Sonntag, 31. Oktober 2010

Vivaldi Piazzolla Seasons - Daniel Rowland (Two Pianists)

Die Stellenbosch University Camerata, das Kammerorchester der südafrikanischen Hochschule, gaben ihr erstes Konzert vor zwei Jahren - und sie spielten etwas, das sie halb im Scherz "Die acht Jahreszeiten" nannten: Vivaldis berühmte Concerti, jeweils im Wechsel mit den Vier Jahreszeiten von Buenos Aires. Diese musikali- schen Reflexionen spiegeln ihr großes Vorbild, möglicherweise bis ins Zitat.  Astor Piazzolla hat sie zwischen 1964 und 1970 für sein eigenes Ensemble komponiert, in dem er Bandoneon gespielt hat. 
Es steht zu vermuten, dass er die Melodiestimme selbst übernommen hat; doch Rowland verweist im Beiheft darauf, dass auch ein Arrange- ment für die Vivaldi-Besetzung existiert. Dass die teils massiven Vivaldi-Zitate original von Piazzolla stammen, darf hier allerdings bezweifelt werden; ich denke vielmehr, dass sie möglicherweise vom Interpreten per Kadenz "hinübergeschmuggelt" wurden. 
Rowland wählt durchweg frische Tempi, und neigt zu akzentuiertem, mitunter sogar ruppigem Spiel. Das ist nicht unbedingt innovativ; erinnert sei hier an die Einspielung mit Nigel Kennedy. Vielleicht hält Rowland es für erforderlich, Vivaldis Concerti an Piazzollas markante Tangos sozusagen proletarisch anzunähern. Ob das sinnvoll ist, darüber mag jeder selbst befinden; Kontraste sind schließlich auch ganz reizvoll. Doch egal, was Rowland vorgibt - die jungen Musiker von den Stellenbosch University Camerata halten wacker mit. 
Einen Mangel aber hat diese Einspielung: Die Aufnahmen der vier Vivaldi-Concerte klingen ausgesprochen basslastig. Wer schon immer die Kontrabass-Partie dieser Werke studieren wollte - hier kann er dies ohne Probleme, denn dieses Instrument ist immer im Vorder- grund zu hören.

Mayr: Te Deum, Mozart: Missa solemnis (Naxos)

Als Missa solemnis wird oft Mo- zarts C-Dur-Messe KV 337 be- zeichnet, die letzte Messe des Komponisten. Musikwissenschaft- ler verweisen jedoch darauf, dass es sich dabei um eine Kurzmesse, eine sogenannte Missa brevis, handelt. Die Missa solemnis be- gleitet ein feierliches Hochamt - und fällt in Umfang und Besetzung entsprechend üppig aus. 
Für das Werk, das auf dieser CD zu hören ist, trifft dieses uneinge- schränkt zu. Wer aber der Autor dieser Messe in C-Dur ist, das wird sich wohl nicht abschließend klären lassen. Simon Mayr besaß eine Abschrift dieses Werkes, und darauf vermerkte er: "Mozart". Diese Messe jedoch war offenbar beliebt, und so kursieren noch zahlreiche weitere Kopien davon. Darauf sind die unterschiedlichsten Autoren benannt - Franz Xaver Brixi, Abbé Georg Vogler, Cajetan Vogel; neben Wolfgang Amadeus Mozart gehört auch sein Vater Leopold Mozart zum Kreis der in Erwägung gezogenen Urheber.
Wer auch immer dieses Opus tatsächlich geschaffen haben mag - es ist prachtvoll, auch wenn es nicht wirklich Mozartsches Format erreicht. Und es wird auf dieser CD sehr ansprechend vorgetragen. Dafür wählt Franz Hauk, der Gründer und Leiter des Simon Mayr Chores, eine interessante Version der Besetzung: In der Partitur vorgesehen sind vier Solisten; hier sind acht zumeist junge Sänger zu hören, die sich jeweils die Partie teilen.
Von Johann Simon Mayr stammt das zweite Werk auf dieser CD - das Te Deum in D-Dur, entstanden 1805. Mayr, 1763 in Mendorf bei Ingolstadt als Sohn eines Lehrers und Organisten geboren, verhalf seine musikalische Begabung zu einer erstklassigen Ausbildung; er erhielt zunächst einen Freiplatz am Jesuitenkolleg Ingolstadt und konnte so studieren. Später ermöglichten es ihm Mäzene, Unterricht bei Carlo Lenzi in Bergamo und Ferdinando Bertoni in Venedig zu nehmen. Mayr war als Komponist sehr erfolgreich; er hat eine große Anzahl geistlicher Werke hinterlassen, gilt jedoch in erster Linie als Vater der italienischen Oper. Gaetano Donizetti war sein Schüler. 1845 starb Mayr in Bergamo, anerkannt und hoch geschätzt.
Sein umfangreiches Werk wird erst allmählich wiederentdeckt; dafür engagieren sich auch Franz Hauk und die jungen Sänger des Simon Mayr Chores. Auf der vorliegenden CD werden sie vom Georgischen Kammerorchester Ingolstadt begleitet. Gegründet 1964 in Tbilissi, zog das komplette Ensemble 1990 nach Ingolstadt um. Die exzellent ausgebildeten Musiker sahen in ihrer Heimat Georgien keine Zukunft mehr. Jetzt bereichern sie das Musikleben an Altmühl und Donau.

Samstag, 30. Oktober 2010

After a Dream (Danacord)

Musik für die Blaue Stunde: Wer Lust darauf hat, einer perfekt gespielten Posaune zu lauschen, der sollte sich diese CD zulegen. Carsten Svanberg, Jahrgang 1945, Professor für Posaune an der Kunstuni Graz, zeigt, dass dieses Instrument klanglich durchaus eine attraktive Alternative zur Trompete bieten kann. Sein herrlicher dunkler, offener Ton, sonor und tragfähig, begeistert. Und die ausgewählten Stücke passen dazu ganz hervorragend.
Svanberg wird dezent begleitet von Birgit Marcussen an der Orgel; sie registriert routiniert und zeigt auch mit einigen Soli Klasse. Eine CD, die eine ringsum freundliche, herrlich entspannte Atmosphäre transportiert. Wer Klassik nicht immer nur bierernst nimmt, der wird sein Vergnügen daran finden.

Legends of the Piano (Naxos)

Die erste Aufnahme klassischer Musik, die jemals aufgezeichnet wurde, war ein Ereignis: 1889 bespielte Johannes Brahms eine Walze mit ein paar Takten eines Ungarischen Tanzes, um Thomas Edison bei der Vermarktung seines Phonographen zu unterstützen. Dieses Dokument liegt noch heute in der Staatsbibliothek zu Berlin; doch das Wachs ist in einem Zustand, der eine Rekonstruktion dieser Aufnahme unmöglich macht. 
Einige solcher Aufnahmen aus den Kindertagen der Aufzeichnungs- technik - erst 1925 wurde die akustisch-mechanischen Verfahren durch elektrische abgelöst - hat das Label Naxos auf dieser CD zusammengetragen. Diese Stücke sind, notgedrungen, durchweg kurz - und sie klingen halt so, wie diese uralten Platten klingen. 
Dennoch lauscht man diesen Einspielungen mit Interesse. Denn in diesem Raritätenkabinett finden sich Werke bedeutender Komponi- sten, wie Camille Saint-Saens, Edvard Hagerup Grieg oder Enrique Granados, eingespielt von diesen selbst, neben Aufnahmen von längst nur noch Insidern bekannten Virtuosen, wie Ilona Eibenschütz, Vassily Sapellnikoff, Aleksander Michalowski oder Armand Georg Raoul von Koczalski. Sogar eine Aufnahme mit Cécile Chaminade hat sich angefunden.

