Donnerstag, 28. April 2011

A Choral Wedding (Naxos)

Wer stilvoll kirchlich heiraten will, der sollte sich diese Doppel-CD merken - wer jedoch tatsächlich einen Kirchenchor bitten möchte, die Hochzeit mit einigen dieser Werke aufzupeppen, der sollte vorzugsweise der anglikanischen Kirche angehören; nur dort sind die meisten dieser Anthems und Hymnen gebräuchlich. Ein biss- chen neidvoll wird der Kontinen- taleuropäer insbesondere letzteren vermutlich lauschen. Denn die Zahl der Choräle, die sich bei- spielsweise für einen evangelischen Traugottesdienst eignet, ist vergleichsweise gering. 
Die Church of England hat da musikalisch wahrscheinlich mehr zu bieten; allerdings sind unter den britischen Best-of bei den Anthems doch etliche Kompositionen zu finden, die auch in Mitteleuropa zu den Standards gehören, beispielsweise Mozarts Laudate Dominum, Locus iste von Anton Bruckner oder Panis Angelicus von César Franck. Und die Chor-Kultur im United Kingdom ist noch immer phantastisch, wie die beiden Silberscheiben beweisen. 

The Ultimate Wedding Collection (EMI Classics)

Pünktlich zur Hochzeit des Jahres hat EMI Classics aus seinen reichen Archiven eine Doppel-CD zusammengestellt, die Musik für den schönsten Tag im Leben in geradezu üppiger Auswahl enthält. Da finden sich Dauerbrenner wie der un- vermeidliche Hochzeitsmarsch aus Wagners Oper Lohengrin neben Händels ebenso bekanntem Largo aus der Oper Xerxes, dem berühmten Alleluia aus Mozarts Exsultate, jubilate oder das unverwüstliche Amazing Grace neben Entdeckungen wie der Toccata aus Widors Sympony No. 5, The Call aus Vaughan Williams Five Mystical Songs oder If ye love me von Thomas Tallis. Wer eine Hochzeit vorbereitet und dafür klassische Musik auswählen will - diese CD beschert auch weniger klassikaffinen Paaren eine große Portion Vorfreude, und die Qual der Wahl. 

Vesperae. Baroque Vespers at Stift Heiligenkreuz (Oehms Classics)

"So groß ist die Würde der Musik, dass das ewige Lob des feurigen Himmel ohne die liebliche Harmo- nie von Stimmen und Instrumen- ten keine Zunge schildern, kein Pinsel malen, kein Verstand aus- denken könnte", schreibt der Zisterzienser Pater Alberich Mazak im Vorwort zum ersten Teil seiner Sammlung Cultus Harmonicus, die 1649 in Wien veröffentlicht wurde. "So groß ist die Seligkeit der süßen Harmonie, dass wir die Engel mit Musikinstrumenten ausstatten, um darzustellen, dass sie glücklich sind. So ist gewissermaßen die Musik der Seligkeit verbunden, dass man sie nur entweder beide sieht oder keinen." 
Mazak (1609 bis 1661) trat 1629 in das Stift Heiligenkreuz im Wiener- wald ein. Da hatte er bereits studiert, und er war offenbar auch als Musiker bestens ausgebildet. So wurde er bald Organist und 1636 schließlich Leiter der Stiftsmusik, die von den Mitbrüdern und Kapellknaben gestaltet wurde. Das Amt des Cantor chori hatte er bis 1654 inne. Das war keine geringe Aufgabe, denn zur damaligen Zeit wurde im Kloster offenbar ausgiebig musiziert. Das Stift Heiligenkreuz stand zudem in engem Kontakt zum Wiener Hof; bei einem Besuch 1639 erbat Kaiser Ferdinand III., der selbst komponierte, von Pater Alberich Werke zur Aufführung in der Hofkapelle. 
Wie damals im Stift Heiligenkreuz musiziert wurde, das lässt sich an- hand der vorliegenden CD sehr gut nachvollziehen. Für die Aufnahme haben die Zisterziensermönche gemeinsam mit dem Ensemble Dolce Risonanza, das von Florian Wieninger geleitet wird und auf Nach- bauten historischer Instrumente in historisch korrekter Spielweise musiziert, eine Vesper für das Hochfest der Kreuzerhöhung, das am 14. September begangen wird, ausgerichtet. 
Dabei haben sie die liturgischen Gesänge der fratres, ganz im Stile der damaligen Zeit, durch konzertante Musik ergänzt bzw. teilweise auch ersetzt. Den überwiegenden Teil der Werke dafür fanden sie in Cultus Harmonicus; wo Stücke fehlten, wählten sie passende Werke von Zeitgenossen Pater Alberichs. 
Der Wechsel zwischen Gregorianik und Barockmusik gelingt vorzüg- lich. Man meint beinahe, die Kapellknaben zu hören, denn die Sängerinnen von Dolce Risonanza setzen ganz auf eine schlanke Stimmführung und verzichten auf Volumen und Vibrato. Das Ergeb- nis ist eine sehr beeindruckende Kombination aus musikalischer Virtuosität und inniger Spiritualität. Unbedingt empfehlenswert! 

Mittwoch, 27. April 2011

Bach: Die Achtzehn Leipziger Choräle (Rondeau)

Thomasorganist Ullrich Böhme spielt die Leipziger Choräle; sie  gelten als das musikalische Testament von Johann Sebastian Bach. Diese Aufnahme ist insofern etwas Besonderes, als hier zwei grundverschiedene Orgeln zu hören sind. Denn die den den Bear- beitungen vorangestellten Choral- sätze spielt Böhme auf der Orgel der Dorfkirche in Störmthal, 20 Kilometer südöstlich von Leipzig. Dieses Instrument, 1723 von Zacharias Hildebrandt erbaut, und von Bach seinerzeit geprüft und abgenommen, erscheint noch deut- lich mitteltönig gestimmt. Das hat zur Folge, das bestimmte Tonarten rein klingen - und andere unsauber, scharf und spannungsvoll. 
Böhme führt vor, wie Bach dies in seinen Chorälen als Gestaltungs- mittel einsetzte. Und im Kontrast dazu spielt er die Leipziger Choräle BWV 651 bis 668 an der Bach-Orgel der Thomaskirche Leipzig, erbaut von dem Marburger Orgelbauer Gerald Woehl im Bach-Jahr 2000. Sie ersetzte eine Schuke-Orgel aus den 60er Jahren, und ergänzt die Sauer-Orgel, mit der sich zwar hervorragend Reger, aber nur schlecht Barockmusik spielen lässt. Diese Aufgabe sollte der Neubau über- nehmen; die Orgel ist daher sowohl im sogenannten Chorton, hier
465 Hz, als auch im Kammerton, hier 415 Hz, spielbar. Und mit einem Hebel lässt sich vom Chor- auf Kammerton umstimmen. 
Ihre Tempe- ratur folgt einem Konzept des Bach-Zeitgenossen Johann Georg Neidhardt, der im Interesse der Transponierbarkeit für die sogenann- te gleichschwebende Temperatur plädierte. Die Konsequenz daraus ist die heute übliche gleichstufige Stimmung. Das macht die Instru- mente flexibler - und ihren Klang langweiliger, weil der Charakter der jeweiligen Tonart, dem die barocken Musiktraktate noch dicke Kapitel gewidmet haben, verloren geht. 
Diesen Vorwurf muss man auch der Bach-Orgel machen; ihr Klang hat trotz der 61 Register nicht halb soviel Farbe wie der des kleinen, einmanualigen Instrumentes in der Störmthaler Kreuzkirche. Die Neigung Böhmes zum kräftigen, massiven Registrieren macht die Sache nicht besser. Aber sein Spiel ist exzellent. 

Dienstag, 26. April 2011

Voices. Chant from Avignon (Decca)

Nach dem großen Erfolg der Zisterziensermönche vom Stift Heiligenkreuz mit ihrem Album Chant - Music for Paradise setzt Decca nun auf eine weitere Grego- rianik-CD: Die Benediktinerinnen von Notre-Dame de l’Annonciation aus Barroux präsentieren auf  Voices - Chant from Avignon  liturgische Gesänge, die so von Benediktinern in aller Welt gesun- gen werden.
Der Konvent im französischen Barroux bei Avignon ist noch sehr jung; das Kloster zu Füßen des Mont Ventoux wurde in den Jahren 1986 bis 2005 erbaut. Dennoch gehören erstaunlich viele Schwestern zu der Gemeinschaft. 

Die Schola hat gregorianische Gesänge vorgetragen, wie sie den Jah- reslauf der Benediktinerinnen begleiten - von der Feier der Aufer- stehung über das Dies irae, die Pfingstsequenz Veni Sancte Spiritus bis hin zum Magnificat und zum Hymnus Benedictus es"Le chant était une prière, pas un concours", meinen die Schwestern. Die tiefe Spiritualität, die in ihrem Gesang hörbar wird, ist sehr beeindruk- kend. 

