Sonntag, 28. August 2011

Telemann: Sonatas and Sonatinas for Recorder and Basso continuo (MDG)

Kein anderer Komponist des
18. Jahrhunderts hat mehr Werke für die Blockflöte geschaffen als Georg Philipp Telemann (1681 bis 1767). Er hat das Instrument, das damals allmählich aus der Mode kam, in vielen seiner Kompositio- nen verwendet - Konzerten, Sona- ten, Suiten sowie Vokalmusik. 

Bemerkenswert erscheint aller- dings, dass Telemann nach der Musique de table (1733), die eine bemerkenswerte Sonata a quattro für Blockflöte, zwei Traversflöten und Continuo enthält, offenbar keine Blockflötenmusik mehr veröf- fentlicht hat. Sie verschwand aus dem Olymp der Kammermusik, und kehrte erst gut 200 Jahre später wieder - als Schrecken der Schul- kinder, denen Generationen von Eltern die Sopranblockflöte als Einstiegsinstrument "verpasst" haben.
Einige der schönsten Werke Telemanns für (Alt-)Blockflöte hat Heiko ter Schegget auf dieser CD gemeinsam mit Mieneke van der Velden, Viola da gamba, Benny Aghassi, Fagott, und Zvi Meniker, Cembalo, eingespielt. Dabei betont er zwei unterschiedliche Aspekte der Musik des Komponisten. "Das Musikleben im Europa des 17. und 18. Jahr- hunderts wurde vom französischen und italienischen Stil beherrscht, wobei die beiden Stile Gegenpole waren und miteinander konkur- rierten", erläutert ter Schegget in dem - wie bei dem audiophilen La- bel Dabringhaus & Grimm nicht anders zu erwarten - sehr informati- ven Beiheft. "Der italienische Musikstil kann als direkt, brillant, extrovertiert und emotional bezeichnet werden. Die französische Musik ist dagegen im Allgemeinen introvertiert, zärtlich, empfind- sam und intellektuell." Telemanns Musik verbindet die Vorzüge beider Richtungen, und wird deshalb auch zuweilen als "vermischter" Stil bezeichnet. 
Der Blockflötist nutzt zwei sehr unterschiedliche Instrumente, um Kontraste zu setzen - zum einen den Nachbau einer viel kopierten Flöte des Nürnberger Stadtpfeiffers Jacob Denner (1681 bis 1735), die sehr gut spielbar ist, und voll, offen und klar klingt. Ihr Stimmton liegt bei 415 Hertz. Warm und dunkel klingt hingegen eine kunstvoll gearbeitete Altblockflöte von Johann Heytz (1872 bis 1737) aus der Sammlung von Frans Brüggen, die ter Schegget bei einem Teil der Einspielung nutzen durfte - eingesetzt wurde sie aber nur in den langsamen Sätzen, denn, so der Flötist, sie sei "nur schwer intona- tionsrein zu spielen". Wo Tempo gefragt war, hat ter Schegget daher seinen eigenen Nachbau dieses Instruments eingesetzt. Die Heytz-Flöte hat einen Stimmton von 403 Hertz, also fast einen Viertelton tiefer als die von Denner, was den Klangeffekt natürlich unterstützt. Wer Vergnügen an perfekt, wenn auch für meinen Geschmack ein bisschen glatt gespielter Blockflötenmusik hat, der wird diese CD lieben. 

Musik am Gothaer Hof (Es-Dur)

Gotha gehörte zu jenen thüringi- schen Residenzen, die sich im Laufe der Jahrhunderte weithin einen Ruf als Musenhof erworben haben. Die Herrscher dort wett- eiferten geradezu darum, bedeu- tende Komponisten, Musiker und Sänger, Schauspieler und Dichter in ihre Dienste zu nehmen. Die Thüringen Philharmonie Gotha, die ihre Wurzeln in der 1651 gegründe- ten Hofkapelle hat, stellt auf dieser CD einige Werke jener Komponi- sten vor, die seinerzeit das Musikleben am Gothaer Hof prägten. 
So wirkte in Gotha von 1750 bis 1778 Georg Anton Benda als Hof- kapellmeister. Herzog Friedrich III. von Sachsen-Gotha hatte ihn aus Potsdam abgeworben, wo er seit 1742 in der Hofkapelle des Preußen- königs musizierte. Er komponierte vor allem für die Bühne. Auf dieser CD erklingt jedoch sein Konzert für Viola und Orchester F-Dur, eines der ersten Bratschenkonzerte überhaupt; als Solistin zu hören ist Tat- jana Masurenko, ausgebildet in St. Petersburg, seit 2003 Professorin an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig. 
Sein Nachfolger Anton Schweitzer kam 1774 aus Weimar nach Gotha, und wirkte dort von 1778 bis zu seinem Tode 1787 als Hofkapell- meister. Seine Alceste nach einem Text Wielands, gern als die erste deutsche Oper angesehen, war 1773 in Weimar uraufgeführt worden. Auf dieser CD erklingt die Ouvertüre dazu. 
Von 1805 bis 1812 wirkte Louis Spohr als Violinvirtuose und Hof- kapellmeister in Gotha. Als Solisten in seiner Concertante C-Dur für Violine, Violoncello und Orchester musizieren Antje Weithaas und Michael Sanderling. Spohrs Nachfolger wurde Andreas Romberg - seinerzeit ein bekannter Geiger, Dirigent und Komponist, der vor allem für seine Vertonungen von Schillers Balladen gerühmt wurde. Er schuf 1816 in Gotha die Oper Die Großmut des Scipio; diese CD stellt die Ouvertüre vor. 
Ludwig Böhner, der "Thüringer Mozart", war der Sohn eines Kantors aus Töttelstädt bei Gotha. Er war als Pianist und Komponist zunächst ziemlich erfolgreich, soll davon jedoch aufgrund von charakterlichen Schwächen nicht wirklich profitiert haben. "In der vergangenen Nacht ist der einst in den weitesten Kreisen hochgefeierte Componist Ludwig Böhner nach wechselvollem Leben in hohem aber leider freudlosem Alter verstorben", vermeldete am 29. März 1860 un- missverständlich die Gothaische Zeitung. Die Thüringen Philharmo- nie Gotha spielt seinen Grand Galop concertant e brillant pour grand orchestre, nach der Gattin eines Gothaer Postmeisters auch Aurora-Galopp genannt. 
1844 übernahm Herzog Ernst II. die Regierung in Gotha. Er unterhielt enge Verbindungen zu Franz Liszt, Richard Wagner und Giacomo Meyerbeer, und komponierte auch selbst fünf große Opern. So erlebte Santa Chiara, 1854 in Gotha unter der Leitung von Liszt uraufgeführt, selbst in Paris sechzig Vorstellungen - was damals keineswegs selbst- verständlich war, und für die Qualität der Musik des "Opernherzogs" spricht. 
Friedrich Grützmacher, Erster Cellist am Leipziger Gewandhaus und Königlicher Kammervirtuose der Dresdner Hofkapelle, verwendete thematisches Material aus dieser Oper als Grundlage seiner Großen Concert-Fantasie op. 33 für Violoncello und Orchester, die er dem Herzog widmete. Die Solopartie in diesem hochvirtuosen Werk übernimmt hier der brillante Jens Peter Maintz. 
Auch Franz Liszt setzte in seinem Festmarsch aus dem Jahre 1859 auf Motive aus einer Oper des Herzogs. Und Johann Strauss hatte eine ganz eigene Beziehung zu dem thüringischen Musenreich: 1887 reiste er an, um Bürger des Herzogtums zu werden. Denn er wollte seine Adele heiraten - eine Scheidung aber war im katholischen Österreich nicht möglich. Dankbar widmete der Walzerkönig mehrere Werke dem Herzog, darunter - gewiss kein Zufall - die Polka Neues Leben op. 278. Und natürlich spielen die Musiker der Thüringen Philharmonie auch ein Werk von Ernst II. - den Fackeltanz, den dieser zur Vermäh- lung des Prinzregenten von Baden mit Prinzessin Louise von Preußen 1856 komponiert hat. 
Eine ambitionierte Werkauswahl, die vom Orchester unter Hermann Breuer leider nicht durchweg perfekt gespielt wird - aber die Solisten sind wirklich sehr gut; insofern lohnt sich die CD als ein Dokument der mitteldeutschen Musikgeschichte in doppelter Hinsicht. 

Liszt: Piano Sonata in B minor, Grandes Etudes de Paganini, Biret (IBA)

Was für eine Gestaltung, was für eine Ausstrahlung! Diese Pianistin kannte ich bisher noch nicht - doch ich muss sagen, dass mich ihre Liszt-Interpretation schwer beein- druckt hat. Idil Biret, Jahrgang 1941, stammt aus Ankara, und hat in Paris bei Nadia Boulanger und Alfred Cortot studiert. Wilhelm Kempff war bis zu seinem Tode ihr Mentor.
Die Einspielung der Grandes Etu- des de Paganini S141 aus dem Jahre 1987 offenbart ihre techni- sche Brillanz - und ihren Sinn für die Abgründe hinter musikalischen Strukturen. Diese virtuosen Werke sind in ihrer Interpretation an keiner Stelle "nur" Virtuosenmusik, brillantes, aber seelenloses Ge- klingel. Bei Biret ist Fingerfertigkeit nie Selbstzweck. Ihr Spiel verliert sich nie in Details; bei aller Präzision im Kleinen behält die Pianistin doch immer das Werk als Ganzes, den großen Zusammenhang im Blick. Und wenn man hört, mit welcher Kraft, ja, elementarer Wucht sie Liszts Klaviersonate in h-Moll S178 noch immer vorträgt - die Aufnahme ist im vergangenen Jahr entstanden -, dann bleibt einem nur, sehr respektvoll den Hut zu ziehen. Das ist großartig, wirklich große Klavierkunst. 

