Montag, 30. November 2015

Style fantastique (Carpe diem)

Giovanni Antonio Pandolfi Mealli (1624 bis um 1687) wuchs in Venedig auf. Nach dem Tode seines Vaters war seine Mutter dorthin gezogen, weil einer ihrer Söhne aus erster Ehe als Kastrat am Markusdom sang. Über seine Jugend und seine Ausbil- dung kann man nur Vermutungen anstellen; gesichert ist aber, dass Pandolfi Mealli 1660 in Innsbruck als Mitglied der Hofkapelle benannt wird. Sein Dienstherr, Erzherzog Ferdinand Karl, begeisterte sich vor allem für das Musiktheater. Er ließ 1654 das erste freistehende Opernhaus im deutschsprachigen Raum errichten und unterhielt ein weithin angesehenes Ensemble. 
Nach dem Tode des Herzogs 1662 endete diese Blütezeit. Auch Pandolfi verließ Innsbruck; 1669 war er erster Violinist an der Kathedrale von Messina. 1675 erstach der Musiker dort bei einem Streit einen Sänger mit dessen eigenem Schwert und musste fliehen. Über Frankreich reiste er nach Spanien. 1678 wurde er in Madrid als Geiger in der Cappella Reale della Corte angestellt. Mindestens fünf seiner Werke sind im Druck erschienen; allerdings sind nur drei davon erhalten – die Sonaten op. 3 und op. 4 von 1660 sowie die Sonate messinesi, veröffentlicht 1669 in Rom. 
Daraus erfahren wir, dass Pandolfi Mealli ein exzellenter Geiger gewesen sein muss. Denn die Sonaten aus seinen Innsbrucker Jahren sind irrwitzig schwierig, und dazu ausgesprochen kapriziös; ein Musikwissenschaftler sah darin sogar das „Zeugnis einer Zeit der Entartung“. Wenn man aber mehr über den stylus phantasticus weiß, wird man diese Musik eher als eine Ergebnis eines Experimentes betrachten, das Kreativität und Virtuo- sität Freiraum gibt; gleich neben der Improvisation, aber noch weniger durch Regeln gebunden. Mittlerweile kann man sich auch über die ersten Einspielungen der Sonaten Pandolfi Meallis freuen – und diese hier ist ein ganz besonderes Juwel, denn William Dongois spielt die Sonate a violino solo per chiesa e camera, opera III, auf dem Zink. Dieses Blasinstrument war noch zur Zeit Heinrich Schütz' in Europa weit verbreitet. Die Griff- lochtrompete, zumeist aus Holz gefertigt, stand in dem Ruf, die mensch- liche Stimme besonders gut imitieren zu können. Sie war allerdings schwierig zu erlernen, und kam aus der Mode, nachdem an den Höfen längst ein anderes Instrument Einzug gehalten hatte: Um 1650 wurde der Zink durch die Violine abgelöst. 
Dongois hat den Sonaten noch drei Werke Johann Jacob Frobergers (1616 bis 1667) zur Seite gestellt. Sie ergänzen das Programm vortrefflich. Über das Spiel des Franzosen kann man nur staunen. Denn er lässt diese höchst anspruchsvolle Musik so klingen, als wäre sie für den Zink geschrieben worden. Im Ensemble Le Concert Brisé musiziert Dongois zusammen mit Carsten Lohff, Cembalo und Orgel, und Éric Bellocq, Laute und Theorbe. Zu hören ist übrigens das originale Rückers-Cembalo des Musée d'art et d'histoire de Neuchâtel von 1632; es wurde 1745, wahrscheinlich durch den Pariser Instrumentenbauer Blanchet, erweitert. 
Le Concert Brisé hat sich zudem für eine Live-Aufnahme entschieden, und für die Produktion dieser CD drei Konzerte mitgeschnitten. Liest man die Begründung, die die Musiker im Beiheft formuliert haben, dann ist diese Entscheidung absolut nachvollziehbar – zumal sie in diesem Falle der Qualität der Aufnahme eher zugute kommt. Denn diese Musik lebt auch vom Augenblick, von der Inspiration, und vom Dialog mit dem Publikum. 
Dongois erweist sich als ein herausragender Zink-Virtuose; nirgends gibt es einen Wackler oder gar einen unsauberen Ton. Er spielt weich und sanglich, elegant und mit enormen Spannungsbögen, immer dezent und subtil. Le Concert Brisé musiziert mit faszinierender Leichtigkeit, und auch die „leisen“ Instrumente Cembalo und Laute sind im Zusammenspiel stets gut zu hören. Das ist ohne Zweifel eine der besten Aufnahmen des Jahres aus dem Bereich der „Alten“ Musik. Bravi! und: Unbedingt anhören!! 

Sonntag, 29. November 2015

Grand musical entertainment - Händel for Organ & Orchestra (Oehms Classics)

Die berühmten Orgelwerke von Georg Friedrich Händel (1685 bis 1759) sind eigentlich eine Notlösung: Viele Jahre lang war der Komponist in London mit seinen Opern sehr erfolgreich – doch um 1730 strömte das Publikum nicht mehr herbei, wie gewohnt. Zum einen hatte 1734 ein Konkurrent Händel beinahe alle italienischen Sänger abgeworben. Zum anderen fanden die Leute die neuartigen englischen Singspiele interessanter als die italienische Oper. Händel reagierte darauf, indem er groß besetzte Oratorien auf die Bühne brachte – in englischer Sprache. Und weil er für sein Orgelspiel gefeiert wurde, setzte sich der Komponist an das Instrument und improvisierte, oder aber er integrierte Orgelklänge ins Vorspiel oder in die Zwischenaktmusik. 
Und tatsächlich: Diese Idee brachte Händel die erhoffte Resonanz. „Beim Lesen der damaligen Aufführungsberichte könnte man meinen, das Publikum sei vor allem wegen Händels grandioser Orgelkünste in die Vorstellungen gekommen“, schreibt Hansjörg Albrecht im Beiheft zu dieser CD. Der Organist ließ sich von Händels Orgel-Spektakeln inspi- rieren, weitere Werke des Komponisten nach dem Vorbild des Meisters zu bearbeiten. So gesellt er zum Concerto in C-Dur aus Saul noch drei üppige Suiten mit Musik aus dem Oratorium. Das Ensemble muss Händel von der Orgel aus geleitet haben. Das macht Albrecht nicht; er lässt Martin Schmeding spielen. Der frühere Dresdner Kreuzorganist wirkt seit 2004 als Professor für Orgel an der Hochschule für Kirchenmusik Freiburg. Für diese Aufnahme musiziert er an der Eule-Orgel der Himmelfahrtskirche München-Sendling. Schmeding dirigiert „sein“ Münchner Bach-Orchester. 
Er lässt es sich allerdings nicht nehmen, zwei Arrangements von Orchesterwerken Händels selbst zu spielen – die Ankunft der Königin von Saba, ein „Hit“ aus dem Oratorium Solomon, sowie das Konzert in D-Dur aus der Feuerwerksmusik. Dafür wählte er die Schuke-Sauer-Orgel der Marktkirche Halle/Saale. Dort steht auch noch die kleine Orgel, erbaut 1663/64 von Georg Reichel, auf der Händel selbst einst bei Friedrich Wilhelm Zachow seine ersten Orgelstunden absolviert haben soll. 
„Mögen diese klangprächtigen Solowerke sowie die neu arrangierten Konzerte für Orgel und Orchester etwas von der unbändigen Spielfreude Händels vermitteln“, so Albrecht im Beiheft: „als Pendant zu Farinellis göttlicher Stimme und den Zuhörern als Grand Musical Entertainment.“ Eines jedenfalls sei hier verraten: Langweilig ist diese CD nicht. 

Samstag, 28. November 2015

Wiener Sängerknaben - Frohe Weihnachten (Deutsche Grammophon)

„Frohe Weihnachten“ heißt das neue Weihnachtsalbum der Wiener Sängerknaben – ganz schlicht und einfach. Die Jungs – aus dem tradi- tionsreichen Knabenchor heißt es ausscheiden, sobald der Stimmbruch kommt – singen mit gut geschulten, hellen, fokussierten Stimmen. Sie können sich solistisch ebenso hören lassen wie in der Gruppe, und sie begleiten die beiden Stargäste dieser Aufnahme, die russischen Sopra- nistin Aida Garifullina sowie Tenor Rolando Villazón, ebenso routiniert, wie sie Joy to the world anstimmen. 
Die Wiener Sängerknaben präsentieren gemeinsam mit dem Ensemble phil Blech Wien und der Band Wiener Wunder Allerlei amerikanische Weih- nachtsklassiker wie Rudolph the Red-Nosed Reindeer, Let it snow oder Jingle Bells. Mit der Schubert-Akademie oder aber gleich gänzlich a cappella singen sie europäische Klassiker, von The first Nowell bis Es ist ein Ros' entsprungen. Am schönsten aber klingen sie, wenn sie Weih- nachtslieder aus ihrer Heimat Österreich singen. Es wird scho glei dumpa ist der heimliche Hit dieser CD – zum Niederknien, ehrlich. Ziemlich grauslig finde ich hingegen die Version von Happy Christmas (War Is Over), dieser Song von John Lennon und Yoko Ono passt weder inhaltlich noch musikalisch auf dieses Album, das ansonsten recht gelungen ist. 