Hasse: Requiem in C (Carus)

"Die Frauen bekränzten ihn mit Blumen, die Dichter feierten ihn in Sonetten, und wo er sich sehen ließ, empfingen ihn jubelnde Zurufe", berichtet eine Geschichte des Hoftheaters zu Dresden über Johann Adolf Hasse (1699 bis 1783). Es war Hasse, der gemein- sam mit seinem Berliner Kollegen Graun die italienische Oper zu erster Blüte führte. Doch mit dem Verschwinden der opera seria von der Bühne gerieten diese Komponi- sten so gründlich in Vergessenheit, dass man sich nicht genug darüber wundern kann.
"Wir sind in der glücklichen Lage, gemeinsam mit dem Dresdner Barockorchester und anderen Künstlern immer wieder sächsische Musikschätze von Weltgeltung zu heben und den wertvollen Dresd- ner Kunstsammlungen ,klingende Exponate' von außerordentlicher Güte zur Seite zu stellen", schreibt Hans-Christoph Rademann. Der Gründer und künstlerische Leiter des Dresdner Kammerchores engagiert sich seit vielen Jahren für die Wiederentdeckung der Werke des sächsischen Barocks. In diesem Falle handelt es sich um das Requiem in C, von Hasse 1763 komponiert für die Beisetzung seines langjährigen Dienstherrn Friedrich August II. Dieses Werk wurde in Dresden bis 1850 alljährlich am Todestag dieses Kurfürsten und polnischen Königs zum Gedenken aufgeführt.
"Der Musik Johann Adolf Hasses zu begegnen, heißt für uns immer wieder über die einzigartige Verbindung von Schlichtheit und Vir- tuosität, Eleganz und Bescheidenheit zu staunen", so Rademann. Bei dieser Aufnahme werden "seine" Sänger vom Dresdner Barock- orchester begleitet, in dem Alte-Musik-Spezialisten gemeinsam mit Musikern der Dresdner Staatskapelle und der Dresdner Philharmonie musizieren. Seit 20 Jahren pflegen sie erfolgreich das Erbe der Hof- kapelle Augusts des Starken, die zu Hasses Zeiten eine der besten in Europa war. 
Rademann ist es gelungen, für dieses Projekt exzellente Sänger zu gewinnen. Zu hören sind Johanna Winkel und Marie Luise Werneburg, Sopran, Wiebke Lehmkuhl und Marlen Herzog, Alt, Colin Balzer, Tenor und Cornelius Uhle, Bass. Die jungen Sängerinnen und Sänger, die aus dem Chor heraus solistische Aufgaben übernehmen, können es dabei durchaus mit ihren etablierten Kollegen aufnehmen. 
Zusammen mit dem Miserere in c, das Hasse ursprünglich für die Mädchen des Ospedale degli Incurabili  in Venedig geschaffen und in einer Fassung für den Dresdner Hof für gemischten Chor bearbeitet hatte, erklang das Requiem  im Rahmen des Musikfestes Erzgebirge 2010. Die entsprechenden Konzerte in der St. Marienkirche Marien- berg wurden aufgezeichnet, und nun erschien der Mitschnitt bei Carus. Eine kluge Entscheidung des Labels, denn sowohl das Orchester als auch die Sänger sind überragend. Rademann gelingt eine Hasse-Interpretation, die schwerlich zu übertreffen sein wird. Diese CD ist vom ersten bis zum letzten Ton ein Genuss. 

Montag, 25. April 2011

Schubert: Mass No. 5, Magnificat (Naxos)

Franz Schubert (1797 bis 1828) hatte zeitlebens eine enge Bezie- hung zur Kirchenmusik. Mit acht Jahren sang er bereits als Chor- knabe an der Pfarrkirche von Lichtental bei Wien; 1808 verhalf ihm eine Empfehlung von Antonio Salieri zu einer Stelle im Chor der Hofkapelle, verbunden mit der Aufnahme ins Akademische Gym- nasium und einem Platz im Stadt- konvikt. 
Seine erste Messe F-Dur D. 105 komponierte Schubert 1814; sie wurde zur Einhundertjahrfeier der Lichtentaler Pfarrkirche urauf- geführt. Das letzte seiner zahlreichen geistlichen Werke schuf Schubert 1828 wenige Wochen vor seinem Tode. 
Das Immortal Bach Ensemble, hervorgegangen aus dem Gewandhaus-Kammerchor Leipzig, spielt Schuberts Messen derzeit für das Label Naxos ein - gemeinsam mit dem Leipziger Kammerorchester und unter Leitung von Morten Schuldt-Jensen, von 1999 bis 1006 Chor- direktor am Leipziger Gewandhaus, seitdem Professor für Chor- und Orchesterdirigieren an der Hochschule für Musik Freiburg/Br. 
An diesem Projekt wirken etliche Solisten mit, so die exzellente Sopranistin Trine Wilsberg Lund, die Altistin Bettina Ranch und der südkoreanische Tenor Min Woo Lim. Das Immortal Bach Ensemble ist hier in großer Besetzung zu erleben; in dem Chor, der mittlerweile in Bonn ansässig ist, singen Profis in wechselnden Formationen - in diesem Falle so kopfstark, dass man kaum noch von einem Kammer- chor sprechen mag. Schuberts Werken widmen sie sich mit einem Schwung, der darüber hinweghilft, dass sowohl die Werke wie auch einige der Solisten gelegentlich schwächeln. Wer Schuberts Neigung zu harmonischen Streifzügen liebt, der wird diese Aufnahme dennoch mögen. 

Telemann: Cantatas & Odes; Jacobs (Profil)

Wie sehr zeitgebunden so manche Einspielung ist, zeigt diese Auf- nahme mit René Jacobs und der Akademie für Alte Musik Berlin aus dem Jahre 1989. Der berühmte Countertenor - auf dieser CD wird er "Altus" genannt - hatte damals seine Hoch-Zeit als Sänger hörbar schon hinter sich, und startete gerade in seine zweite Karriere als Dirigent. 
Hört man diese Aufnahmen mit Kantaten und Arien Telemanns heute wieder, so staunt man, wie affektiert und unbefriedigend die Interpretationen erscheinen, wenn man sie mit jenen vergleicht, die Jacobs' Nachfolger eingespielt haben. Damals waren sie - wer kümmerte sich in den 80er Jahren schon um Telemann! - revolutionär, obzwar gesangstechnisch bereits nicht mehr überzeugend. Heute sind sie bereits Musikgeschichte. 

Pachelbel: Clavier Music Vol. 2 (MDG)

Johann Pachelbel (1653 bis 1706) gehört zu jenen Organisten, die die süddeutsche Orgeltradition ent- scheidend mit prägten. Er begann seine musikalische Laufbahn als stellvertretender Organist in Wien am Stephansdom, ging 1677 als herzoglicher Hoforganist nach Eisenach, und wechselte 1678 an die Predigerkirche nach Erfurt. Dort gab er Johann Christoph Bach Orgelunterricht - und dieser wird sein frisch erworbenes Wissen mit seinem jüngeren Bruder Johann Sebastian geteilt haben. 1690 trat Pachelbel in den Dienst der Herzo- gin Magdalena Sybilla in Stuttgart, zog aber schon zwei Jahre später angesichts einer drohenden französischen Invasion weiter als Stadt- organist nach Gotha. 1695 kehrte er als Nachfolger seines früheren Lehrers Caspar Wecker an die Sebalduskirche in seine Heimatstadt Nürnberg zurück. Dort wirkte er bis zu seinem Tode 1706.
Pachelbel war ein Wanderer zwischen den Welten - als Organist und Komponist arbeitete er, wie viele andere Musiker auch, sowohl gemäß der süddeutsch-katholischen als auch der norddeutsch-protestanti- schen Musiktradition. Knappe Toccaten für den katholischen Gottes- dienst oder umfangreiche Choralbearbeitungen als Begleitmusik zum evangelischen Abendmahl - was der jeweilige Dienstherr wünschte, das schuf der Künstler. 
Franz Raml spielt derzeit Pachelbels Werk für das audiophile Label Dabringhaus und Grimm ein. Kritisch muss man vorwegstellen: Die Silbermann-Orgel der Petrikirche Freiberg klingt zwar prächtig, er- scheint aber nicht gerade repräsentativ für die süddeutschen Orgeln jener Zeit. Eine überzeugende Begründung für die Auswahl dieses Instruments bleibt Raml auch im - ansonsten recht informativen - Beiheft schuldig.
Raml hat aus den verfügbaren Pachelbel-Editionen jeweils die ihn überzeugende ausgewählt; seine Entscheidung begründet er im Beiheft. Er registriert nachvollziehbar, und spielt grundsolide - auch am Cembalo hört man ihm gerne zu. Insofern darf man sich auf die Fortsetzung der Gesamtaufnahme freuen, die sich vermutlich noch einige Jahre hinziehen wird, und auch für die Zukunft die eine oder andere Entdeckung verspricht. 

Sonntag, 24. April 2011

Couperin: Lecons de Ténebrès pour le Mercredi Saint (Ligia)

Francois Couperin "Le Grand" (1668 bis 1733)  wirkte als Orga- nist, Cembalist und Hofkomponist für sakrale Musik am Hofe Ludwigs XIV. Er entstammte einer berühm- ten Musikerfamilie, und war ohne Zweifel die wichtigste musikalische Persönlichkeit in Frankreich zwi- schen Lully und Rameau. 
Bekannt ist er vor allem für seine Cembalowerke; er komponierte aber auch eine Vielzahl Motetten und Psalmvertonungen für kleine Besetzung, sowie Stücke für die Kammerkonzerte des Königs am Sonntagnachmittag in Versailles, in denen er den italienischen und den französischen Stil zu vereinen trachtete. 
Zur Liturgie der Osterwoche gehörte es, in den Nächten von Grün- donnerstag, Karfreitag und Ostersonnabend im Gedenken an das Leiden, die Grabesruhe und die Auferstehung des Herrn Nocturnes zu halten. Die dazugehörigen Psalmen und Lesungen wurden zuneh- mend musikalisch ausgestaltet. So schuf auch Couperin eine ergrei- fende Vertonung der Klagelieder Jeremias für das Triduum Sacrum; Lecons de Ténebrès hießen sie, weil nach jedem Abschnitt der Liturgie eine Kerze auf dem Altar ausgelöscht wurde, so dass der Kirchenraum zunehmend in Finsternis versank. 
Leider hat der Komponist nur die ersten drei Lecons veröffentlicht. Im Vorwort zum Druck berichtet er, dass er alle neun vertont habe - doch sechs davon müssen wir wohl verloren geben. So erklingen auf dieser CD die Lecons für Gründonnerstag, in Kombination mit der 2e Suite en La aus den Pièces pour viole. Diese Werke sind  wundervoll, und sie werden von Catherine Greuillet, Sopran, Isabelle Desrochers, Mezzosopran, Philippe Foulon, Gambe, und Olivier Vernet an der historischen Orgel der Kirche Saint-Rémy in Dieppe sehr klangschön interpretiert. Meine Empfehlung! 

