peter Van Heyghen und des Blockflötenbauers Adrian Brown entstanden, und widmet sich nicht der virtuosen Blockflötenliteratur des Barock- zeitalters, sondern polyphoner Musik, wie sie ungefähr zwischen 1480 und 1630 komponiert wurde. 
Auch Heinrich VIII., König von England, liebte solche Musik. Er spielte selbst Blockflöte, und an seinem Hof existierte mindestens
90 Jahre lang ein Blockflötenkonsort, bestehend aus einer Gruppe professioneller, spezialisierter Musiker. Ihre Namen und ihre Aufgaben sind bekannt - doch welche Musik sie spielten, das kann nur vermutet werden. Als Quellen für diese Einspielung dienten Mezzaluna daher Sammelbände wie das Henry VIII's Manuscript, ein Kodex ähnlich jenen, die zur gleichen Zeit in Süddeutschland und Norditalien angefertigt wurden. Diese Handschriften zeigen, welche Art von Musik dort zu jener Zeit erklungen ist - der musikalische Geschmack am Hofe der Tudors jedenfalls scheint damals durch den franko-flämischen Stil, später auch durch Musiker aus Italien, geprägt worden zu sein. Das Booklet begründet die Auswahl jedes einzelnen Stückes; es enthält darüber hinaus breite Informationen über Instrumente und Aufführungspraxis der Renaissance, und wurde mit bemerkenswerter Sorgfalt zusammengestellt. 
Mezzaluna spielt auf zwei Sätzen von Consort-Flöten, die von Adrian Brown nach Originalen angefertigt wurden, die sich heute in der Sammlung des Kunsthistorischen Museums Wien befinden. Sie klingen sanft und weich, fast wie ein Orgelpositiv. So werden sie auch gespielt - kein schriller Ton, kein schräger Klang, die Melodien fließen dahin wie ein Gruß aus der Ewigkeit. Diese CD ist traumhaft schön, rundum gelungen, vom ersten bis zum letzten Ton.

Handel: Ezio (Deutsche Grammophon)

Händels Oper Ezio war kein Publikumserfolg. Nach ihrer Premiere 1732 wurde sie nur viermal gespielt, und verschwand dann im Nirwana der Archive und Bibliotheken. Diese Einspielung mit Il Complesso Barocco unter Alan Curtis lässt ahnen, warum. 
Metastasio, der Autor des Librettos, sah Rezitative als Träger des Geschehens und Arien als Werkzeuge der Reflektion. Der Komponist und Operndirektor Händel jedoch, der wusste, dass die Briten lange Rezitative nicht schätzen, strich Metastasios Werk kräftig zusammen - mit dem Ergebnis, dass das Drama teilweise unverständlich wurde.
Der Kenner mag sich an der Musik erbauen - der erste Akt aber zieht sich dennoch hin; und Händels Star Senesino in der Titelrolle blieb der große Auftritt mit einer eindrucksvollen Arie verwehrt. Seine große Stunde kam erst im dritten Akt, mit der bravourösen Arie "Se la mia vita". Für Fulvia, die Tochter des Verschwörers Massimo, die den Feldherrn liebt und ihn nur retten kann, wenn sie ihren Vater denunziert, schuf Händel eine grandiose Szene am Rande des Wahnsinns. Und das sozusagen letzte Wort erhielt mitnichten der siegreiche und rehabilitierte Ezio, sondern dessen subalterner Freud Varo, dem Händel kurz vor dem Finale eine beeindruckende Arie mit obligater Trompete schrieb. Zum ersten Male bekam ein Bassist eine große Partie, abseits der traditionell für diese Stimmlage vorgesehenen Väter und Priester.
Mit solchen Innovationen aber dürfte der Komponist sowohl den Kastraten als auch das Publikum verärgert haben; da nützt auch die wundervolle sprechende Musik nichts, die selbst viele der weniger ansprechenden Arien begleitet. Das Werk hat seine Längen, und nicht alle Abschnitte wirken gleichermaßen inspiriert. 
Das gilt auch für diese Einspielung der Oper. Ann Hallenberg singt den Ezio, mit androgynem Timbre. Sonia Prina als römischer Kaiser Valentinian erlaubt sich für meinen Geschmack zuviel Vibrato. Karina Gauvin brilliert als Fulvia. Anicio Zorzi Giustiniani ist ein zorniger, verbitterter Massimo. Nicht gerade eine Traumrolle für einen Tenor. Durch seine Virtuosität überzeugt der Bassist Vito Priante als Varo - er lässt ahnen, für welch beeindruckende Stimme seinerzeit diese Partie entstanden ist.