Die Ludwig Güttler Edition - Die Highlights des sächsischen Barock (Berlin Classics)

Ludwig Güttler, geboren 1943 in Sosa im Erzgebirge, ist nicht nur ein grandioser Trompetenvirtuose. Er ist zudem unermüdlich in seinem Enga- gement, wo er dieses erforderlich sieht – sei es beim Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche, oder aber bei der Wiederentdeckung des Repertoires der berühmten Dresdner Hofkapelle. 
Güttler hat in Leipzig bei Armin Männnel studiert, und war dann zunächst beim Händel-Festspiel- orchester in Halle/Saale engagiert, später dann als Solotrompeter an der Dresdner Philharmonie. Er unterrichtete an der Musikhochschule in Dresden sowie beim alljährlichen Internationalen Musikseminar in Weimar. Sein besonderes „Steckenpferd“ ist die Musik des 18. Jahrhun- derts. Mit der hochgestimmten Piccolotrompete spielt er Partien, die seinerzeit für Clarinbläser geschrieben worden waren. Auch für das Corno da caccia hat Güttler gemeinsam mit dem Leipziger Instrumentenbauer Friedbert Syhre eine Alternative geschaffen, die modernen Spielkomfort bietet; im Original soll das Corno da caccia allerdings obertonreicher geklungen haben. 
1985 gründete Ludwig Güttler das Ensemble Virtuosi Saxoniae, in dem vor allem Mitglieder der Dresdner Staatskapelle musizieren. Mit diesem Kammerorchester pflegt der Trompeter seitdem die europäische Musik- kultur des 18. Jahrhunderts, wie sie sich im Repertoire der sächsischen Hofkapelle widerspiegelt. Dabei hat er viele Werke wieder zugänglich gemacht, die in Vergessenheit geraten waren. 
Zum 30jährigen Bestehen dieses renommierten Ensembles hat Berlin Classics nun eine umfangreiche Edition zum günstigen Preis heraus- gebracht. Sie versammelt auf 25 CD alle wesentlichen Aufnahmen der Virtuosi Saxoniae, die in den Jahren nach 1990 enstanden sind. So erklingen die Brandenburgischen Konzerte und die Orchestersuiten von Bach, dazu eine Auswahl an Kantaten, die Johannes-Passion und natürlich das Weihnachtsoratorium. Dazu gib es geistliche Musik, beispielsweise von Johann Adolf Hasse, Johann David Heinichen oder Jan Dismas Zelenka, sowie eine Vielzahl origineller Konzerte aus dem Umfeld des Dresdner Hofes. 
Die Liste der Mitwirkenden ist lang und ausgesprochen illuster; sie reicht von Dagmar Schellenberger bis zu Christiane Oelze, und von Olaf Bär bis hin zu Peter Schreier, von Andreas Lorenz, Oboe, über Eckart Haupt, Flöte, bis hin zu Güttlers langjährigem Wegbegleiter Friedrich Kircheis an Orgel und Cembalo, und von den Hallenser Madrigalisten bis zum Concentus Vocalis Wien. 

Freitag, 27. November 2015

Martin Luther - Ein feste Burg ist unser Gott (Rondeau)

Dem Reformator Martin Luther waren Lieder wichtig – und deshalb schrieb er selbst fürs Kirchenvolk mehr als 30 Lieder – nach Psalmversen, nach liturgischen Stücken, zur Unterweisung der Gläubigen und zur Erbauung. Gemeinsam mit Johann Walter, dem evangelischen Urkantor, schuf Luther durch die neue Ordnung des Gottesdienstes auch Raum für eine neue Kirchenmusik – und gleich noch das passende Gesangbuch dazu. 
Luther wollte eine singende Gemeinde, die nicht nur im Gottesdienst munter anstimmte, sondern auch in der häuslichen Andacht, oder aber zur Tröstung der Kranken und Sterbenden. Bis zum heutigen Tage sind insbesondere die Luther-Choräle in der evangelischen Kirche lebendig und beliebt. Auf dieser CD stellen der Kammerchor der Frauenkirche Dresden und die Instrumenta Musica unter Leitung von Frauenkirchenkantor Matthias Grünert sieben Lieder Luthers vor. Dabei wird zugleich deutlich, wie breit und differenziert die Ideen des Reformators in der Zeit nach der Reformation aufgegriffen wurden. Denn die Choräle, die Martin Luther geschaffen hat, wurden von Heinrich Schütz, Hans Leo Hassler, Michael Praetorius und vielen anderen namhaften Musikern bearbeitet. 
Nun komm, der Heiden Heiland, Vom Himmel hoch, da komm ich her, Gelobet seist du, Jesu Christ, Christ lag in Todesbanden, Komm, Heiliger Geist, Herre Gott, Vater unser im Himmelreich sowie der heimliche Hymnus der protestantischen Kirche, Ein feste Burg ist unser Gott, erklingen jeweils in verschiedenen Versionen. Den Anfang macht jeweils ein Orgelchoral von Samuel Scheidt aus dem Görlitzer Tabulaturbuch von 1650. Es folgen Choralsätze, Motetten, Bicinien oder Geistliche Konzerte; zum Abschluss erklingt dann zudem noch einmal eine Choralbearbeitung für die Orgel. Für jeden Choral Martin Luthers hat Grünert genau fünf Varianten ausgewählt; eine davon stammt immer von Michael Praetorius, ebenso wie die Zwischenmusiken, für die der Kantor Tanzsätze aus Praetorius' Terpsichore (1612) herausgesucht hat. 

O heilige Nacht (Carus)

Allenthalben hört man in der Weih- nachtszeit entweder amerikanische Hits, oder aber barocke Klänge. Dass auch die Romantik gelungene Musik zum Fest zu bieten hat, beweist diese CD mit dem exzellenten Dresdner Kammerchor unter Hans-Christoph Rademann. Bei ihren Kompositionen haben die Romantiker gern auf „alte“ Melodien zurückgegriffen. Das ist kein Wunder: In einer Zeit, in der die Menschen nicht mehr zu Fuß oder per Kutsche, sondern zunehmend mit der Eisenbahn reisten, in der Fabriken und Wohnsiedlungen in großer An- zahl neu entstanden sind, und in der die Gaslaterne durch das elektrische Licht abgelöst wurde, hatten die Menschen das Gefühl, dass sich ihr Leben irrwitzig beschleunigt. Da ist die Besinnung auf Traditionen wie eine Rückversicherung; die Suche nach Wurzeln gibt Sinn und Sicherheit. 
Advents- und Weihnachtszeit sind ohnehin Zeiten der Rückschau und der Besinnung. Bei Singen der alten Lieder werden wir auch heute noch Teil einer jahrhundertealten Tradition; die Romantiker haben sich die Werke ihrer Vorfahren angeeignet, indem sie sie kreativ überformt haben. Dafür enthält die vorliegende CD viele Beispiele – man höre nur die Chorsätze des Thomaskantors Gustav Schreck (1849 bis 1918) oder jene vom Max Reger (1873 bis 1916). Ein gutes Drittel dieser romantischen Raritäten erklingen auf dieser CD in Weltersteinspielung; von den allermeisten Werken sind zudem bei Carus auch die Noten erhältlich.

Mittwoch, 25. November 2015

Czerny: Bel Canto Concertante (Naxos)

Und da wir gerade bei Carl Czerny (1791 bis 1857) waren – auch einige Klaviervariationen des Beethoven-Schülers sind jüngst erschienen, in Weltersteinspielungen bei Naxos. Dass diese Werke bislang in Aufnahmen nicht erhältlich waren, wird nicht verwundern, denn Czerny gilt als Vielschreiber, der sein Genie dem schnöden Mammon verkauft hat: „Hrn. Czerny kann man nicht einholen, mit aller kritischen Schnelligkeit“, giftete einst Robert Schumann in seiner Neuen Zeitschrift für Musik. „Hätte ich Feinde, nichts als solche Musik gäbʼ ich ihnen zu hören, sie zu vernichten.“ 
Schumann, der eigentlich selbst Pianist werden wollte, aber dann diese Pläne aufgeben musste, weil er die notwendige Fingerfertigkeit eben nicht erlangen konnte, warf Czerny vor, dass es seiner Musik an Poesie mangele. Dieses Urteil schrieben spätere Generationen ungeprüft fort – und so erfolgt derzeit, durch die Initiative einiger Musikwissenschaftler, erstmals eine Sichtung und Neubewertung seines umfangreichen Werkes. 
Selbst dort, wo Czerny für seine Verleger populäre Melodien in gefällige Arrangements gebracht hat – die er selbst nicht als ernstzunehmende Werke ansah – muss man aber seine Brillanz bewundern. Vier Beispiele dafür, wie der Komponist Themen aus aktuellen Opern in Virtuosenmusik umgesetzt hat, stellt die australische Pianistin Rosemary Tuck auf dieser CD gemeinsam mit dem English Chamber Orchestra vor. Es dirigiert Richard Bonynge, ein ausgewiesener Opernfachmann. 
Zu hören sind Variationen auf der Grundlage von Melodien aus den Opern Norma und Il Pirata von Vincenco Bellini, aus Aubers Fra Diavolo und aus Gli Arabi nelle Gallie von Giovanni Pacini. Czerny nutzt die Themen, die damals dem Publikum vertraut waren, eher als Vorwand, um ein aberwitziges Feuerwerk an Figurationen zu zünden. Tuck macht deutlich, dass man an diesen Stücken, die eher zur Demonstration von Virtuosität als  zum ausdrucksstarken Zusammenspiel entstanden sind, durchaus sein Vergnügen haben kann. Natürlich sind es Zirkusnummern – aber es ist Artistik auf höchstem Niveau, der man den Respekt nicht versagen kann. Bravi! 