Schütz: Matthäus-Passion (Dacapo)

"I wanted to record the narrative works of Schütz because I am in- terested in singing stories", erläu- tert Paul Hillier. Gleich sechs der Schützschen Hauptwerke erzählen Geschichten, so der Sänger, und zwar mit einem Erzähler und ver- schiedenen handelnden Personen. Innerhalb von vier Jahren hat Hillier sie alle mit dem Ensemble Ars Nova Copenhagen eingespielt - im vergangenen Jahr erschien eine CD mit Die Sieben Worte SWV 478 und der Johannes-Passion SWV 481; in diesem Jahr folgte eine weite- re mit der Matthäus-Passion SWV 479. 
Hillier entschied sich, für jede der drei Schütz-Passionen einen ande- ren Tenor als Evangelisten auftreten zu lassen, aber immer denselben Bassisten - Jacob Bloch Jespersen - als Christus. Wie nicht anders zu erwarten - immerhin hat Hillier jahrelange Erfahrung in diesem Me- tier, unter anderem als Gründer und Leiter des Hilliard Ensembles und des Theatre of Voices sowie als Direktor des Early Music Institute an der Indiana University - wird hier jede Phrase bis ins Letzte durch- dacht interpretiert, sitzt jeder Ton, und man versteht zudem jedes Wort. In der Qualität vergleichbar sind lediglich die legendären Auf- nahmen der Kruzianer. Bravi! 

Spohr: Die letzten Dinge (K&K)

Über die Uraufführung seines Oratoriums Die letzten Dinge am Karfreitag 1826 bei verdunkeltem Chorraum und unter einem mit 600 Gaslaternen beleuchteten Kreuz in Kassel schrieb Louis Spohr: "Die Wirkung war, ich muss es mir selbst sagen, außerordent- lich! Nie hatte ich früher bei Auf- führungen eines meiner größeren Werke diese Genugtuung gehabt!" Spohr, ein gefeierter Violinvirtuo- se, war 1822 als Hofkapellmeister nach Kassel gegangen. Dort brach- te er das Orchester und das städtische Musikleben auf Vordermann, unterrichtete zahlreiche Schüler und schuf mehr als 200 Werke. Zwar sind seine Opern heute vergessen, doch insbesondere seine Violin- konzerte und seine Violinschule gehören noch immer zu den Stan- dards. 
Zu Lebzeiten war Spohr ebenso berühmt wie Paganini. Doch setzte er nicht ausschließlich auf den virtuosen Effekt vor einem Orchester als Hintergrund, sondern vertrat offenbar ein romantisches Kunst- konzept, das sehr viel Wert auf  Gefühl und Harmonie legt. Selbst sein Oratorium Die letzten Dinge, welches das Publikum mit Apokalypse, Gericht und Auferstehung konfrontiert, ist voll schöner Melodien, klangvoller harmonischer Wendungen und herrlicher Chöre. So steht denn auch die Kantorei Maulbronn, dirigiert von ihrem Gründer und Leiter Jürgen Budday, im Zentrum dieser Aufnahme, die im Juni 2010 als Live-Mitschnitte eines Konzertes im Kloster Maulbronn entstanden ist. Der Chor singt wie immer hervorragend. Als Solisten wirken mit Miriam Meyer, Sopran, Ursula Eittinger, Mezzosopran, Marcus Ullmann, Tenor und Josef Wagner, Bass. Das Orchester, die Russische Kammerphilharmonie St. Petersburg, zeigt leider hier und da Schwächen. Das ist schade, denn ansonsten ist die Aufnahme sehr hörenswert. 

Samstag, 23. April 2011

Striggio: Mass in 40 Parts (Decca)

Alessandro Striggio d.Ä. (1536/37 bis 1592) war der natürliche Sohn und Erbe eines Aristokraten aus Mantua. 1559 ging er an den Hof von Herzog Cosimo I. de Medici in Florenz. Sein gehobener sozialer Rang ermöglichte ihm eine Doppel- karriere als Musiker und Diplomat. Beides war eng miteinander ver- knüpft. So reiste er 1567 im Winter quer durch Europa, um Maximilian II., dem neuen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, im Namen seines Herrn eines seiner Werke, die Missa Ecco si beato giorno, zu präsentierten. Striggio traf den Kaiser in Brünn und berichtete, dieser sei entzückt gewesen. 
Der Komponist reiste weiter nach München, wo die Messe für Herzog Albert V. erklang - sehr wahrscheinlich unter der Leitung von Orlan- do di Lasso - und ging dann anschließend nach Paris, wo er eine außerliturgische Aufführung vor dem jungen Charles IX. und seiner Mutter Catherine de Medici, einer Kusine Cosimos, leitete. Brieflich bat er dann seinen Dienstherrn, noch England aufsuchen zu dürfen, was ihm offenbar auch gestattet wurde. 
Auch dort scheint er sein Werk vorgestellt zu haben. Ein Zeitgenosse, der die Aufführung möglicherweise miterlebt hat, berichtet, diese Musik - "whence the Italians obteyned the name to be called Apices of the world" - habe eine himmlische Harmonie verbreitet. Und ein Herzog habe gefragt, ob es nicht auch in England jemanden gebe, der ein solches Werk zu schaffen in der Lage sei. Thomas Tallis solle sich doch daran versuchen - was der auch tat, indem er Spem in alium schrieb, eine ebenfalls 40stimmige Motette, die zwar einige der italienischen Kompositionstechniken adaptiert, aber zugleich den Kontrapunkt, den Striggio sorgsam meidet, geradezu meisterhaft einsetzt. Dadurch entstehen außerordentlich faszinierende Disso- nanzen - und Tallis gelang so ein Kunstwerk, das dem Vorbild des italienischen Kollegen mindestens ebenbürtig ist. 
Etliche Werke Striggios sind überliefert, darunter sieben Bücher mit Madrigalen sowie die Madrigalkomödie Il cicalamento delle donne al bucato. Sein gleichnamiger Sohn schrieb später übrigens das Libretto zu Monteverdis Orfeo. Robert Hollingworth hat nun mit dem Ensem- ble I Fagiolini für das Label Decca eine hochinteressante Auswahl der Werke Alessandro Striggios eingespielt. Sie beginnt mit der Motette Ecce beatam lucem, die im April 1591, wohl im Dom von Florenz, päpstlichen Gesandten zu Ehren im Rahmen eines aufwendigen Spek- takels erstmals aufgeführt wurde. Dabei scheinen - wie im Theater - maskierte und kostümierte Sänger und Instrumentalisten dank Wolkenmaschinen durch den Raum "geschwebt" zu sein. Und wie man hört, verstand man sich nicht nur in Venedig trefflich auf die Gestal- tung von mehrchörigen Gesängen. 
Aus dem erfolgreichen Werk wurde dann in zwei Schritten die Paro- diemesse Missa Ecco si beato giorno, ein ganz erstaunliches Musik- stück, teilweise sogar sechzigstimmig. Sie galt als verloren, doch dann wurden vor einiger Zeit die Stimmbücher in Paris entdeckt. So er- klingt sie hier auf dieser CD als Weltersteinspielung, gefolgt von einigen Madrigalen Striggios, die übrigens erneut zeigen, wie im
16. Jahrhundert Musik zur Repräsentation und als Mittel der Politik genutzt wurde. 
Als zusätzliche kleine Kostbarkeit enthält die CD ein kurzes Stück von Vincenzo Galilei, mit dem Striggio befreundet war. Und natürlich wird Tallis' Spem in alium vorgetragen, erstmals nach einer neuen Edition von Hugh Keites. Die Besetzung und die Verteilung der einzel- nen Stimmen hat Hollingworth klug überlegt; zu dem gigantischen Solistenensemble - Chor kann man diese Formation nicht wirklich nennen - kommen ganze Scharen an Instrumentalisten, die durchweg historisch korrekt streichen, blasen und zupfen. Das Ergebnis klingt grandios. Diese CD ist ein Ereignis - und wohl dem, der technisch so ausgestattet ist, dass er die räumlichen Effekte, die durch die Mehr- chörigkeit zustande kommen, wahrnehmen und genießen kann. 