Haydn: Quartetti op. 76 (Stradivarius)

Nach seiner Rückkehr aus London komponierte Franz Jospeh Haydn eine Reihe von Streichquartetten. Sechs davon, op. 76, 1799 ver- öffentlicht , waren dem Grafen Joseph Erdödy gewidmet. Einige dieser Werke sind sehr berühmt geworden; so die Nr. 2 in d-Moll, bekannt als Quintenquartett, die Nr. 3 in C-Dur, das sogenannte Kaiserquartett, oder die Nr. 4 in B-Dur, das Sonnenaufgangs- quartett.
Für die vorliegende Einspielung beruft sich das Quartetto Modus auf eine Ausgabe, die um die Jahr- hundertwende bei Simrock in Bonn erschienen ist, und die erste Violine durch eine Flöte ersetzt. Roberto Pappalettere, Querflöte, Claudio Maffei, Violine, Fabrizio Merlini, Viola und Carlos Benvenuti, Violoncello, haben die Nummern 2, 3 und 5 für diese CD ausgewählt. Das beschert dem Hörer so manche klangliche Überraschung; mir persönlich gefallen Quinten- und Kaiserquartett in der "klassischen" Besetzung besser. Das mag freilich auch an dem nicht immer rundum überzeugenden Flötenton Pappaletteres liegen. Beim Quartett Nr. 5 in D-Dur hingegen passt die Besetzung mit einem Flötenquartett besser; dennoch ist mir auch hier die Interpretation zu brav. So viel Lange- weile hat Haydn nicht verdient. Schade!

Urwiener Raritäten (Ziehrer-Edition)

Carl Michael Ziehrer (1843 bis 1922), eigentlich gelernter Hut- macher, zeigte schon früh auch musikalisches Talent. Der Musik- verleger Carl Haslinger investierte in die Ausbildung des jungen Mannes, weil er in ihm einen Nach- folger des Walzerkönigs Johann Strauss Sohn sah. In der Tat wurde sein Protegé dann 1907, nach Strauss' Bruder Eduard, der vierte und letzte k. k. Hofballmusik- direktor.
Ziehrer hat mehr als 600 Tänze und 23 Operetten komponiert. Er war der letzte Repräsentant des klassischen Zeitalters des Wiener Walzers; als er 1922 verarmt starb, ging eine Epoche zu Ende. Zur Pflege seines Werkes haben Wiener Enthusiasten 2003 das Original C.M. Ziehrer Orchester gegründet. Es spielt, unterstützt durch die Zeitung Die Presse, nun die Werke des Urwiener Komponisten ein - die vorliegende CD ist die Nummer 14 dieser Reihe. Sie enthält Märsche, Polkas und Walzer - und dazu einige Nummern aus seinen Operetten. Da findet sich das unverwüstliche Ja, beim Militär ist das Leben schwer aus der Operette Der Fremden- führer neben Stücken aus Ball bei Hof oder Fesche Geister; es singen Nina Berten, Sopran, und Jörg Schneider, Tenor.
Das alles hat sehr viel Wiener Flair; aber wer diese Stücke hört, der weiß auch bald, warum Strauss als Walzerkönig gilt. Man höre einen Mitschnitt vom Neujahrskonzert zum Vergleich. Dennoch ist es na- türlich zu begrüßen, dass sich die Wiener auch für das Erbe Ziehrers engagieren.

Donnerstag, 28. Oktober 2010

Santo - Juan Diego Flórez (Decca)

"Über kurz oder lang muss ein Tenor eine geistliche CD aufneh- men", meint Juan Diego Flórez. Im Zentrum dieser Aufnahme steht ohne Zweifel der Belcanto; Rossini und Bellini sind erklärtermaßen die musikalischen Lieblinge des perua- nischen  Tenors, und natürlich hat er einige ihrer Arien für diese CD ausgewählt. Doch auch ein Stück aus Händels Messias findet sich auf Santo: "Händel wirkte zu Zeiten der Castrati; das bedeutet Kolora- tur, und man könnte dabei sogar vom wahren Belcanto sprechen." 
Die CD beginnt allerdings mit einem prächtigen, von Trompeten- geschmetter begleiteten Alleluia seines älteren Kollegen Johann Joseph Fux. Wiener Traditionen pflegt Flórez auch mit einer Arie aus Haydns Schöpfung - und mit dem Ave Maria von Franz Schubert, das er gottlob stil- und zielsicher am Kitsch vorbeisteuert.  Das gilt auch für das Panis angelicus von César Franck, und zwei bekannte Weih- nachtslieder. Weniger bekannt ist hierzulande die Misa Criolla von Ariel Ramírez, aus der das Kyrie erklingt. Abschluss und emotionaler Höhepunkt der CD ist Santo, eine Komposition des Sängers, mit der er seiner Heimat Peru Reverenz erweist. 
Flórez nimmt sich zurück, wie es bei diesem Repertoire durchaus angemessen erscheint. Er verzichtet auf eine allzu plakative Zurschaustellung seiner Sangeskunst - und zeigt gerade damit, über welch ausgefeilte Technik er verfügt. Das ist verblüffend, aber es funktioniert. Auch nach mehrmaligem Anhören bleibt diese CD, gerade auch aufgrund der enormen Breite ihres musikalischen Spektrums, sehr interessant. Der Tenor wird bei dieser Einspielung angemessen begleitet vom Orchestra e coro del Teatro Comunale di Bologna unter Leitung des jungen Dirigenten Michele Mariotti.

Mittwoch, 27. Oktober 2010

Liszt: Sonata in B minor / Schumann: Fantasie in C major; Lars Vogt (Berlin Classics)

Robert Schumann und seine Fan- tasie C-Dur op. 17, Franz Liszt und seine Sonate h-Moll S 178 - das sind zwei einzigartige Werke aus der Feder von zwei grundverschie- denen Komponisten. Und dennoch haben Schumann und Liszt einan- der diese beiden Klanggebirge gewidmet, bei denen es sich - um im Bild zu bleiben - wohl weniger um das Matterhorn, sondern viel- mehr um den Lhotse und den Ma- kalu der Klavierliteratur handeln dürfte. 
"Hier sind zwei Genies am Werk, die sich besonders in diesen Werken absolut in keinen Rahmen pressen lassen und dabei offensichtlich alles sprengen, was da war und sein wird", sagt Lars Vogt. "Wie die Schumann-Fantasie den Hörer förmlich anspringt, mit einer irr- sinnigen Emotionalität und eng beieinander liegenden Kontrasten, und wie Liszt in der Sonate die ganze Form neu erfindet und darin Dinge aussagt, die jedes Musikstück eigentlich sprengen, weil im Prinzip wirklich die Seele verstörend: Ich glaube, in Ihrem visionä- ren Wurf haben sie eine gewisse Verwandtschaft." 
Schumann schert sich nicht um die Sonatenform; Liszt lotet sie aus und erkundet sie bis an ihre Grenzen. "Nicht umsonst ist Faust der Überlieferung nach Thema dieser Sonate", so der Pianist. "Es ist schon eine gepeinigte Seele, die sich hier widerspiegelt, die von dem, nennen wir es einmal Teufelsmotiv, verfolgt wird, und zwar bis ins Letzte, bis in die Verklärung hinein, eigentlich sogar bis zum aller- letzten Ton, der die Verklärung mit seiner diabolischen Allgegen- wart noch hier in Frage stellt." 
Vogt arbeitet die musikalischen Strukturen mit großer Sorgfalt heraus. Er zeigt die Verflechtung der Themen, ihre Entwicklung und Variation, aber er zeigt auch die Unterschiede: Schumann, der eher manisch seine Themen aneinanderreiht - und Liszt, der zwar sehr energisch werden kann, aber bei näherer Betrachtung dennoch immer sehr formbewusst agiert. Wo andere eher zum romantischen Klischee neigen, agiert Vogt stets dem Werk getreu, dem Notentext und den dynamischen Vorgaben der Komponisten verpflichtet.
Damit ist ihm eine der wenigen Einspielungen gelungen, die man als würdige Geburtstagsgaben zum diesjährigen Schumann- wie auch zum 2011 bevorstehenden Liszt-Jubiläum ansehen kann. Insbe- sondere die Liszt-Sonate, die er ganz entschlossen erdet, erreicht unter seiner Hand atemberaubendes Format. So hat man das noch nie gehört; und Vogt hat hier wohl tatsächlich eine Referenzaufnahme geschaffen.