Czerny: Music for Flute and Piano (Naxos)

Carl Czerny (1791 bis 1857) war ein exzellenter Pianist. Den ersten Unterricht erhielt er bei seinem Vater, der sich als Klavierlehrer aus großer Armut emporgearbeitet hat. Im Alter von neun Jahren spielte Carl Czerny Ludwig van Beethoven vor, und wurde dessen Schüler. Er studierte zudem bei Muzio Clementi, Antonio Salieri und Johann Nepomuk Hummel. 
Bei der Wiener Erstaufführung von Beethovens fünftem Klavierkonzert („Emperor“) spielte Czerny den Klavierpart. Dennoch trat er relativ selten als Solist in Konzerten in Erscheinung, weil er der Meinung war, dass ihm die dazu notwendige Ausstrahlung fehle – und Lust darauf, dem Publikum eine Show zu bieten, hatte er auch nicht. Sein Geld verdiente er daher, sehr erfolgreich, als Klavierpädagoge. Zu seinen Schülern gehörten unter anderem Franz Liszt und Sigismund Thalberg. Außerdem komponierte Czerny mehr als tausend Werke; fast jedem Klavierschüler sind noch heute seine Etüden („Schule der Geläufigkeit“) vertraut. 
Weniger bekannt ist, dass Carl Czerny auch „richtige“ Musik geschrieben hat – Kirchenmusik, Sinfonien und Klavierkonzerte sowie Kammermusik. Eine kleine Auswahl daraus präsentieren der Flötist Kazunori Seo und der Pianist Makoto Ueno. Die beiden japanischen Musiker spielen die Trois Rondeaux faciles et brillans pour Pianoforte et Flute (ou Violon) concer- tans sur des motifs favoris de Rossini & Bellini op. 374, Introduzione, Variazioni e Finale op. 80, das Rondoletto concertant for Piano, Flute and Cello ad lib. op. 149 und das Duo concertant pour Piano-Forte et Flûte in G major op. 129. Dabei handelt es sich um anspruchsvolle Unter- haltungsmusik; die Bühne, auf der solche Werke seinerzeit erklungen sind, dürfte der Salon gewesen sein. 
Czerny setzt sowohl die Flöte als auch das Klavier effektvoll in Szene; die beiden Solisten spielen exzellent aufeinander abgestimmt, und zeigen im Dialog, dass diese aparte Musik durchaus einen Platz im Repertoire verdient hätte. Allerdings würde man sich wünschen, dass der Flötenton von Kazunori Seo noch runder und farbenreicher wird, besonders in der Höhe. Trotz zahlreicher Auszeichnungen und Preise bei Wettbewerben – der Solist ist technisch zweifelsohne gut, aber bei Klang und Ausdruck gibt es noch Reserven. 

Dienstag, 24. November 2015

Sospiri d'amanti (Deutsche Harmonia Mundi)

Die Mandoline gilt heute weithin als ein Instrument für Freaks; lange Zeit hatte sie ihre Nische entweder in Folkbands, oder aber im Zupfinstru- mentenorchester. Dabei wurde die Mandoline einst sogar bei Hofe gespielt. Auf dieser CD präsentiert das Ensemble Artemandoline unter der Leitung von Juan Carlos Muñoz gemeinsam mit der Sopranistin Nuria Rial Musik aus jener Zeit. 
Um 1750 stand die italienische Oper beinahe in ganz Europa hoch im Kurs – lediglich in Frankreich konnte sie sich nicht durchsetzen. Doch von Neapel bis Wien und von Madrid bis nach St. Petersburg dominierte Musik aus Italien. Etwa zur gleichen Zeit entwickelte sich die Mandoline zu einem populären höfischen Instrument. Sie erklang in Konzerten und Serenaden ebenso wie in der Oper, in Kantaten, ja selbst in Oratorien. Man kann davon ausgehen, dass eine enorme Menge Gesangsstücke, die durch eine Mandoline begleitet werden, spätestens mit dem Beginn der Romantik dem Archivschlaf anheimgefallen sind.  
Das ist ein Verlust, wie diese CD beweist. Artemandoline hat für diese Aufnahme nicht nur zwei hinreißende, virtuose Concerti per mandolino von Carlo Arrigoni (1697 bis 1744) und von Johann Adolf Hasse (1699 bis 1783) herausgesucht, sondern auch jede Menge hörenswerte Arien von namhaften Komponisten von Johann Joseph Fux über Antonio Caldara, Georg Friedrich Händel bis hin zu Wolfgang Amadeus Mozart, überwie- gend in Weltersteinspielungen. Musiziert wird gekonnt und mit Hingabe; Nuria Rial begeistert mit ihrem strahlenden, schlank geführten Sopran bei exzellenter Textverständlichkeit. 

Montag, 23. November 2015

Merula: Complete Organ Music (Brilliant Classic)

Tarquinio Merula (1595 bis 1665) war Kapellmeister am Dom von Cremona. Der Musiker war weit gereist; 1623 ging er als Hoforganist nach War- schau, wo er für König Sigismund III. Wasa musizierte. Nach Italien zurückgekehrt, wirkte er an Santa Maria Maggiore zu Bergamo sowie in Cremona, wo der Streichinstrumen- tenbau damals bereits in hoher Blüte stand. 
So lieferte auch Merula zahlreiche Instrumentalwerke für Streicher, außerdem Madrigale, Messen und sogar eine Oper, La finta savia (1643) nach einem Libretto von Giulio Strozzi.  Merulas Orgelwerk hingegen blieb im Umfang vergleichsweise klein; hier finden sich dennoch einige seiner originellsten und kühnsten Einfälle. 
Enrico Viccardi, Professor für Orgel am Konservatorium in Como, hat sich intensiv mit Merulas Kompositionen für Orgel beschäftigt. Er erweist sich als feinsinniger Experte für Merulas Musik, der den Kontrapunkt ebenso gekonnt handhabt wie den Stylus Phantasticus. Für seine Aufnahmen wählte Vicccardi die Orgel der Kirche San Pietro Apostolo in Mezzana Casati, erbaut 1647 von Giovanni Chiappani aus Pavia, 2012/13 restauriert durch Ugo Cremonesi und Claudio d'Arpino. 

Strålande Jul - Strahlende Weihnacht (Genuin)

Der MDR Rundfunkchor, geleitet von seinem Ersten Gastdirigenten Philipp Ahmann, hat bei Genuin eine CD mit Weihnachtsliedern veröffentlicht. Die Mitglieder des Chores haben dafür Lieder aus ihrer Heimat ausgewählt. Das bringt reichlich Abwechslung, denn das renommierte Ensemble be- steht aus 73 Sängerinnen und Sän- gern verschiedenster Nationalitäten – und so enthält diese Einspielung neben bekannten deutschen Liedern wie Machet die Tore weit oder Vom Himmel hoch Weihnachtslieder aus der ganzen Welt. Gesungen wird durchweg a cappella; die unterschiedlichen Weihnachtsbräuche und Traditionen werden auch in der Musik hörbar. So ist El cant des ocells zu hören; mit diesem katalanischen Weihnachtslied beendete der berühmte Cellist Pau Casals im Exil alle seine Konzerte. Es wurde dadurch zur heim- lichen katalanischen Hymne. Außerdem erklingen Stücke aus Schweden und Dänemark, Frankreich, Ungarn, Italien, Brasilien, Griechenland, der Ukraine, Polen, England, und den USA. 

Sonntag, 22. November 2015

Telemann: Ouverture & Concerti pour Darmstadt (Alpha)

Obwohl er selbst ein herausragender Komponist war, hat Christoph Graupner, Kapellmeister am Darm- städter Hof, eine große Sammlung mit Werken seines Zeitgenossen Georg Philipp Telemann (1681 bis 1767) zusammengetragen. So kam die Notenbibliothek des Landgrafen Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt, heute in der Universitäts-und Landes- bibliothek der Technischen Univer- sität Darmstadt, zu der bei weitem größten Kollektion Telemannscher Werke. Die Abschriften, erstellt entweder von Graupner selbst oder durch seinen Stellvertreter Samuel Endler, bezeugen zum einen, wie sehr Telemann seinerzeit geschätzt wurde. Zum anderen sind sie auch ein Beleg dafür, wie exzellent Graupners Hofkapelle gewesen sein muss. 
Das Ensemble Les Ambassadeurs beweist mit dieser CD, dass Telemann nicht in jedem Falle ein Komponist für die Musikschule gewesen ist. Man höre nur die virtuosen Hornpartien in der jagdlich geprägten Ouvertüre TWV 55: F3. Sie werden von Jean-Francois und Pierre-Yves Madeuf auf Naturhörnern geblasen – und wie! 
Reizvoll, aber auch ziemlich anspruchsvoll sind die beiden Flötenkonzerte TWV 51: D1 und D2 sowie das aparte Violinkonzert a-Moll TWV 51: a1. Besonders beeindruckend fand ich aber das Konzert für Traversflöte und Violine in e-Moll TWV 52:e3 in seiner überaus kunstvollen, kühnen Gestaltung und seiner raffinierten Textur. Alexis Kossenko, Traversflöte und Ensembleleitung, spielt hier im geistreichen musikalischen Wettstreit mit Zefira Valova, Solo-Violine. Die Musiker von Les Ambassadeurs interpretieren „ihren“ Telemann brillant, lebendig und farbenreich – meine Empfehlung! 