Freitag, 22. April 2011

Telemann: Johannes-Passion (Amati)

Die Biederitzer Kantorei, ansässig in einer idyllischen Gegend vor den Toren Magdeburgs, wurde 1989 von Kantor Michael Scholl gegründet. Der Kammerchor dieses Ensembles beschäftigt sich mit zeitgenössischen Klängen - und mit barocker Kirchenmusik. So entstand auch dieser Konzertmit- schnitt, aufgezeichnet 2008 im Kloster Unser Lieben Frauen in Magdeburg. 
Werke Telemanns singt der Kammerchor regelmäßig; so wird der Biederitzer Musiksommer, den Kantor Scholl seit 1990 organisiert und der zunehmend auch auswärtige Gäste ins Jerichower Land lockt, stets mit einer Telemann-Passion eröffnet. Die Auswahl ist erstaun- lich groß: 22 der 46 oratorischen Passionen, die Telemann in seinen Hamburger Jahren komponierte, sind überliefert. 
Georg Philipp Telemann (1681 bis 1767) wurde in Magdeburg gebo- ren und ging dort auch einige Jahre zur Schule. Zum Jura-Studium ging er nach Leipzig, doch schon bald komponierte er zusätzlich Kantaten für die Thomaskirche, gründete das Studentenorchester Collegium musicum, das später durch Bach weitergeführt wurde, und engagierte sich im städtischen Opernhaus. 1705 zog Telemann als Hofkapellmeister nach Sorau, Niederlausitz. Als die schwedische Armee nahte, wechselte er nach Eisenach, wo er immerhin sechs Jahre wirkte - bis er 1712 eine Stelle in Frankfurt/Main annahm. Die Thüringer Höfe aber warben heftig weiter um den Musiker, was dieser nutzte, um eine Gehaltserhöhung durchzusetzen. 
1721 erhielt er das Angebot, als Cantor Johannei und Director musi- ces nach Hamburg zu gehen. Das akzeptierte er, musste dann aber feststellen, dass die Bedingungen für seine Tätigkeit in der Hansestadt wenig befriedigend waren. So bewarb er sich schon ein Jahr später um die vakante Stelle als Thomaskantor in Leipzig, war damit erfolg- reich - und schickte dem Rat die Kündigung. Die Hamburger aber wollten Telemann halten; also erhöhten sie sein Gehalt, und er sagte den Leipzigern ab. 
Telemann blieb bis an sein Lebensende in der Hansestadt. Sein Werk- verzeichnis umfasst 3600 (!) Werke aller damals gebräuchlichen Genres; etwa die Hälfte davon sind Kirchenkantaten. Für die Passionen war in Hamburg vorgeschrieben, dass sie im Wechsel den Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes zu folgen hatten. Die hier in Ersteinspielung vorliegende Johannespassion schrieb Telemann 1749; sie wirkt eher sanft und erbaulich und hat selbst dort, wo die Chöre das Geschrei des Volkes wiedergeben, eher wenig dramatische Passagen.
Mit dem sehr solide studierten Kammerchor der Biederitzer Kantorei musizieren unter Leitung von Michael Scholl das Telemann-Consort Magdeburg sowie Britta Schwarz, Michael Zabanoff, Sören von Billerbeck, Thomas Fröb und Tobias Wollner. Die Aufnahme ist nicht perfekt, aber akzeptabel - und für die beharrliche Auseinandersetzung mit Telemanns oft verkanntem Werk muss man den Magdeburgern wirklich dankbar sein. 

Schumann: Sämtliche Orgelwerke (Berlin Classics)

Die große Orgel der Stadtkirche Winterthur stand ursprünglich im Kloster Salem nördlich des Boden- sees. Das dreimanualige Instru- ment mit 42 Registern, 1768 von dem seiner Herkunft nach ober- schwäbischen, aber in französi- scher Tradition ausgebildeten Orgelbauer Karl Joseph Riepp (1710-1775) erbaut, wurde 1809 von Salem nach Winterthur um- gesetzt.
In der darauffolgenden Zeit wurde das Instrument immer wieder umgebaut - so auch 1888 durch die Orgelbaufirma E. F. Walcker aus Ludwigsburg, die das vorhandene Pfeifenmaterial umarbeitete und neue Register hinzufügte. Umgestellt wurde zudem auf die damals neu entwickelte Kegellade. So entstand hinter dem alten Prospekt aus Salem faktisch ein neues Instrument mit 52 Registern; erstaunlicher- weise wird es in der Chronik des Unternehmens, das bis zum heutigen Tage existiert, mit keinem Wort erwähnt. 
Die Walcker-Söhne, die die Firma damals führten, waren bekannt als brillante Intonateure. Es ist schade, dass auch in den Jahren danach die Umbauten an der Orgel weitergingen - so hat man in den 30er Jahren unter dem Einfluss der Orgelbewegung versucht, dieses herrliche romantische Instrument durch neue Register zu ergänzen und auf Barockorgel zu trimmen. Das Ergebnis mag man sich gar nicht vorstellen. 
In den 80er Jahren entschied sich die Gemeinde dann zur fast voll- ständigen Rekonstruktion des Walcker-Umbaus von 1888. Den Auf- trag erhielt die Firma Kuhn aus dem schweizerischen Männedorf. Das war eine kluge Entscheidung, wie auf dieser CD zu hören ist. Organist Mario Hospach-Martini beginnt mit den Sechs Studien in kanonischer Form op. 56 - und zunächst meint man, ein französisches Instrument zu hören. 
Doch diese Orgel klingt nicht so druckvoll und massiv wie die Orgeln von Aristide Cavaillé-Coll, der Eberhard Friedrich Walcker und seine Werke übrigens gut kannte. Insbesondere im Plenum werden die Unterschiede deutlich; und in den Vier Skizzen für Pedalflügel op. 58 sowie den Sechs Fugen über BACH op. 60 gibt Hospach-Martini die Zurückhaltung in der Registrierung, die er anfangs zeigt - was den Sechs Studien gut bekommt - dahin, und führt das Instrument in seiner ganzen Klangfülle vor. 

Mittwoch, 20. April 2011

Bach: Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ (Naxos)

"Es mag sein, dass nicht alle Mu- siker an Gott glauben; an Bach glauben jedoch alle." Mit diesem Zitat von Mauricio Kagel startet der Gitarrist  Volker Höh seinen bemerkenswert persönlichen Text im Beiheft zu dieser CD. Darin versucht er einerseits, zu erklären, warum noch immer so viele Musiker von Bach und seinem Werk fasziniert sind. 
Anderseits erläutert er, wieso es generell - wenn handwerklich angemessen bewältigt - akzeptabel ist, Bachs Musik für Instrumente zu arrangieren, für die sie ursprüng- lich nicht geschrieben worden ist. "Im Grunde erschuf Bach alles für ein ideales Instrument", meinte dazu einst Albert Schweitzer. Zu Bachs Zeiten war es ohnehin durchaus üblich, Werke zu bearbeiten, anzupassen, und in geändertem Kontext neu zu verwenden. So er- hielten ganze Kantaten einen neuen Text, aus Violinkonzerten wurden beispielsweise Werke für das Cembalo, und die Musiker passten die Musik sowieso ihren Fähigkeiten an. Man mag sich allerdings lieber nicht vorstellen, wie ein Orchester geklungen haben könnte, in dem die Kammerdiener sozusagen nebenberuflich ihrem Herrn aufgespielt haben. 
Diese CD aber kann man sich frei von solchen Befürchtungen anhören. Denn Volker Höh erweist sich als ein exzellenter Gitarrist, der seinen Bach freilich nicht barock, sondern eher romantisch begreift. Zur Gitarre passt das aber gut, und das virtuose Spiel Höhs macht Zweifel am Konzept sehr bald vergessen. 

Dienstag, 19. April 2011

Keiser: Passion Music (cpo)

Reinhard Keiser (1674 bis 1739) ist uns heute, wenn überhaupt, als fleißiger Opernkomponist bekannt. Diese Tatsache führt umgehend mitten in eine jener Fehden, die von den Beteiligten üblicher- weise mit Inbrunst ausgetragen werden, über die aber nachfolgen- de Generationen nur noch den Kopf schütteln können. 
Denn in Hamburg, wo Keiser wirk- te, wurde um 1700 erbittert darum gestritten, wie die rechte Kirchenmusik zu klingen habe. Der Stein des Anstoßes: Die Oper am Hamburger Gänsemarkt, gegründet 1678 als erstes öffentliches Opernhaus in Deutschland. Einige pie- tistisch geprägte Hamburger Pfarrer bekämpften sie heftig; ande- re Pastoren, eher lutherisch orthodox orientiert, waren dafür. Und schon gab es handfesten Ärger.
Diese Auseinandersetzung führte dazu, dass in bestimmten Kirchen das Personal der Hamburger Oper nicht gern gesehen war - und in anderen Gemeinden die "Operisten" bald die Kirchenmusik maßgeb- lich mit prägten. Kunst geht bekanntlich nach Brot, und wenn die Oper geschlossen war - beispielsweise in der vorösterlichen Fasten- zeit - waren die Sänger und Musiker dankbar für geistliche Alter- nativen. 
Aus dem gesungenen biblischen Passionsbericht entwickelte sich damals das Oratorium, in dem der biblische Text zusehends an den Rand gedrängt wurde, und schließlich ganz zeitgenössischer Dichtung weichen musste, die in Form von Arien, Chorälen und Instrumental-Zwischenmusiken unters andächtig lauschende Volk gebracht wurde. Ein Prototyp für diese neuartige Form war das Oratorium Der blutige und sterbende Jesus nach einem Text von Christian Friedrich Hu- nold, in Musik gesetzt von Keiser. Der Komponist schuf zudem noch eine weitere, die sogenannte Brockes-Passion und möglicherweise eine Passion nach Markus, in diesem Falle ist die Autorschaft aber umstritten.
Im Zentrum der vorliegenden CD steht Wir gingen alle in der Irre, das Fragment einer Lukas-Passion, umrahmt von Ich liege und schlafe ganz mit Frieden, einer melodisch wunderschönen Motette um Psalm 4,9, und Seelige Erlösungs-Gedancken, eine Auswahl Aus dem Oratorio / Der / Zum Tode verurtheilte und gecreutzigte / Jesus, die Keiser 1715 selbst zusammengestellt hat, die aber aus Gründen der begrenzten Spieldauer der CD für diese Aufnahme nochmals gekürzt werden musste. 
Zu hören sind Eeva Tenkanen und Doerthe Maria Sandmann, Sopran, Olivia Vermeulen, Mezzosopran, Knut Schoch und Julian Podger, Tenor, Raimonds Spogis und Matthias Jahrmärker, Bass sowie die Capella Orlandi Bremen unter Thomas Ihlenfeldt. Sie können sich durchaus auch hören lassen; hier wird durchweg sehr solide und akzeptabel musiziert, wirklich sehr erfreulich. 