Samstag, 27. August 2011

Chopin: 57 Mazurków; Harasiewicz (Narodowy Instytut Fryderika Chopina)

Ein Klassiker, gespielt von einem Klassiker. Adam Harasiewicz gilt als einer der führenden Chopin-Spezialisten weltweit, und diese CD belegt, dass er diesen Ruf zu Recht hat. Der Pianist, der 1955 den Chopin-Wettbewerb gewonnen hat, ist im Westen erstaunlich wenig bekannt. Dabei gehören seine Chopin-Interpretationen zu den schönsten überhaupt, jedenfalls dann, wenn man nicht auf Virtuo- sengehabe aus ist, sondern auf Werktreue und Ausgewogenheit. 
Harasiewicz spielt Chopin geradezu schlicht und innig, nichts wirkt gesucht und gekünstelt. Das gilt auch und gerade für die Mazurkas, die hier weder stählern auf Rhythmus gezwungen noch mit einer Parfumwolke umnebelt und als Salonmusik zelebriert werden. Harasiewicz wählt stets den goldenen Mittelweg. Wer das langweilig findet, der sollte diese Aufnahme meiden. 

Kolbinger: Fagott-Kammermusik (Ambitus)

Karl Kolbinger, Jahrgang 1921, gehörte viele Jahre zu den führen- den Fagottisten weltweit, und hat als Professor an der Hochschule für Musik in München Generationen von Instrumentalisten ausgebildet. Seine besondere Liebe gilt der Kammermusik, insbesondere für Holzbläser.
Auf dieser CD hat Musikerkollege Karl Nagel zusammen mit seiner Frau Julia Nagel-Santarius und seinen Schülern Julius Reger, Se- bastian Hägele, Leonhard Hauske sowie Dong Hwon Lee einige Werke von Karl Kolbinger eingespielt - und zwar ausschließlich auf Fagotten. Den Namen des Ensembles, fagotti parlandi, darf man dabei durchaus als Programm sehen. Denn diese Blasinstrumente plappern, kichern, erzählen, schwadronieren, diskutieren und klagen drauflos, dass man sich verwundert die Augen reibt. 
Kolbingers Werke sind für dieses Ensemble wie geschaffen. Er selbst beschreibt das exemplarisch für den dritten Satz seiner Münchner Miniaturen: "Schon wieder Föhn! Der berühmte Föhn in München, von dem man Kopfweh bekommt. Einerseits ist's schön, das Wetter, die Melodie aber dann kommen diese stechenden Kopfschmerzen..." Tolle Musik, großartige gespielt - wer ein Faible für das Fagott hat, der wird diese CD lieben.

Freitag, 26. August 2011

Symphonic Sgt. Pepper (RPO)

Das Royal Philharmonic Orchestra kann auch U-Musik - und wie! Hier erklingt das komplette legendäre Sgt. Pepper's-Album der Beatles, vom RPO unter Nick Davies ge- meinsam mit den Metro Voices eingespielt - einem Chor, der schon in mehr als hundert Film-Sound- tracks zu hören ist, und bei zahllo- sen Aufnahmen von Popstars. 
Natürlich eignet sich Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band, das zu den ersten Konzeptalben der Pop- geschichte gehört und 1967 bereits am Tage seines Erscheinens genügend Verkäufe für eine Goldene Schallplatte errreichte, hervorragend für ein solches Cross-Over-Pro- jekt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass bereits am originalen Beatles-Album ein Orchester mitgewirkt hat. Der Sound also ist ohnehin durch die klassischen Orchesterinstrumente maßgeblich mit geprägt. Mike Townend machte sich das zunutze, und brachte die Beatles-Klassiker in schmissigen Arrangements auf den musikalischen Punkt. Und weil's soo schön swingt, gibt's gleich noch fünf weitere Beatles-Evergreens als Bonus. Freunden der eher leichten Muse dürfte diese CD gefallen.

Donnerstag, 25. August 2011

Schubert: Schubertiade - Nachtmusik (Etcetera)

"Schubert, Assmayer, Mozatti und ich verabredeten uns, jeden Don- nerstag abends ein neues, von uns komponiertes Männerquartett bei dem uns dann freundlich bewirte- ten Mozatti zu singen", berichtet Anselm Hüttenbrenner in einem Brief. "Einmal kam Schubert ohne Quartett, schrieb aber, da er so- gleich von uns einen kleinen Ver- weis erhielt, sogleich eines in un- serer Gegenwart; Schubert ach- tete dieser Gelegenheitsstücklein sehr wenig." 
Dennoch hat der Komponist enorme Mengen an Musik für den Haus- gebrauch des aufstrebenden Bürgertums geschaffen - etwa Werke für Klavier zu vier Händen, oder Tänze. So schrieb Franz Schubert (1797 bis 1828) trotz seiner kurzen Schaffenszeit etwa 500 Tänze für Klavier - überwiegend Ländler, Deutsche Tänze, Walzer. Unterhaltung im Dreivierteltakt, und dennoch keine Massenprodukte, sondern Perlen des Repertoires - jeder einzelne Tanz, und sei er auch noch so kurz, ein Zeugnis musikalischer Kreativität, in Rhythmik und Harmonik ausgesprochen originell.
Schuberts Klavierlieder haben seit Jahren ihren festen Platz auf den Konzertpodien. Seine gut 140 mehrstimmigen Lieder hingegen finden sich in der Regel nur im Programm von Laien(Männer-)chören. Das Orpheon Ensemble, zwölf junge Solisten aus ganz Europa, hervorge- gangen aus den Collegium Vocale Gent, hat sich der Tradition dieser Liedertafeln verschrieben. So widmen die Sänger ihre erste CD dem Schaffen Schuberts, denn ihn sehen sie als den Stammvater des Liedes für Männerchor. Unter der Leitung von Daniel Reuss singen sie liebe- voll - das Wort sei mir an dieser Stelle verziehen - in perfekter chori- scher Einheit, sorgfältig einstudiert und bis ins Detail abgestimmt, Schubert, den König des romantischen Liedes.
Und wie es auch zu den Schubertiaden sicherlich üblich war, erklin- gen zwischendurch Schuberts Tänze, vorgetragen von dem renom- mierten Fortepiano-Spezialisten Jan Vermeulen auf einem leider nicht näher bezeichneten Instrument, das den Originalklang der Schubert-Zeit in die Gegenwart bringt. 

Die Singphoniker - ...just songs! (Oehms Classics)

Was?! die werden im kommenden Jahr bereits 30??? Wer diese CD anhört, der wird allerdings keiner- lei Altersschwäche feststellen. Die Singphoniker klingen noch immer frisch und schwungvoll, und an keiner Stelle des ebenso umfang- reichen wie anspruchsvollen Pro- gramms wirkt ihr Gesang routiniert oder gar gelangweilt. 
Markus Geitner, Countertenor, Daniel Schreiber und Henning Jensen, Tenor, Michael Mantaj, Bassbariton, Christian Schmidt, Bass und Berno Scharpf am Piano zünden ein musikalisches Feuer- werk, das seinesgleichen sucht. Dabei wechseln sie zwischen Hits aus der jüngeren Vergangenheit und aus der Renaissance hin und her - und weil sie gerade so schön beim Falalala waren, gibt's dann mitten- drin noch zwei ganz besondere Schmankerln, die sie nicht weniger temperamentvoll zelebrieren. Immer wieder gern gehört: Rossinis Ouverture zur Oper Wilhelm Tell - hier als Vokalise -, La Bataille de Marignan oder Alla cazza, mit besten Grüßen an die King's Singers, denen die Singphoniker zwar vom Klang her ähneln. Doch beim Re- pertoire setzen sie dann doch sehr eigene Akzente. 
Leider hat diese CD eher das internationale Liedgut im Blick. Man würde sich freuen, die Singphoniker auch einmal mit jenen Werken zu hören, die von den deutschen Männergesangsvereinen üblicherweise traktiert werden - ein Erbe, dem der historisch-kritische Blick, eine gewisse Qualität des Vortrages sowie die Neigung der Sänger zur Ironie ebenfalls gut bekommen würden. Aber bis zum Jubiläum ist ja noch reichlich Zeit - warten wir ab, womit die Singphoniker ihr Publi- kum dann überraschen werden. 

Smetana: Má vlast (Supraphon)

Das Musikfestival Prager Frühling wird seit mehr als 60 Jahren immer am 12. Mai, dem Todestag Bedrich Smetanas, mit einer Auf- führung der sechs sinfonischen Dichtungen seines Zyklus Mein Vaterland eröffnet. Berühmte Dirigenten haben diese Konzerte geleitet, so zum Beispiel 1990 Ra- fael Kubelík, der nach 42 Jahren Emigration in seine Heimat zurück- kehrte.
Am 12. Mai 2010 dirigierte der 28jährige Jakub Hrusa dieses Konzert. Der Mitschnitt hält mehr als nur eine Überraschung bereit, und der junge Dirigent verrät in dem sehr informativen Beiheft auch, warum: "Für meine Auffassung war unter anderem die Prager Kammerphilharmonie wesentlich, die sich von den traditionellen Orchestern durch ihre Größe, vor allem aber durch ihren Zugriff auf die Musik unterscheidet. Wir versuchen uns der Partitur frisch zu nähern, so als ob die Zuhörer sie zum ersten Mal hören, mit einer Faszination, die allein die Geburt neuer Ideen begleiten kann!" 
Der kritische Blick sowohl auf die Partitur als auch auf die Auffüh- rungspraxis veranlasste Hrusa dazu, jedes einzelne Stück mit großer Sorgfalt neu zu gestalten. So werden viele Details hörbar, die in älteren Einspielungen oftmals unter einer dicken Schicht Pathos verschwinden. Diese Präzision bekommt Smetanas grandiosem Werk hervorragend. Eine 1A-Einspielung, und ein junger Dirigent mit spannenden Ideen und einer großen Zukunft. 