Freitag, 20. November 2015

Der Singer Pur Adventskalender (Oehms Classics)

„Was war das für eine Spannung, als Kind jeden Morgen ein Türchen oder einen Beutel zu öffnen! Und auch als Erwachsene haben wir mitunter noch viel Freude daran“, meint das Ensemble Singer Pur. „Deshalb haben wir einen musikalischen Advents- kalender gestaltet mit einem Lied für jeden Tag und einem kurzen Text über das Datum oder adventliches Brauchtum.“ 
Ausgewählt wurden ausschließlich Adventslieder; sie sollen zur Besinnung anregen und Vorfreude stiften. Dabei stehen traditionelle Chorsätze neben neuen Arrangements; wer sich für die Noten interessiert, der kann sie übrigens bei Schott kaufen. Die sechs Singer agieren mit unverwechselbarem Sound, und perfekt aufeinander abgestimmt. Das renommierte Ensemble, 1991 von ehemaligen Regensburger Domspatzen gegründet, besteht heute aus Claudia Reinhard, Sopran, Klaus Wenk, Markus Zapp und Manuel Warwitz, Tenor, Reiner Schneider-Waterberg, Bariton und Marcus Schmidl, Bass. 
„Wir möchten Sie herzlich einladen, sich in der heute oft hektischen Adventszeit Zeit zu nehmen zum Hören und Lesen, zum Innehalten und zur Vorfreude“, schreiben die Singer Pur im Beiheft. „Ob Sie nun jeden Tag ein ,Türchen' öffnen und einem Lied lauschen, oder ob Sie die CD im Ganzen hören, etwa beim Baumschmücken oder Backen, wir wünschen Ihnen viel Freude dabei und eine besinnliche, genussreiche und gesegnete Adventszeit!“ 

Donnerstag, 19. November 2015

Winter's delights (Deutsche Harmonia Mundi)

„Die Bearbeitungen und Komposi- tionen zu Winter's Delights habe ich zum größten Teil im März und April 2013 verfasst. Der Winter war hartnäckig in diesem Jahr und wollte dem Frühling nicht Platz machen“, berichtet Nikolaus Newerkla, Leiter des Quadriga Consort. „Noch bis weit in den April hinein konnte ich mich vom Schnee vor meinem Fenster inspirieren lassen.“ 
Das Ergebnis verblüfft – denn abge- sehen von den eingesetzten Instru- menten erinnert hier nichts an ein Ensemble aus dem Bereich der „Alten“ Musik. Das österreichische Quadriga Consort macht mit Blockflöten, Gamben, Violone, diversem Schlagwerk und Cembalo eine Musik, die zwar auf traditionellen Melodien beruht, diese aber ansonsten doch recht konsequent in die Gegenwart bringt. Traditionelle englische Weihnachts- lieder wie The first nowell, The three kings oder O Come, o come, Emmanuel wechseln sich ab mit irischen Weisen wie A merry Christmas und schottischen Melodien wie Gloomy winter oder Leanabh an Àigh, weltweit populär als Morning has broken. Dass es nicht einfach ist, so bekannte Melodien in eigenen Arrangements neu zu fassen, kann man sich denken – Newerkla ist dies sehr überzeugend gelungen. Und die unverwechselbare Stimme von Sängerin Elisabeth Kaplan kommt inmitten der historischen Instrumente hervorragend zur Geltung. Wobei allerdings festzustellen ist, dass sich der lange Winter letztendlich wohl doch aufs Gemüt gelegt haben muss. Für eine CD jedenfalls, die die Freuden des Winters feiern will, ist die Musik insgesamt etwas zu deutlich ins Moll geraten. Um diese ansonsten brillante Einspielung recht würdigen zu können, wird daher empfohlen, sie mit einem Glas Rotwein vor dem Kamin zu genießen. Das passt bestens! 

Gabrieli: Complete Keyboard Music (Brilliant Classics)

Roberto Loreggian hat das Gesamt- werk von Andrea Gabrieli (1532/33 bis 1585) für Tasteninstrumente, soweit es jedenfalls überliefert ist, für Brilliant Classics eingespielt. Die Box enthält sechs CD und ein Beiheft mit ausführlichen Anmerkungen. Die musikalische Qualität ist berückend: Andrea Gabrieli war der Onkel und Lehrer des berühmten Giovanni Gabrieli; zu seinen Schülern gehörten zudem Hans Leo Haßler oder der Dresdner Hofkapellmeister Rogier Michael. 
Gebrieli stammte aus Venedig, und lernte möglicherweise einige Zeit in Verona bei Vincenzo Ruffo. 1555 war er aber bereits als Organist in Venedig tätig. 1557 bewarb er sich vergeblich um eine Anstellung am Markusdom. 1562 reiste Gabrieli nach Deutsch- land; so begegnete er in München Orlando di Lasso. 
1565 veröffentlichte Gabrieli in Venedig seine Cantiones sacrae; ein Jahr später wurde er dann Organist am Markusdom. Der Musiker schuf neben zahlreichen Vokalwerken auch eine Menge Musik für Tasteninstrumente; nach seinem Tod trug Giovanni Gabrieli diese Werke zusammen und ließ sie in sechs Bänden drucken. Vom vierten Band ist aber offenbar heute kein Exemplar mehr aufzufinden. Eine moderne Edition erschien in den 90er Jahren bei Doblinger. 
Gabrielis Werke, an der Schwelle von der Renaissance zum Barock, sind von großer Pracht; aber für heutige Hörgewohnheiten klingen sie mitunter fremd. Diesen Eindruck wollte Loreggian auch nicht verwischen: „I have sought to render the quality of Venetian sonority of the late 1500s as faithfully as possible“, erläutert der Organist im Beiheft. „To this end I have chosen to play the organ built by Vincenzo Colombi in 1532 for the cathedral in Valvasone, near Pordenone in northern Italy (..), and a copy of a Domenico da Pesaro harpsichord built by Florindo Gazzola in 1990.“ 
Das ist eine exzellente Wahl: Vincenzo Colombi (um 1490 bis 1574) gehört zu den großen Meistern seiner Zunft. Die Orgel in Valvasone, mit ihrem reich verzierten und kunstvoll bemalten Gehäuse, ist das einzige venezianische Instrument aus dem 16. Jahrhundert, das erhalten geblieben ist. Sie wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrfach umgebaut, aber bei der letzten Überarbeitung 1999 durch Francesco Zanin so weit wie möglich wieder in den originalen Zustand gebracht. Sie ist mitteltönig gestimmt und steht im hohen Chorton.

Montag, 16. November 2015

Tarkmann: Jack und die Bohnenranke (Coviello Classics)

„Als die Düsseldorfer Philharmoniker mich beauftragten, ein Orchester- märchen für Kinder zu komponieren, durfte ich mir die Geschichte frei aussuchen. Die einzige Bedingung war, dass das Fagott darin eine ganz besondere Rolle spielen solle“, berichtet Andreas N. Tarkmann im Beiheft zu dieser CD. „Ich hatte näm- lich schon einmal ein Orchester- märchen komponiert, das von den Abenteuern eines reisenden Mistkäfers handelt. Diesen eitlen und immer etwas beleidigten Käfer ließ ich in meiner Musik von einem Fagott (..) spielen.“ Den Musikern hatte das so gut gefallen, dass sie sich ein weiteres Werk von Tarkmann wünschten. 
Der Komponist hat sich nach einiger Überlegung für das englische Märchen Jack und die Bohnenranke entschieden. „Es ist die Geschichte über den Mut und das Erwachsenwerden eines armen Jungen, die mich noch mehr in Staunen versetzte als die Größe seiner Bohnenranke, die immerhin bis zu einer langen Straße am Himmel reicht“, so Tarkmann. Reich werden Jack und seine Mutter zudem schnell. Aber glücklich werden sie erst, als der Riese besiegt ist, Jack dabei eine singende Harfe sowie zwei Kinder befreit hat – und sie mit dem Vermögen, das ihnen so unverhofft zugefallen ist, nicht nur selbst in Wohlstand leben, sondern auch Waisen- kindern zu einem besseren Leben verhelfen. 
Diese Geschichte erzählt Tarkmann mit musikalischen Mitteln – und mit Unterstützung durch den Sprecher Malte Arkona, der sie mit hörbarem Vergnügen und ausgesprochen souverän gestaltet. Auch die Duisburger Philharmoniker unter ihrem Dirigenten Francesco Savignano setzen sehr viel Leidenschaft daran, die Bohnenranke in den Himmel wachsen zu lassen, oder aber den Riesen hörbar zu machen. Was für ein Spaß! Diese CD ist wirklich sehr gelungen, fanden auch unsere Jungs. 

Sonntag, 15. November 2015

Dass sich wunder alle Welt (Christophorus)

In der heutigen Zeit, inmitten von Lebkuchenbergen und Schokoladen- gebirgen, von der Werbung auf Weihnachtsshopping und von der Familie auf Vorweihnachtshektik programmiert, vergisst man leicht, dass die Adventszeit eigentlich eine Fastenzeit ist. Wie die Tage zwischen Aschermittwoch und Osterfest, sind auch die 40 Tage zwischen Martins- tag und Weihnachten eine Zeit der Besinnung und der Einkehr. 
Diese CD soll daran erinnern, dass die Adventszeit dem Warten auf die Ankunft Jesu gewidmet ist, und nicht dem Konsum. Die Gläubigen sollen sich darauf besinnen, dass das Kind in der Krippe der Erlöser und Erretter ist – sie sollen ihr Leben ändern, damit sie bereit sind, wenn Christus wiederkehrt. Miriam Feuersinger, Sopran, und Daniel Schreiber, Tenor, sowie das Gambenconsort Les Escapades, ergänzt durch Evelyn Laib an der Truhenorgel, tragen Musik vor, die dieses Ansinnen reflektiert. 
Dabei orientieren sich die Musiker an der Liturgie der vier Adventssonnta- ge. Kaum eine Zeit ist so reich mit Musik gefeiert worden, wie die diese – von den gregorianischen Gesängen der Mönche und Nonnen, die einige ihrer schönsten Melodien in diesen Wochen anstimmen, über eine Vielzahl bekannter Kirchenlieder bis hin zu festlichen konzertanten Werken. Und so begegnen wir in der Adventszeit Maria; wir erinnern uns an ihren berühmten Dialog mit dem Engel Gabriel, und an ihren Besuch bei Elisabeth, mit dem Magnificat. Wir begegnen Martin Luther, der zahlreiche Texte aus der liturgischen Tradition in die deutsche Sprache übertragen hat – erinnert sei hier nur an Nun komm, der Heiden Heiland nach dem ambrosianischen Hymnus Veni redemptor gentium. Wir begegnen aber auch Johannes dem Täufer, und dem Propheten Jesaja. 
Miriam Feuersinger und Daniel Schreiber singen uns den Introitus des jeweiligen Adventssonntages, sowie einige wenige bedeutende Lieder, die dazu passen. Dafür wurden ebenso bedeutende Liedsätze ausgewählt, die mitunter von Strophe zu Strophe wechseln.  Sie wurden so geschickt kombiniert, dass das Lied wirkt, wie aus einem Guss. 
Für Abwechslung sorgen außer den unterschiedlichen Arrangements auch Wechsel in der Besetzung. So werden etliche Strophen instrumentaliter musiziert; die Gamben ergänzen zudem, wie damals üblich, den Gesang. Mit ihrem weichen, warmen Klang passen sie exzellent in die besinnliche Adventszeit. Die vier Damen von Les Escapades begeistern durch ihren homogenen, perfekten Ensembleklang. Kleine Instrumentalsätze runden das Programm ab. 
Am vierten Adventssonntag erklingen gleich drei Werke von Heinrich Isaac (um 1450 bis 1517), einem franko-flämischen Meister, der erst im Dienste der Medici stand, und dann ab 1497 für den König und späteren Kaiser Maximilian I. tätig war. Damit verweisen die Musiker bewusst auf Traditionen, die so lang zurückliegen, dass sie für uns heute eher unge- wohnt klingen. Nicht alle Stücke auf dieser CD freilich sind alt - so erklingt Es kommt ein Schiff, geladen in einer Version des Karlsruher Chorleiters Hans-Jörg Kalmbach.
Nach dem Beginn mit der Kantate Lieber Herre Gott, wecke uns auf von Johann Rosenmüller (1620 bis 1684) endet die CD auch wieder mit einer Kantate: Wachet auf, ruft uns die Stimme von Franz Tunder (1615 bis 1667) mahnt, das Leben zu gestalten, wie die klugen Jungfrauen – die gut vorbereitet auf den Bräutigam gewartet haben, und daher in den Hochzeits- saal eingelassen werden. In diesem Sinne: Einen besinnlichen Advent! 