Montag, 18. April 2011

Bernhard: Geistliche Harmonien (Christophorus)

Als Christoph Bernhard (1627 bis 1692) im Jahre 1664 in der Hanse- stadt eintraf, um seine Tätigkeit als Director musices und Kantor an den Hamburgischen Hauptkirchen aufzunehmen, wurde er von den Honoratioren mit ungewöhlichen Ehren empfangen: "Die vornehm- sten der Stadt fuhren ihm, mit
6 Kutschen, biß Bergedorff, zwo Meilen entgegen"
, berichtet Jo- hann Mattheson 
1740 in seiner Grundlage einer Ehren-Pforte. Beeindruckt widmete Bernhard Hamburgs Stadtvätern 1665 sein Opus primum, die Geistlichen Harmonien, Zwanzig deutsche Con- certen von 2. 3. 4. und  5. Stimmen
Die Begeisterung, mit der dieser Kapellmeister in der Hansestadt empfangen wurde, ist nachvollziehbar. Denn Bernhard, Sohn eines Schiffers aus Danzig, war bereits in frühester Jugend in der nord- deutschen Tradition unterwiesen worden. 1649 ging er als Altist an den Dresdner Hof. Zwei Studienreisen führten ihn nach Italien, doch viel wichtiger als die kurze Zeit bei Carissimi erscheint die Tatsache, dass Bernhard Meisterschüler und Protege von Heinrich Schütz war. 1655 wurde Bernhard Vizekapellmeister, doch am Hofe von Kurfürst Johann Georg II. hatten die Italiener klar das Sagen. So ging der Musiker schließlich nach Hamburg, wo er die Kirchenmusik zu den großen Festtagen leitete, und gemeinsam mit seinem Freund und Kollegen Matthias Weckmann das Collegium musicum zu großem Ansehen führte. 
Nach Weckmanns Tod 1674 kehrte Bernhard dann nach Dresden zurück. Dort wirkte er erneut als Vizekapellmeister, und darüber hinaus als Erzieher und Musiklehrer der Prinzen Johann Georg und Friedrich August. 1681 wurde Bernhard endlich zum Hofkapell- meister ernannt. Und das blieb er, bis zu seinem Tode 1692.
Seinem Opus primum folgte allerdings kein Opus secundum; eine zweite derartige Sammlung hat Bernhard zeitlebens nicht wieder veröffentlicht. Einige Einzelwerke aber sind gedruckt und überliefert. So beauftragte beispielsweise Heinrich Schütz seinen Schüler, eine Motette für seine Beerdigung zu komponieren. Auch für Johann Rist schuf Bernhard eine Begräbnismotette. Viel wichtiger aber als all seine Kompositionen wurden für die Nachwelt seine musiktheore- tischen Schriften. Sie gelten bis heute als bedeutende musikhisto- rische Quelle, weil sie Auskunft über die Kompositionslehre von Heinrich Schütz geben - den schon seine Zeitgenossen als saeculi sui musicus excellentissimus priesen.
In seinen Geistlichen Harmonien vertont Bernhard - ähnlich wie Schütz in den Kleinen geistlichen Konzerten - zumeist biblische Texte. Er folgt dabei den Regeln, die ihm Schütz vermittelt hat, ergänzt aber auch um neue Ideen, die er in Italien kennengelernt hat. Anders als im Werk seines Lehrers ist hier nicht überall mehr das Wort der Herrscher über die Musik. Und im letzten Konzert, dem Dialogus vom vielerlei Samen, vollzieht er bereits den Übergang zur Kantate. Denn hier finden sich erstmals eingeschobene Arien, die den biblischen Dialog mit Reflexionen unterbrechen. 
1995 hat Christian Brembeck diese Werke mit den von ihm 1992 gegründeten Ensembles Parthenia Vocal & Baroque für Christophorus eingespielt. Sie sind nicht ganz so auf den Text konzentriert wie die von Schütz; dieser Eindruck mag freilich auch mit daran liegen, dass die beiden Sängerinnen ausschließlich schöne Töne produzieren - kann schon sein, dass diese Flut von Vokalen auch Konsonanten hat; zu hören sind sie meistens nicht. Bei den Herrn hingegen findet sich Mut zur Gestaltung. So gelingt manch hörenswertes Stück. Von der Intensität freilich, mit der beispielsweise die Kruzianer unter Mauersberger Schütz' Kleine geistliche Konzerte gesungen haben, ist diese Aufnahme weit entfernt. Schade. 

Dauprat: Grand Sextuor (MDG)

Louis François Dauprat (1781 bis 1868) war ein berühmter fran- zösischer Hornist, und er war Professor für Horn am damals schon renommierten Conserva- toire de Paris. Er muss schon in jungen Jahren ein exzellenter Instrumentalist gewesen sein; als Absolvent der 1795 von Joseph Kenn eingerichteten Hornklasse am Conservatoire gewann er 1798 den erstmals ausgesetzten Premier Prix - ein Inventionshorn aus der da- mals führenden Werkstatt von Lucien Joseph Raoux. Das Instrument wird heute im Museum der Musikhochschule gezeigt, wo es zu den Glanzpunkten der Ausstellung gehört.
Auf eine Laufbahn als Virtuose hatte Dauprat, der als seriös und be- scheiden beschrieben wird, wenig Lust. Dennoch wurde er Nachfolger seines Lehrers Kenn im Pariser Opernorchester sowie am Conserva- toire, sowie Erster Hornist in den Königlichen und Kaiserlichen Hofkapellen und ständiger Solist der Kammermusik von König Louis Philippe.
Dauprat - im Fach Komposition ein Schüler von Anton Reicha - schuf zahlreiche Werke für sein Instrument; aber wohl ausschließlich zu Ausbildungszwecken für seine Schüler. Das Große Sextett in C-Dur ragt aus der Masse der typischen Unterrichtsliteratur aber gleich mehrfach heraus - zum einen natürlich durch seinen Umfang, mit gut 40 Minuten Spieldauer dürfte es jede Unterrichtsstunde sprengen. Zum anderen aber sind die Anforderungen an die sechs Hornisten, die dieses abwechslungsreiche und schön klingende Stück spiele wollen, ganz enorm. Wenn man bedenkt, dass zu Dauprats Zeiten ausschließ- lich Naturhörner geblasen wurden, dann scheint der Professor sein Grand Sextuor wohl eher geschaffen zu haben, um im Kreise seiner Meisterschüler so recht nach Herzenslust der Kunst des Hornblasens auf höchstem Niveau zu frönen. 
Die Detmolder Hornisten, ein Ensemble der Hochschule für Musik Detmold, die dieses Werk 1982 unter der Leitung des damaligen Horn-Professors Michael Höltzel eingespielt haben, beherrschen das heikle Instrument so virtuos, dass all die schwierigen Passagen so locker klingen, als spielte man rein zum Vergnügen. Da ist kein schlechter Ansatz zu hören, und kein einziger unreiner Ton. Dauprat hätte diese Aufnahme ganz sicher gefallen - und wer den Klang des Horns liebt, der wird begeistert sein. 

Samstag, 16. April 2011

Mendelssohn: Elias (Ambitus)

"Noch niemals ist ein Stück von mir bei der ersten Aufführung so vortrefflich gegangen und von den Musikern und den Zuhörern so begeistert aufgenommen worden wie dieses Oratorium", berichtet Felix Mendelssohn Bartholdy nach der Uraufführung des Elias in einem Brief aus Birmingham sei- nem Bruder Paul. "Es war gleich bei der ersten Probe in London zu sehen, daß sie es gern mochten und gern sangen und spielten (...) Wärst Du nur dabei gewesen! Die ganze dritthalb Stunden, die es dauerte, war der große Saal mit seinen 2000 Menschen und das große Orchester alles so vollkommen auf einen Punkt (...) gespannt, daß von den Zuhörern nicht das leise- ste Geräusch zu hören war, und daß ich mit den ungeheuren Orche- ster- und Chor- und Orgelmassen vorwärts und rückwärts gehen konnte, wie ich nur wollte." 
Das Werk um den Propheten, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, die wankelmütigen Kinder Israels zu Gott zu führen, ist gewaltig in seiner Dramatik. Doch es hat auch lyrische Passagen, wie das Doppelquartett Denn er hat seinen Engeln befohlen, oder das Terzett der Engel. Gothart Stier, der das Oratorium 1996 mit dem Montever- di-Chor Hamburg und dem Philharmonischen Staatsorchester Halle/Saale in der Leipziger Thomaskirche aufgeführt hat - der Mit- schnitt erschien nun bei Ambitus -, lässt seinen Elias nicht einfach poltern und schnauben. Der Bariton Siegfried Lorenz zeichnet viel- mehr ein sehr differenziertes Bild dieser Figur, die den toten Knaben auferweckt, um die Witwe zum Glauben zu führen - und wenig später das Volk dazu aufruft, die Baalspriester abzuschlachten. 
Das Quartett der Solisten wird vervollständigt durch Stephanie Stiller, Sopran, Annette Markert, Alt und Martin Petzold, Tenor. Dazu ge- sellen sich jede Menge Sänger aus dem Monteverdi-Chor Hamburg, der generell sehr versiert und professionell agiert. So wird es mög- lich, selbst die großen Volksszenen wie die Anrufung Baals nicht schlicht laut, sondern hochdramatisch zu gestalten. Stier legt hörbar wert auf Zwischentöne, und ermöglicht so Entdeckungen. Das macht diese Aufnahme außerordentlich spannend.  