Händel: Amore X Amore (Winter & Winter)

Das Ensemble Forma Antiqva hat hier musikalische Juwelen aus- gegraben: Kantaten für Alto und Basso Continuo von Georg Fried- rich Händel - echte Raritäten, die extrem selten zu hören sind.
Es singt der spanische Counter- tenor Xavier Sabata. Seine Stimme ist schlank, hinreichend beweglich und fokussiert - und, besonders in der tiefen Lage, auch erstaunlich sinnlich. Technisch finde ich ihn nicht überragend; wer eine vergleichbare Aufnahme mit Jochen Kowalski aus den 80er Jahren kennt, wird das wohl bestätigen.
Begleitet wird Sabata von Forma Antiqva, einem Barockensemble, das auf Nachbauten von Originalinstrumenten musiziert, und weitgehend aus Mitgliedern der Familie Zapico besteht. Aarón Zapico, der musikalische Leiter, ist am Cembalo zu hören, Pablo und Daniel Zapico spielen Erzlaute/Barockgitarre und Theorbe/Theor- bino. Enrike Solinís spielt Barockgitarre, Theorbe und Erzlaute, und Rami Alqhai Viola da gamba. Damit den Zuhörern nicht langweilig wird, fügen die Musiker zwischen den Kantaten Instrumentalstücke ein - auch dies in bester barocker Tradition. Dabei handelt es sich obendrein durchweg um Transkriptionen von Stücken, die Händel für eine ganz andere Besetzung geschrieben hat. 
Nun ist es nicht besonders aufregend, eine Violin-Sonate für Viola da gamba umzuarbeiten. Auch ein Stück Cembalosuite mit Theorbe, Erzlaute und Barockgitarre zu instrumentieren, ist keine allzu große Überraschung. Ein Satz aus einem Orgelkonzert aber, bearbeitet für Solo-Cembalo und Continuo - das hätte vermutlich selbst Händel amüsiert. In der ungewohnten Besetzung klingen die Ohrwürmer frisch, mitunter auch ruppig. Spaß macht das allemal.

Duo in rondeau - Dance music at the court of Francesco d'Este (Stradivarius)

Das Ensemble Antichi Strumenti widmet sich in erster Linie jener Musik, die von den Hofkapellen in Darmstadt, Karlsruhe und Stuttgart gepflegt wurde - und dem norditalienischen Repertoire des ausgehenden 17. Jahrhunderts.
Auf der vorliegenden CD präsentieren seine Gründer, Laura Toffetti an der Barockvioline und Tobias Bonz am Violoncello, unterstützt von Gabriele Palomba an der Theorbe und Gabriele Miracle, Percussion, Tanzmusik, die für das Haus Este komponiert wurde . Die Werke, die Mitte des 17. Jahrhunderts in Modena erklangen, sind uns überliefert, denn sie wurden in Codici gesammelt.
Diese befinden sich heute in der Bibliothek der Universität von Modena; und dort haben Toffetti und Bonz die Stücke für diese Aufnahme ausgesucht. Duo in rondeau ist der Versuch, die alten Manuskripte, aus denen niemals wieder gespielt wurde, zu befragen, und Werke, die jahrhundertelang nicht gefragt waren, wieder zum Klingen zu bringen. Das ist nicht ganz einfach, weil sich die Musizierpraxis erheblich verändert hat. Barockmusik ist auch und zuerst eine rhetorische Kunst. Sie verwendet Formeln, die uns nicht mehr geläufig sind, und ihre Notation gleicht eher einer Skizze, die vom Musizierenden zu vollenden ist. 
Toffetti und Bonz haben sich daran gewagt. Das Ergebnis ist durchaus gelungen. Allerdings ist es ziemlich anstrengend, gut 72 Minuten barocker Unterhaltungsmusik zu lauschen, die ja eigentlich dazu bestimmt war, die Herrschaft und ihre Gäste auf dem Tanzboden zu amüsieren. Wenn man nicht tanzt, dann kann einem insbesondere das Schlagwerk, das manchmal ziemlich dominant wird, schon gehörig auf den Wecker gehen.

Dresdner Kreuzchor - Volkslieder (Berlin Classics)

Der Dresdner Kreuzchor, geleitet von Roderich Kreile, singt Volkslieder von "Hoch auf dem gelben Wagen" bis "Der Mond ist aufgegangen". Die Auswahl der Stücke und der Sätze erfolgte wohl mit einem regionalen Augenzwinkern, zumal sich auch einige Perlen aus der einschlägigen Literatur mit eingeschlichen haben, die aus der Feder von Robert Franz, Robert Schumann oder Felix Mendelssohn Bartholdy stammen. Der Chor präsentiert sich in Bestform, wirklich sehr erfreulich. Eine knappe Stunde Knabenchor-Gesang in höchster Vollendung.