Slawische Seelen - Zoryana & Olena Kushpler (Capriccio)

Zoryana und Olena Kushpler stammen aus dem ukrainischen Lemberg. Im Alter von fünf Jahren begannen die Zwillingsschwestern bei ihrer Mutter mit dem Klavier- unterricht; doch während Olena bei diesem Instrument blieb, wechselte Zoryana erst zur Violine und studierte schließlich bei ihrem Vater, Professor Igor Kushpler, an der Musikhochschule in ihrer Heimatstadt Gesang. Ihre Studien vollendeten die Schwestern in Hamburg.
Die Mezzosopranistin ist heute eine vielbeschäftigte Sängerin; seit 2007 gehört sie dem Ensemble der Wiener Staatsoper an. Olena Kushpler gründete 2004 das Bonnard Trio; sie ist eine gefragte Piani- stin und Liedbegleiterin, und unterrichtet als Lehrbeauftragte an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg.
Auf dieser CD präsentieren die Zwillinge einen Ausschnitt aus dem überaus reichen Liedschaffen russischer Komponisten. Es erklingen Lieder von Peter Tschaikowski, Modest Mussorgski, Sergej Rachma- ninoff und Nikolai Rimski-Korsakow. Sie werden klangschön und mit viel Temperament vorgetragen; der Zuhörer wünscht sich aber trotzdem auch bei diesen russischsprachigen Werken eine gewisse Textverständlichkeit.

Mittwoch, 24. August 2011

Stamitz: Four Symphonies (cpo)

"Von die 2 Stamitz ist nur der jüngere hier – der ältere (...) ist in London – das sind 2 Elende No- tenschmierer – und spieller – Säuffer – und hurrer – das sind keine Leute für mich – der hier ist hat kaum ein gutes Kleid auf dem Leib", vermeldet Wolfgang Ama- deus Mozart am 9. Juli 1778 aus Paris nach Salzburg. Dieser Brief hat das Bild, das sich die Nachwelt von den Brüdern Stamitz gemacht hat, ganz erstaunlich geprägt.
Dabei verrät er mehr über das gar nicht mehr herzige Wolferl, das auch in Paris nicht recht zu landen wusste, als über Carl und Anton Stamitz – die nämlich waren in Frankreich zu diesem Zeitpunkt längst etabliert. Und Vater Leopold hatte seinem Sohne geraten, die Bekanntschaft der beiden erfolgrei- chen Musiker zu suchen.
Das hätte sich ohne Zweifel gelohnt, wie diese CD deutlich macht. Sie ist ein ganz entschiedenes Plädoyer für Carl Stamitz (1745 bis 1801), den älteren der beiden Söhne von Johann Stamitz, dem Begründer der Mannheimer Schule. Das Ensemble "l’arte del mondo" unter Werner Ehrhardt hat hier vier Sinfonien des Komponisten eingespielt, die sämtlich in den berühmten Pariser Concerts spirituel erklungen sind.
Sie sind kühn und dramatisch, und es erscheint daher erst recht be- dauerlich, dass nach Stamitz’ frühem Tod in Jena niemand den Wert seines Nachlasses erkannt und ihn für die Nachwelt bewahrt hat. So ist davon auszugehen, dass mit dem Ableben des Musikers, der sich nach vielen Virtuosenreisen als akademischer Musiklehrer an der dortigen Alma Mater niedergelassen hatte, der allergrößte Teil seines Werkes verlorengegangen ist. Umso mehr ist das Engagement von l'arte del mondo zu begrüßen - und dass die Musiker seine Sinfonien aus der Tradition der Historischen Aufführungspraxis heraus inter- pretieren, kommt dem Klangbild hörbar zugute. 

Montag, 22. August 2011

Soler: Selected Sonatas for Harp (MDG)

Padre Antonio Soler (1729 bis 1783) war der Sohn eines Militär- musikers. Ausgebildet wurde er ab 1736 als Chorknabe in der Escola- nia de Monserrat, einem Benedik- tinerkloster im Gebirge in der Nähe von Barcelona mit einer der älte- sten Musikschulen der Welt. Zu seinen Lehrern gehörte der Orga- nist José Elas. 
Es wird berichtet, das eines Tages ein Bischof Soler befragte, ob er einen Organisten für das legendäre Kloster El Escorial bei Madrid wisse - und dass der Musiker ohne zu zögern sich selbst vorgeschla- gen habe. So trat Padre Antonio 1952 den Hieronymiten bei, legte die Gelübde ab, und wirkte dann bis zu seinem Tode in diesem Kloster als Organist und Magisterio di Capilla.  
Man stelle sich allerdings das Klosterleben nicht gar zu weltabge- wandt vor - denn die Königsfamilie verbrachte alljährlich den Herbst im El Escorial, und die Hieronymiten wiederum verfügten auch über ein Kloster in Madrid. So unterrichtete Soler Prinz Gabriel, und kom- ponierte für seinen Schüler unter anderem mehr als 140 Clavierso- naten, sechs Quintette für Tasteninstrument und Streichquartett, und sechs Konzerte für zwei Orgeln. Er selbst nahm Unterricht bei José de Nebra, dem Hoforganisten, und lernte von Domenico Scarlatti, dem Cembalolehrer der Königin. Obwohl seine Kompositionen auch italienische Einflüsse verraten, sind sie doch deutlich durch die spa- nische Musiktradition geprägt. 
Godelieve Schrama spielt einige seiner Cembalo-Sonaten - auf der modernen Harfe. "Solers Sonaten bergen große Anforderungen in sich, wenn sie verständlich, artikuliert und mit jenen schlangen- förmigen Figuren in der Musik gespielt werden, wie z.B. die arabes- que-ähnlichen Notengruppen oder die ausgeschriebenen Bögen nach dem Beginn der Sonate Nr. 19", erläutert die Musikerin, die als Pro- fessorin an der Hochschule für Musik in Detmold lehrt. "Ich habe immer das Gefühl, in diesen Takten den Einfluss der maurischen Kultur Nordafrikas zu hören. Und diese Dinge funktionieren ganz gut auf der modernen Pedal-Harfe: Soler lässt sich auf der Harfe spielen, Bach nicht." 
Schrama hat hörbar Vergnügen an der mitunter kniffligen Aufgabe, Solers temperamentvolle Cembalowerke angemessen auf der Harfe zum Klingen zu bringen. Diese CD stellt daher gleich in zweifacher Hinsicht eine Rarität dar - und sei daher an dieser Stelle nicht nur den Freunden virtuoser Harfenmusik empfohlen. 

La Vihuela (Musicaphon)

Die Vihuela gehört zu den Rätseln der Musikgeschichte. Sie war offenbar schon im 13. Jahrhundert in Spanien gebräuchlich, wie Bilder belegen, und erlebte eine kurze Blütezeit im 16. Jahrhundert - um dann umso konsequenter von der Bühne zu verschwinden. Heute sind nicht einmal eine Handvoll Originalinstrumente erhalten. Joachim Gassman spielt auf dieser CD einen Nachbau aus der Werk- statt von Markus Dietrich, Erl- bach. 
Solo-Stücke für die Vihuela aber sind offenbar Raritäten. So sind auch auf dieser CD nur einige wenige davon zu finden. Die Canciones und Vilancicos, die sie typischerweise begleitet, werden hier von Imma Einsingbach gesungen, von Julia Fritz auf diversen Blockflöten oder von Franziska König auf der Violine vorgetragen. Auch der Raum spielt hier übrigens mit - die Stiftskirche zu Bassum, in der die Werke aufgezeichnet wurden, bringt einen überwältigenden akustischen Raumeindruck mit ein. 

Sonntag, 21. August 2011

Händel: Suites de Pieces pour le Clavecin (Ramée)

Georg Friedrich Händel (1685 bis 1759) war bereits zu Lebzeiten außerordentlich erfolgreich. Über ihn wird eine Geschichte berichtet, wie sie heute wohl nur noch ein Popstar bewirken würde: Zu einer öffentlichen Probe seiner Feuer- werksmusik im Jahre 1749 kamen 12.000 Leute - ein Ereignis, das den Verkehr in London für drei Stunden komplett zum Erliegen brachte. Und auch nach seinem Tode blieben seine Werke populär; die Verleger verdienten damit über Jahrzehnte gutes Geld. 
Die meisten seiner Instrumentalstücke ließ Händel von John Walsh veröffentlichen, einem Londoner Musikverleger. Der Komponist, der für sein virtuoses Spiel auf Tasteninstrumenten berühmt war, hatte es aber gar nicht eilig damit, seine Werke unters Volk zu bringen. Zu- nächst erhielten Freunde und Mäzene handschriftliche Kopien. Diese bekamen sicherlich auch die Verleger zu Gesicht - was einige von ihnen auf eine Idee brachte, von der sie sich einen dicken Profit ver- sprachen, den sie zudem nicht mit dem Autor teilen müssen: Es er- schien ein Raubdruck der noch unveröffentlichten Werke. 
Obwohl Händel zu diesem Zeitpunkt außerhalb von London unter- wegs war, um Sänger für die Oper zu engagieren, erfuhr er offenbar davon. Umgehend erbat er sich ein Druckprivileg vom König, das er auch am 14. Juni 1720 erhielt - und das ihm für 14 Jahre das Monopol auf die Publikation seiner eigenen Werke einräumte. Schon wenige Monate später legte er nun seinerseits eine Ausgabe vor: Suites de Pieces / pour le Clavecin / Composées / par / G. F. Händel (...) / in London printed for the Author, / And only to be had at Christopher Smith's (...) and by Richard Mear's Musical Instrumentmaker (...). Händel ging in die Offensive - in seiner Widmung erklärte der Kompo- nist: "Ich fühlte mich verpflichtet, die folgenden Stücke zu veröffentli- chen, da betrügerische und fehlerhafte Kopien ins Ausland gelangt sind. Ich habe einige neue hinzugefügt, um diesem Werk mehr Nutzen zu verleihen. Wenn dies wohlwollend aufgenommen wird, werde ich mit der Veröffentlichung meiner Werke fortfahren, da ich es für meine Pflicht halte, mit meinem bescheidenen Talent einer Nation zu dienen, von der ich eine solch großzügige Protektion er- fahren habe." Auch die nachfolgenden Ausgaben waren mit Sorgfalt gestochen, und von Händel ebenso sorgsam korrigiert. 
Diese Einspielung - wie von Ramée nicht anders gewohnt in exzellen- ter Qualität - verbindet Suiten aus dem ersten und dem zweiten Band dieser Edition mit drei ergänzenden kurzen Stücken. Der brasiliani- sche Cembalist Cristiano Holtz spielt Händels Werke meist knackig, energisch und sehr entschieden. Eine stringente Interpretation, die durchaus beindruckt. 