Montag, 25. Oktober 2010

Anton Rubinstein: Piano Music (Naxos)

Anton Grigorjewitsch Rubinstein (1829 bis 1894) war nicht nur ein begnadeter Pianist - er wurde von Zeitgenossen Liszt gleichgestellt -, ein begehrter Dirigent sowie ein hochgeschätzter Organisator und Musikpädagoge. Rubinstein war in erster Linie ein äußerst produkti- ver Komponist. Er schuf unter anderem siebzehn Opern, sechs Sinfonien, fünf Klavierkonzerte sowie zahlreiche Klavierwerke. 
Und es verblüfft, dass außer seinen Zwei Melodien op. 3 aus dem Jahre 1852 kaum Werke dieses großartigen Virtuosen wirklich populär sind. Das Label Naxos hat nun einige seiner Stücke auf CD zusammengetragen - die meisten davon in Weltersteinspielungen, so Thema und Variationen op. 88, Akrostichon Nr. 1, op. 37 und Nr. 2, op. 114, Romance und Impromptu op. 26, Souvenir de Dresde op. 118 und die charmante Sérénade russe in b-Moll. Und natürlich dür- fen auch die beiden berühmten Melodien nicht fehlen. 
Joseph Banowitz spielt Rubinstein ohne "romantisches" Pathos, streng am Text. Er verzichtet auf die musikalischen Sahnehäubchen, denen einige Pianisten so schwer wiederstehen können - und das tut den Stücken gut. Eines wird schnell deutlich: Hier erklingen Werke eines Kosmopoliten, der ganz auf der Höhe seiner Zeit war, sehr hörenswert vorgestellt.

petites fleurs - Klavierminiaturen (Oehms Classics)

Erstaunt mustert man die Liste der Titel, die Susanne Lang für diese CD mit Klavierminiaturen eingespielt hat: Statt der befürchteten Best-of-Blümchenauslese finden sich auf dieser CD etliche Werke aus der großartigen russischen Klavier- tradition, die im Westen bislang mitnichten populär sind. Da stehen Tschaikowski, Rachmaninow, Stschedrin und Prokofjew neben Liszt, Schubert oder de Falla. 
Natürlich ist der Danza ritual del fuego aus El amor brujo faszi- nierend - aber viel spannender erscheinen die zwei stimmungsvollen Sätze aus Janáceks Im Nebel oder Prokofjews Mephisto-Walzer aus seiner Filmmusik zu Lermontow. Die Wellen flüstern in Smetanas Am Seegestade - Eine Erinnerung. Und von Franz Liszt, der ja enorme Mengen an pianistischen Turnübungen hinterlassen hat, wählte Lang ausgerechnet das innige, sangliche Nachtigall
Die junge Pianistin - geboren 1986 in Speyer - überzeugt aber nicht nur bei der Auswahl ihres Repertoires. Auch ihre Gestaltung ist teilweise atemberaubend. Ihr Spiel ist zu jedem Zeitpunkt dem Geist des jeweiligen Werkes verpflichtet. Mit sicherer Hand vermeidet sie Manierismen und Routinen; das zeigt sich besonders eindrucksvoll an den beiden Stücken aus Schuberts Moments musicaux. Da wird jeder Ton, jede Klangfarbe und jede Nuance in der Phrasierung mit Präzi- sion gesetzt, und wo es sich anbietet, kann diese junge Dame durchaus auch sehr energisch werden. Brava!

Gesualdo: Madrigals Book 1 (Naxos)

Die Madrigale von Carlo Gesualdo sind nicht nur aufgrund ihrer kühnen musikalischen Gestaltung eine Legende. Ihr Schöpfer, Don Carlo, war Fürst zu Venosa, und er wurde in erster Linie durch ein brutales Verbrechen berühmt - durch den Mord an seiner ersten Ehefrau Maria d'Avalos, deren Liebhaber und wohl auch einem Kind. 
Vier Jahre später veröffentlichte er Il Primo Libro de'Madrigali, seine erste Sammlung mit Madri- galen. Sechs weitere folgten; im Alter wandte sich der Fürst jedoch auch in seinen Kompositionen zunehmend der Religion zu. Davon freilich ist in seinen frühen Werken wenig zu spüren. Sie preisen die Liebe in allen Variationen, die die Dichtkunst der damaligen Zeit dafür erfunden hatte - und mit jener eigentümlichen Melodik und Harmonik, die seine Werke so unverwechselbar macht.
Das Ensemble Delitiae Musicae, geleitet von Marco Longhini, hat für das Label Naxos die fünfstimmigen Madrigale nach dem Urtext ein- gespielt. Dabei werden alle Stimmen von Männern gesungen - die einzige Frau in diesem Ensemble sitzt am Cembalo. In ihrer Perfektion und ihrem Timbre erinnert diese Aufnahme sehr an das Hilliard Ensemble, das vor vielen Jahren jenes Werk vorgestellt hat, mit dem Gesualdo verstummte: Die Tenebrae, Musik zum Karfreitag.