Freitag, 12. Februar 2010

Bach: Festmusiken zu Leipziger Universitätsfeiern (Querstand)

Die Beziehungen des Thomas- kantors Johann Sebastian Bach zur Leipziger Universität waren enger, als man das zunächst vermuten würde. Bach trat seinen Dienst in Leipzig am Pfingstsonntag 1723 an - mit einer Kantaten-Aufführung in der Universitätskirche.
Städtisches, kirchliches und universitäres Musikleben waren offenbar in jeder Hinsicht eng miteinander verflochten. Musiker studierten an der Hochschule, und Studenten musizierten eifrig. Ein solches, fruchtbringendes Modell hatte möglicherweise Wolfgang Unger, der Leipziger Universitäts- musikdirektor, im Sinn, als er 1996 mit Studierenden eine Gesamt- aufnahme aller zwölf erhaltenen Festmusiken begann, die Bach für die Leipziger Alma Mater komponiert hat. 2004 verstarb er jedoch; sein Nachfolger David Timm hat nun 2009, rechtzeitig zum 600jährigen Jubelfest der Hochschule, die Einspielung vollendet.
Ganze Heerscharen von Chorsängern und Solisten haben an dem Projekt mitgewirkt, unterstützt vom Pauliner Barockensemble. Das liegt in der Natur der Sache - denn ein Studium hat nun einmal seine Zeit. So beginnt auch der Universitätsmusikdirektor seine Proben regelmäßig wieder mit Novizen, und hat nur eine begrenzte Zeit, ihnen seine künstlerischen Ideen zu vermitteln. Wenn man dies bedenkt, dann sind die sechs vorliegenden CD ein beeindruckendes Dokument universitären Musiklebens.

Mahler 5 - Simón Bolívar Youth Orchestra of Venezuela, Gustavo Dudamel (Deutsche Grammophon)

Mahlers Fünfte, gespielt von einem Laienorchester - geht denn das? zumal, wenn keiner der Musiker älter ist als 25 Jahre? Es geht - wenn es sich um das Simón Bolívar Jugendorchester von Venezuela handelt. In diesem Orchester spielen die besten Nachwuchs- musiker eines Systems, das sich sistema nennt, und sich in einem Satz zusammenfassen lässt: Jedem Kind sein Instrument. Auch und gerade dem aus dem Ghetto. Gustavo Dudamel, mittlerweile weltweit ein gefragter Dirigent, ist selbst aus dieser Schule hervor- gegangen. Mahlers Fünfte ist für ihn ein besonderes Stück, denn er leitete diese Sinfonie 2004 beim Gustav-Mahler-Dirigierwettbewerb der Bamberger Symphoniker - und gewann. Vorher war er nur Insidern bekannt; anschließend startete seine internationale Karriere.
An dieser Einspielung fällt eines sofort auf: Die lange Namensliste der jungen Musikerinnen und Musiker, die daran mitgewirkt haben. 22 erste Violinen, 20 zweite Violinen, 21 Bratschen, 16 Celli, ein Dutzend Kontrabässe, sieben Hörner, fünf Flöten, drei Harfen, und so weiter - das ist wahrlich eine würdige Besetzung für ein Mahler-Werk. 
Und das Wunder geschieht: Die Jugendlichen spielen hochprofessio- nell. Die schweren Partien meistern sie ohne Zagen und Klagen. Und die Orchestersoli erklingen absolut perfekt. Dudamel hat alle Möglichkeiten, zu gestalten. "Das Orchester braucht eine unglaubliche Technik und große Sensibilität", sagt der Dirigent, "es gibt in diesem Werk den extremen Ausdruck von Glück, Traurigkeit, Schwermut und Hoffnung. Manche sagen, man benötige viele Jahre Lebenserfahrung, um all diese Emotionen durchgemacht zu haben und sie vermitteln zu können. Ich glaube, das Wichtigste ist, sie zu fühlen und zu spielen."