Sousa: Music for Wind Band 9 (Naxos)

Warum nur sorgt diese Musik der- art für gute Laune? Man kann sie nicht anhören, ohne an Schwung und Energie zuzulegen. John Philip Sousa (1854 bis 1932) gilt zu Recht als König der Marschmusik - und das, obwohl seine Werke eher wie Operette klingen als preußisch-zackig. 
Viele Werke des Komponisten sind bis heute präsent und, vor allem in den USA, sehr beliebt. Diese CD enthält beispielsweise seinen U.S. Field Artillery March aus dem Jahre 1917 - heute ist er der offizielle Marsch der US-Army. Wie in diesem Stück, sind auch in The Man behind the Gun von 1899 Ge- wehrschüsse zu hören. Dass Sousa jedoch durchaus auch romantisch aufspielen lassen konnte, zeigt Nymphalin aus dem Jahr 1880 - mit einem schnuckeligen Violinsolo, wie geschaffen für eine Geigerin, zumal sich damit ein "Girl-Boy-Duett" zwischen der Violine und dem Euphonium ergibt, einem tiefen Blasinstrument, das als "Violoncello der Blasmusik" gilt. Eine Rarität im Werk des Komponisten, die verrät, dass er offenbar mit der Geige ebenfalls bestens vertraut war. 
Bekannt ist auch der University of Illinois March von 1929, den Sousa für die Band dieser Uni komponiert hat, die von seinem Freund Austin Harding geleitet wurde. Die Hochschule erhielt übrigens auch wesentliche Teile seines Nachlasses.  Er wird dort als The Sousa Collection in Ehren gehalten, und bildet eine wichtige Quelle für die Forschung. 
Auf dieser CD werden die schmissigen Märsche nicht von einer ame- rikanischen Band geblasen, sondern vom Kongelige Norske Marines Musikkorps, der Königlich Norwegischen Marine-Band, einem von fünf professionellen Musikensembles der norwegischen Streitkräfte. Es wird hier geleitet von Keith Brion, einem ausgewiesenen Sousa-Experten - perfekt! Hörvergnügen pur, meine Empfehlung. 

Montag, 15. August 2011

Beethoven: Complete Works for Solo Piano - Volume 10; Brautigam (BIS)

Große Geister erkennt man daran, wie sie mit Kleinigkeiten umgehen. Ludwig van Beethoven beispiels- weise hat eine ganz enorme Schar sogenannter Bagatellen kompo- niert - kleine Stücke, die oftmals als eine Art klingendes Souvenir für Freunde und Bekannte bestimmt waren. Mitunter erscheinen sie aber auch wie musikalische Rätsel, die ein technisches Problem aufzeigten, und es anschließend lösten. Gerade solche Miniaturen sprühen oft von Geist und Witz. Doch auch etliche jener Sätze, die der Komponist ursprünglich als Bestandteile von Sonaten geschrieben und dann verworfen hat, werden dieser Werkgruppe zugerechnet. Sie alle finden sich auf dieser CD wieder, denn Ronald Brautigam hat hier im Rahmen seiner Gesamteinspielung von Beethovens Klavierwerk sämtliche Bagatellen zusammengefasst. 
Der niederländische Pianist spielt die zumeist kurzen Stücke mit der- selben Sorgfalt, die er auch Beethovens Klaviersonaten angedeihen lässt. Das bekommt den Miniaturen ausgezeichnet, denn es gibt ihnen das Gewicht zurück, das sie als Werke eines Titanen haben. Wer bei- spielsweise Für Elise einmal völlig unverkitscht hören möchte - auf dieser CD wird das Stück ernstgenommen, und so klingt es dann auch etwas anders als gewohnt. 
Dieser Effekt wird noch unterstützt durch die beiden Instrumente, die Brautigam einsetzt. Dabei handelt es sich um zwei Nachbauten histo- rischer Hammerflügel, die in der Werkstatt von Paul McNulty ent- standen sind. Das eine Fortepiano ist die Kopie eines Instrumentes von Anton Walter & Sohn, um 1805. Der k. k. Kammerorgelbauer und Instrumentenmacher gehörte zu den berühmten Klavierbauern zur Zeit der Wiener Klassik. Mozart schätzte seine Instrumente sehr, und auch Beethoven hat sie gespielt. Das andere entstand nach dem Fortepiano Graf opus 318, gebaut wahrscheinlich 1819, das sich auf einem Schloss in der Nähe von Pilsen befindet. Conrad Graf, k. k. Hofpiano und Claviermacher, hat nachweislich 1825 eines seiner Instrumente an Beethoven geliefert. 
Mit ihrem Klang, der von dem des modernen Konzertflügels so gänz- lich verschieden ist, erleichtern sie den Versuch, die Bagatellen neu zu hören - nicht als kleine Stückchen für die Klavierstunde der Toch- ter aus besserem Hause, sondern als kurze Blicke in die Werkstatt eines bedeutenden Komponisten. Das macht diese CD ungemein spannend.  

Promenade (Indésens)

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhun- derts wird oftmals als das Goldene Zeitalter der Flöte in der franzö- sischen Musik angesehen. Vincent Lukas, Querflöte, und Emmanuel Strosser, Klavier, zeigen mit der vorliegenden Auswahl von Werken bedeutender Komponisten dieser Zeit, dass diese Epoche ihren Titel nicht zu Unrecht trug. 
Sie begann mit der Einführung der Böhmflöte in Frankreich durch Louis Dorus - und damit, dass Dorus den jungen Claude Paul Taffanel unterrichtete. Schon während seines Studiums am Pariser Konservatorium wurde Taffanel Flötist an der Opéra-Comique, später an der Grand Opera. 1879 gründete der Musiker die Sociéte des Instruments à Vent; zahlreiche Kompositionen sind ihm gewidmet. 1893 wurde er der Nachfolger seines Lehrers Joseph-Henri Altès als Professor für Flöte am Conservatoire. 
Auf dieser CD ist zwar kein Werk von Taffanel zu hören, der als Vater der neuzeitlichen französischen Schule des Flötenspiels gilt. Aber es erklingt eine Fantaisie seines Schülers Philipp Gaubert, mit dem er gemeinsam das Unterrichtswerk Méthode complète de flute verfasst hat. 
Die CD beginnt mit der Fantaisie op. 79 von Gabriel Faure aus dem Jahr 1898, gewidmet Taffanel. Sie enthält zudem zwei revolutionäre Kompositionen von Claude Debussy, die heute zum Standardreper- toire eines jeden Flötisten gehören - Syrinx und Prélude à l'après-midi d'un faune, sowie die Suite op. 34 von Charles-Marie Widor, eine Sonate pour flute et piano von Francis Poulenc aus dem Jahre 1957, Le merle noir von Olivier Messiaen und Chant de Linos von André Jolivet - auch diese beiden Werke entstanden für den Flötenwettbe- werb des Conservatoire. Lucas, Soloflötist am Orchestre de Paris, und sein Klavierpartner Strosser zeigen, wie solche Kompositionen dem Instrument den Weg in die Moderne ebneten. Diese CD ist musikhisto- risch außerordentlich interessant; allerdings hat man etliche der bedeutenden Flötenstücke schon in anderen Aufnahmen gehört - mitunter auch besser gespielt. 

