Freitag, 23. Juli 2010

The virtuoso Viola (Naxos)

Über kein anderes Orchester- instrument gibt es so viele und so fiese Witze wie über die Viola, üblicherweise Bratsche genannt, und über die Musiker, die dieses Instrument spielen. Nur ver- schämt zeigten viele Komponisten ihre Sympathie für die Bratsche, die zumeist friedlich den Freiraum zwischen den zweiten Geigen und den Celli ausfüllt. So hat Brahms ihr oftmals schöne Partien ge- schrieben. 
Einige seiner Kollegen aber haben sich über diese Beschränkung hinweggesetzt, und Werke eigens für Bratsche geschaffen. So spielte der Violinvirtuose Henry Vieuxtemps gern auch Viola, und er hat für das Instrument unter anderem ein anspruchsvolles Capriccio für Viola Solo sowie die Elégie op. 30  geschrieben.
Der "Teufelsgeiger" Paganini hat eine ausgesprochen hübsche Sonata per la Gran Viola, op. 35 komponiert, um seine Stradivari-Bratsche im Konzert vorstellen zu können - ursprünglich natürlich mit Orchester; auf dieser CD wird der Violist Roger Chase von Michiko Otaki am Klavier begleitet. Die beiden Solisten musizieren sehr solide, und nahe am jeweiligen Notentext. Das ist - bei der Verschiedenartig- keit der ausgewählten Musikstücke - eine kluge Strategie, und der Hörer kann sich zurücklehnen und genießen. 
Praeludium und Allegro nach Gaetano Pugnani, mit dem der Violinist Fritz Kreisler einst als Schöpfer von "Barock"-Kompositionen enttarnt worden ist, erklingen in einer Transkription. Eine Bearbeitung ganz besonderer Art schuf der Komponist Zoltán Kodály für einen ungarischen Violisten, der unbedingt ein Konzert von ihm haben wollte: Er bearbeitete Bachs Fantasia cromatica für Solo-Bratsche. Allein dieses Stück genügt als Grund dafür, sich diese CD ins Regal zu stellen. 
Doch damit sind die Überraschungen noch nicht vollständig be- richtet. Denn die CD beginnt auch mit einem merk-würdigen Werk. Ravel hatte einst ein Stück geschrieben, das dem Andenken seiner im ersten Weltkrieg gefallenen Freunde gewidmet war, aber Le tombeau de Couperin heißt. Der australische Komponist und Pianist Arthur Benjamin, bekannt vor allem durch Filmmusiken, hat wiederum ein Werk komponiert, dass er Le tombeau de Ravel nannte - wer es gehört hat, weiß warum. Verblüfft stellt man fest, dass dieses Stück, das man in einer Version für Klarinette und Klavier kennt, ursprüng- lich 1958 für Viola und Klavier entstanden ist - und für William Primrose. 
Der Belgier Joseph Jongen schrieb seine Introduction et Danse
op. 102 für Maurice Vieux. Für einen Wettbewerb hingegen schuf George Enescu sein Konzertstück für Viola und Klavier. Die CD endet mit einem Scherzo von Bernard Shore, dem Lehrer des Solisten Roger Chase. Als Chase das Stück auf dem 80. Geburtstag des Professors, der selber ein brillanter Violist war, vorgetragen hatte - so berichtet er in dem sehr informativen Beiheft - flüsterte ihm der solchermaßen Geehrte ins Ohr: "Danke! Ich hätte niemals gewagt, es selbst zu spielen." Der Hörer darf sich auf ein charmantes, humorvolles Finales freuen.

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