Sonntag, 24. Oktober 2010

Robert Schumann: Klaviermusik für die Jugend (Genuin)

Diese CD beginnt mit einer Lesung aus Schumanns Musikalischen Haus- und Lebensregeln - vorge- tragen mit einem ebenso bemüh- ten wie scheußlichen "sächsischen" Akzent von Bernhard Biller. Ist dieser Prolog überstanden, folgt das Album für die Jugend op. 68, erstmals veröffentlicht 1848. 
"Papa hatte zu Mariens Geburtstag ein ganzes Heft Kinderstückchen beschert, die ihm selbst die größte Freude gemacht", notierte der Komponist im Erinnerungs- büchelchen für unsere Kinder, nachdem er seiner ältesten Tochter - Vaters Liebling - zu ihrem siebenten Geburtstag ein kleines Heftchen mit Klavierstücken geschenkt hatte. Dieses Geburtstagsalbum für Marie wurde zum Ausgangspunkt für die weit umfangreichere Sammlung, die Clara Schumann wenig später als "Weihnachtsalbum" für kleine und große Kinder bezeichnet. 
Tobias Koch spielt die 43 Clavierstücke für die Jugend auf einem Flügel von Johann Baptist Streicher, Wien, aus dem Jahre 1847. Dieses Instrument beeindruckt durch einen schlanken, hellen, klaren Klang - was diesen Miniaturen ein gänzlich ungewohntes Spektrum an Klangfarben verleiht. Auf CD zwei erklingen neben den Drei Clavier-Sonaten für die Jugend op. 118, die Schumann jeweils einer seiner Töchter widmete, die nicht in die Erstausgabe aufgenommenen Stücke als Supplement zu op. 68 - darunter auch zwei entzückende kleine Vokalsätze, die hier erstmals eingespielt werden, gesungen vom Kinderchor der Freien Grundschule "Clara Schumann" Leipzig. Darauf folgt das Geburtstagsalbum für Marie, so wie es im Bonner Beethoven-Haus einzusehen ist, inklusive einer Reihe von Klavier- bearbeitungen berühmter Werke großer Meister, als Kleiner Lehr- gang durch die Musikgeschichte - beides ebenfalls als Ersteinspie- lung. Hier erklingt ein Flügel von Ignace Pleyel & Cie, Paris, 1844 - er tönt etwas runder als der Streicher, nicht so silbrig, insgesamt etwas dunkler. Das Geburtstagsalbum gibt den Hörer eine Gelegenheit, beide Instrumente zu vergleichen.
Die CD endet mit Andante und Variationen für zwei Pianoforte
op. 46, das Tobias Koch gemeinsam mit Sara Koch spielt. Hier sind beide Flügel zu hören - mit einem ganz erstaunlichen Effekt: Die beiden klanglich doch so verschiedenen Instrumente harmonieren wunderbar miteinander. Dieses Werk ist zweifelsohne der Höhepunkt dieser Doppel-CD; auch die kleinen Sonaten scheinen Koch besser zu liegen als die Miniaturen. Die größere Form gibt dem Pianisten offenbar mehr Raum und ermöglicht größere Spannungsbögen; ich habe den Eindruck, dass er generell Spaß am energischen, schwung- vollen Musizieren hat. 

Sousa's Greatest Marches (Naxos)

John Philip Sousa (1854 bis 1932) ist der König der Marschmusik, ganz ohne Zweifel. Das liegt nicht nur an seinen Kompositionen. Unter seiner Leitung wurde die United States Marine Band zur offiziellen Kapelle des US-Präsiden- ten. Ab 1892 tourte er mit seinem eigenen Orchester durch die USA und Europa - und das so erfolg- reich, dass dieses Ensemble bald als beste Brass Band der Welt galt. Sogar ein Blasinstrument wurde nach ihm benannt - das Sousaphon, das auf seine Anregung hin aus der Tuba entwickelt wurde. 
Sousa schuf mehr als 130 Märsche. Einige davon sind so populär, dass sie selbst in Europa heute noch buchstäblich jedes Kind kennt.  So gilt The Stars and Stripes Forever  in den USA als eine Art zweite Nationalhymne. In Deutschland war das Stück jahrelang in der Fernsehwerbung als Erkennungsmelodie eines Reinigungsmittels präsent. Das Thema des Marsches Liberty Bell, benannt nach der Glocke in Philadelphia, wurde bekannt als Eröffnungsmusik für die Fernsehserie Monty Python's Flying Circus.
Zum Standardrepertoire von Blaskapellen in aller Welt gehören auch andere seiner Werke, wie Semper Fidelis, The Black Horse Troop March oder The Washington Post, komponiert 1889 im Auftrag der gleichnamigen Zeitung. Dieser Marsch machte Sousa berühmt - und auch die Washington Post, denn er war zugleich ein Two-Step, der ein weltweites Tanzfieber entfachte. Naxos sei Dank für die tolle 2-CD-Box mit 34 Märschen des Komponisten, wunderbar eingespielt von The Royal Artillery Band unter Keith Brion.

Tchaikovsky: The Nutcracker (EMI Classics)

Das Ballett Der Nussknacker gehört zur Weihnachtszeit wie Pfeffer- kuchen, Räuchermännchen, eine Pyramide oder der Weihnachts- baum. Pjotr Iljitsch Tschaikowski wurde zu diesem Werk durch Iwan Wselowoloschki, den Direktor der Kaiserlichen Theater zu St. Peters- burg, geradezu gedrängt. Nach den Vorgaben von Ballettmeister Marius Petipa komponierte er, wobei sich der erste Akt ziemlich eng an der Erzählung Nußknacker und Mausekönig von E.T.A Hoffmann orientiert - bis zu dem legendären Pantoffelwurf jedenfalls, mit dem die kleine Marie den Mausekönig nebst seinen Truppen in die Flucht schlägt. 
Für die Fortsetzung wählte er dann lieber die Version von Alexandre Dumas père, in der sich der Nussknacker in einen knackigen jungen Mann verwandelt, den Marie heiratet. Und weil das allein für ein Ballett noch nicht dekorativ genug wäre, wurde noch die Zuckerfee erfunden, die über das Reich der Süßigkeiten herrscht - und die dramatische Handlung des ersten Aktes mit dem Puderzucker diver- ser Divertissements überstäubt. Ach, dieser Tanz der Rohrflöten, diese Soli von Schokolade, Kaffee und Tee, diese Trepak tanzenden Sahnebonbons und diese Celesta-Klänge beim Tanz der Zuckerfee - wer dabei Zahnschmerzen bekommt, der hat kein Herz. 
Die Liste der Aufnahmen dieses Balletts ist lang; in dieser Reihe finden sich nicht zuletzt viele berühmte russische Orchester mit ihren Dirigenten. Wer mit ihnen konkurrieren will, der sollte eigene Ideen einbringen, die gegen die traditionelle Puderzuckerwelt bestehen müssen. Das ist nicht ganz einfach, wie auch die vorliegende Auf- nahme mit den Berliner Philharmonikern unter Sir Simon Rattle deutlich macht. Er erkundet das Werk, statt sich ihm hinzugeben. So wirkt diese Einspielung sehr intellektuell und seltsam distanziert, eher sinfonisch als tänzerisch. Im ersten Akt bringt dieser Zugriff einige interessante Effekte, im zweiten überwiegend Längen. Und das ist schade. Mir jedenfalls gefallen die farbenreichen russischen Inter- pretationen besser - trotz "Experience Edition".

Samstag, 23. Oktober 2010

Johan Helmich Roman: Drottningholmsmusiken (cpo)

Staatsereignisse benötigen auch eine entsprechende Musik - die Drottningholmsmusiken lieferte 1744 Hofkapellmeister Johan Helmich Roman für die Feier- lichkeiten anlässlich der Hochzeit zwischen dem schwedischen König Adolf Fredrik und Prinzessin Luise Ulrike von Preußen. Friedrich der Große war ihr Bruder, und Katha- rina die Große war ihre Cousine.
Entsprechend wenig beeindruckt zeigte sich die gebildete und kulturell interessierte Prinzessin, die regelmäßig gemeinsam mit ihrem Mann musiziert haben soll, vom Kunstleben am schwedischen Hof. An ihren Bruder jedenfalls schrieb Lovisa Ulrika, es gebe dort einen tauben Kapellmeister, einen hinken- den Tanzmeister und einen blinden Hofmaler. 
Ganz so schlimm wird es dann doch nicht gewesen sein; hört man die Bilägers Musiken, so stellt man fest, dass es bei Hofe zumindest versierte Streicher und Bläser gegeben haben muss. Romans Werke beeindrucken durch ihre eigentümliche melodische Sprache, und die Balance zwischen tänzerischem Esprit und höfischer Zeremonialität. 
Das Ensemble 1700 Lund, geleitet von Göran Karlsson, spürt dem Geist dieser in Schweden heute offenbar populären Suite nach. Die Musiker inszenieren die 24 Tanz- und Zeremoniensätze zwischen Melancholie und höfischem Glanz - keine Museumsklänge, sondern höchst lebendige Werke, vergnüglich anzuhören.