Zwischen Kerker und Krone (Coviello Classics)

Das Horn und die Violine waren die bevorzugten Instrument von Jan Václav Stich (1746 bis 1803). Der Titel dieser CD spielt auf seinen Lebensweg an: Leider hatte der Musiker, der ein berühmter Horn- virtuose werden sollte, das Pech, als Leibeigener auf die Welt zu kommen. Sein Herr, Graf Thun, erkannte das musikalische Talent des Sohnes seines Kutschers, und ließ Stich junior ausbilden. Dazu sandte er ihn nach Prag, Dobris und Dresden. Doch der Jüngling verspürte anschließend offenbar wenig Lust darauf, bis ans Ende seiner Tage in der Hofkapelle seines Herrn aufzuspielen, und ansonsten in Livree Dienst zu tun. 
1768 flüchtete Stich. Der Graf ließ ihn per Steckbrief suchen. Um den Häschern zu entrinnen, nannte sich der Musiker bald Giovanni Punto. Er musizierte für Persönlichkeiten wie den Kurfürsten von Mainz und den Fürstbischof von Würzburg; 1781 ging er nach Frankreich, wo er für den Grafen Artois spielte, den späteren König Karl X. Zusätzlich zu diesen festen Anstellungen ging der Hornist viel auf Reisen. Seine Tourneen führten ihn durch ganz Europa. Mozart kannte Punto, und seiner Freundschaft mit dem jungen Beethoven verdanken wir dessen einzige Bläsersonate. 
Die Compagnia di Punto - ein Kölner Ensemble, in dem Streicher und Bläser gemeinsam auf historischen Instrumenten musizieren - hat auf dieser CD Werke aus dem Umfeld Puntos eingespielt. "Das hat eher mit Puntos Schwächen zu tun", begründet Christian Binde, der Hor- nist des Ensembles, diese Auswahl: "Er war Hornist, Geiger, Konzert- meister und Kapellmeister, aber als Komponist war er nicht beson- ders geschätzt, was man bei aller Bewunderung auch nachvoll- ziehen kann. Aber er hat mit einem feinen Gespür arrangiert, und das Quintett  von Fiorillo auf dieser Aufnahme ist ein Arrangement von Punto. Johann Andreas Amon war Schüler Puntos und daher dürften die Werke seines Lehrers Vorbild für seine Quintette gewesen sein. Johann Michael Mettenleitner war der Nachfolger von Amon in Oettingen-Wallerstein und auf diese Weise stehen alle Werke auf unserer CD in Verbindung mit Giovanni Punto." 
Horn, Traversflöte, Violine, Viola und Violoncello - das ist klanglich eine spannende Besetzung. Doch Werke dafür dürften Raritäten sein. Es wird sehr spannend sein, welchem Repertoire sich die exzellent ausgebildeten jungen Musiker in Zukunft zuwenden wollen - und ob die Compagnia di Punto bestand hat. 

Sonntag, 14. August 2011

Alexandre Tharaud plays Scarlatti (Virgin Classics)

555 Sonaten soll Domenico Scar- latti (1685 bis 1757), der Sohn von Alessandro Scarlatti, für Cembalo komponiert haben - im Dienste der Infantin Maria Barbara von Portu- gal, die 1729 den späteren spani- schen König Ferdinand VI. heira- tete. Sie spielte dieses Instrument virtuos und komponierte selbst; auch ihr Gemahl soll der Musik leidenschaftlich zugetan gewesen sein.
In seinen Sonaten spiegelt er so- wohl die Klänge der iberischen Halbinsel - die von Zigeunern und orientalischen Einflüssen geprägte Volksmusik, Flamenco, Gitarren und Kastagnetten - als auch die Ele- ganz und die Melancholie des Hoflebens. Seine Werke sind eigenwillig, raffiniert, mitunter ungestüm. "Nach meinen CDs mit Bach, Couperin und Rameau schien es mir folgerichtig, auch ihren Zeitgenossen Domenico Scarlatti einzuspielen", erklärt Alexandre Tharaud in dem informativen Beiheft. "Von diesen vier Komponisten ist er meiner Meinung nach derjenige, dessen Musik dem Klavier am nächsten kommt. Sie war natürlich für Cembalo gedacht - die ersten Piano- fortes haben ihn offensichtlich nicht interessiert -, aber sie klingt auf einem modernen Klavier überzeugend." 
21 Sonaten hat der Pianist ausgewählt und auf einem Yamaha-Flügel eingespielt; 18 davon wurden letztendlich auf dieser CD veröffent- licht. Sie zeigen etliche Facetten von Scarlattis Werk. Tharaud spielt seinen Flügel knochentrocken, so dass im Klangbild zumeist die Nähe zum Cembalo erahnbar ist. Warum er nicht gleich dieses Instrument verwendet, erschließt sich insofern nicht. Davon abgesehen, ist die CD abwechslungsreich und anhörenswert.  

Irina Kulikova - Guitar Recital (Naxos)

Die junge Gitarristin Irina Kulikova hat bereits eine Vielzahl von Prei- sen gewonnen. Sie stammt aus dem russischen Tscheljabinsk und wuchs mit Musik auf, denn ihre Mutter ist Cellistin. Sie hat sich auch um die ersten Schritte in der Ausbildung ihrer Tochter geküm- mert. 
Kulikova hat dann bei Viktor Kos- low und Alexander Wolgusnow, an der Moskauer Gnessin-Akademie, bei Carlo Marchione in Maastricht, bei Marco Tamayo am Mozarteum in Salzburg und bei vielen anderen namhaften Lehrern gelernt. Die Musikerin konzertiert seit ihrem zwölften Lebensjahr. Mittlerweile dürfte sie in sämtlichen bedeutenden Konzertsälen im Osten wie im Westen gespielt haben; seit 2007 lebt die Gitarristin in Den Haag. 
In der Preisträger-Serie bei Naxos hat Kulikova nun schon zum zwei- ten Male eine CD veröffentlicht. Das Programm, das sie als Gewinnerin des Alhambra-Gitarrenwettbewerbs 2008 eingespielt hat, ist an- spruchsvoll und abwechslungsreich. Die Gitarristin beginnt mit einer eigenen Bearbeitung der von Gitarristen oft und gern gespielten Cello-Suite Nr. 1 BWV 1007 von Johann Sebastian Bach. Anschließend arbeitet sie sich schrittweise an die Moderne heran - mit der Fantaisie op. 30 von Fernando Sor, der Gitarrensonate in D-Dur op. 77 "Omaggio a Boccherini" von Mario Castelnuovo-Tedesco und der California Suite von José María Gallardo del Rey. Zum Abschluss, als besondere Referenz an die Veranstalter des Wettbewerbs, folgt Recuerdos de la Alhambra von Francisco Tárrega. 
Dieses Programm gibt Kulikova nicht nur die Gelegenheit, ihre über- legene Technik zu demonstrieren. Auch ihre Ausdrucksstärke und ihre Fähigkeit, in ihrem Spiel den musikalischen Charakter jedes einzelnen Stückes ganz entschieden herauszustellen, kommen so bestens zur Geltung. Eine beeindruckende Gitarren-CD, die ich nur empfehlen kann. 

Tchaikovsky: The Sleeping Beauty (RPO)

Dornröschen komponierte Fjodor Iljitsch Tschaikowski (1840 bis 1893) für das Mariinski-Theater  in St.Petersburg. Dort erlebte das Ballett nach dem Märchen La belle au bois domant von Charles Perrault 1809 seine Uraufführung. Die Geschicht um Prinzession Aurora, die böse Fee Carabosse, die gute Fliederfee und Prinz Desiré gehört bis heute zu den Klassikern; und insbesondere der dritte Akt, in dem die Hochzeit gefeiert wird, erfreut mit seinen vielen kleinen und großen Soli noch immer Tänzer und Publikum. Wer allerdings die romantischen russischen Aufnahmen gewohnt ist, der wird von der nüchtern-britischen Interpretation, die das Royal Philharmonic Orchestra unter Barry Wordsworth eingespielt hat, erst einmal geschockt sein. Später wird er allerdings feststellen, dass man auf dieser CD viele Details hören kann, die in einem allzu satten Sound versinken. 

Samstag, 13. August 2011

Boccherini: Symphonies (Chandos)

Luigi Boccherini (1743 bis 1805) schrieb ungefähr 30 Sinfonien; drei davon haben die London Mozart Players unter Matthias Bamert für diese CD eingespielt. Die Sinfonien Nr. 3 und Nr. 8 - der Komponist selbst nannte diese Werke concerti a grande orchestra, und veröffent- lichte unter op. 12 sechs Stück davon - entstanden 1771 für Don Luis, den Bruder des spanischen Königs Karl III., für den Boccherini von 1770 bis 1785 als compositor y virtuoso de cámara tätig war. 
1786, nach dem Tode seines Dienstherrn, ernannte ihn Friedrich Wilhelm von Preußen zum compositeur de notre chambre. Für ihn schrieb Boccherini die Sinfonie Nr. 12 in C-Dur, im Druck erschienen als Nr. 1 der vier sinfonie a grande orchestra op. 37 - ein Concerto a più stromenti obligati, mit einem traumhaft schönen Duett für Oboe und Cello im langsamen Satz. Letzteres war nicht nur das Instrument Boccherinis. Auch der preußische König spielte leidenschaftlich gern und wohl auch ziemlich gut Violoncello. Boccherinis Sinfonien sind außerordentlich originell; und diese Einspielung mit den London Mozart Players ist grundsolide und anhörenswert. 

Schumann: Works for Fortepiano; Vermeulen (Accent)

Robert Schumann, wie man ihn noch nie gehört hat: Jan Vermeu- len, ein ausgewiesener Hammer- klavier-Experte, versucht auf dieser CD, dem originalen Klang bekannter Klavierstücke wie Waldszenen op. 82, Kinderszenen op. 15, Papillons op. 2, Arabeske op. 18 und Blumenstück op. 19, Etudes Symphoniques op. 13 und Album für die Jugend op. 68 mög- lichst nahe zu kommen. 
Dazu spielt er einen Flügel aus der Werkstatt von Johann Nepomuk Tröndlin (1790-1862), einem Leipzi- ger Klavierbauer, der Instrumente in Wiener Tradition fertigte - auch Schumann wird sie wohl gekannt haben. "Der Klang des Instruments vereint ein warmes und singendes Mittelregister, sonore runde Basstöne und ein klares Diskantregister, das diesem Instrument einen längeren Nachklang verleiht als ihn die oft zierlicheren Wiener Instrumente aufweisen", so der Pianist.
Als die größte Überraschung aber erweist sich seine Tempowahl: Vermeulen hat sich bei dieser Aufnahme bemüht, Schumanns Metro- nomvorgaben strikt Folge zu leisten. Der Briefwechsel des Komponi- sten zeigt, dass ihm das korrekte Tempo eigentlich ziemlich wichtig war. Dennoch ist es erstaunlich, wie wenig sich die Pianisten heute darum scheren. Wie extrem doch viele Musiker von seinen Tempo- vorgaben abweichen, und welchen Effekt das hat, das kann man beim Anhören dieser CD deutlich erkennen.
So wird die Träumerei üblicherweise viel zu langsam gespielt, was ihr einen grüblerischen Charakter gibt, der so offenbar nie beabsichtigt war. Wer die Arabeske zu langsam angeht, der macht sie zu einem rührseligen Biedermeierstück. Dafür werden etliche Stücke aus den Papillons oftmals zu rasch gespielt, was sie von Charakterstücken zu virtuosen Etüden werden lässt. "Es hat mich Zeit und Mühe gekostet, Automatismen und bedenkliche Traditionen abzulegen", berichtet der Musiker in dem informativen Beiheft, "und doch bin ich über- zeugt, dass mich diese Anstrengungen Schumanns Intentionen näher gebracht haben. Der Hörer möge das selbst beurteilen, und wie auch mir wird es ihm manchmal schwerfallen, Schumanns zuweilen überraschende Tempi zu verstehen und zu akzeptieren." Mitunter hat man beim Anhören den Eindruck, dass Vermeulen einen lang verlore- nen Schlüssel wiedergefunden hat, der vergessene Klangräume öffnet. 
Diese CD ist ohne Zweifel der wichtigste Nachtrag zum Schu- mann-Jubiläumsjahr 2010.