Donnerstag, 11. Februar 2010

Anja Harteros: Von ewiger Liebe - Lieder (Berlin Classics)

Anja Harteros gehört zu den Stars im Opern-Universum. "Jahr- hundertsopran", "Stradivari unter den Stimmen" jubeln Kritiker und Fans. Die Sängerin gewann 1999 den Wettbewerb "Cardiff Singer of the World" - und startete eine Karriere, die sie in kürzester Zeit auf bedeutende Bühnen der Welt brachte. Ob Fiordiligi, Mimi, Desdemona oder Agathe, Elisabeth, Donna Anna, Alcina oder Violetta - ihr Repertoire ist umfangreich und vielseitig.
Jetzt fügt sie dem ein Liederalbum hinzu, das neben Ohrwürmern wie Haydns "Gebet zu Gott", Schuberts "Gretchen am Spinnrade", Schumanns "Lied der Suleika" auch weniger bekannte Stücke wie "Allerseelen" von Richard Strauss oder Brahms' "Wenn du nur zuweilen lächelst" aneinander reiht. Die Interpretationen, die sie gemeinsam mit dem Pianisten Wolfram Rieger gefunden hat, beweisen ihren Sinn für diese kleinen Kompositionen, die oftmals ebenso komplex wie kurz sind. Harteros macht mit ihrer interessant dunkel timbrierten Stimme aus jedem einzelnen Lied ein musikdramatisches Ereignis.

Musorgsky: Pictures at an Exhibition (RCO live)

Mussorgkis "Bilder einer Aus- stellung" in der Orchesterfassung von Maurice Ravel, live aufgezeichnet mit dem Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam im Mai und August 2008. 
Man muss Mariss Jansons nicht mögen, aber diese Einspielung ist phänomenal. Hat Ravel beim Instrumentieren Mussorgskis wunderliches Stück bereits geschliffen, so poliert Jansons hier noch einmal nach. Diese Interpretation ist glasklar, sie ist extrem differenziert, und durchhörbar bis in die letzte Verästelung der musikalischen Struktur. So hört man Details, die man noch nie gehört hat. Ob das noch Mussorgski ist, ist freilich eine andere Frage - Ravel jedenfalls, mit seinem ästhetischen Konzept, hätte diese Aufnahme ganz sicher gefallen.
Ob dem Publikum diese Super-Audio-CD gefällt, wird sich zeigen. Denn sie hat einen ganz entscheidenden Makel, der hier nicht verschwiegen werden soll: Es gibt wenig Musik fürs Geld. Nach gut
30 Minuten ist alles vorüber; die Toningenieure waren albern genug, noch reichlich Beifall als Track 16 anzufügen. 

Üblicherweise wird das Werk nicht allein auf CD gebracht. Als Partner gern genommen: "Eine Nacht auf dem kahlen Berge". Nur so als Tip.

Bach Motets - Bach Collegium Japan (BIS)

"Nur eine Eisenstange könnte seiner Frische, Ernsthaftigkeit und geistigen Kraft ungerührt wider- stehen." Das schrieb die Times über Masaaki Suzuki, den Gründer und musikalischen Leiter des Bach Collegiums Japan. Und damit hat die britische Zeitung ohne Zweifel recht.
Der Spezialist für Alte Musik arbeitet seit Jahren mit seinem Ensemble an einer Gesamt- einspielung von Bachs Vokalwerk für das schwedische Label BIS Records. Diese CD enthält die fünf allgemein bekannten Motetten Bachs, und noch drei weitere Werke, um deren Authentizität bzw. Gattungszugehörigkeit Musikwissenschaftler streiten. Suzuki weiß das, aber es ficht ihn nicht an. Denn von Bach kann das japanische Ensemble offensichtlich  nicht genug bekommen. 
Jeder Takt, den Suzuki und seine Musiker erklingen lassen, ist theoretisch wohlfundiert. Und natürlich setzt das Bach Collegium Japan bei der Aufführung von Bachs Motetten Instrumente ein. Die Interpretation erinnert in ihrer Schwerelosigkeit und Beschwingtheit stark an die Vortragsmanier der American Bach Soloists. Auch das Bach Collegium Japan ist so schlank besetzt, dass die gesamte Einspielung eher solistisch als chorisch wirkt. Das hat Vorteile. So wird überaus reich verziert, und die Tempi erscheinen durchweg ausgesprochen mutig. Es hat aber auch Nachteile, denn es erschwert die dynamische Differenzierung. Es fehlt der Wechsel zwischen Solisten und Tutti, und das nimmt der Doppelchörigkeit an manchen Stellen schon etwas von ihrem Reiz.
Unterm Strich jedoch ist diese CD ausgesprochen hörenswert; das Bach Collegium Japan ist ohne Zweifel ein erstklassiges Ensemble, und die (Barock-)Sänger sind ohne Einschränkungen exzellent.