Freitag, 22. Oktober 2010

Bach: Mass in B Minor (Linn)

Bachs h-Moll-Messe BWV 232 wird traditionell gern mit einem möglichst großen Chor vorgestellt. Der Musikwissenschaftler Joshua Rifkin aber, der 2006 für Breitkopf & Härtel eine Neuausgabe des Werkes vornahm, vertritt schon seit längerem die These, dass Bachs Vokalwerke typischerweise solistisch aufgeführt worden sind - jede Stimme besetzt mit nur einem Sänger, dem Concertisten. Und nur an einigen wenigen Stellen sind sie durch sogenannte Ripienisten verstärkt worden.
Wie das klingt, demonstrieren mit dieser Aufnahme erstmals Dunedin Consort & Players, geleitet von John Butt. Als Principalists singen Susan Hamilton, Cecilia Osmond, Margot Oitzinger, Thomas Hobb und Matthew Brook, als Ripienists ergänzend Nicola Corbishley, Katie Trethewey, Annemieke Cantor, Christopher Watson und Christopher Adams. Man muss nicht jedes Timbre mögen - aber der Gesamtklang ist wirklich eine Offenbarung; leicht und geschmeidig, differenziert und präzise wird hier musiziert. Diese Einspielung ist grandios; sie dürfte mit Preisen hoch dekoriert werden, und wird für lange Zeit die neue Referenzaufnahme sein.

Donnerstag, 21. Oktober 2010

A Choral Year with Bach (BIS)

Eine musikalische Reise durch das Kirchenjahr - und zwar anhand der Eingangschöre von Bachs Kanta- ten, die das Bach Collegium Japan mittlerweile, im 20. Jahr seines Bestehens, nahezu vollständig eingespielt hat. Die Idee dazu hatte BIS-Chef Robert von Bahr, berich- tet Masaaki Suzuki, der musikali- sche Leiter dieses Ensembles, im Beiheft. 
Diese CD zum Jubiläum enthält seine ganz persönliche Bach- Auslese: "Das Programm dieser CD folgt dem protestantischen Kirchenjahr und stellt eine Auswahl derjenigen Eingangschöre dar, die mich besonders stark beeindruckt haben." 
Selbstverständlich beginnt die CD mit dem ersten Advent, und mit Nun komm der Heiden Heiland BWV 61/1. Sie feiert den Neujahrstag mit Singet dem Herrn ein neues Lied BWV 190/1 - einem Chor, von dem nur die Stimmen des Chores und der Violine erhalten sind. Suzuki war davon so bezaubert, dass er seinen Sohn beauftragte, den Satz zu rekonstruieren: "Ich kann nur hoffen", meint der Musiker, "dass Bach keinen Zornesstrahl auf mich herabschleudern wird!"
Es folgen Hits wie Alles nur nach Gottes Willen BWV 72/1, Mit Fried und Freud ich fahr dahin BWV 125/1 oder das berühmte Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen aus der Matthäus-Passion BWV 244/1. Nur soviel sei hier verraten: Mit Ein feste Burg ist unser Gott BWV 80/1, geschrieben für das Reformationsfest, lässt Suzuki seine Auslese noch nicht enden. Musiziert wird ohnehin grandios.

Sonntag, 17. Oktober 2010

Beethoven: Piano Sonatas (Audite)

Wilhelm Backhaus (1884 bis 1969) debütierte als Zwölfjähriger im Leipziger Gewandhaus. Sein letztes Konzert gab er mit 85 Jahren, wenige Tage vor seinem Tod, in der Stiftskirche von Ossiach in Kärn- ten. Seine Lieblingskomponisten waren Bach, Beethoven, Brahms, Chopin, Haydn, Liszt, Mozart, Schubert und Schumann; vor allem ihre Werke liebte, erkundete und spielte er.
Vom demonstrativen Virtuosen- tum einiger Pianisten, die er als junger Mann erlebte, distanzierte er sich ganz ausdrücklich: Backhaus stellte die Musik in den Mittelpunkt, und nicht den Solisten. Ihm ging es um eine möglichst authentische Wiedergabe des Notentextes. Mit dieser Auffassung, für die er mitunter von der Kritik heftig angegriffen wurde, beeindruckte er nicht nur das Publikum, sondern auch etliche junge Kollegen. 
Das Label Audite legt nun die Aufnahme eines seiner letzten Konzerte vor, das er am 18. April 1969 in Berlin gab. Diese CD basiert auf den Originalbändern des Rundfunkmitschnittes, die einem sorgfältigen Remastering unterzogen wurden. Das Ergebnis ist in jeder Hinsicht verblüffend. Denn der Klang ist glasklar, und dass hier ein Greis spielt, ist an keiner Stelle zu spüren. 
Das Programm beginnt mit Beethovens Klaviersonate Nr. 15 D-Dur op. 28 "Pastorale", die Backhaus mit großem Engagement, zugleich jedoch mit einer gewissen Nervosität spielt. Das hat Auswirkungen auf die Dynamik, und auch auf die Treffsicherheit. Hier wird musiziert ohne Netz und doppelten Boden, und wo derart schwungvoll gehobelt wird, da fliegen mitunter nicht nur ein paar Späne. Das aber macht ein "richtiges" Konzert ja so spannend. Und an Spannung fehlt es hier wahrlich nicht.
Es folgen die Klaviersonaten Nr. 18 Es-Dur op. 31 Nr. 3 und Nr. 21 C-Dur op. 53 "Waldstein". Diese Sonate spielt Backhaus mit einem unglaublichen Tempo; da ist kein Raum für Melancholie und für Reflexion. Nach 24 Minuten ist dieser Wirbelsturm vorbei - doch ihn zu beobachten, das war unglaublich faszinierend. Zum Abschluss erklingt die Sonate Nr. 30 E-Dur op. 109. Auch hier behält der Pianist seinen zupackenden Stil bei; er lässt die Sätze nahezu ohne Pause aufeinander folgen, und macht insbesondere auch aus dem letzten Satz beileibe kein klingendes Rätsel. 
Man muss diesen Zugriff nicht mögen. Es gibt sicherlich inzwischen differenziertere Einspielungen, die mehr Wert auf dynamische Finessen und auf Details der musikalischen Struktur legen. Aber mit Blick auf den Zeitpunkt der Entstehung wird man dieser Interpreta- tion von Wilhelm Backhaus den gebührenden Respekt nicht versagen - sie gehört zu den raren Aufnahmen, die nicht nur als musikalisches Dokument über ihre Zeit hinaus Bestand haben.

