Sonntag, 15. März 2015

Schein: Ich will schweigen (Ramée)

„Violin, Viola d'amore, Viola da gamba, Viola da Spala, Englische Violet, Alto Viola, Violoncello, der grosse Contraviolon, Trompetten, Waldhorn, Flautten, Flauto Traverso, Oboe, Fagotto, Dolcian, Bombardo, Englische Horn, Clarinetten, Cembalo, Barydon, Zinken, Cornetto, und alle drey Posaunen“ – so zählte 1763 Ignaz Franz Xaver Kürzinger die Instrumente auf, die ein Stadtpfeifer nach seiner fünfjährigen Lehrzeit sämtlich zu beherrschen hatte. Zeitgenossen beklagten, im Ergebnis spielten die auf Lebenszeit angestellten städtischen Musiker letzten Endes keines dieser vielen Instrumente wirklich gut. 
Von Johann Gottfried Reiche (1667 bis 1734) lässt sich dies nicht sagen. Der Sohn eines Weißenfelser Schusters, ausgebildet im Clarinblasen, wirkte in Leipzig als Stadtpfeifer. Wie gut er sein Instrument beherrschte, das wissen wir ziemlich genau, weil Johann Sebastian Bach seine Trompetensoli für diesen Virtuosen geschaffen hat. Reiche ist auf dieser CD mit zwei eigenen Kompositionen vertreten. 
Wie die Stadtpfeifer einst geklungen haben, das demonstriert In Alto auf Nachbauten historischer Instrumente, vom Dulcian über Cornetti und diverse Posaunen bis hin zu Erzlaute und Barockgitarre sowie historischen Schlaginstrumenten. Die Auswahl einer geeigneten Orgel erwies sich als schwierig: „Considérant qu'il n'existe plus d'orgue Renaissance en Saxe et en Thuringe, nous avons dû chercher plus au Nord“, berichtet Lambert Colson, der Leiter des Ensembles. „Outre sa date de construction (1567/1625), la charactéristique décisive pour le choix de cet orgue est qu'il s'agit d'un véritable instrument de cour.“ Die Orgel von Schloss Gottorf befindet sich in der Schlosskapelle, direkt neben dem Ballsaal. Wollte der Organist nicht zur Andacht, sondern zum Tanz aufspielen, dann musste nur eine große Tür geöffnet werden. 
Es ist ein klangschönes Instrument, ohne Frage – aber was diese Aufführungssituation mit den Leipziger Stadtpfeifern zu tun hat, erschließt sich mir nicht. Als Alibi jedenfalls, um neben geistlicher Musik auch Instrumentalmusik aus der Messestadt spielen zu können, wäre es nicht nötig, denn nicht nur der Adel, auch das vermögende Bürgertum wusste durchaus zu leben. Um ein lebendiges Klangbild aus jener Zeit geben zu können, hat das Ensemble In Alto ausgewählte Werke des Thomaskantors Johann Hermann Schein (1586 bis 1630) durch ansprechende Musik seiner Zeitgenossen sowie der nachfolgenden Musikergeneration ergänzt. Dabei wechseln Werke mit Singstimmen – zu hören sind in wechselnder Besetzung Alice Foccroulle und Béatrice Mayo-Felip, Sopran sowie Reinoud Van Mechelen, Tenor – mit farbenreichen Instrumentalstücken. Ergänzt wird das Programm durch Orgelmusik, wobei natürlich mit Blick auf Leipzig auch ein Werk von Johann Sebastian Bach erklingt. Insofern ist „Ich will schweigen“ als Motto dieser CD, die mit der Ramée-typischen Sorgfalt ediert worden ist, glücklicherweise nicht ganz ernst zu nehmen. 

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