Freitag, 12. August 2011

Graun: Montezuma (Capriccio)

"Liebste Schwester! Ich erlaube mir, Dir einen Mexikaner zu Füßen zu legen, der noch nicht ganz kul- tiviert ist. Ich habe ihm Franzö- sisch beigebracht; jetzt soll er Italienisch lernen", schrieb Fried- rich der Große an Wilhelmine. Der König höchstpersönlich hatte in französischer Prosa das Libretto verfasst, sein Hofdichter brachte es anschließend in italienische Verse. Und gemeinsam mit Carl Heinrich Graun, seinem Hofkapellmeister, setzte sich der König auch über so manche Konvention der italienischen Oper hinweg: "Die Mehrzahl der Arien soll kein Dacapo erhalten; nur die zwei Arien des Kaisers und der Eupaforice sind dazu bestimmt", kündigte er seiner Schwester an. Zudem eilt am Schluss des Werkes kein Gott herbei, um Montezuma, den König der Mexikaner, und sein Volk vor dem Spa- nier Cortes zu erretten. Die Oper endet mit dem Schreckenschor der Azteken, die versuchen, den Flammen und dem Gemetzel zu entrin- nen - wahrlich nicht das genretypische Happy End.
Musikalisch ist das alles perfekt umgesetzt; Graun hat sein Handwerk verstanden, und auch das Fünkchen Genie, das aus einer historisch interessanten Komposition eine noch heute anhörenswerte macht, war hier beteiligt: Montezuma ist eine grandiose Opera seria. Die vorliegende Aufnahme aus dem Jahre 1992, aufgezeichnet im Kölner Gürzenich, bringt Grauns Werk sehr gut zur Geltung. Amüsanterweise wird diese Oper hier durchweg von Frauenstimmen gesungen. Doch das Ensemble ist sehr ausgewogen besetzt, und die Deutsche Kammerakademie musiziert unter Johannes Goritzki ebenfalls sehr hörenswert. 
Friedrich II., der König von Preußen, zeigte in seinem Libretto exemplarisch, was geschieht, wenn ein allzu aufgeklärter Herrscher auf die Kraft der Vernunft statt auf schlagkräftige Truppen setzt. 1755 hatte diese Oper in Berlin Premiere; ein Jahr später marschierte der König, der doch eigentlich ein Aufklärer war, in Sachsen ein, um einem Angriff auf Preußen zuvorzukommen: Der Siebenjährige Krieg hatte begonnen. 

Donnerstag, 11. August 2011

The Art of Vivaldis Lute (Sono Luminus)

Das Washingtoner Originalklang-Ensemble The Bach Sinfonia, geleitet von Daniel Abraham, hat sich in mehreren Programmen mit der Musik Antonio Vivaldis (1678 bis 1741) auseinandergesetzt. Im Mittelpunkt dieser Einspielung steht die Laute, hörenswert ge- spielt von Ronn McFarlane. 
Den Rahmen bilden zwei Ripieno-Konzerte, die Sinfonie in d-Moll
RV 127 und die Sinfonia in g-Moll RV 157 - Konzerte ohne Solisten; das andere formale Extrem folgt sofort: Das Konzert für zwei Violinen und Laute in D-Dur RV 93 er- fordert nur Solisten, und kein Orchester. 

Zwei Trios für Violine und Laute, RV 85 und 82, geleiten die Motette In turbato mare irato RV 627, die aber leider unerträglich schlecht gesungen wird. Als vorletzes Stück erklingt schließlich ein "normales" Konzert für Viola d'Amore, Laute, Streicher und Basso continuo in
d-Moll
RV 540. 

Es ist durchaus spannend, Vivaldis Experimente mit der Form "Kon- zert" zu beobachten. Der Komponist sorgte mit seinem Schaffen, das zahlreiche Musiker aus ganz Europa zum Vorbild nahmen, für eine weite Verbreitung und starke Dominanz des Konzertes in seiner drei- sätzigen Form. Leider gehörte die Laute eher nicht zu seinen Lieb- lingsinstrumenten, so dass das Repertoire ziemlich beschränkt ist. 

Zumsteeg: Die Geisterinsel (Carus)

Johann Rudoph Zumsteeg (1760 bis 1802) war der Sohn eines Kammerdieners des Herzogs von Württemberg. Im Alter von zehn Jahren wurde er in die Pflanzschu- le Carl Eugens aufgenommen, der diese Eliteschule gegründet hatte, um Künstler, Beamte und Militärs heranzuziehen, die dem Hof ver- pflichtet waren. Zumsteeg sollte zunächst Bildhauer werden, dann aber wurde seine musikalische Begabung erkannt und gefördert. Als er im September 1781 die Karlsschule verließ, fand er sofort Anstellung als Cellist und Kompo- nist bei Hofe.
Anders als sein Schulfreund Schiller, wusste sich der junge Musiker in Württemberg zu arrangieren. Und als sein einstiger Lehrer Augustin Maria Benedict Poli 1793 seinen Abschied nahm, wurde Zumsteeg sein Nachfolger im Amt des Hofkapellmeisters - mit einem Gehalt von immerhin 2300 Gulden. 
Frieder Bernius hat nun mit seinem Kammerchor und der Hofkapelle Stuttgart ein Werk Zumsteegs wiederentdeckt, das zu den großen Erfolgen des Komponisten gehört: Das Singspiel Die Geisterinsel, 1798 in Stuttgart uraufgeführt und seinerzeit ungemein populär. So erbat die französische Kaiserin Josephine Beauharnais 1806 von Zumsteegs Witwe die Partitur, um das Stück übersetzen und in Paris aufführen zu lassen. 
Das Libretto von Friedrich Hildebrand Freiherr von Einsiedel und Friedrich Wilhelm Gotters basiert auf Shakespeares Sturm, bearbeite- te diese Vorlage allerdings sehr frei, um sie operntauglich zu machen. Und Zumsteeg hat nicht nur Mozarts Opern in Stuttgart aufgeführt, sondern von seinem Wiener Kollegen offenbar auch allerhand gelernt. Es ist gewiss kein Zufall, dass Die Geisterinsel mitunter stark an Mo- zarts Zauberflöte erinnert. 
Zauberopern - wenn möglich, mit aufwendiger Bühnentechnik - waren damals groß in Mode. Zumsteegs Singspiel ist aber nicht deshalb attraktiv. Interessant ist das Stück deshalb, weil es nicht in Sprech- texte, die die Handlung vorantreiben, und Arien, die der Reflexion dienen, zerfällt. Wenn es hier Dialoge gab, dann hat Bernius sie ge- strichen - und man vermisst sie nicht. Zumsteeg hat kühn durchkom- poniert, und schuf ausdrucksstarke Arien und Ensembles, die mit- unter noch die italienische Schule erkennen lassen, originelle Chöre sowie ausgedehnte Finalszenen. An ihnen wird freilich auch spürbar, dass Zumsteeg doch nicht Mozart war. 
Gut gelungen sind ihm jedoch die Charakterisierung seiner Figuren mit musikalischen Mitteln sowie die Instrumentierung, die vor allem den Holzbläsern dankbare solistische Aufgaben beschert. Die Musiker der Hofkapelle Stuttgart spielen engagiert, und der Chor sowie die meisten Solisten können sich ebenfalls hören lassen. So ergänzt diese Weltersteinspielung bei Carus nicht nur unser Bild von der Oper der Frühromantik. Sie rückt auch das Schaffen eines Komponisten wieder in unseren Blick, der nicht umsonst von seinen Zeitgenossen als "Mozart Württembergs" gefeiert wurde. 