Clemens non Papa: Missa pro defunctis (Hyperion)

Die Werke von Jacobus Clemens non Papa gehören zum schönsten, was jemals komponiert worden ist. Es ist kein Wunder, dass diese Mu- sik zu Lebzeiten ihres Schöpfers sehr beliebt war. 
Über seinen Lebensweg ist wenig bekannt. Als gesichert gilt, dass er aus Flandern stammt. Es wird ver- mutet, dass er um 1510 zur Welt gekommen und irgendwann nach 1555 gestorben ist. 1544 jedenfalls ist sein Wirken als Sangmeister an St. Donatian in Brügge belegt, 1550 war er Sänger und Komponist an der Kathedrale in s'Hertogenbosch. Ab 1540 erschienen seine Werke im Druck - und es waren wohl ziem- lich viele. 
Wie er zu seinem Beinamen kam, auch darüber gibt es reichlich Spe- kulationen. Ein Briefwechsel, der kürzlich entdeckt wurde, könnte auf eine Lösung dieses Rätsels hindeuten. Denn Erzherzog Maximilian von Österreich wollte Jacques Clement, wie der Musikus eigentlich hieß, 1553 für seine Kapelle gewinnen. Ein Gewährsmann in Flandern riet ihm ab - der Kandidat sei "un grant ivrogne et tres mal vivant". Giulio de'Medici war von 1523 bis 1534 Papst Clemens VII.; demnach scheint Jakob bereits in seinen Jugendjahren gelegentlich über die Stränge geschlagen zu haben - was eine mögliche Erklärung für den ironischen Kommentar wäre, er sei keineswegs der Papst - nono Papa
Doch auch wenn sich der Musiker nicht so verhielt, wie man es von einem kirchlichen Angestellten vielleicht erwarten würde, so ist seine Musik doch wundervoll. In der Nachfolge eines Josquin des Prez  und vor Palestrina und di Lasso, mag man kaum glauben, dass es sich hier um einen Zeitgenossen von Adrian Willaert handelt. Diese Motetten sind innovativ, modern, klangschön und ausdrucksstark - einfach herrlich. Besser als das Brabant Ensemble unter Stephen Rice kann man sie zudem kaum singen. Wer Renaissancemusik liebt, der sollte sich diese CD unbedingt zulegen. 

Bach: Johannes-Passion; Schreier (Newton)

Als Peter Schreier 1988 mit der Staatskapelle Dresden und dem Leipziger Rundfunkchor diese seine erste Interpretation der Johannes- passion einspielte, erregte er damit enormes Aufsehen. Zwar entschied er sich für moderne Instrumente und große Besetzung. Dennoch ach- tete Schreier sehr genau auf den Notentext - und pfiff auf die Tradi- tionen, sowohl die romantischen als auch die historisierenden.
Das Ergebnis ist dramatisch, ein- drücklich, mitunter auch schroff und kantig. Schon im Eingangschor inszeniert Schreier nicht nur die Streicher als Symbol für das ewig fließende Wasser; gegen den Chor, der den Herrn als Herrscher besingt, setzt er die Dissonanzen der Holzbläser, die andeuten, dass es mitunter durchaus Schmerzen bereitet, diesem Gott zu dienen. 
Nicht einmal die Choräle spenden Trost - Schreier lässt Bachs Musik und die Passionsgeschichte unbarmherzig voranschreiten. Zugleich aber ist diese Einspielung eine ausgesprochen sängerische. Schreier selbst dirigiert, und singt die Partie des Evangelisten sowie die Tenor-Arien. Dieser Spagat in Gestus und Technik gelingt dem Sänger übrigens erstaunlich gut. Doch auch sonst ist das Ensemble mit Robert Holl als Christus, Roberta Alexander, Marjana Lipovsek und Olaf Bär, Arien, Andrea Ihle als Magd, Ekkehard Wagner als Knecht, Egbert Junghanns als Petrus und Andreas Scheibner als Pilatus sehr solide besetzt. Eine Aufnahme, die Musikgeschichte mit geschrieben hat - und es ist sehr schön, dass sie bei Newton Classics jetzt wieder verfügbar ist. 

Freitag, 15. April 2011

The Complete Haydn Masses (Naxos)

Haydn wurde schon am Hofe Ester- házy "Papa Haydn" genannt. Dieser Spitzname war zunächst eher eine Art Ehrentitel; auch die Wiener riefen Haydn so heraus, um ihn zu feiern. Doch dann wurde der Kom- ponist Gegenstand der Musikge- schichtsschreibung. Musikhistori- ker würdigten ihn als Vater des Streichquartettes, Vater der Sinfo- nie und als Vater der klassischen Sonate - und allmählich bekam der einstige Ehrentitel einen eher ne- gativen Beiklang. 
Denn im Laufe der Jahrhunderte änderten sich Rollenmuster: Ein Vater, das war einmal eine strenge Figur, die strikt auf der Einhaltung von Regeln beharrte. Als dann die Regeln niemanden mehr interes- sierten, wurde zwangsläufig auch der Vater zur Witzfigur - ein Kon- zept aus der Vergangenheit, verstaubt und überflüssig. 
Haydn hätte darüber vermutlich den Kopf geschüttelt, und sich wieder seiner Musik zugewandt - freundlich, aufmerksam und fleißig. Der Komponist war ein frommer Katholik; es ist überliefert, dass er gerne zum Rosenkranz griff, wenn seine Arbeit stockte. Seine erste Messe schrieb er bereits als Chorbube am Wiener Stephansdom. Seine Brötchengeber legten später mehr Wert auf weltliche Klänge, also lieferte er vorwiegend Instrumentalwerke und Opern. Als die Familie Esterházy in den 1790er Jahren alljährlich eine Messe bestellte, schuf er Werke, die beim Kirchenvolk allerdings einige Entrüstung hervor- riefen - sie waren den Leuten zu fröhlich, zu lebhaft und zu wenig erbaulich. 
Der berühmte New Yorker Trinity Choir hat nun gemeinsam mit dem Rebel Baroque Orchestra unter J. Owen Burdick und Jane Glover für Naxos erstmals die zwölf vollständig erhaltenen Messen plus Stabat Mater eingespielt. Die Aufnahmen sind in den Jahren 2001 bis 2008 entstanden; es ist nachzuvollziehen, dass sich ein Ensemble über einen derart langen Zeitraum entwickelt und verändert. Insofern ist auch die musikalische Qualität der einzelnen Aufnahmen unterschied- lich. Insgesamt ist aber festzustellen, dass die Interpretationen flott, spannungsreich und energisch klingen. So munter und staubfrei ist Haydn selten zu hören. 

Donnerstag, 14. April 2011

Bach: Cantatas BWV 249 - 6 (Accent)

Diese CD vollzieht zwei kirchen- musikalische Aufführungen nach, die die Leipziger Bürger im Jahre 1725 erleben konnten: Am Oster- sonntag erklang die Kantate Kommt, eilet und laufet BWV 249, und am Ostermontag folgte darauf Bleib bei uns, denn es will Abend werden BWV 6. 
Sigiswald Kuijken hat diese beiden zeitlich aufeinander folgenden Werke mit seinem Ensemble La Petite Bande im Rahmen seiner Bachkantaten-Edition daher auch gemeinsam eingespielt. 
Zwei (!) exzellente Beihefte stellen die Überlegungen vor, die dieser Gesamteinspielung vorausgegangen sind. Darin finden sich interes- sante Gedanken; beispielsweise begründet Kuijken, warum er bei den Bach-Kantaten auf den Einsatz des Violoncellos im Continuo grund- sätzlich verzichtet, und wieso die Solisten dieser Aufnahme auch die Chöre singen. 
Eines wird bald hörbar: Durch dieses Konzept ergeben sich auch beim Klang etliche spannende Veränderungen. Denn das "Violoncello da spalla", das Kuijken benutzt, ist eher eine Art übergroße Bratsche, und klingt längst nicht so sonor wie das heute übliche Instrument. 
Die Chöre werden durch den Verzicht auf die singenden Massen transparenter - und präziser, virtuoser. Es singen Yeree Suh, Sopran, Petra Noskaiová, Mezzosopran, Christoph Genz, Tenor und Jan Van der Crabben, Bariton. Insbesondere die koreanische Sopranistin Suh beeindruckt mit ihrem glasklaren Sopran; die Spezereien-Arien war wohl kaum jemals so schön zu hören wie in dieser Einspielung. Auch Tenor Christoph Genz überzeugt mit seinem strahlenden Ton. Die beiden tiefen Stimmen hätte man sich vom Timbre her vielleicht noch einen Tick dunkler vorstellen können; ein Mezzosopran ist eben doch kein Alto, und ein Bariton kein Bass. 

Mittwoch, 13. April 2011

Haydn: Die Jahreszeiten (Profil)