Samstag, 14. November 2015

Motetten der Hiller-Sammlung (Carus)

Johann Adam Hiller (1728 bis 1804), war ein musikalisches Phänomen. Nach einer Ausbildung am Gymna- sium in Görlitz, an der Dresdner Kreuzschule sowie dem anschließen- den Studium an der Universität in Leipzig wurde er 1754 zunächst Hauslehrer beim Grafen Brühl. Doch schon bald war er wieder in Leipzig: 1759 gründete er die erste deutsche Musikzeitschrift, Der musikalische Zeitvertreib. 1763 sorgte Hiller für die Wiederbelebung des wegen des Siebenjährigen Krieges zwischen- zeitlich eingestellten Großen Concerts. Er gründete eine Singschule, aus der berühmte Sängerinnen hervorgingen, sowie die Musikübende Gesellschaft, die zunächst im Apelschen Haus, später dann im Gewandhaus konzertierte. Damit war Hiller der erste Gewandhaus-Kapellmeister. Von 1789 bis 1801 wirkte Hiller zudem als Thomaskantor. 
Hiller hatte enormen Erfolg als Singspielkomponist. Er hatte eine klare Meinung, was gute Musik sei – und vertrat sie auch entschieden. So gab er ab 1776 eine mehrteilige Sammlung Vierstimmige Motetten und Arien von verschiedenen Componisten zum Gebrauche der Schulen und anderer Gesangsliebhaber heraus, zunächst vor allem interessante Werke der Komponistengeneration nach Bach; aus seiner Amtspraxis als Thomas- kantor dann 1791 noch ergänzt um ein sechstes und letztes Heft, das auch liturgische Stücke und Begräbniskompositionen enthielt. Sie stammten fast alle von Hiller. Ansonsten sind etliche Beiträge enthalten vom Dresdner Kreuzkantor Gottfried August Homilius und vom Magdeburger Musik- direktor Johann Heinrich Rolle, sowie Werke des früheren Thomaskantors Gottlob Harrer, von Homilius' Amtsvorgänger Theodor Christlieb Rein- hold, dem Dresdner Organisten Christoph Ludwig Fehre, Johann Gottfried Weiske und Christian Friedrich Penzel, Kantoren in Meißen und in Merseburg. Auch Carl Heinrich Graun, Kapellmeister am Hofe Friedrichs des Großen, ist darin vertreten. 
Die Motetten dieser Komponisten zeugen vom hohen Stand, den die Gattung – die zu Bachs Zeiten nur noch als Gelegenheitskomposition eine Rolle spielte – in der Kirchenmusik zu Hillers Zeiten wieder erlangt hatte. Im Gottesdienst ließ Bach Motetten aus dem Florilegium Portense singen; Hiller hingegen verbannte den „lateinischen Singsang, den Meister Bodenschatz zusammengeschleppt hat“, aus dem Gebrauch der Thomaner. Sein Urteil: „So schlecht und ohne Wahl auch diese Compilation gemacht, so fehlerhaft sie auch gedruckt ist. Resquiat in pace!“ Ein einziges Werk allerdings fand vor dem gestrengen Auge Hillers Gnade, eine Motette von Jacobus Gallus aus dem 16. Jahrhundert. Diese nahm Hiller, in überar- beiteter Form, in seine Kollektion auf. 
Auch das Sächsische Vocalensemble hat sie in seine Auswahl aus Hillers vierstimmigen Motetten und Arien aufgenommen, die jüngst bei Carus erschienen ist. Der renommierte Dresdner Kammerchor, 1996 von Matthias Jung gegründet, zeichnet sich durch seinen schlanken, wasser- klaren Chorklang aus. Die Sängerinnen und Sänger bieten absolute Präzision und beeindruckende klangliche Homogenität. Eines macht die CD deutlich: Mitteldeutschland, mit seiner reichen und vor allem auch breiten Musiktradition, ist immer wieder für Entdeckungen gut.

Der musikalische Garten - Zu Gast im Blauen Haus (Ars)

Der Basler Lucas Sarrasin (1730 bis 1802) kam als Seidenbandfabrikant gemeinsam mit seinem Bruder Jakob zu Wohlstand und Ansehen. Die Geschwister ließen sich in bester Lage zwei Patrizierhäuser bauen: Das Weiße und das Blaue Haus gehören noch heute zu den prächtigsten Barockgebäuden der Stadt. Lucas Sarrasin war zudem sehr interessiert an Kuriositäten, die er seinen Gästen gern vorführte – aber seine eigentli- che Leidenschaft war die Musik. So richtete er in seinem Hause einen Musiksaal ein, in dem er nicht nur eine Orgel aufstellen ließ, sondern auch sämtliche Orchesterinstrumente vorhielt – könnte ja sein, dass sie zur Hausmusik benötigt werden! Auch eine umfangreiche Notensammlung besaß der Fabrikant. 
Sarrasin spielte selbst Geige und Kontrabass. Er gehörte dem Basler Collegium Musicum an. Dort lernte er Jacob Christoph Kachel (1728 bis 1795) kennen, einen hochbegabten Geiger, der im Gefolge eines Prinzen bereits bis nach Italien gereist war. Der junge Virtuose wurde Sarrasins Hausmusiker. 
Welche Musik im Hause Sarrasin erklang, das lässt sich anhand des Kataloges der Musikbibliothek feststellen. Auffällig ist, dass nur etwa ein Viertel der darin aufgelisteten Werke der Vokalmusik zuzurechnen sind. Die Instrumentalmusik stammte aus ganz Europa, allerdings sind Werke aus Frankreich und England nur spärlich vertreten – und es fällt auf, dass Sarrasin überwiegend Kompositionen von Zeitgenossen sammelte. Insge- samt befanden sich mehr als 1.300 Musikalien in Sarrasins Kollektion; ein Drittel davon ist erhalten geblieben. 
Besonders schätzte Sarrasin offenbar Triosonaten; viele von ihnen kommen aus der Mannheimer Schule oder aus Norditalien. Eine Auswahl dieser Werke präsentiert auf dieser CD das Ensemble Der musikalische Garten. Die vier jungen Musiker – Karoline Echeverri Klemm, Germán Echeverri Chamorro, Violine, Annekatrin Beller, Violoncello, und Daniela Niedhammer, Cembalo und Hammerklavier – haben sämtlich an der Schola Cantorum Basiliensis studiert. Und ihr Interesse für die Sammlung Sarrasin beschert dem Zuhörer einen Ausflug in eine blühende musika- lische Landschaft, eine Hör-Kur sozusagen, mit Werken beispielsweise von Johann und Carl Stamitz, Johann Christian Bach – der vor seinem Umzug nach London bekanntlich etliche Jahre in Mailand lebte –, Giovanni Battista Sammartini oder Gaetano Pugnani. Sehr gelungen, und ausgesprochen vielversprechend!

Freitag, 13. November 2015

Schein: Musica boscareccia (Pan Classics)

Musica boscareccia, Wald-Liederlein auff Italian-Villanellische Invention – das ist der Name eines Werkes von Johann Hermann Schein (1586 bis 1630). Über den Lebenslauf des Musikers, der 1616 als Nachfolger von Seth Calvisius Thomaskantor in Leipzig wurde, wurde hier im Blog bereits an anderer Stelle berichtet. Und dies ist auch ganz sicher nicht die letzte CD mit Werkes dieses Komponisten, die ouverture vorstellen wird. Denn Schein gehört wie Scheidt und Schütz zu den bedeutendsten Meistern seiner Generation. 
Es wird also nicht verwundern, dass sich die Leipziger Bürger freuten, den erfolgreichen jungen Musiker, weiland Hofkapellmeister in Weimar, für ihre Stadt gewonnen zu haben. Bekannt war er dort bereits, denn Schein hatte in Leipzig studiert, und schon einige Werke veröffentlicht – so 1609 die Liedersammlung Venus-Kräntzlein, und 1617 eine Kollektion von Tänzen, das Banchetto musicale
Auch wenn er dann als Thomaskantor im Bereich der Kirchenmusik eben- falls bedeutende Kompositionen schuf – so erschienen 1618 und 1626 in zwei Teilen die Opella nova, und 1623 veröffentlichte Schein das berühmte Israelsbrünnlein – ließ Schein doch keinen Zweifel daran, dass er sich nicht als Kantor, sondern eher als städtischer Musikdirektor sah. Die weltliche Musik hatte für Schein keine geringe Bedeutung – 1625 servierte er sogar einen Studenten-Schmauß, eine Sammlung witziger Trinklieder. 
Die Wald-Liederlein, erschienen in drei Teilen 1621, 1626 und 1628, können durchaus als das weltliche Hauptwerk gelten. Mit den kunstvollen dreistimmigen Villanellen in der Manier italienischer Generalbass-Madrigale bediente Schein die Nachfrage nach einfachen, volkstümlich gehaltenen Vokalwerken fürs gesellige Musizieren. Und die humorvollen Texte mit ihrer bisweilen prallen Sinnlichkeit dürften wohl nicht unwe- sentlich zur Beliebtheit dieser Stücke beigetragen haben. 
Das United Continuo Ensemble unter Leitung von Thor-Harald Johnsen hat nun für diese CD eine ansprechende, kurzweilige Auswahl aus den insgesamt 50 Wald-Liederlein zusammengestellt. Musiziert wird klanglich abwechslungsreich; es singen Julla von Landsberg und Christine Maria Rembeck, Sopran, sowie Florian Götz, Bariton. 

