Mittwoch, 13. Februar 2019

Swan Songs (Avi-Music)

Der Sage nach stimmen Schwäne vor ihrem Tode ein letztes Lied an – und sie singen traurig, aber zugleich wunderschön. Ein berühmtes Beispiel für ein solches Werk ist der letzte Liederzyklus von Franz Schubert; er wurde nach dem Tode des Komponisten von seinem Verleger unter dem Titel „Schwanengesang“ veröffentlicht. 
Für diese CD hat Christian Immler einige dieser Lieder ausgewählt, und dazu noch weitere Werke zusammengetragen, die jeweils am Ende eines bewegten Lebens entstanden sind. Zu hören sind die Vier ernsten Gesänge, die Johannes Brahms ein Jahr vor seinem Tod im Andenken an die verstorbene Clara Schumann geschrieben hat. Bei den Liedern von Schubert und Brahms wird der Bariton am Klavier beleitet von Christoph Berner. 
Samuel Barber schrieb seine Drei Lieder op. 45 für Dietrich Fischer-Dieskau. Sie „haben mich schon seit meiner Studienzeit wegen ihrer Vielschichtigkeit, textlichen Raffinesse und melancholisch-morbiden Schönheit angesprochen“, meint Immler: „Das zweite Lied ‘A Green Lowland of Pianos’, das Barber als ‘das Lustige’ (‘a funny one’) beschrieben hat, transportiert uns elegant zu einer surrealer Kulisse in einem anderen Universum, wo eben des Abends ganz selbstverständlich ‘Herden schwarzer Klaviere den Fröschen’ lauschen!“ Entsprechend kurios ist die musikalische Gestaltung; die beiden anderen allerdings wirken ziemlich melancholisch. Pianist ist hier Danny Driver. 
Leonard Bernsteins Schwanengesang Arias and Barcarolles, aus dem Jahre 1988, ist voll Energie und Lebensfreude. Immler singt gemeinsam mit Mezzo-Sopranistin Anna Stéphany und begleitet von dem Klavierduo Danny Driver und Silvia Fraser diese abwechslungsreichen Miniaturen, ja, fast Miniatur-Opern. Das ist zunächst großes Drama, ganz wie am Broadway – doch dann klingt alles ruhig und innig aus. Ein sehr persönlicher Beitrag zum Bernstein-Jubiläum; voll Ehrfurcht erinnert sich Immler übrigens noch heute daran, wie er als 14jähriger Solist des Tölzer Knabenchores in Salzburg Bernstein das Solo aus Mahlers 4. Sinfonie vorsingen durfte. 

Sonntag, 3. Februar 2019

Alla Zingarese (Cedille)

Wenn sich Osten und Westen begegnen, dann geschehen mitunter erstaunliche Dinge. Wer hätte, beispielsweise, vermutet, dass zwei Geiger aus Shanghai und aus der Tschechischen Republik gemeinsam Zigeunerklänge erkunden? 
Yuan-Qing Yu und Pavel Šporcl kennen sich schon seit vielen Jahren; sie haben beide an der Southern Methodist University studiert, und sich damals ein Studio geteilt. Die Chinesin musiziert heute als Zweite Konzertmeisterin des Chicago Symphonie Orchestra sowie im Civitas Ensemble; ihr tschechischer Kollege ist in die Heimat zurückgekehrt, und hat dort das Gipsy Way Ensemble gegründet. Die Zigeunermusik schätzen beide – und mit dieser Doppel-CD gehen sie auf die Suche nach Spuren, die das reiche musikalische Erbe des über die halbe Welt verstreut lebenden Volkes in der klassischen Musik hinterlassen hat. 
In attraktiven Arrangements spielen die beiden Ensembles gemeinsam. Die Besetzung ist unkonventionell: Civitas besteht aus Yuan-Qing Yu, Violine, Kenneth Olsen, Violoncello, J. Lawrie Bloom, Klarinette und Bassklarinette sowie Winston Choi, Klavier. Das Gipsy Way Ensemble bilden Pavel Šporcl, Geige, Zoltán Sándor, Viola, Ján Rigó, Kontrabass und Tomáš Vontszemü, Cimbalom. Sie alle sind an ihren Instrumenten Virtuosen, und so begeistert diese CD nicht zuletzt durch Spontanität und Farbenreichtum. Brahms – warum nicht einmal ganz anders?