Nach dem Tode seines langjährigen Dienstherren Fürst Nikolaus 1790 kehrte Joseph Haydn (1732 bis 1809) nach Wien zurück. Er ge- dachte, fürderhin in Ruhe das Dasein eines Pensionärs zu führen - doch daraus wurde nichts. Denn der Londoner Geiger und Konzert- veranstalter Johann Peter Salo- mon überredete ihn, nach Groß- britannien zu kommen, und dort sechs neue Sinfonien uraufzufüh- ren. Und weil die erste Konzert- reise 1791/92 ein großer Erfolg wurde, ging Haydn 1794/95 gleich noch einmal nach London. 
In der britischen Hauptstadt musizierte der Österreicher aber nicht nur, er besuchte auch etliche Konzerte und traf Kollegen. So hörte er einige von Händels Oratorien, und war davon so angetan, dass er selbst daran ging, ähnliche Werke in deutscher Sprache zu schaffen. Ideen brachte er aus England mit - und so entstand zunächst Die Schöpfung (1798), die vom Publikum geradezu enthusiastisch auf- genommen wurde. 
Baron Gottfried van Swieten schuf anschließend einen weiteren Text, diesmal nach dem Versepos The Seasons von James Thomson. Haydn scheint die Arbeit daran nicht ganz leicht gefallen zu sein. Auch die Wiener reagierten mit einer gewissen Zurückhaltung auf das Werk, dem eine Handlung fehlt. Die Jahreszeiten (1801) sind eher Idyllen, Genrebilder; und die drei auftretenden Personen Simon, ein Pächter (Bass), Hanne, dessen Tochter (Sopran) und Lukas, ein junger Bauer (Tenor) sind nicht wirklich Helden. Der Verklärung des Landlebens, ganz im Sinne Rosseaus, scheint Haydn eine gewisse Ironie entge- gengesetzt zu haben. So schuf er einen köstlichen Chor zum Lobe des Fleißes - wer dieses Stücklein für bare Münze nimmt, der hat keine Ohren am Kopf. Und über die Musik, mit der er das Weinfest des Landvolkes schildert, schrieb Haydn einst: "Einen so komischen Kontrapunkt und eine so besoffene Fuge habe ich noch nie geschrie- ben." 
Ansonsten muss er sich mit dem Libretto ziemlich geplagt haben, es ist jedenfalls überliefert, dass er über den "französischen Abfall" murrte. Der bürgerlichen Chorbewegung freilich war das egal - und die Liedertafeln und Gesangsvereine hatten auch kein Problem mit diesem biedermeierlich-verklärten Lob des Landlebens. So kam es, dass ausgerechnet dieses Oratorium über einen langen Zeitraum sehr beliebt blieb. 
Diese Aufnahme aus dem Jahre 1994 dürfte dazu beitragen, dass dies auch so bleibt. Wolfgang Sawallisch führt Chor und Symphonie- orchester des Bayerischen Rundfunks ohne Mätzchen, schlicht und gerade. Die drei Solisten singen sehr hörenswert, allen voran die exzellente Sopranistin Ruth Ziesak. Gemeinsam mit dem Bassisten Alfred Muff sowie dem amerikanischen Tenor Robert Gambill ge- staltet sie die textlich mitunter ziemlich schlichten Partien - "Außen blank und innen rein / muss des Mädchens Busen sein, / wohl deckt ihn der Schleier." So etwas überzeugend zu interpretieren, das ist eine Leistung. 

Sonntag, 10. April 2011

Stellwagen-Orgel (1659) zu St. Marien Stralsund; Rost (MDG)

Wie köstlich! Eine Orgel-CD, die mit dem Signal des Calcantenglöck- chens beginnt, gefolgt vom Atem- geräusch der Balganlage - das ist geradezu nostalgisch. Und im Beiheft liest man dann, das den Orgelwind für dieses Orgelporträt tatsächlich "statt des Orgelmotors in authentischer Weise die durch Calcanten betätigten 12 Keilbälge" geliefert haben. Und auch sonst stellt man bald fest, dass hier durchweg sachkundige Hände am Werk waren. 
Martin Rost ist ohne Zweifel einer der profiliertesten Organisten und Orgelsachverständigen seiner Generation. Er setzt sich seit vielen Jahren für die Restaurierung historischer Orgeln ein, und hat bislang mehr als 80 derartige Projekte fachlich begleitet. Ihm verdanken wir zudem die Wiederentdeckung der verloren geglaubten Archivalien über den Bau der Stellwagen-Orgel der Marienkirche in Stralsund. Eine sorgfältige Bestandsaufnahme sowie vergleichende Unter- suchungen an weiteren Orgeln ermöglichte die Restaurierung dieses kostbaren Instrumentes in den Jahren 2003 bis 2008 - mit dem Ziel der Wiederherstellung des Orgelwerkes in dem Zustand, in dem der Orgelbauer es einst an die Kirchgemeinde übergeben hatte.
Der Lübecker Friedrich Stellwagen (1603 bis 1660) hat in der Stral- sunder Marienkirche sein größtes und wohl auch schönstes Instru- ment errichtet. Wenige Monate vor seinem Tod, im Oktober 1659, vollendet, war es mit 51 klingenden Registern, verteilt auf Hauptwerk, Oberpositiv, Rückpositiv und Pedal Höhepunkt und Abschluss seines Lebenswerkes. Durch Kriegsgeschehen, nicht immer sachgemäße Umbauten und mangelhafte Instandhaltung erlitt die Stellwagen-Orgel im Laufe der Jahrhunderte etliche Blessuren. 1943 wurde sie aus der Kirche entfernt, und in einem Gutshaus eingelagert. Während St. Marien den Krieg ohne Schäden überstand, lässt sich das von der Orgel nicht gerade sagen. Dennoch erreichte der damalige Organist Dr. Dietrich W. Prost in den 50er Jahren die Wiederherstellung des Instrumentes. 
Die Stellwagen-Orgel ist letztendlich die einzige große Barockorgel, die in einer der norddeutschen Backstein-Basiliken erhalten geblieben ist. In Werkaufbau und Klangkonzept gleicht sie ihren berühmten Schwestern in der Lübecker Marienkirche und der Hamburger Katharinenkirche, die heute beide nicht mehr existieren. Martin Rost hat für sein Orgelporträt neben Werken Dietrich Buxtehudes, der als Inbegriff norddeutscher Orgelkunst gilt, auch die seiner Vorgänger Peter Hasse, Franz Tunder, sowie seiner Schüler Nicolaus Bruhns, Johann Sebastian Bach und Christian Schiefferdecker ausgewählt. Daran demonstriert er einerseits die Klangvarianten und Möglich- keiten der Stellwagen-Orgel; andererseits aber auch die Entwicklung der Orgelmusik innerhalb von gut hundert Jahren. Eine rundum gelungene CD, die einen beeindruckenden Klangeindruck vermittelt. 

Durante: Vespro breve, Miserere (Tactus)

Über Kindheit und Jugend Fran- cesco Durantes (1684 bis 1755) wissen wir so gut wie nichts. Vermutet wird, dass ihn nach dem Tode seines Vaters 1699 sein Onkel Angelo Durante mit nach Neapel nahm. Er war primo maestro und Rektor des Conservatorio di Sant'Onofrio; sein Neffe Francesco jedenfalls erhielt dort bis 1705 Unterricht im Violinspiel, in Kon- trapunkt und Komposition. In diesem Jahr präsentierte er in Neapel sein erstes und einziges Werk für die Bühne; den Rest seines Lebens scheint er ausschließlich für Kirche und Kammer komponiert zu haben. Das war keinesfalls selbstverständlich, war doch die Oper damals das Maß aller Dinge, und die Italiener waren geradezu verrückt nach Opern. 
1728 wurde Durante Nachfolger des Cembalisten Gaetano Greco als primo maestro am Conservatorio dei Poveri di Gesú Cristo. 1742 folgte er Nicola Porpora in gleicher Funktion am Conservatorio di Santa Maria di Loreto. Er muss diese Schule hervorragend geführt haben, denn daraus sind zahlreiche Musiker hervorgegangen, deren Namen bis heute bekannt sind. 1745 wurde er zusätzlich primo maestro am Conservatorio di Sant'Onofrio; im Wettbewerb um den Posten des Hofkapellmeisters unterlag er im gleichen Jahr Giuseppe de Majo. 
Diese CD stellt eine Vespro breve a quattro con violini e basso conti- nuo vor, sowie ein fünfstimmiges Miserere, das Durante 1754 für die Kirche San Nicolò in Bari geschrieben hat. Es sind ausgesprochen expressive Werke, die der Komponist mit großer Sorgfalt und nach der damals neuesten Mode gestaltet hat. Das ist nicht gerade einfach zu singen - und das Ensemble vocale Il Dodicino ist dieser Herausfor- derung leider nicht durchweg gewachsen. Da sind viele unschöne Töne zu hören; knapp daneben ist aber doch vorbei. Es begleitet das Ensemble strumentale Sagittario unter Giovanni Acciai, die Orgel spielt Davide Pozzi. 

Hassler: Sacred and secular music (Etcetera)

Zu den musikalischen Erben von Orlando di Lasso gehört ohne Zweifel Hans Leo Hassler (1564 bis 1612). Wie seine beiden Brüder Kaspar und Jakob, erhielt er seine Grundausbildung von seinem Va- ter Isaak Hassler, einem Organi- sten und Musikverleger, der seit 1554 in Nürnberg lebte. In dem Verlag erschienen unter anderem Werke di Lassos und seines Schülers Leonhard Lechner. Man darf davon ausgehen, dass der junge Hassler sie gründlich studiert hat.
1584 ging Hassler nach Venedig; die Stadt galt damals als führende europäische Musikmetropole. Dort nahm er Unterricht bei Andrea Gabrieli, dem Organisten der Markuskirche, einem Schüler di Lassos. Er übte sich im mehrchörigen Musizieren und Komponieren, begei- sterte sich aber offenbar auch für das Madrigal und die eher tänzeri- sche italienische Canzonetta.
Wieder in Deutschland, wurde Hassler 1585 Kammerorganist des Grafen Octavian II. von Fugger in Augsburg. Nach dem Tode seines Dienstherrn kehrte der mittlerweile zum Kaiserlichen Hofdiener ernannte und in den Adelsstand erhobene Komponist nach Nürnberg zurück. Dort wirkte er als städtischer Musikdirektor. Außerdem erwies er sich auch als ein geschickter Mechanikus, dessen Musik- automaten sehr gefragt waren, und als findiger Kaufmann. Dennoch ging er 1608 als Kammerorganist an den Hof Christians II. nach Dresden. Hassler starb 1612 auf einer Reise in Frankfurt/Main an Tuberkulose.
Die vorliegende Doppel-CD gibt einen Überblick über sein geistliches und weltliches Schaffen. Sie enthält Kompositionen, die während der Augsburger Jahre für den katholischen Gottesdienst entstanden, ebenso wie evangelische Kirchenmusik aus seiner Nürnberger Zeit, Instrumentalwerke, insbesondere Intraden, sowie Madrigale, Canzonetten und Teutsche Gesäng nach italienischem Vorbild, die noch heute von Chören gern gesungen werden. Das belgische Ensem- ble Currende musiziert unter Erik van Nevel sehr solide, aber für meinen Geschmack könnte alles ein bisschen engagierter und tempe- ramentvoller vorgetragen werden. Auch die Textverständlichkeit lässt leider zu wünschen übrig. 