Joseph Haydn: Six Divertimenti / Trio (cpo)

Eisenstadt, Eszterháza und Wien waren über 20 Jahre hinweg die Orte, an denen Joseph Haydn lebte und wirkte. Doch seine Werke wur- den bald in ganz Europa geschätzt; sie kursierten an den Fürstenhöfen ebenso wie in den Metropolen, in Berlin, Paris und St. Petersburg ebenso wie in Neapel oder in London. Dort wurde der Maestro besonders umworben; etliche Musikunternehmer bemühten sich über Jahre, ihn zu einer Konzert- reise zu überreden. 
Der Geigenbauer und Musikverleger William Forster trat 1781 über den britischen Botschafter in Wien an Haydn heran, und er konnte
in der Folge tatsächlich etliche Werke des berühmten Komponisten veröffentlichen. So schickte Haydn Forster im Mai 1784 die sechs Divertimenti Hob. IV:6-11, für die er in erster Linie Stücke aus seiner Oper Il mondo della luna umarbeitete. Zum ersten Male verwendete er dabei in seiner Kammermusik die Flöte; auch alle ähnlichen Werke Haydns waren für Kunden in England bestimmt. 
Für seinen Dienstherrn, Fürst Nikolaus I., hingegen schrieb Haydn Werke für Baryton, ein tiefes Streichinstrument aus der Familie der Gamben, das der Fürst mit Leidenschaft spielte, das aber schon damals eine Rarität war. Allein 126 Trios entstanden dafür - und um diese Werke vermarkten zu können, wurden sie von einigen findigen Kollegen bearbeitet. So veröffentlichte Simrock Six Trios pour Flute, Violin & Violoncelle composés par J. Haydn - ein Stück daraus, das Trio Hob. XI:82 beschließt sie vorliegende CD. 
All diese Musikstücke sind für mehr oder weniger versierte Liebhaber entstanden. Das Ensemble Sans Souci Berlin - Christoph, Irmgard und Sibylle Huntgeburth an Traversflöte, Violine und Violoncello - spielte sie ganz im Stile der Frühklassik ein; mit schönem Ton, aber auch sehr deutsch und brav. Man ahnt den Charme und die Eleganz von Haydns Werken; von ihrem Witz aber ist nahezu nichts zu bemerken. Und das ist schade.

Samstag, 16. Oktober 2010

Luigi Boccherini: Cellokonzerte (Berlin Classics)

"Ich weiß sehr gut, dass die Musik zum Herzen des Menschen spre- chen muss, und das ist es, was ich erstrebe", ist ein Wort Boccherinis überliefert, "Musik, die keine Ge- fühle und keine Leidenschaften ausdrückt, ist leer." Insbesondere die Cellokonzerte des italienischen Virtuosen sind bis heute beliebte Werke, die von zahlreichen Inter- preten eingespielt wurden. 
Ivan Monighetti, 1948 geboren in Riga, war der letzte Schüler von Mstislaw Rostropowitsch am Moskauer Konservatorium. In seinem breiten Repertoire hat die Alte Musik einen ganz besonderen Platz; er spielt gern und viel auf histo- rischen Instrumenten - in diesem Falle erklingt ein Violoncello, das von Francesco Ruggieri 1693 in Cremona gefertigt worden ist. 
Monighetti spielte 1993 gemeinsam mit der Akademie für Alte Musik Berlin die vier Cellokonzerte Nr. 2 D-Dur G 479, Nr. 3 G-Dur G 480, Nr. 1 C-Dur G 477 und D-Dur G 478 ein - bei den beiden letztgenann- ten Werken wird die Besetzung um zwei Hörner bzw. zwei Oboen ergänzt. Musiziert wird werkgetreu, im Stile der damaligen Zeit.

Fikret Amirov: Shur (Naxos)

Fikret Amirov (1922 bis 1984) war ein prominenter aserbaidschani- scher Komponist. Er integrierte als erster Elemente aus der Volksmu- sik, wie er sie schon im Elternhaus kennenlernte, in klassische Kompositionen. Diese CD stellt einige seiner bekanntesten Werke vor: Shur, Kyurdi Ovshari und Gyulistan Bayati Shiraz, die auf sogenannten mugams basieren, einer Art Ballade, die in traditio- neller Manier von einem Sänger vorgetragen und durch Instru- mente begleitet wird. Auch Azerbaijan Capriccio beruht auf Motiven aus der Volksmusik des Landes, die jedoch ebenfalls sehr modern verarbeitet und in "westliche" Instrumentierung umgesetzt wird. 
So erinnern diese Werke an eine Filmmusik mit fremdartigen Anklängen, die aber in einer vertraute Matrix eingebettet sind. Das Russian Philharmonic Orchestra unter Dmitri Jablonski bringt die ungewohnten Klangfarben souverän zum Leuchten. Es ist schön, dass Naxos solche Entdeckungen ermöglicht - und nicht nur Werke vor- stellt, die für den Massenmarkt gestylt sind. 

Bach: The Orchestral Suites (Berlin Classics)

Warum verwechseln selbst außer- ordentlich renommierte En- sembles mitunter Geschwindigkeit und Esprit? Diese Frage drängt sich beim Anhören dieser CD förmlich auf. "Frischer Wind" ist ja sehr schön, aber muss es denn gleich ein Wirbelsturm sein, der mit seinem druckvollen Tempo jeg- lichen Ansatz einer dynamischen Differenzierung plattwalzt? 
Das Ensemble Concerto Köln, von der Kritik gerühmt als "musika- lische Trüffelschweine", konnte in den 25 Jahren seines Bestehens so manche Perle wieder ins Gedächtnis des Publikums und ins Repertoi- re zurückholen - erinnert sei hier nur an die Symphonies von Henri-Joseph Rigel, die das Orchester im vergangenen Jahr eingespielt hat. Dafür wurde es zu Recht vielfach ausgezeichnet und geehrt.
Warum die Musiker nun, für die CD zum Jubiläum, ausgerechnet Bachs vielfach auf dem Markt erhältliche Orchestersuiten ausgewählt haben, bleibt ein Rätsel. Möglicherweise hofft man darauf, mit dem bekannten Werk einen Schnelldreher unters Volk bringen zu können. Doch auch die Aufmachung mit zwei übereinander gestapelten CD auf einem losen Plastikträger in einer Papphülle, aus der einem das Beiheft entgegenpurzelt, macht einen lieblosen, nicht gerade wertigen Eindruck. Schade drum!

A virtuoso faceoff (Alba)

Heinrich Ignaz Franz Biber (1644 bis 1704) und Georg Muffat (1653 bis 1704) waren beide Angestellte des Salzburger Erzbischofs Max Gandolph Graf von Kuenburg. Biber, einer der besten Geiger seiner Zeit, kam aus Böhmen, und wirkte in Salzburg zunächst als Vizekapellmeister und später als Kapellmeister. In Anerkennung seiner herausragenden Virtuosität wurde er 1690 vom Kaiser geadelt, und durfte sich zudem eines üppigen Salärs erfreuen. Muffat, ein Schüler von Jean-Baptiste Lully, war Domorganist in Salzburg. Der Erzbischof schickte ihn 1680 zur Weiterbildung nach Italien; in Rom lernte Muffat unter anderem Arcangelo Corelli kennen, von dem er offenkundig sehr beeindruckt war, denn er schrieb anschließend Concerti grossi nach seinem Vorbild. 
Das Konzept der vorliegenden CD ist ein imaginärer Wettstreit beider Musiker um die Gunst ihres Dienstherrn. Ein solches Szenario ist zwar wenig realistisch, aber dennoch dramaturgisch und musikalisch reizvoll - macht es deutlich, wie vielgestaltig Barockmusik selbst innerhalb einer einzigen Residenz sein konnte. Petri Tapio Mattson, Violine, Markku Mäkinen, Orgel, und Eero Palviainen, Erzlaute, zeigen zudem, dass es in Finnland exzellent ausgebildete Musiker gibt, die den Vergleich mit bekannten Stars der Barock-Szene nicht scheuen müssen.