Mittwoch, 10. Februar 2010

Russian Soul - Kapustin, Rachmaninoff (Genuin)

Die russische Seele, soso. Etwas genervt ob des Covers, starte ich die CD - und bin augenblicklich fasziniert: Was Cellist Eckart Runge und Pianist Jacques Ammon da bieten, das ist ganz große Musik.
Die beiden spielen seit Jahren als Celloprojekt zusammen. Über die Beschäftigung mit Tango und Filmmusik hatten sich die Musiker an den Jazz herangetastet. In dieser Situation hörte Runge erstmals Werke von Nikolai Kapustin.
Dieser Komponist, traditionell als Klaviervirtuose ausgebildet am Moskauer Konservatorium, hat eine ganz eigene musikalische Sprache entwickelt: Seine Stücke sind durchkomponiert; doch sie nutzen rhythmische und harmonische Elemente von Jazz, Blues, Soul, Rock und Pop - kombiniert mit Formen der klassischen Musik, gewürzt mit einer Prise russischem Weltschmerz und einer gewaltigen Portion Ironie. 
Auf abenteuerlichen Wegen besorgten sich Runge und Ammon Noten seiner Werke für Klavier und Cello, und begannen mit der Arbeit an seinen Stücken. "Es wurde immer deutlicher, was für einen Schatz wir gehoben hatten", erinnert sich Runge voll Begeisterung. "Genau so eine Musik hatten wir immer spielen wollen, nun hatten wir sie auf dem Pult!" 
Doch dann ergaben sich Fragen, auf die nur einer antworten konnte: Der Komponist selbst. Und so reisten Ammon und Runge im November 2005 nach Moskau, um Kapustin vorzuspielen und von ihm zu lernen. Das Resultat ist grandios.
Das gilt auch für die Werke von und nach Rachmaninoff. Runge und Ammon lassen Cello und Flügel um die Wette singen - was dem melodiösen, lyrischen Charakter dieser Klassiker perfekt entspricht.

Dienstag, 9. Februar 2010

Fanny Mendelssohn-Hensel: Piano Sonatas in C and G minor (Naxos)

Es waren einmal ein Bruder und eine Schwester aus großbürger-lichem Elternhaus, beide hoch- musikalisch, und beide ähnlich ausgebildet. Er wird Gewandhaus- kapellmeister - sie wird Ehefrau und Mutter. Er tritt vor das Orchester - ihr Podium ist der Salon. Seine Kompositionen werden  gefeiert und publiziert - ihre Werke kursieren, bis auf wenige Ausnahmen, ausschließlich im Freundeskreis, in Abschriften. Die Geschwister starben kurz nacheinander. Seine Musik ist bis heute im Konzertsaal präsent; ihre weitgehend vergessen. 
Das mag nicht zuletzt mit darin begründet sein, dass die traditions-geprägte Musikwelt die Werke von Fanny Hensel als "Salonmusik" deklassierte - wer ihre Etüden und Sonaten freilich jemals gehört hat, der wird darüber den Kopf schütteln. Denn diese Stücke haben so gar nichts gefälliges; sie stehen Chopin oder Liszt erkennbar näher als dem "Gebet einer Jungfrau". Etliche davon sind höllisch schwer, und sie sind durchweg von enormer musikalischer Substanz. 
Die Komponistin und Pianistin Heather Schmidt hat sich an einige dieser Werke gewagt. Ihre Interpretation zeugt von solidem instrumentalen Handwerk ebenso wie von einem ausgeprägten Sinn für musikalische Strukturen. Beides kann die Pianistin hier gut gebrauchen. Meine Empfehlung! Denn diese Musik ist wirklich hörenswert. 

Bassione Amorosa - Music for Double Bass Ensemble (K&K)

Wie schwer es ist, die Live-Atmo- sphäre eines Konzertes auf CD zu bannen, das beweist eindrucksvoll diese Aufzeichnung vom Septem- ber 2008 aus dem Laienrefekto- rium des Klosters Maulbronn.
Im Ensemble "Bassiona Amorosa", 1996 gegründet, musizieren Studenten - auch ehemalige - der Meisterklasse von Professor Klaus Trumpf, Hochschule für Musik und Theater München, in wechselnden Besetzungen. In diesem Falle spielen Lena Rachelis am Flügel sowie Ljubinko Lazic, Sergej Konyakhin, Jan Jirmasek, Giorgio Makhoshvili und Jang Kyoon Na, Kontrabass, Musik von Bach bis Makhoshvili, und von Lizst bis Tony Osborne. 
Die Stücke sind von sehr unterschiedlicher Qualität, und das gilt auch für die Interpretationen. Da lässt sich, besonders anfänglich, manch unsauberer Klang vernehmen. Und erst bei den letzten Werken kommt wirklich Stimmung auf. Die Kommunikation mit dem Publikum trägt die Musiker, und urplötzlich wird auch die Aufnahme stimmig.