Donnerstag, 12. November 2015

Fantasia italiano per clarinetto e piano (Ambitus)

Klarinettist Rolf Weber und die Pianistin Kazue Tsuzuki sind ein eingespieltes Team. Sie musizieren nicht nur gemeinsam in Gassen- hauer-Trio München, sie haben zusammen auch bereits eine CD mit romantischen Raritäten eingespielt. Nun ist bei Ambitus ihre zweite CD erschienen – mit vier ausgesprochen hörenswerten Fantasien zu Motiven aus Opern, und einer Sonate
Die Namen der Komponisten der ausgewählten Werke werden wahrscheinlich nur wenigen Spezialisten bekannt sein – die Melodien, die sie  als Grundlage nutzten, sind aber dafür umso vertrauter. So verwendete der grandiose Klarinettenvirtuose Iwan Müller (1784 bis 1854) Cavantinen aus populären Opern von Gioacchino Rossini. Domenico Mirco (1820 bis 1866), Spross einer berühmten Klarinettisten- dynastie, schrieb seine Fantasie über Rossinis Oper Mosè in Egitto, und Donato Lovreglio (1841 bis 1907) schuf eine Fantasie über Verdis La Traviata. Den Reigen beschließt Giacomo Setccioli (1868 bis 1925) mit einer Sonate, zu der der Komponist durch ein stimmungsvolles Gedicht inspiriert wurde. 
Auch wenn die Solisten aus der Schweiz und aus Japan stammen, und nun in München wirken – Weber als Soloklarinettist im Orchester des Staats- theaters am Gärtnerplatz, Tsuzuki als Pianistin und als Lehrbeauftragte an der Musikhochschule – zeigen sie hier jedoch jede Menge italienisches Temperament. Weber entlockt seiner Klarinette zudem Töne, die sind so farbenreich und so seidenweich, auch in der Höhe, niemals unkontrolliert schrill oder gepresst – es ist der absolute Traumklang! Diese CD möchte man immer wieder anhören. Bravi! 

Mittwoch, 11. November 2015

Poledouris: Conan the Barbarian (Naxos)

Kann man die Musik zu dem Film Conan der Barbar auf einer Orgel spielen? Warum eigentlich nicht – wo es doch so viele andere Bearbeitungen klassischer Musik für Orgel gibt. Die Musik von Basil Poledouris (1945 bis 2006) hat in dem Film, in dem es kaum Dialoge gibt, eine wichtige narrative Funktion. Passend zur Handlung, wirkt sie mitunter roh und simpel – doch unterschätzen sollte man diese Klänge nicht; es ist ganz gewiss kein Zufall, wenn man gelegentlich Anklänge etwa an Strawinskis Frühlingsopfer oder an Orffs bekannte Werke wahrnimmt. 
„Transcribing this unique music for the pipe organ was both challenging and motivating“, berichtet Philipp Pelster. „It is a fact that numerous orchestral colours found in his score are impossible to reproduce on the organ. For example, there is extensive use of percussion instruments. (..) Another challenge was the frequent use of glissando effects in the Pit Fights movement, produced by the pedals. This accelerating movement is reminescent of the Rowing of the galley slaves composed by Miklós Rósza for his 1959 Ben-Hur score.“ 
Der Organist hat für all diese Herausforderungen Lösungen gesucht und gefunden: „The chief aim of a transcription should be to make it sound as though originally it had been written for organ“, betont Pelster. „And indeed, playing Poledouris's score on this instrument is like generating a completely new musical experience.“ Eingespielt wurde die Bearbeitung an der Orgel der Claremont United Church of Christ, Claremont in Kalifor- nien. Sie ist Ende der 90er Jahre von der Glatter-Götz Orgelbau GmbH aus dem deutsche Pfullendorf und Rosales Organ Builders, Inc. aus Los Angeles gemeinsam errichtet worden, und hat einen interessanten Klang. 

Handel Collection (Brilliant Classics)

Eine umfangreiche Box mit Werken von Georg Friedrich Händel (1685 bis 1759) ist jüngst bei Brilliant Classics erschienen: Die Händel Edition fasst auf immerhin 65 CD wichtige Kompositionen des weitgereisten Hallensers zusammen. Dabei sind nahezu alle Bereiche seines Schaffens exemplarisch vertreten – bis auf die Opern, die hier ausgespart sind. Von den Oratorien sind neben Messiah und La Resurrezione in dieser Box Jephtha, Israel in Egypt, Judas Maccabaeus, Samson, Theodora, Saul, Solomon und Semele enthalten. Darüber hinaus bietet die Box eine Auswahl an Kantaten und Duetten, Oden, Te Deums und Anthems, zahlreiche Orchesterwerke und Konzerte, die vollständige Kammermusik und sämtliche Stücke für Tasteninstru- mente. 
Zu hören sind beispielsweise die Feuerwerks- und die Wassermusik, die Cembalo-Suiten, die Concerti grossi und die Orgelkonzerte, das Dettinger Te Deum, das Utrechter Te Deum, die Ode for St. Cecilia’s Day, Alexan- der’s Feast und die Krönungshymnen. Doch auch selten aufgeführte frühe deutsche Arien und italienische Kantaten sind in der Box zu finden. 
Die Liste der mitwirkenden Sänger und Instrumentalisten ist lang und illuster. Neben großen Namen, wie Arleen Auger, Alfred Deller oder Susanne Rydén und bekannten Ensembles wie Concerto Köln, Stuttgarter Kammerorchester, Neues Bachisches Collegium Musicum Leipzig, RIAS-Kammerchor, Akademie für Alte Musik Berlin oder English Chamber Orchestra sind auch von der Kritik hochgelobte Newcomer wie Erik Bosgraaf, Roberto Loreggian, Massimo Gabba, das Ensemble Contrasto Armonico unter Marco Vitale und das Ensemble Harmonices Mundi unter Claudio Astronio zu hören. Ein Großteil der Aufnahmen der Edition entstand vollständig digital, die älteren Einspielungen wurden durch ein Remastering klanglich aufgewertet. Und selbst wer schon eine ganze Reihe von Aufnahmen der Händelschen Werke sein eigen nennt, der wird in dieser Schatztruhe noch Überraschendes finden. 

Dienstag, 10. November 2015

Schubert: Winterreise; Schreier (Hänssler Profil)

Dies ist ein einzigartiges Tondoku- ment: Peter Schreier, berühmt besonders für seine überragende Gestaltung der Partie des Evange- listen in den beiden Passionen und dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach, beendete im Jahre 2005 seine Sängerlaufbahn mit einer allerletzten CD-Einspielung. Dafür wählte der Tenor Franz Schuberts Winterreise – in einer selten zu hörenden Version für Singstimme und Streichquartett statt Klavier. Diese Bearbeitung des Kasseler Komponisten Jens Josef ist oftmals noch grusliger und endgültiger als das Original; das Dresdner Streichquartett bringt ganz erstaunlich fahle Klangfarben ins Spiel. 
Peter Schreier hat den Liederzyklus erst spät in sein Repertoire aufgenom- men. Zum ersten Male gesungen hat er die Winterreise 1985 anlässlich der Wiedereröffnung der Semperoper in Dresden; am Klavier war sein Partner dabei Swjatoslaw Richter. In den Folgejahren hat der Sänger Schuberts Werk vorzugsweise gemeinsam mit András Schiff interpretiert, der ihm ein kongenialer Begleiter war. Auch davon existiert eine Aufnahme. 
Zum Ende einer Weltkarriere die Winterreise einzuspielen, dazu gehört Mut – zum einen, weil der Liederzyklus enorm anspruchsvoll ist. Zum anderen kreisen die einzelnen Lieder fortwährend um Abschied und Tod. Wenn man mit 70 Jahren, noch auf der Höhe des sängerischen Vermögens, Abschied von der Sängerlaufbahn nimmt, dann ist dies ganz bestimmt keine erbauliche Perspektive. 
Schreier hat diese Herausforderung professionell gemeistert. Und was das Alter seiner Stimme genommen hat, wie jugendliche Elastizität, das macht der Sänger bei dieser Einspielung durch seine langjährige Erfahrung mehr als wett. Es mag Aufnahmen geben, die stürmischer sind und wilder – aber diese hier überzeugt durch sängerische Weisheit und Ausdruck. 