Samstag, 9. April 2011

Gilles: Lamentations (Ligia)

Wie klingt das Ergebnis, wenn ein Komponist italienische Vorbilder sorgfältig studiert - und dann doch ganz entschieden französischen Traditionen folgt? Diese CD mit den Lamentations sowie der Motette Diligam te Domine gibt auf diese Frage eine klangschöne Antwort.
Ihr Schöpfer Jean Gilles (1668 bis 1705) war ein Schüler von Guillau- me Poitevin (1646 bis 1706), und ab 1693 auch dessen Nachfolger als Leiter der Chorschule an der Kathedrale in Aix-en-Provence. Doch bereits im darauffolgenden Jahr ging er als Kapellmeister an die Kathedrale von Agde; später wirkte er in gleicher Funktion auch in Toulouse und Avignon. Sein bekanntestes Werk ist das Requiem; es erklang mehrfach bei den be- rühmten Concerts spirituels in Paris, sowie bei den Beisetzungs- feierlichkeiten von Louis XV., Stanislaus I. Leszczýnski - ehemaliger polnischer König und Vater der französischen Königin - und Jean-Philippe Rameau.
Gilles schuf jedoch auch eine Vielzahl von Motetten, Messen, ein Te Deum und zahlreiche weitere Sakralkompositionen. Die Lamentations - in denen die Zerstörung des Tempels in Jerusalem und das Exil beklagt wird; der Text wird dem Propheten Jeremias zugeschrieben - sind ein Bestandteil der katholischen Liturgie; sie erklingen in der Karwoche. Die Motette hingegen ist eine Vertonung von Psalm 17, die abwechselnd vom Chor und von den Solisten vorgetragen wird. Beide Werke sind so französisch wie die von Lully oder Charpentier - und von einer Eleganz, die bezaubert. 
Zu hören sind sie im beeindruckenden Live-Mitschnitt eines Konzer- tes in der Kathedrale Saint-Etienne in Toulouse aus dem Jahre 2009. Es singen Anne Magouet, Vincent Lièvre-Picard, Bruno Boterf und Alain Buet sowie der Choeur de chambre les éléments, und das Or- chestre Les Passions musiziert auf "historischen" Instrumenten. Die Leitung hat Jean-Marc Andrieu. 

Freitag, 8. April 2011

Eccard: Mein schönste Zier (MDG)

Die Werke von Johannes Eccard (1553 bis 1611) sind bis heute in der protestantischen Kirchen- musik präsent. Der Komponist stammt aus dem Städtchen Mühl- hausen in Thüringen, und war Sängerknabe in Weimar. Aus dieser evangelischen Residenzstadt wechselte er dann nach München, wo er drei Jahre lang als Kapell- knabe bzw. Altist wirkte. Die bayerische Hofkapelle, geleitet von Orlando die Lasso, war damals die wohl beste in Deutschland. Eccard lernte dort die üblichen Werke der katholischen Kirchenmusik ebenso kennen wie die weltliche Musik, die bei Hofe gebräuchlich war. Und er erhielt Kompositionsunterricht bei Orlando di Lasso, berichtet er in der Vorrede zu seiner ersten Publikation, die er nach dem Ende seiner Münchner Zeit veröffentlichte - Zwentzig Neue Christliche Gesäng, und zwar auf Texte des Mühlhäuser Superintendenten Ludwig Helm- bold.
Sein protestantisches Bekenntnis hinderte Eccard aber nicht daran, in die Dienste Jakob Fuggers zu treten. Eine Messe aus dieser Zeit ist überliefert, die zeigt, dass sich der Komponist auch in der katholi- schen Kirchenmusik sicher bewegte. Dort, wie auch in einer Samm- lung weltlicher Lieder aus dem Jahre 1578, die den Fugger-Brüdern gewidmet ist, wird das Vorbild seines Lehrers di Lasso deutlich er- kennbar.
1579 wechselte Eccard  in die Hofkapelle Markgraf Georg Friedrichs von Ansbach nach Königsberg, wo er als Vizekapellmeister tätig war, und eine evangelische Kantorei aufbaute. 1608 ging er dann als kur- fürstlicher Kapellmeister und Domkantor nach Berlin. Sein Schüler und Nachfolger Johannes Stobäus sorgte dafür, dass die Werke Eccards nicht in Vergessenheit gerieten. Zweihundert Jahre später nahm übrigens Johannes Brahms die Chorsätze dieses Meisters in die Programme seiner Chöre auf. Und noch heute werden die klang- schönen wie gut singbaren Motetten und Kantionalsätze von Kirchenchören gern gesungen.
Auf dieser CD hat sich der Norddeutsche Kammerchor unter Maria Jürgensen dieser Werke angenommen. Gesungen wird mustergültig, und auch die technische Qualität der Aufnahme entspricht dem Standard des audiophilen Labels Dabringhaus und Grimm - bravi! 

Mittwoch, 6. April 2011

Frédéric Chopin's last words (Genuin)

Nahezu dieselben Werke spielt die junge lettische Pianistin Elina Gotsouliak. Diese CD erschien bei Genuin in der Reihe Artist Consort, die durch die Ideen der Künstler geprägt ist, und nicht durch das Schielen auf den Markt. Sie hat ein bemerkenswert schönes Beiheft. 
Doch die Werkauffassung der Mu- sikerin, wie sie hier hörbar wird, vermag ich nicht zu teilen. Gotsou- liak spielt Chopin erstaunlich zu- packend und kraftvoll. Sie über- häuft die Stücke zudem mit Tempo- schwankungen, deren Funktion nicht erkennbar wird. Das Ergebnis klingt eher nach Liszt, gespielt im Stile der höheren Tochter, die zwar fingerfertig und durchaus gut trainiert ist, aber keinen Sinn für Phra- sierung hat und kein Gespür für musikalische Strukturen. Schade. 

Chopin: Late Masterpieces (Hyperion)

Im Leben eines jeden Menschen gibt es Anlässe, an denen man Bilanz zieht; nicht jeder macht das zum gleichen Zeitpunkt und mit derselben Konsequenz. Doch jeder von uns nimmt Anregungen von außen auf, prüft fremde Ideen, und verändert dabei schrittweise auch sich selbst. 
Spuren solcher Entwicklungs- prozesse finden sich auch im Werk großer Komponisten. So begann beispielsweise Frédéric Chopin nach 1841, sich intensiv mit dem Kontrapunkt zu beschäftigen. Das erfahren wir aus seinen Briefen. Er setzte vertraute stilistische Mittel reflektierter ein, und erprobte Genres, die er zuvor noch nicht verwendet hatte. 
Das Ergebnis sind Werke wie die Berceuse op. 57 (1843), die Klavier- sonate in h-Moll op. 58 (1844), die Barcarolle op. 60 (1846) oder die Polonaise-Fantaisie op. 61 (1845). Musikwissenschaftler sprechen vom Spätwerk - Chopin starb im Oktober 1849. Der englische Pianist Stephen Hough, Spezialist für Grenzüberschreitungen, hat sich offenbar intensiv mit Chopins letzten Kompositionen beschäftigt. Er spielt sie mit einer Eleganz, die begeistert. Die Aufnahme ist vom ersten bis zum letzten Ton exzellent, wie bei Hyperion nicht anders zu erwarten. 

Dienstag, 5. April 2011

Mendelssohn: Elias (Naxos)

Felix Mendelssohn Bartholdy, hochdramatisch: Das Wort Orato- rium ist für Elias zu schwach. Dieses Werk, ein regelrechtes Bibliodrama, schuf Mendelssohn nach einer Textkompilation aus dem Buch der Könige, geschrieben von seinem Freund Julius Schub- ring, Pastor in Dessau.
Der Komponist war von den Orga- nisatoren des Festivals gebeten worden, bei den Festspielen 1846 in Birmingham die künstlerische Leitung zu übernehmen - und dort ein neues Werk vorzustellen. Die Direktion lehnte er ab, den Komposi- tionsauftrag allerdings akzeptierte er - und so erklang der Elias erstmals am 26. August 1846 in Birmingham. Das Werk sorgte für Furore; 1847 folgten weitere Aufführungen in London, und nach Leipzig zurückgekehrt, begann Mendelssohn dann mit den Proben für die deutsche Uraufführung. Sie wurde schließlich von Niels Wilhelm Gade geleitet, denn Mendelssohn war am 4. November 1847 nach mehreren Schlaganfällen gestorben. 
Im englischen Sprachraum blieb der Elias immer beliebt; in Deutsch- land ist er es heute wieder - wohl jeder Chor freut sich darüber, dieses Werk singen zu dürfen. Die Anleihen bei Bach, für dessen Passionen sich Mendelssohn sehr eingesetzt hatte, sind unüberhörbar. Dennoch ist der Elias ganz Romantik - in seinen expressiven Chören ebenso wie in den mitreißenden Ensembles, den oftmals wuchtigen, machtvollen Partien der Solisten und der Klangsprache des Orchesters. 
In der vorliegenden Aufnahme mit dem MDR Rundfunkchor und dem MDR Sinfonieorchester unter Jun Märkl steht die Dramatik klar im Vordergrund. Der Chor erweist sich als überaus stimmstark; doch auch die fünf Solisten, auf die hier die ursprünglich sechs wesentli- chen Solopartien verteilt sind, singen sehr hörenswert - allen voran Ruth Ziesak mit ihrem kristallklaren Sopran, Claudia Mahnke mit einem wunderschönen, dunkel timbrierten Mezzo, Luise Müller als "Knaben"sopran, sowie der Bassist Ralf Lukas als fulminanter Elias, und Christoph Genz, Tenor. Immer wieder sind auch Chorsolisten zu hören; leider erfährt hier man keine Namen.