Sonntag, 5. Februar 2012

Verdi: Il Trovatore (Oehms Classics)

Dieser Troubador ist ein Live-Mitschnitt von den Ludwigsburger Schlossfestspielen aus dem Jahre 2009 - und eine Überraschung. Denn wer bei Verdi verschreckt an zu laute Orchester, knödelnde Te- nöre und die Spitzentöne mühsam emporstemmende Primadonnen denkt, der wird erfreut feststellen, dass die Schwaben offenbar Geschmack haben. Denn sie haben auf diese geradezu klassischen Zutaten der Stadttheater-Verdi-Inszenierung verzichtet.
Allein die Besetzungsliste macht neugierig auf diese Aufnahme. Und in der Tat wird der Opernfreund schnell feststellen, dass dieser Trovatore jenen legendären Einspielungen, die man gemeinhin als Referenzaufnahmen behält, durchaus zur Seite gestellt werden kann. Simone Kermes ist eine atemberaubende Leonora. Sie singt diese Partie mit engelsgleicher Leichtigkeit, da kann nicht einmal die Callas mithalten. Kermes macht allein durch ihren Gesang verständlich, warum diese Hofdame der Prinzessin von Aragón von Männern derart umworben wird - und das Kloster wählt, als sie annehmen muss, dass Manrico, den sie liebt, im Kampf umgekommen ist. Luna vorzuheucheln, dass sie ihm gehören wird, um Manrico die Flucht zu ermöglichen, das ist für diese ätherische Gestalt ein unerhörter Schritt. 
Herbert Lippert singt den Manrico mit Strahlkraft und mit einer beeindruckenden Pianokultur, Miljenko Turk seinen Widersacher, den Grafen Luna, geschmeidig und energisch - und so, dass man auch ihm glaubt, dass er verliebt ist. Das hat man so noch nicht gehört. Yvonne Naef als Zigeunerin Azucena und vermeintliche Mutter Manricos ist vielleicht die konventionellste Stimme dieser konzertan- ten Aufführung. Doch auch sie vermag es, die Geheimnisse dieser zutiefst traumatisierten Frau glaubhaft werden zu lassen. Den Ferran- do singt Josef Wagner. 
Vergleicht man diese Aufnahme mit der bisher meiner Ansicht nach unerreichten Einspielung mit Joan Sutherland und Marilyn Horne sowie Pavarotti, Wixell und Ghiaurov, und dem National Philhar- monic Orchestra unter Richard Bonynge, so fällt sofort auf, dass die ältere Aufnahme deutlich zäher wirkt - und lauter. 
Michael Hofstetter lässt Orchester und Chor der Ludwigsburger Schlossfestspiele zwar energisch, aber dabei schlank und durchhör- bar musizieren. Statt Klangbrei gibt's Klangfarben, sorgfältig heraus- gearbeitet, und Tempi, die verblüffen. Mitunter hat man den Ein- druck, dass die Zeit stillsteht - so am Beginn von Lunas Arie Il balen del suo sorriso - dafür geht es aber ansonsten oft irrwitzig schnell voran. 
Hofstetter setzt auf die Phrasierung statt auf einen Handlungsbogen, der in dieser Oper ohnehin nicht so recht funktioniert. Daraus erge- ben sich atemberaubend intensive Momente. So hört man während Azucenas großer Erzählung im Orchester jene Kämpfe wüten, die die Zigeunerin in ihrem Inneren austrägt - und die sie erneut verleugnet, als sie Manrico bestätigt, er sei ihr Sohn. 
Hofstetter zeigt Verdi in der Tradition Donizettis und Bellinis. Er verweist auf musikalische Strukturen, und fordert seinen Sängern ein Differenzierungsvermögen ab, mit dem sogenannte "dramatische" Stimmen wahrscheinlich überfordert gewesen wären. Nicht Dynamik entscheidet, meint Hofstetter, sondern sängerische Intelligenz und Geläufigkeit. Das Ergebnis ist grandios - Verdi für das 21. Jahrhun- dert; und davon möchte man noch viel mehr hören. 

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