Montag, 9. November 2015

Michael: Musicalische Seelenlust (Raumklang)

Tobias Michael (1592 bis 1657) war den Sohn des Dresdner Hofkapell- meisters Rogier Michael. Seine musikalische Laufbahn begann er 1601 als Sängerknabe in der Hofkapelle; 1609 schickte ihn der Kurfürst zur weiteren Ausbildung an die Landesschule in Pforta. Anschließend studierte Michael ab 1613 erst in Wittenberg, und dann in Jena. 1619 erhielt er die Stelle des Kapellmeisters an einer soeben neu errichteten Kirche in Sondershausen. 1621 fielen allerdings das Schloss und fast die gesamte Stadt einem verheerenden Brand zum Opfer; danach setzten seine Dienstherren, die Grafen zu Schwarzburg, die den Musiker ungern ziehen lassen wollten, Michael als Kanzleibeamten ein. 
Nach dem Tode von Johann Hermann Schein wurde Tobias Michael 1631 zum neuen Thomaskantor gewählt. So konnte er aus dem bedrängten Sondershausen nach Leipzig umziehen, wo er trotz Krieg und Seuchen dafür sorgte, dass das Kantorat an Bedeutung gewann – und dass die Thomaner wieder erstklassig sangen. So widmete Heinrich Schütz, der neue Hofkapellmeister in Dresden, der Stadt Leipzig und ihrem „berühmbten Chor“ seine Geistliche Chormusik von 1648. Der erzielte Qualitätszuwachs ist umso erstaunlicher, wenn man in der Leichpredigt liest, dass Tobias Michael in seinen 30 letzten Lebensjahren immer wieder von schweren Gichtanfällen geplagt wurde, und zum Schluss das Krankenlager gar nicht mehr verlassen konnte. 
Das bedeutendste Werk Michaels ist die Musicalische Seelenlust, 1634/35 und 1637 in zwei Teilen im Druck veröffentlicht. Der erste Teil enthält 30 geistliche Madrigale – biblische Texte in Vertonungen für fünf Stimmen, gesetzt nach dem seinerzeit innovativen italienischen Vorbild. Insofern erinnert dieser Teil an Scheins berühmtes Israelsbrünnlein. Im zweiten Teil fasste Michael 50 geistliche Konzerte für sehr unterschiedliche Besetzungen zusammen. Auf dieser CD erklingen Werke aus beiden Teilen, vorgetragen vom Ensemble Polyharmonique.

Peter und der Wolf in Hollywood (Deutsche Grammophon)

Peter und der Wolf – das ist doch uncool, befanden unsere Jungs. Doch dann erspähten sie diese CD auf meinem Schreibtisch: Ein Junge und ein Roboter? Können wir uns das mal anhören?? Es funktioniert! Die Deutsche Grammophon hat das vertraute Werk von Sergej Prokofjew in die Gegenwart geholt. 
Mit Hilfe einer Rahmenerzählung wird die alte Geschichte aus Russland ins moderne Kalifornien verlegt: In der neuen Vorgeschichte, die ebenfalls durch klassische Musik begleitet wird, fliegt der kleine Waisenjunge Peter von Russland nach Los Angeles, wo er von seinem Großvater aufgenommen wird – einem alternden Hippie, der in Hollywood lebt und als Gärtner für einen Filmstar arbeitet. Dort wächst Peter nun auf, am Rande der Glitzerwelt; seine Freunde sind ein kleiner Vogel und eine zahme Ente. Und dann bricht aus dem Zoo ein Wolf aus. Der Rest der Geschichte ist bekannt, allerdings bringen am Ende nicht die Jäger das gefangene Raubtier wieder in den Zoo, sondern die Paparazzi, die vorher wild um sich schießen mit ihren Kameras: Was für eine Story! 
Eingespielt wurde die neue Version vom Bundesjugendorchester unter Alexander Shelley, und erzählt von den Rockstars Campino – in der deutschsprachigen Version – und Alice Cooper, in englischer Sprache. Die Deluxe-Hardcover-Version erhält ein 48seitiges Booklet mit einer bunten Bilderwelt. Außerdem gibt es die App zur CD, für alle, die es ganz modern und interaktiv lieben. Spannende Unterhaltung, nicht nur für Kinder, und eine beeindruckende Musikauswahl, professionell gespielt von den besten jungen deutschen Nachwuchsmusikern. Sie sind die eigentlichen Stars dieser Aufnahme – und dass sie das Musikstudium erst noch vor sich haben, lässt einen schon staunen. Bravi!  

Samstag, 7. November 2015

Pictures at an Exhibition - Michael Korstick (Gramola)

Russische Klaviermusik interpretiert Michael Korstick auf einer CD, die vor gut 15 Jahren aufgezeichnet wurde und nun bei Gramola wieder zugäng- lich ist. Der Pianist spielt Modest Mussorgkis berühmte Bilder einer Ausstellung, ergänzt durch die Dumka c-Moll op. 59 von Peter Tschaikowski, die Lesginka aus
den Etudes d'exécution transcen- dante op. 11 von Sergej Ljapunow – ein technisch irrwitzig anspruchs- volles Stück – sowie die Klavier- sonate Nr. 8 B-Dur op. 84 von Sergej Prokofjew. 

Wer Korsticks Einspielungen kennt, der wird erstaunt sein, wie zurück- haltend der Pianist insbesondere bei den Bildern einer Ausstellung mit Klangfarben agiert und wie sehr er Temperamentsausbrüche vermeidet. Nicht Illustration, sondern Impression scheint Korstick wichtig zu sein. So verzichtet er auf die Promenade zwischen den Bildern sechs und sieben, um einen großen Spannungsbogen aufzubauen. Im Großen Tor von Kiew greift er partiell auf die Urfassung des Komponisten zurück. In Gnomus hingegen spielt er eine eigene Bearbeitung, die klanglich an Ravels Orchesterfassung erinnert. Kann man sicherlich alles machen, es wirkt aber seltsam unterkühlt. Mein persönlicher Favorit auf der CD ist Ljapunows Lesginka – das ist phantastische Musik, die mich nun sehr neugierig Ausschau halten lässt nach den anderen Etudes.

Bach: Birthday Cantatas (BIS)

„Das Bachische Collegium Musicum wird Morgen als dem 5. Sept. a.c.
im Zimmermannischen Garten vor dem Grimmischen Thore den hohen Geburts-Tag des Durchl. Chur-Prinzen von Sachsen mit einer solennen Musick von Nachmittag 4. bis 6. Uhr unterthänigst celebrieren“
, kündigte 1733 die Leipziger Zeitun- gen an. Im Februar war August der Starke gestorben, und von seinem Nachfolger Friedrich August II. erhoffte Johann Sebastian Bach die Ernennung zum Hofkomponisten. Die Huldigungskantaten zum Geburtstag des – elfjährigen – Kurprinzen sowie der Gattin des Herrschers, Maria Josepha, waren daher Bestandteil einer Werbekampagne in eigener Sache – und Bach hatte damit letztendlich auch Erfolg; 1736 erhielt er den Titel. 

Masaaki Suzuki, der bereits mit der Gesamteinspielung der geistlichen Kantaten Bachs international für Furore sorgte, wendet sich nun mit dem Bach Collegium Japan offenbar den weltlichen Kantaten zu. Diese CD enthält Lasst uns sorgen, lasst uns wachen BWV 213 und Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten! BWV 214, die beiden oben benannten Kantaten. Dem Musikfreund werden sie sehr bekannt vorkommen, denn die allermeisten Stücke daraus hat Bach recycelt – im Weihnachtsora- torium.  
Wer diese beiden Kantaten mit Verstand anhört, der wird erstaunt sein über die meisterhafte Parodie. Denn im Original wird der antike Halbgott Herkules – noch minderjährig, also Alt, durch die Wollust, Sopran, in Versuchung geführt, entscheidet sich aber für die Tugend, Tenor. Und weil man für ein Sängerquartett auch einen Bass benötigt, wird diesem die Figur des Merkur zugewiesen. 
Noch kurioser sind übrigens die Rollen besetzt in der Kantate für die Kurfürstin – es treten auf Bellona, die Göttin des Krieges, Sopran, Pallas Athene, Alt, die Göttin der Künste und der Wissenschaften, die Friedens- göttin Irene, Tenor, und die Göttin Fama, zuständig für den Ruhm, Bass. Aber die Musik ist grandios, und die Einspielung ist auch nicht zu verachten. Allerdings erscheint die Innigkeit, die man bei Suzukis Aufnahmen der geistlichen Kantaten so bewundert, bei den weltlichen Werken nicht ganz passend. Für das politische Dramma per musica hätte man sich mehr Schwung, mehr Jubel und mehr Theatralik gewünscht, insbesondere auch bei den Chören. 

Freitag, 6. November 2015

Nessun dorma - Jonas Kaufmann - The Puccini Album (Sony)

Jonas Kaufmann gehört zu den wenigen Tenören, die mit ihrer Musik schon mehrfach in den deutschen und österreichischen Albumcharts vertreten waren. Sein neues Album Nessun Dorma widmet er dem Werk des italienischen Komponisten Giacomo Puccini: 16 Arien aus Opern des Komponisten interpretiert Kaufmann gemeinsam mit Chor und Orchester der Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter Leitung des Dirigenten Antonio Pappano. In einigen Szenen sind zudem die lettische Sopranistin Kristīne Opolais sowie Bariton Massimo Simeoli und Bass Antonio Pirozzi zu hören. 
Ausgewählt wurden bekannte Stücke, wie das Liebesduett aus dem ersten Akt von La Bohème, das berühmte Nessun dorma aus Turandot, oder Recondita armonia, der erste Auftritt des Malers Mario Cavaradossi in Tosca, aber auch wenig bekannte Arien beispielsweise aus Le Villi, Edgar oder La Rondine. Dank chronologischer Abfolge bietet das Album zugleich einen guten Einblick in die klangsprachliche Entwicklung Puccinis. Das gesamte Programm hat Kaufmann übrigens bereits am 14. Juni 2015 in der Mailänder Scala gesungen. 
Der Sänger gilt als der derzeit erfolgreichste Tenor der Welt. Die Financial Times bezeichnete ihn unlängst sogar als „star tenor of his generation“. Ein Grund dafür ist seine Vielseitigkeit, denn er ist sowohl im italienischen als auch im deutschen und französischen Repertoire zu Hause. Kaufmann beherrscht mehrere Sprachen, er singt mit einem hinreißenden Timbre und einer profunden Technik, und er gestaltet seine Stücke überaus intelligent. Außerdem sieht er gut aus und ist ein versierter Darsteller, was in einem Zeitalter, in dem die Leute zumeist deutlich besser sehen können als hören, ganz sicher nicht schädlich ist. 
Diese gelungene CD wird ergänzt durch eine Bonus-DVD sowie durch ein üppig ausgestaltetes Beiheft, das unter anderem Anmerkungen von Jonas Kaufmann zu den diversen Arien und Szenen, Plakate und Fotos sowie sämtliche Texte enthält. 