Herbert Kegel (Capriccio)

Den Dirigenten Herbert Kegel (1920 bis 1990) ehrt eine Sammelbox des Labels Capriccio. Er war ein Schüler von Karl Böhm, und wurde 1949 Chorleiter und Kapellmeister beim Sender Leipzig. 1953 wurde Kegel dann Chefdirigent des Leipziger Rundfunk-Sinfonieorchesters. 
Mit „seinem“ Orchester widmete er sich vor allem der zeitgenössischen Musik. Er bereitete sich akribisch vor, und verlangte auch von den Musikern und Sängern Präzision. Seine Proben – sie konnten durchaus zehn Stunden und mehr dauern – sind eine Legende; für die Musizierenden waren sie sicherlich vor allem eine Tortur. Doch seine Aufnahmen zeigen, warum die Künstler diese Strapazen auf sich nahmen: „Oft hat man den Eindruck – selbst bei Stücken, die man schon viele Male gehört hat und daher zu kennen glaubt – als hätte man jahrelang durch eine Milchglasscheibe geblickt und Kegels Interpretation habe den Schmierfilm vom Glas entfernt, sodass man nun ganz neue Details wahrnimmt, die man so noch nie zuvor gehört hatte“, beschreibt Rainer Aschemeier in seinem Geleitwort diesen Effekt. Die Orff-Einspielungen Kegels beispielsweise sind Ereignisse, ebenso seine Interpretationen der Mahler-Sinfonien. 
1977 wurde Kegel Chefdirigent der Dresdner Philharmonie. Das war ein großer Fehler, denn seine Ausflüge in die Moderne waren bei dem konservativen Dresdner Publikum nicht willkommen. Im Elbtal wollte man die Klassiker hören – und so erklingt auch auf diesen acht CD in erster Linie Beethoven. Neben den neun Sinfonien erklingen das Tripelkonzert – mit Peter Rösel, Klavier, Christian Funke, Violine und Jürnjakob Timm, Violoncello – und die Chorfantasie. Dazu gibt es eine CD mit allerlei kurzen Stücken, von Gluck über Glinka bis hin zu Sibelius. Komplettiert wird die Box durch Kegels legendäre Aufnahme des Brahms-Requiems aus dem Jahre 1985. Hier dirigiert er noch einmal „seine“ Leipziger Klangkörper. 
Im gleichen Jahr wurde Kegel in den Ruhestand verabschiedet. Es war zunächst ein Unruhestand, mit zahlreichen Projekten. Doch während man ihn in Japan verehrte und schätzte, verlor Kegel in der Heimat immer mehr an Bedeutung. Zur Wendezeit war der Dirigent dann nur noch ein Rentner – und tief depressiv. Im November 1990 wählte er den Freitod, was damals wenig interessierte. Seine Aufnahmen aber werden nun schrittweise wieder zugänglich. Auch diese CD-Box zeigt, wie wertvoll Herbert Kegels Arbeit war. 

Freitag, 1. Februar 2019

Reflections (Genuin)

Wenn Yukyeong Ji ihre CD „Reflections“ nennt, dann hat sie offenbar weniger das Phänomen des Spiegels im Sinn als vielmehr den Vorgang der Reflektion in seiner ganzen Vielfalt: „visuell (wie bei Debussy in Reflets dans l'eau), formal (wie Messiaens in Par Lui tout a été fait) oder als Hommage, wie beispielsweise Beethoven von zahllosen Komponisten lebenslang als Vorbild gesehen wurde. Kunst reflektiert die gesellschaftlichen Umstände und generell lassen alle Werke die Persönlichkeit der sie Erschaffenden widerscheinen.“ 
Auf ihrer Debüt-CD bei dem Leipziger Label Genuin präsentiert die koreanische Pianistin, die in Seoul und in Hannover studiert hat, ein höchst anspruchsvolles Programm, das viele Facetten aufzeigt. Zu hören ist Musik von Uzong Choe, der eigens für diese CD ein Prélude neu komponierte, Toru Takemitsu, Bertold Hummel, Maurice Ravel und Olivier Messiaen. Yukyeong Ji begeistert mit einer exzellenten Technik und außergewöhnlichem Gestaltungsvermögen. Sehr beeindruckend!