Dienstag, 24. Juli 2018

Porpora: Opera Arias (Decca)

Sein neues Album hat Countertenor Max Emanuel Cencic komplett dem Schaffen von Nicola Antonio Porpora (1686 bis 1768) gewidmet. Der Musiker, dessen 250. Todestag 2018 ansteht, gehörte zu den ganz großen Stars seiner Zeit. Er kam in Neapel zur Welt, wo er von 1696 bis 1706 seine Ausbildung an einem Konser- vatorium absolvierte. Danach wirkte er als Kapellmeister beim Prinzen Philipp von Hessen-Darmstadt, dem Kommandanten der kaiserlichen Truppen in Neapel. 1708 stellte Porpora seine erste Oper Agrippina vor – viele weitere sollten folgen. Nur Leonardo Vinci, Antonio Scarlatti und Johann Adolph Hasse waren seinerzeit in Italien als Opernkompo- nisten ähnlich populär wie Porpora, der mit dem Textdichter Metastasio ein echtes „Dreamteam“ bildete. 
Und auch die Sänger strömten in Scharen herbei. 1715 hatte Porpora begonnen, am Conservatorio Sant'Onofrio Gesangsschüler zu unterrichten. Dabei war er unglaublich erfolgreich; schon bald galt er als bester Gesangslehrer Europas. Zu seinen Schülern gehörten Kastraten wie Farinelli und Caffarelli. 
Ab 1725 lehrte er in Venedig. 1733 ging Porpora nach London, wo er die Opera of the Nobility leitete, das Konkurrenzunternehmen zu Händels legendärer Operntruppe. Nach vier Spielzeiten waren beide pleite, und so musste sich Porpora neue Gönner suchen. Er versuchte sein Glück in Wien, wo er aber keine Anstellung erhielt, so dass er nach Italien zurückkehrte. 
1745 reiste er dann im Gefolge des venezianischen Botschafters nach Dresden. Dort wurde er 1748 Gesangslehrer der Prinzessin Maria Antonia Walpurgis von Bayern, der kunstsinnigen Ehefrau des sächsischen Kurprinzen Friedrich Christian, und Hofkapellmeister. Allerdings wurde er damit zum Rivalen Hasses – der sich letztendlich behaupten konnte. 
Porpora ging 1752 in Pension und zurück nach Wien, wo er Gesangsunterricht gab. Er wohnte im Michaelerhaus, wo auch Metastasio eine Wohnung hatte – und wo der junge Joseph Haydn lebte, der von Porpora lernte, indem er dessen Schüler auf dem Klavier begleitete. Ab 1759 allerdings blieben die Zahlungen des sächsischen Hofes aus, eine Folge des Siebenjährigen Krieges. 
1760 erhielt Porpora die Stelle eines maestro di capella am Conservatorio di Santa Maria di Loreto in Neapel. Er versuchte sich auch noch einmal als Opernkomponist, aber die Zeit der opera seria war wohl vorbei. 1761 gab er alle seine Anstellungen auf; über den Rest seiner Tage, die der einstmals gefeierte Gesangslehrer unter vergleichsweise armseligen Bedingungen verbracht haben dürfte, schweigen die Archive. 
Die Arien, die Porpora geschrieben hat, waren für die besten Sänger jener Zeit bestimmt. Wie es damals Brauch war, hat der Komponist sie so auf den Solisten zugeschnitten, dass sie seine Stärken und Vorzüge betonten, und Schwächen kaschierten. Die Sänger konnten damit ihre Virtuosität effektvoll unter Beweis stellen. 
Wer diese Werke heute singen will, der hat es schwer. Zum einen sind sie für eine andere Stimme maßgeschneidert. Zum anderen unterscheidet sich die Ausbildung eines Sängers heute deutlich von jener, die es vor 300 Jahren bei Gesangslehrern wie Porpora gab. Schier endlose Koloraturen, die in rasantem Tempo, aber trotzdem mit der Präzision eines Uhrwerkes gesungen werden müssen, und raffinierte, improvisierte Auszierungen stehen heute eher nicht mehr im Mittelpunkt des Studiums. 
Max Emanuel Cencic hat, begleitet von der Armonia Atenea unter George Petrou, das Abenteuer dennoch gewagt, und ein komplettes Album mit Arien Porporas veröffentlicht, sieben davon sind in Weltersteinspielung zu hören. Die Oper Germanico in Germania hatte er zuvor bereits aus der Mottenkiste der Musikgeschichte – wohin Irrtum und Beckmesserei den gesamten Kastratengesang einst entsorgt wissen wollten – zurück an die frische Luft geholt. 
Nun also folgen vierzehn handverlesene Arien, wobei sich in seinem Programm eher besinnliche Stücke ebenso finden wie höchst virtuose. Insider werden schnell feststellen, dass Cencic sein Recital mit exakt derselben Arie beginnt, die Franco Fagioli 2014 bei seinem Porpora-Album an den Anfang gesetzt hatte. (Und bei diesem musikalischen Kräftemessen hat der Kollege eindeutig das Nachsehen.) 
„Wie können wir die großen Kastraten nachahmen? Das lässt sich kaum festlegen, aber diese Stimmen waren die Seele von Porporas Musik“, wird Cencic im Beiheft zitiert. „Ich habe die Arien für diese Aufnahme fast instinktiv nach meinem Gefühl für das Richtige ausgewählt. Man kann einen Komponisten dieser Qualität nicht in einem Album erfassen, und jedes Stück ist ein Juwel für sich. Auch wenn die Technik überall herausgestellt wird – Sprünge, schnelle Skalen, Triller, lange Phrasen – scheint doch Porporas besondere und äußerst fesselnde melodische Begabung überall durch.“ 
Zum Teil sind die Koloraturen und Verzierungen aberwitzig anspruchsvoll; mir persönlich gefällt Cencics Gesang allerdings am besten, wo er große Bögen gestalten kann, mit betörender Süße oder ergreifendem Lamento. Der Farbenreichtum dieser Produktion ist ohnehin hinreißend – auch das Viril-Metallische, umtost von Pauken und Trompeten, hat darin seinen Platz. Das Athener Barockorchester ist immer präsent, und geleitet den Sänger sicher auch durch die schwierigsten Passagen. 

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