August Klughardt: Piano Quintet / String Quintet (MDG)

August Friedrich Martin Klug- hardt, geboren 1847 in Köthen, schrieb seine ersten Kompositio- nen bereits als Gymnasiast. Am Klavier war er so versiert, dass er als 17jähriger Mendelssohns g-Moll-Klavierkonzert bei einem Abonnementskonzert spielen konnte. Nach dem Abitur 1866 studierte er Musik in Dresden.
1867 begann Klughardt seine Laufbahn als Kapellmeister, die ihn zunächst an die Stadttheater von Posen, Neustrelitz und Lübeck führte. Von 1869 bis 1873 war er am Hoftheater in Weimar engagiert, wo er Franz Liszt und möglicherweise auch dessen Freund und Schwiegersohn Richard Wagner kennenlernte. Nach einer erneuten Zwischenstation in Neustrelitz wurde Klughardt 1882 als Nachfolger seines früheren Lehrers Eduard Thiele Hofkapellmeister in Dessau.
1876 erlebte Klughardt die ersten Bayreuther Festspiele, und die Begeisterung für Wagners Werk sollte sein weiteres Leben prägen. So dirigierte er in Dessau mit Ausnahme des Parzifal sämtliche Werke Wagners;1893 wurde in der kulturell sehr aufgeschlossenen Resi- denzstadt erstmals der komplette Ring des Nibelungen aufgeführt. Dieses Engagement bescherte dem Dessauer Hoftheater den Bei- namen "Nördliches Bayreuth". Musiker aus Sachsen-Anhalt waren aber nicht nur in der Festspielstadt gern gesehen. Auch der Ruf des Theaterchores war offenbar so exzellent, dass Ende des 19. Jahr- hunderts regelmäßig etwa 20 Sänger aus Dessau  nach London reisten, um das Theatre Royal in Covent Garden bei der Aufführung deutscher Opern zu unterstützen.
Klughardt starb 1902 in Dessau. Er war nicht nur ein erfolgreicher Dirigent, sondern auch ein äußerst produktiver Komponist. Während seine Opern stark dem Bayreuther Vorbild folgten (und daher schon von seinen Zeitgenossen abgelehnt wurden), finden sich ansonsten erstaunlich wenig Spuren der "Neudeutschen"  in seinem Werk. Klughardt komponierte unter anderem mehrere Sinfonien, Konzerte und Kammermusik sowie Oratorien, Lieder und Chorwerke für verschiedene Stimmlagen. Im Konzertsaal sind sie heute kaum noch präsent. Das ist schade, wie die vorliegende CD zeigt. 
Klughardt beherrschte sein Handwerk, und er kannte die Erwar- tungen des Publikums. Ganz offensichtlich hatte er Vergnügen daran, musikalische Konventionen augenzwinkernd zu unterlaufen - und das Leipziger Streichquartett, ergänzt durch Olga Gollej, Klavier, bzw. durch den jungen Cellisten Julian Steckel, zelebriert diese kleinen Späßchen mit Wonne. Es ist Dabringhaus und Grimm zu danken, dass das audiophile Label für diese Aufnahme zweier bedeutender Kammermusikwerke eines der besten Streichquartette Europas gewinnen konnte. Das Engagement der Musiker lohnt sich - Klughardt verdient die Wiederentdeckung. 

Freitag, 15. Oktober 2010

Si me llaman (Carpe Diem)

Baldassare Castiglione schrieb in seinem Buch "Il libro del Cortegia- no" - "Der Hofmann", auf spanisch: "El Cortesano" - einem Buch zur Erziehung des Renaissance- menschen - neben vielen anderen klugen Dingen, dass ein guter Vor- trag aus Worten Wunder erschaffen kann. Diesen Satz erwählten sich Countertenor José Hernández-Pastor und Ariel Abramovich, Gi- tarre/Lauten/Vihuela zur Maxime: Die Musiker, die sich beim Studium an der Schola Cantorum Basilensis kennenlernten, treten seit 1998 gemeinsam auf - und sie haben sich den Namen "El Cortesano" gegeben.
Hernández-Pastor und Abramovich engagieren sich für die Musik des sogenannten "goldenen spanischen Zeitalters". Mit ihrer zweiten CD
Si me llaman
präsentieren sie in Weltersteinspielung das Libro de mú- sica de vihuela von Diego Pisador, veröffentlicht 1552 in Salamanca.
Der Mayordomo und Vihuelaspieler notierte darin nicht nur seine eigenen Lied- und Instrumentalkompositionen, sondern auch Werke anderer europäischer Komponisten seiner Zeit. So enthält das Buch wohl eine große Anzahl der bekanntesten und beliebtesten Lieder der spanischen Renaissance, und zugleich dokumentiert es Pisadors ganz persönlichen Musikgeschmack.
Wenn ich das Beiheft richtig verstehe, dann haben die beiden Musiker den größten Teil der Werke, die in dieser Sammlung zusammengefasst sind, für die vorliegende CD eingespielt. Die meisten dieser Lieder sind Villancicos; außerdem gibt es Romances, Balladen also, die Ge- schichten erzählen, Villanescas , Liedsätze nach italienischer Tradi- tion, sowie einige Solostücke für die Vihuela. 
Dabei handelt es sich um einen Vorgänger der Klassikgitarre, der klanglich eher der Laute ähnelt, und nach dem 16. Jahrhundert aus dem Musikleben so vollständig verschwunden war, dass Experten heute darüber streiten, ob weltweit noch zwei oder drei originale Exemplare erhalten sind. 
Das ist durchaus ein Verlust, wie die dem Zuhörer bald klar wird: José Hernández-Pastor und Ariel Abramovich bezaubern durch ihren durchdachten, aber poetisch verklärten Vortrag. Wer Musik für Countertenor liebt, wird dieser CD und der weichen, klaren, gut ge- führten Stimme von Hernández-Pastor ohnehin verfallen.

Sonntag, 3. Oktober 2010

Fiery and sublime - The Sources of Quantz's Inspiration (MDG)