Mittwoch, 10. August 2011

Wagner: Der Ring des Nibelungen (Opus Arte)

Diese Live-Mitschnitte aus dem Jahre 2008 dokumentieren eine der spannendsten Aufführungen des Ringes, die Bayreuth in den letzten Jahren erlebt hat. "Dieser Ring wird erstmals wieder den Namen eines Dirigenten tragen", meinte der Berliner Tagesspiegel schon 2006, als die Konturen dieser Inszenierung erkennbar wurden: "Wie man vom Kupfer-, Kirchner- oder Flimm-Ring spricht (...), so spricht man bis heute vom Furtwängler- und vom Keilberth-Ring. Auf dieses Treppchen ist Christian Thielemann gesprungen." Dieser Euphorie mag ich mich nicht ganz anschließen. 
Mit Wagner hat sich der Dirigent sein ganzes Berufsleben lang aus- einandergesetzt. Bereits in Nürnberg beeindruckte er mit einer Aufführung des Tristan; 2000 gab er in Bayreuth sein Debüt mit den Meistersingern. Seitdem dirigiert er regelmäßig bei den Festspielen; man darf abwarten, wie das klingen wird, wenn die Sänger nicht mehr durch Wolfgang Wagner eingekauft werden. Denn die Besetzung, die hier zu hören ist, vermag kaum zu überzeugen - abgesehen von Christa Mayer als Erda, Hans-Peter König als Fafner/Hagen und Kwangchul Youn als Fasolt/Hunding. Thielemann gibt sich offenbar alle Mühe, dieses ansonsten auf weiten Strecken grauenvolle Ensem- ble im Orchesterklang versinken zu lassen. Und das gelingt ihm auch. Das Orchester spielt grandios, daraus könnte man wirklich etwas machen. Wenn aber ein Dirigent diesen Formates in Pathos und Lautstärke flüchtet, dann hat das wohl seinen Grund. Denn aus ande- ren Einspielungen ist bekannt, dass Thielemann selbstverständlich auch strukturiert kann - und piano

Romantic Wind Serenades (MDG)

Auf dieser CD präsentiert Dieter Klöckner mit dem Consortium Classicum ein vergessenes Meister- werk: Die Serenade von Wilhelm Emilius Hartmann (1836 bis 1898). "Die Komposition ist mit Sicherheit eines der wertvollsten Bläser- werke des 19. Jahrhunderts, und sie darf sich getrost an die Seite von Lachners Oktett op. 156 oder Dvoráks a-Moll-Serenade stellen", erklärt Klöckner. "Eine vollkom- mene Beherrschung der Instru- mentation, überraschende harmo- nische Einfälle und herrliche melodische Gedanken verwundern den heutigen Hörer stets auf Neue und werfen zugleich die Frage auf, warum ein solch exzeptionelles Werk gänzlich in Vergessenheit ge- raten konnte." 
Die Aufnahme stellt dieses Stück neben die Serenade für Blasinstru- mente, Violoncello und Kontrabass in d-Moll op. 44 von Antonin Dvorák aus dem Jahre 1878, und einer Ouverture, die Felix Mendels- sohn Bartholdy 1824 im Urlaub für die Bad Doberaner Bademusik geschrieben hat - was ihr eine kuriose Besetzung eingebracht hat, in dem "Blaseorchester" spielten nämlich auch eine Trompete sowie ein Bass-Englischhorn. Dieses Instrument wird hier durch den Kontra- bass ersetzt. So kombiniert diese CD drei Raritäten aus der Zeit der Romantik, durchweg wunderschön, und vom Consortium Classicum traumhaft vorgestellt. Bravi! 

Dienstag, 9. August 2011

Mahler: Das Lied von der Erde (Deutsche Grammophon)

Am 14. Juni 1964 dirigierte Josef Krips ein Konzert der Wiener Symphoniker im Rahmen der Wiener Festwochen, das von der Kritik enthusiastisch gefeiert wurde: Gustav Mahlers (1860 bis 1911) Das Lied von der Erde, gesungen von Fritz Wunderlich und Dietrich Fischer-Dieskau. Schon die Besetzung war eine Sensation, weil die Solopartien in Mahlers Werk üblicherweise mit einer Frauen- und einer Männer- stimme assoziiert werden. 
"Seit der unvergesslichen Aufführung unter Bruno Walter habe ich diese Vokalsymphonie (...) nicht mehr in einer ähnlich ergreifenden, genau auf dem Stil des Werkes nachgebildeten Wiedergabe gehört wie diesmal unter Krips", begeisterte sich beispielsweise Karl Löbl, der Kritiker des Express, "der zu dieser empfindsamen, poetischen Musik eine echte, unverhüllte Beziehung hat und ihre Struktur mit unglaublicher Subtilität nachformt." 
Doch alle Versuche, einen Mitschnitt dieses Ereignisses in akzeptabler Qualität zu veröffentlichen, scheiterten, weil der Zustand der auf- findbaren Bänder dies schlicht nicht hergab. Nun aber ist ein Master- band aus dem Privatbesitz der Familie Krips verfügbar, bei dem es sich möglicherweise um eine direkte Kopie des ORF-Originalbandes handelt. Es wurde mit beträchtlichem Aufwand in den Emil Berliner Studios in Berlin  remastert. Damit wird das legendäre Konzert erstmals auch auf CD in erträglicher Klangqualität zugänglich - ein spannender Beitrag der Deutschen Grammophon zum Mahler-Jahr 2011. 
Obwohl der Orchesterklang gewöhnungsbedürftig ist, begeistern doch die beiden Sänger - hat man Wunderlich erlebt, mag man keinen Hel- dentenor in dieser Partie mehr hören. Und Dietrich Fischer-Dieskau überzeugt durch ein perfektes Legato und seine herrliche, gänzlich unmanirierte Interpretation. So eine Konstellation ergibt sich selten - und Fischer-Dieskau dankte noch Jahre später Krips für "die schönste Aufführung des Liedes von der Erde". Eine der schönsten ist das mit Sicherheit. 

The Heart Trembles with Pleasure (BGS)

"Er ist der Erste gewesen, welcher gezeiget, daß man mehr könnte auf der Laute machen, als man sonsten nicht geglaubet. Und kann ich (...) aufrichtig versichern, daß es einerley, ob man einen künstli- chen Organisten auf dem Clavi- cembel seine Fantasien und Fugen machen, oder Monsieur Weissen spielen hört", berichtet Ernst Gott- lieb Baron 1727 über seinen Leh- rer und Freund. "In denen Harpeg- gio hat er eine so ungemeine Vollstimmigkeit, in exprimirung derer Affecten ist er incomparable, hat eine stupende Fertigkeit, eine unerhörte Delicatesse und Can- table Anmuth, und ist ein großer Extemporaneus, da er im Augen- blick, wenn es ihm beliebig, die schönsten Themata, ja gar Violin-Concerte von ihren Noten weg spielt, und extraordinair so wohl auf der Lauten, als Tiorba den General-Baß accompagnirt." 
Silvius Leopold Weiss (1687 bis 1750), der letzte der großen Barock-Lautenisten, war von 1718 bis zu seinem Tode als kurfürstlicher Kammer-Lautenist am Hofe Augusts des Starken und seines Nachfol- gers angestellt. Dort erfreute er sich höchster Wertschätzung - die sich auch in seinem exorbitant hohen Gehalt ausdrückte. 
Weiss stammte aus Schlesien, und wurde durch seinen Vater Johann Jacob Weiss, der ebenfalls Laute und Theorbe spielte, ausgebildet. Seiner erste Stelle erhielt er 1706 unweit von Breslau am Hofe von Karl Philipp von Pfalz-Neuburg. Er spielte aber auch am Hofe des Bruders seines Dienstherrn, Kurfürst Johann Wilhelm, in Düsseldorf. Als Begleiter des polnischen Prinzen Alexander Sobiesky, der seine Mutter, Königin Maria Casimira, besuchte, reiste er - vermutlich 1710 - nach Italien. Die Eindrücke, die er dabei gewonnen hat, prägten sein Werk maßgeblich. 
Wie die italienische Musik Weiss' Lautenspiel beeinflusste, das ist das große Thema dieser CD. Nigel North hat dafür Werke ausgewählt, die in dem sogenannten Londoner Manuskript überliefert sind (das eigentlich Johann Christian Anthoni von Adlersfeld gehörte, einem Mitglied der Prager Musikakademie). Den Reigen eröffnet die Ouver- ture in B-Dur. Sie kombiniert bereits die typische französische Form mit italienischen Klängen. Die Partita in g-Moll und die Sonate in
F-Dur
datiert North auf 1717, die Fantasie in c-Moll auf 1719. Sie wurde durch eine Bearbeitung für Gitarre durch Julian Bream sehr bekannt. Dieses Werk dürfte zu den letzten gehören, die Weiss für die elfsaitige Laute geschrieben hat - später spielte er ein 13saitiges Instrument, das er gemeinsam mit den Lautenbauer Thomas Edlinger entwickelt hat. Es sollte innerhalb kurzer Zeit zum neuen Standard werden. 
Die Suite in c-Moll hingegen ist 1706 in Düsseldorf entstanden; hier ist Weiss sozusagen "pur", noch ohne die Italien-Erfahrung, zu hören. Zu Abschluss wählte North eine Ciaconna aus einer weiteren Sonate, die die CD ruhig und harmonisch ausklingen lässt. 

