Samstag, 23. Februar 2008

Beethoven 5 & 7 - Gustavo Dudamel (Deutsche Grammophon)

19 erste Violinen, 22 zweite Violinen, 15 Violas, 14 Celli, neun Kontrabässe, und ganze Heerscharen Bläser, die sich abwechseln müssen, damit mehr Leute mitspielen können - das Simón Bolívar Youth Orchestra of Venezuela ist ein Phänomen. Das gilt auch und vor allem für die Herkunft der jungen Musiker. Denn die meisten von ihnen stammen mitnichten aus gutbürgerlichen Familien. Musikunterricht ist in Venezuela kein Privileg, sondern ein überaus erfolgreicher Ansatz der Sozialarbeit.
Edicson Ruiz beispielsweise wuchs in einem Armenviertel von Caracas auf. Er arbeitete schon mit elf Jahren stundenweise als Packer in einem Supermarkt, um das schmale Einkommen seiner Mutter zu ergänzen. Das Straßenleben faszinierte ihn; er wurde zunehmend gewalttätig. Irgendwann erzählte ihm ein Nachbar von der örtlichen Musikschule. "Sie gaben mir eine Bratsche und setzten mich mitten ins Orchester", erinnert sich Ruiz. "Ich hörte den Klang der Kontrabässe und dachte: ,Ja! Das ist dein Instrument!'" Mit 15 gewann Ruiz den ersten Preis beim Wettbewerb der International Society of Bassists in Indianapolis. Und mit 17 Jahren wurde er das jüngste Mitglied der Berliner Philharmoniker überhaupt.
Ähnliche Geschichten könnten 400.000 Kinder und Jugendliche erzählen, die ebenfalls von der "Fundación del Estado para el Sistema de Orquestra Juvenil e Infantil de Venezuela" ausgebildet wurden, einer staatlichen Stiftung, die die mehr als 180 Kinder- und Jugendorchester des Landes und die dazugehörigen Musikschulen unterhält. Venezuela hat nur 22 Millionen Einwohner, aber 30 professionelle Sinfonieorchester. Das "Sistema" beschäftigt immerhin 15.000 Musiklehrer, und ist mit seiner Arbeit sehr erfolgreich.
Das Prinzip ist einfach: Schon Kleinkinder bekommen Instrumente. Unterricht, Reisen, Noten und ggf. soziale Betreuung sind gratis. Unterrichtet wird in Gruppen; Kinder, die schon weiter fortgeschritten sind, unterrichten Neueinsteiger. Gegenseitige Unterstützung ist Pflicht, und das Zusammenspiel im Orchester gehört von Anbeginn zum Unterrichtsprogramm. Wer aber an sechs Nachmittagen pro Woche musiziert, der hat keine Zeit für Schlägereien, Alkohol und Drogen. Nebeneffekt: Durch ihr Engagement erreichen die Jugendlichen oft schon sehr bald ein Niveau, das für die Aufnahmeprüfung an einer europäischen Musikhochschule locker ausreicht.
Gustavo Dudamel wurde mit 17 Jahren Chefdirigent des Simón Bolívar Youth Orchestra - und heute, als 27jähriger, ist er weltweit bekannt und akzeptiert.
Für die erste Einspielung seines Orchesters bei der Deutschen Grammophon wählte er Beethovens Fünfte und Siebente aus. Die enorme Besetzung bringt allerdings nicht nur Vorteile; die Durchhörbarkeit leidet darunter enorm, und auch die dynamische Elastizität könnte besser sein. Bei aller Kritik - die Aufnahmen sind eines nicht: langweilige Dutzendware. Beide Sinfonien kommen wuchtig und schwungvoll daher. Auf die nächsten CD, vorzugsweise mit romantischem Repertoire, darf man daher gespannt sein.

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