"Denn eine Musik, welche nicht in einem einzelnen Lande, oder in einer einzelnen Provinz, oder nur von dieser oder jener Nation allein, sondern von vielen Völkern angenommen und für gut erkannt wird (...) muss, wenn sie sich anders auf die Vernunft und eine gesunde Empfindung gründet, außer allem Streite die beste seyn", schrieb Johann Joachim Quantz  (1697 bis 1773) 1752 in seinem Versuch einer Anweisung die Flöte traversière zu spielen
Quantz, Sohn eines Hufschmieds und früh verwaist, wuchs bei einem Onkel auf, der Stadtmusikus in Merseburg war. Er wurde zum Stadt- pfeifer ausgebildet, und erlernte dabei, wie üblich, eine Vielzahl von Instrumenten - von der Violine über die Trompete und ihre Verwand- ten bis hin zu  Blockflöte, Fagott und Kontrabass. Nach einer ersten Anstellung 1716 in der Stadtkapelle Dresden begann Quantz seine Karriere als Oboist am Hofe Augusts II. 
Doch schon bald wechselte er das Instrument: Quantz nahm Quer- flötenunterricht bei dem französischen Virtuosen Pierre-Gabriel Buffardin, und er begann zu komponieren. Reisen erweiterten seinen Horizont. Dabei ging er zunächst nach Italien, wo er bei Francesco Gasparini, dem Konzertmeister des Lateran in Rom, Kontrapunkt studierte, und auch sonst eine Menge Anregungen erfuhr. So begeg- nete er Alessandro Scarlatti, lernte den Kastraten Farinelli kennen und hörte in Venedig Vivaldi. Seine Bildungsreise führte Quantz weiter nach Frankreich, in die Niederlande und nach London; Georg Friedrich Händel riet dem jungen Musiker, in England zu bleiben. 
Doch dieser kehrte nach Sachsen zurück.  1728, nunmehr als Flötist am Dresdner Hof, lernte er Kronprinz Friedrich von Preußen kennen, der bei ihm Flötenunterricht nahm. Nachdem Friedrich König ge- worden war, wurde Quantz 1741 sein Kammermusikus und Hof- komponist. Und das blieb er, bis zu seinem Tode. 
Unter dem Motto "Regelmäßig, feurig und erhaben" - so beschrieb der Nachruf das Flötenspiel des Virtuosen - präsentiert das Ensemble La Ricordanza zwei Werke des Wahlberliners, nebst vier sehr passen- den Stücken von Zeitgenossen. Dass dies die Quellen Quantz'scher Kreativität gewesen sein sollen, das darf getrost bezweifelt werden.  Dennoch ist die Zusammenstellung erlesen; insbesondere die Welt- ersteinspielung von Quantz' Concerto à 5 in D-Dur QV 5:45 ist eine Überraschung. Es folgt die Sonate en Trio op. 2 Nr. 8 für Blockflöte, Viola und Basso continuo von Jean-Marie Leclair. 
Carl Philipp Emanuel Bach war zunächst Cembalist, dann Kammer- musikus am Hofe Friedrichs des Großen.1768 wurde er Telemanns Nachfolger als städtischer Musikdirektor und Kantor in Hamburg. Wie sehr ihn Quantz beeinflusst hat, das sieht man auch daran, dass er 1753 ein Buch mit dem Titel Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen publiziert hat. Aus dem Schaffen des "Berliner"/"Hambur- ger" Bachs wurde für diese CD die Triosonate Wq. 146 in A-Dur für Flöte, Violine und Basso continuo ausgewählt - ein galantes Stück mit Seufzerfiguren im langsamen Mittelsatz. 
Johann Gottlieb Graun gehörte schon in Ruppin zu den Musikern um Kronprinz Friedrich. Eine Oper seines Bruders Carl Heinrich erklang anlässlich der Verheiratung Friedrichs mit Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern. Nach seiner Krönung wurden die Brüder Konzertmeister bzw. Kapellmeister der Berliner Oper. Unterhaltsam ist Grauns Konzert in F-Dur für Blockflöte, zwei Violinen und Basso continuo zu nennen, das ebenfalls für die vorliegende CD eingespielt wurde. 
Es folgt eine Triosonate für Blockflöte und Traversflöte in C-Dur QV 2:Anh. 3 - eines von wenigen Werken, das beide Flötenarten zugleich erklingen lässt, und dabei jeweils ihre Stärken herausstellt. Die Blockflöte dominiert mit ihrem klaren, aber ziemlich eintönigen Klang die schnellen Sätze. Die Traversflöte hingegen mit ihren überlegenen klanglichen Gestaltungsmöglichkeiten kommt besonders in den lang- samen  Sätzen  zur Geltung. Musikwissenschaftler streiten darüber, ob dieses charmante Werk tatsächlich von Quantz stammt, der für Block- flöte kaum etwas geschrieben hat - oder ob nicht doch Telemann der Komponist war.
Von Michel Blavet hingegen ist nur ein einziges Flötenkonzert über- liefert - das Concerto à 4 in a-Moll für Traversflöte, zwei Violinen und Basso continuo. Quantz erlebte den Flötisten auf seiner Grand Tour in Paris, und lobte ihn als einen der führenden Virtuosen seiner Zeit. Witzigerweise enthält das Stück lediglich in seinem zweiten Satz, einer Gavotte, eine Reverenz an den französischen Stil, folgt aber anson- sten den italienischen Vorbildern - und überrascht mit atemberau- benden Kadenzen. 
Brian Berryman, Traversflöte, stand für diese Aufnahmen eine exzellente Quantz-Flöte zur Verfügung. So darf man sich über ein ausgewogenes, ziemlich originalgetreues Klangbild freuen, denn auch die anderen Mitglieder von La Ricordanza sind ausgewiesene Barock- experten - allen voran Annette Berryman, Blockflöte, aber auch Christoph Heidemann und Katharina Huche-Kohn, Violine, Bettina Ihrig, Viola, Dorothée Palm, Violoncello, Barbara Hofmann, Gambe und Zvi Meniker, Cembalo.



Samstag, 2. Oktober 2010

Paganini/Kreisler: La campanella (Naxos)

Paganini (1782 bis 1840) gilt vielfach als Inbegriff des Geigen- virtuosen. Doch der letzte jener grandiosen Solisten, die durch die Welt reisten, um vor allem auch ihre eigenen Werke zu spielen, war Fritz Kreisler. Der Sohn eines Arztes, geboren 1875 in Wien, begann schon als Vierjähriger, Geige zu spielen. Er studierte in seiner Heimatstadt am Konserva- torium bei Joseph Hellmesberger und Anton Bruckner, und danach in Paris bei Lambert Joseph Massart, Léo Delibes und Jules Massenet. Als Vierzehnjähriger star- tete er seine Solistenkarriere - und wo ihm Repertoire fehlte, erfand er sich flugs die entsprechenden Werke. Die Kritik reagierte ziemlich ungnädig, als Kreisler einräumte, einige der hoch gelobten "Klassiker" selbst komponiert zu haben. 
Es ist sehr interessant, wie ein Musiker, der das Prinzip Mimikry derart perfekt beherrscht, die Werke seines großen Vorgängers liest. Philippe Quint, ausgebildet der großen russischen Geigentradition entsprechend, hat gemeinsam mit dem Pianisten Dmitrij Cogan einige Paganini-Bearbeitungen von Kreisler eingespielt. Das Programm ist attraktiv. Es beginnt mit dem berühmten "Glöckchen-Rondo" aus dem Violinkonzert Nr. 2, enthält zwei groß angelegte Variationen über Themen aus Rossini-Opern, drei der 24 Caprices, das Moto perpetuo op. 11 sowie Le streghe, op. 8, Variationen zu einem Thema aus dem Ballett Il noce di Benevento des Mozart-Schülers Süssmayr. 
Es fällt auf, dass Kreisler darauf verzichtete, seine Violine umzu- stimmen. Statt die Möglichkeiten der scordatura auszunutzen, wählte er lieber die Transposition - und verließ sich ansonsten auf seine eigene Virtuosität. So brachte er seinerzeit Paganinis Musik zu einem staunenden Publikum. 
Quint und Cogan haben an den technisch kniffligen Bravourstücken durchaus Vergnügen. Man hat aber nicht den Eindruck, dass sie dabei irgendwo auf eine Herausforderung stoßen. Dennoch vermisse ich das Quentchen Witz, dass aus einer soliden eine überragende Einspielung macht. Schade.