Montag, 8. August 2011

Telemann: Der Tod Jesu (Rondeau)

"Der Musik Telemanns im Allge- meinen und seiner Kirchenmusik im Besonderen wird bis heute nicht die Aufmerksamkeit zuteil, die sie eigentlich verdient", sagt der Leipziger Kirchenmusiker, Sänger und Dirigent Gotthold Schwarz. "Dabei sind bei Telemann wahre Schätze zu finden. Einer davon ist ,Der Tod Jesu', und mit dieser Einspielung wollen wir vom Bach Consort Leipzig unseren Bei- trag dazu leisten, dass dieses Werk Telemanns nicht  ganz in Verges- senheit gerät. Diese Musik muss einfach gespielt werden." 
Der Titel lässt den Musikfreund stutzen, denn ihn trägt auch ein Werk von Carl Heinrich Graun. Beide Komponisten nutzten tatsächlich das gleiche Libretto - eine Passionsdichtung des Berliner Dichters und Philosophen Karl Wilhelm Ramler, die dieser im Auftrag von Prinzes- sin Anna Amalia von Preußen geschaffen hat. Sie unterstreicht die emotionalen Aspekte der Passionsgeschichte, und lässt die Narratio, den Bericht über das Geschehen, wie wir ihn etwa aus Bachs Passio- nen kennen, zurücktreten. 
Die Prinzessin, die zuweilen selbst komponierte, wollte Ramlers Text möglicherweise ursprünglich selbst vertonen. Sie gab ihn jedoch an Graun weiter, und dieser sandte ihn wohl auch Telemann, mit dem er in regem Briefwechsel stand. So ergab sich die kuriose Situation, dass am 15. März 1755 in Hamburg Telemanns Tod Jesu uraufgeführt wurde - und am 26. März 1755 in Berlin Grauns gleichnamiges Werk. 
Doch während Grauns Passionsmusik in Berlin eine Tradition begrün- dete - das Werk wurde bis 1884 alljährlich durch die Singakademie in der Passionszeit aufgeführt -, verschwand Telemanns Werk schon nach wenigen Jahren sang- und klanglos aus dem Repertoire. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass Telemanns Vertonung ziemlich kon- sequent barocken Traditionen folgt. Seine Musik ist rhetorisch, Grauns empfindsam. Telemanns Musik verlangt Reflexion, Grauns Einfühlung. 
Das Bach Consort Leipzig hat Telemanns Werk in der Schlosskapelle zu Torgau eingespielt. Dabei handelt es sich um den ersten protestan- tischen Kirchenbau in Deutschland, 1544 durch Martin Luther per- sönlich geweiht. So führt Schwarz die Passion, die für einen Konzert- saal, das Hamburger Drillhaus, entstanden ist, in den Kirchenraum zurück. Musiziert wird mit minimaler Besetzung, und die vier Solisten - Siri Karoline Thornhill, Sopran, Susanne Krumbiegel, Alt, Albrecht Sack, Tenor und Gotthold Schwarz, Bass - singen sowohl die Solo- partien als auch die Chorstimmen, die in diesem Falle nicht durch Ripienisten verstärkt werden. 
Mit der ersten Liga der Alte-Musik-Ensembles können die Leipziger leider nicht ganz mithalten. Dennoch ist diese engagierte Aufnahme sehr hörenswert, nicht zuletzt, weil sie einige Besonderheiten zu bieten hat. So spielt Stephan Katte ein Original-Horn des berühmten Wiener Waldhornmachers Anton Kerner aus dem Jahre 1760, das als Leihgabe durch das Mährische Landesmuseum Brno zur Verfügung gestellt wurde. Um den Klang zu demonstrieren, den diese Instru- mente zu Telemanns Zeiten hatte, bläst er dieses Horn mit der damals üblichen Technik: Er korrigiert die Unreinheiten der Naturtonreihe nur durch den Ansatz, was einen erstaunlich hellen, offenen Ton bewirkt. 

Klughardt: Symphonie No 3 / Violin Concerto (cpo)

August Klughardt (1847 bis 1902), geboren in Köthen, besuchte in Dessau das Gymnasium, und er- hielt 1882 als Nachfolger seines Lehrers Eduard Thiele dort das Amt des Hofkapellmeisters. Detailliert findet sich Klughardts Biographie in einem früheren Blog-Beitrag; es sei nur daran erinnert, dass er 1873 in Weimar Wagner kennengelernt und 1876 die ersten Bayreuther Festspiele besucht hatte. Dieses Erlebnis beeindruckte Klughardt sehr. Schon sein Vor- gänger Thiele brachte Wagners Opern auf die Bühne; und im Orche- ster der ersten Bayreuther Festspiele saßen zwölf Musiker aus seiner Hofkapelle. So war es ein Dessauer Hornist, der als erster den Sieg- fried-Ruf blies. Klughardt setzte diese Tradition fort. 1893 fand in Dessau die erste vollständige Aufführung des Rings des Nibelungen statt - was der Residenzstadt endgültig den Ruf eintrug, das "Bayreuth des Nordens" zu sein. 
Klughardt war aber nicht nur ein renommierter Kapellmeister, son- dern auch ein bekannter Komponist, dessen Werke nicht nur in Dessau erklangen. Er schuf vier Opern, zwei Oratorien, fünf Sinfonien sowie eine Reihe kleinerer Orchesterwerke, Kammermusik und Lieder. Das Dessauer Orchester - seit 1992 führt es den Namen Anhaltische Philharmonie Dessau - hat nun bei cpo zwei seiner Werke eingespielt: Die dritte Sinfonie in D-Dur, op. 37, und das Violinkonzert op. 68. 
Klughardts dritte Sinfonie ist bereits 1879 in Neustrelitz entstanden, sie wurde aber in Dessau oft aufgeführt. Sie erklang zudem in Dresden, dirigiert von Schuch, in Berlin, Rostock, Magdeburg, Jena, Riga, Kassel, Amsterdam, Leipzig, Hamburg, Innsbruck, Sondershausen, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Wien, München und in vielen anderen Städten - und wurde von Kritik und Publikum offenbar in trauter Eintracht gefeiert. Sie ist ein heiteres, ziemlich beschwingtes Werk, das auch den Musikern Freude bereiten dürfte. Danach jedenfalls klingt diese Aufnahme, die die Dessauer unter Golo Berg eingespielt haben. Die Solistin in Klughardts Violinkonzert ist Mirjam Tschopp. Die Zürcherin konzertiert auf Violine und Viola gleichermaßen, engagiert sich sehr für zeitgenössische Musik und ist zudem bekannt als passionierte Kammermusikerin. 
Das Violinkonzert erscheint als ein Ringen freudiger Abschnitte mit einem an einen Trauermarsch erinnernden Schicksalsmotiv, das immer wieder erklingt, und mitunter ziemlich dominant wird. Selbst im Finale, das vor Lebenslust strotzt, bringt es sich noch einmal, wie ein fernes Echo, in Erinnerung. Solist und Orchester musizieren überwiegend miteinander; es gibt keine großartige Kadenz, und keine ausgedehnten Orchesterpassagen. Das Konzert ist Beethoven näher als Wagner, und es ist nicht recht nachvollziehbar, warum es derart in Vergessenheit geraten konnte. Tschopp jedenfalls lässt erahnen, warum Geiger wie der Franzose Joseph Debroux oder Karl Prill, zu Klughardts Zeiten Konzertmeister des Leipziger Gewandhausorche- sters, dieses Werk sehr schätzten und gern spielten. 

Sonntag, 7. August 2011

Beethoven; Piano Concertos 4 & 5; Sudbin (BIS)

Aufnahmen von Beethovens Kla- vierkonzerten gibt es wie Sand am Meer. Was also ist der Grund dafür, dass sich das schwedische Label BIS mit einem jungen Pianisten an eine Gesamteinspielung dieser Werke wagt? 
Diese CD enthält nun die Klavier- konzerte Nr. 4 in G-Dur, op.58 und Nr. 5 in Es-Dur, op. 73 ("Empe- ror"). Und wer die ersten Takte angehört hat, kann die Begeiste- rung bereits nachvollziehen, mit der BIS hier agiert. Denn dies ist keine der üblichen Aufnahmen, wo man einen Star erlebt, der sich vor der Kulisse eines mehr oder minder geschickt geführten Orchesters mehr oder minder eindrucksvoll produziert. 
Jewgeni Sudbin, ausgebildet am Konservatorium in seiner Heimat- stadt St.Petersburg, in Berlin und an der Royal Academy of Music in London, zeigt einmal mehr, dass Virtuosität zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für eine begeisternde musi- kalische Interpretation ist. Der Klavierpart wird hier als Bestandteil einer Partitur begriffen, und das Minnesota Orchestra unter Osmo Vänskä spielt völlig gleichberechtigt mit dem Solisten. Dabei werden Strukturen und Strukturbeziehungen hörbar, die man normalerweise nur beim Mitlesen der Partitur erkennt. Verwundert stellt man fest, wie poetisch Beethovens Musik klingen kann - bravo! auf die nächsten Aufnahmen dieses Pianisten jedenfalls darf man sehr gespannt sein.  

Marais: Pièces de Viole (Crystal Classics)

"Es ist unnötig, die Musik hier zu veröffentlichen, denn die Samm- lungen dieses exzellenten Kom- ponisten sind in jedermanns Hand, sobald sie erscheinen", meinte der Mercure galant 1711. Marin Marais (1656 bis 1728) war ein Schüler und Schützling von Jean-Baptiste Lully, dem Hofkapell- meister Ludwigs XIV. Er wirkte mehr als 40 Jahre am Hof des Sonnenkönigs, wo er als Hofgam- bist, Hofkomponist und Dirigent sehr erfolgreich war. 
Mehr als 700 Werke von Marais sind überliefert, unter anderem die fünf Bücher mit Pièces de viole, die zwischen 1686 und 1725 im Druck erschienen sind. Sie enthalten Stücke jeden Schwierigkeitsgrades. Juliane Laake hat auf dieser CD gemeinsam mit ihrem Ensemble Art D'Echo - Katharina Schlegel, Bassgambe, Ophira Zakai, Lauteninstru- mente und Sabine Erdmann, Cembalo - drei Suiten aus dem ersten, dritten und zweiten Buch ausgewählt. Dabei ersetzt sie gelegentlich die Bassgambe, für die Marais die Werke komponiert hat, durch die Diskantgambe. Sie sollte seinerzeit gegen die Geige antreten, die zwar laut war, aber ansonsten als ziemlich ordinär galt. Laake macht deut- lich, warum man dem Gambenton Noblesse und Delikatesse nach- sagte - und unfreiwillig zeigt die CD auch, warum die Geige letztend- lich in diesem Wettkampf obsiegte. Denn Gambenmusik in dieser Konzentration ist nicht besonders abwechslungsreich. Dazu trägt auch das Continuo bei, das wenig auf Klangunterschiede setzt. Wer nicht, wie einst der Sonnenkönig, zu den Kennern und Liebhabern gehört, der wird sich möglicherweise langweilen.