Donnerstag, 5. November 2015

Avison: Concerti grossi after Scarlatti (Berlin Classics)

Er lebe, so befand Charles Avison (1709 bis 1770) in seinem Essay on Musical Expression, in einer Zeit, in der „a disproportionate fame hath been the lot of some very indifferent composers“; Schuld daran sei the „false taste of those who hear“, also der gänzliche Mangel an Geschmack bei denen, die Zuhörer sind. Vivaldi und Locatelli verortet Avison in der „first and lowest class“; Hasse und Porpora findet er nicht sehr viel besser, und auch Händel gehört nicht unbedingt zu seinen Favoriten. Gelungen seien hingegen die Werke von Francesco Gemiani – Avisons Lehrer – sowie Domenico Scarlatti (1685 bis 1757), denn „the invention of his subjects or airs and the beautiful chain of modulation in all these pieces are peculiarly his own“, so Avison. „The finest passages are greatly disguised with capricious divisions, yet, upon the whole, are original and masterly.“ 
Und weil das Concerto grosso gerade groß in Mode war, setzte sich Avison, der als Organist in seiner Vaterstadt Newcastle-upon-Tyne wirkte, hin, und kompilierte aus Werken Scarlattis, insbesondere den Essercizii per Gravicembalo, zwölf Stück davon. Das Ensemble Concerto Köln, das in diesem Jahr sein 30jähriges Bestehen feiert, hat sechs dieser Werke nun mit gewohnter Brillanz bei Berlin Classics eingespielt. Und wer sich dafür interessiert, wie Avison bei seiner Bearbeitung vorgegangen ist, der kann sich einen Satz auch im Original anhören und dann vergleichen. 

Bach Handel Scarlatti: Gamba Sonatas (Hyperion)

„1685 – what a year! The storks must have been working overtime, earning bonusses for high-quality deliveries“, witzelt Steven Isserlis im Beiheft zu dieser CD, die er den drei großen musikalischen Persön- lichkeiten gewidmet hat, welche in jenem Jahr das Licht der Welt erblickten: Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel und Domenico Scarlatti. Der Cellist hat gemeinsam mit dem Cembalisten Richard Egarr Gambensonaten dieser Komponisten eingespielt; bei den Werken Händels und Scarlattis wirkt zudem noch Robin Michael mit, der mit dem Continuo-Cello einen wichtigen Beitrag zum Gesamtklang leistet. 
Wie anspruchsvoll diese Auswahl ist, das ist Isserlis durchaus bewusst: „Playing these Bach sonatas on the cello – the gamba's rather more robust younger brother, or at least cousin – perhaps throws up a few more questions of balance than arise between the gentle gamba and its old friend the harpsichord; but these are by no means insuperable“, erklärt der Musiker. „And its lovely for us cellists, used to making our presence felt with some difficulty over the rich sound of a modern piano, to be able to play as lightly as possible without ever courting inaudibility.“ Isserlis musiziert mit wundervollem, federleichten und wandlungsfähigen Ton. So tänzerisch-beschwingt, und dabei so ausgewogen und wohldurchdacht habe ich diese Werke noch nie gehört. Diese CD ist durchweg die reine Freude. Unbedingt anhören, jede Minute lohnt sich! 

Albrecht Mayer - Bach (Deutsche Grammophon)

Die Bach-Einspielungen von Albrecht Mayer, Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker und mehrfacher Echo-Klassik-Preisträger, sind nun gesammelt beim Label Deutsche Grammophon auf einem neuen Doppelalbum erschienen. Die beiden erfolgreichen Bach-Alben Lieder ohne Worte und Bach wurden bei dieser Gelegenheit durch weitere rekonstruierte Konzerte ergänzt, so dass der Hörer einen umfassenden Eindruck von den Werken bekommt, die Johann Sebastian Bach für die Oboe geschrieben hat – und oder vielmehr geschrieben haben könnte. 
Denn auch wenn der Thomaskantor das Instrument in vielen Kantaten eingesetzt und mit hinreißenden Soli bedacht hat, ist das eigentliche Repertoire, das der Komponist für die Oboe geschaffen hat, erstaunlich klein: „Es gibt viele Oboenkonzerte von Bach“, meint Mayer, „aber kein einziges verbrieftes, echt originales Oboenkonzert.“ Um noch mehr seiner Lieblingsmelodien spielen zu können, hat Mayer aber nicht nur auf rekonstruierte Konzerte zurückgegriffen, sondern darüber hinaus auch gemeinsam mit dem Arrangeur Andreas Tarkmann etliche zusätzliche Stücke für die Oboe bearbeitet, vor allem Arien und Choräle. „Unsere Maxime war, die Arrangements so zu gestalten, dass jemand, der das sogenannte Originalrepertoire von Bach nicht im Detail kennt, unsere Arrangements für authentisch und für original von Bach halten wird“, erklärt der Musiker im Beiheft. Ein gutes Beispiel dafür ist die Erbarme dich-Arie aus der Matthäus-Passion, wo Mayer auf der Oboe d'amore gemeinsam mit dem großartigen Nigel Kennedy, der den obligaten Violinpart übernommen hat, und der Sinfonia Varsovia musiziert. 
Die berühmte Sinfonia aus dem Weihnachtsoratorium wiederum hat der Oboist gemeinsam mit Beni Araki, Cembalo und Orgelpositiv, eingespielt – und mit der modernen Studiotechnik, die es dem Musiker ermöglicht, in Personalunion sämtliche Oboenparts zu übernehmen. Mayer musiziert hier mit Mayer, überaus harmonisch und absolut perfekt – was die Aufnahme aber fast schon in die Nähe des akustischen Zuckergusses bringt. Diese Doppel-CD bietet ohnehin eine Welle an Wohlklang, die man möglicherweise wohldosiert anhören sollte, um sie wirklich genießen zu können. Mayers alleweil runder, edler Ton und seine makellose Technik aber sind grandios. Und die Partner, die sich der Musiker für die jeweiligen Einspielungen gesucht hat, begleiten ihn lebendig und mit Einfühlungs- vermögen. Wer Freude an exzellent gespielter Oboenmusik hat, der wird diese Aufnahmen lieben.

Dienstag, 3. November 2015

Chamber Jazz - Peter Lehel Quartet (Finetone)

Was geschieht, wenn sich Jazz und Klassik begegnen? Eine Antwort auf diese Frage gibt diese Doppel-CD, eingespielt vom Peter Lehel Quartet. Das vielseitige und wunderbar wandlungsfähige Jazzquartett des Saxophonisten und Komponisten setzt sich hier mit bekannten Werken vergangener Jahrhunderte ausein- ander. Es spielt seit 1996 in unver- änderter Besetzung, mit Ull Möck am Piano, Mini Schulz am Bass und Dieter Schumacher, Drums und Percussion. 
Bei dem Projekt Chamber Jazz spielen die Musiker – die allesamt auch „klassisch“ ausgebildet sind – gemeinsam mit der in Bozen lebenden Flötistin Anna Toró und dem renommierten Klarinettisten Wolfgang Meyer. Die beiden Solisten aus der „Klassikwelt“ fügen sich perfekt ein – was nicht überrascht. So ist Wolfgang Meyer bekannt als Grenzgänger, der ebenso gern (und ebenso gut) Mozart spielt wie moderne Musik oder Jazz. 
Die Musiker nutzen Melodien beispielsweise von Fauré, Ravel und Piazzolla, aber auch von Bach, Schubert und Brahms, die sie improvisie- rend erkunden, und so eine ganz eigene Klangwelt erschaffen. Peter Lehel hat zu diesem Programm selbst zwei größere Werke beigetragen: Havanna Nights erinnert an Filmmusik, und an die Klänge des Buena Vista Club. Das Concertino for Quintet ist ein Doppelkonzert für Bassethorn und Sopransaxophon – und ebenso anspruchsvoll wie ansprechend. Sehr gelungen! 

Händel: Oratorio Arias (Supraphon)

Die Oratorien von Georg Friedrich Händel waren zu Lebzeiten des Komponisten sehr populär, und die meisten dieser Werke sind auch heute noch beim Publikum präsent und in etlichen Einspielungen verfügbar. Eine Auswahl von Bass-Arien aus Alexander's Feast, Messiah, Acis and Galathea sowie Judas Maccabaeus hat nun Adam Plachetka gemeinsam mit dem Czech Ensemble Baroque unter Roman Válek bei Supraphon veröffentlicht. Der tschechische Sänger, ausgebildet am Prager Konservatorium, gehört seit 2010 zum Ensemble der Wiener Staatsoper. Einigermaßen erstaunt vernimmt man daher, was diese CD anbietet: Ein Orchester, das ziemlich uninspiriert und orientierungslos musiziert, und einen Solisten, der offenbar deutlich besser ausschaut, als er singt: Ein Timbre zum Erschrecken, ein Vibrato, in dem Koloraturen akustisch verschwinden wie Lichtblitze in dichtem Nebel, und dazu ein schockierender Mangel an Ausdruck. Derartige Klänge kennt man von altgedienten Sängern, wenn ihre Technik nachlässt – aber von jungen Sängern, die bei den Salzburger Festspielen oder in Covent Garden auftreten, erwartet man Format und Klasse. Beides habe ich hier schmerzlich vermisst.