Donnerstag, 31. März 2011

Rothe: Matthäus-Passion (cpo)

"Rothe (Johann Christoph) geb. zu Roßwein in Meißen 1653, war der Vater einer Familie, welche sich, seitdem die Musen unserem Son- dershausen das Glück ihrer Ge- genwart gönneten, fortwährend durch ihre Talente und ihren Eifer in Erfüllung ihrer Pflichten bey der Fürstl. Hofmusik ausgezeichnet haben", berichtet das Tonkünstler- lexikon des Sondershäuser Hof- organisten Ernst Ludwig Gerber aus dem Jahre 1792. "Nachdem er sich unter der Anleitung seines Vaters, welcher Kantor zu Roßwein war, so weit zum Sänger und Violinisten gebildet hatte, daß er hoffen durfte, auch außerhalb unter Fremden bemerkt zu werden; so verließ er sein väterliches Haus, um an irgend einem Hofe sein Glück zu finden.
Er erhielt nun zwar anfangs zu Coburg als Falsetist und Violinist Dienste in der dasigen Herzogl. Hofkapelle; allein ohngeachtet seine Herrschaft mit ihm zufrieden war, forderte er dennoch seinen Abschied, welchen er auch schriftlich auf eine Ehrenvolle Art erhielt, und trat im Jahr 1693 als Kammerdiener und Kammermusikus in hießige Fürstl. Dienste, wo er auch im Jahr 1720 starb, nachdem er mehrere beträchtliche geistliche Werke, als Passionen, Osterstücke u.s.w. für die Fürstliche Kapelle in Musik gesetzt und aufgeführt hatte." 
Die Musikwissenschaftler aber, die versucht haben, diese Angaben zu überprüfen, erlebten eine Überraschung. Denn sie fanden in Roßwein keinen Kantor Rothe. Und laut Eintrag im Kirchenbuch ist der Musi- ker bereits im Juni 1700 gestorben. Sein einziges überliefertes Werk, die 1697 in Sondershausen komponierte Matthäus-Passionist die älteste erhaltene oratorische Passion aus Mitteldeutschland. 
Sie beruht auf einem Text unbekannter Herkunft, den zuvor bereits auch der Halberstädter Domkantor Christian Clajus in ähnlicher Form verwendet haben muss - seine Passion aus dem Jahre 1693 ist aller- dings nur als Textdruck belegt. Rothe hat im Vergleich zu Clajus die Zahl der Choräle drastisch reduziert, und eine zusätzliche Arie einge- fügt. Sein Werk setzt ganz auf die barocke "Trauer-Tonart" c-Moll; und die Begleitung der Sänger durch lediglich zwei Violinen plus Gamben- consort sowie der Einsatz des Bogenvibratos verstärken der Eindruck der Trauermusik noch. 
Die Christusworte hat Rothe dem Bass zugewiesen; sie erscheinen hier in ihrer Streicher-Begleitung dramatischer als die Erzählung des Evangelisten, auch wenn diese mitunter geradezu theatralisch aus- gedeutet wird. Von den vertrauten Secco-Rezitativen jedenfalls ist diese Partie noch meilenweit entfernt. Bemerkenswert ist zudem, dass es in dieser Passion keine einzige Arie für Bass gibt. 
Wie aus dem Material ersichtlich wird, das in der fürstlichen Noten- bibliothek vorliegt, stand Rothe  für seine Aufführung lediglich ein Mini-Ensemble zur Verfügung: ein Diskantist nebst zwei Knaben vom örtlichen Gymnasium, eine einzige Altstimme, zwei Tenöre, zwei Bässe - sowie der Evangelist, ebenfalls Tenor, der ausschließlich seine eigene Partie singt. Es wird vermutet, dass diese Partie möglicher- weise der Pfarrer selbst übernommen haben könnte. Für eine Aufführung dieser Passion im Altarraum spricht übrigens auch die Tatsache, dass Rothe ausdrücklich ein Cembalo als Tasteninstrument fordert - und dass ursprünglich keine Stimme für die Orgel vorhanden war. 
Die Chöre besetzte Rothe sehr selektiv; die polyphonen Chöre werden zumeist solistisch vorgetragen, in die homophonen hingegen sollte das ganze Ensemble einstimmen. Das könnte natürlich ein Hinweis darauf sein, dass die Sänger nicht alle gleich gut ausgebildet und gleichermaßen talentiert waren. Denn die Kapellmeister seinerzeit waren sehr erfahren darin, für die vorhandenen Kräfte so zu kom- ponieren, dass das Ergebnis überzeugte, auch wenn die Fertigkeiten der einzelnen Musiker mitunter höchst unterschiedlich waren. 
Bernhard Klapprott aber, der die Passion nun im Rahmen des Projek- tes Musikerbe Thüringen bei cpo eingespielt hat, muss sich nicht mit Kammerdienern plagen, die eher nebenbei musizieren. Das von ihm 1999 gemeinsam mit Christoph Dittmar in Weimar gegründete Ensemble Cantus Thuringia & Capella besteht aus bestens geschulten Profis, die sich auf Alte Musik spezialisiert haben. 
So kann es sich Klapproth problemlos leisten, die Chöre durchweg solistisch zu besetzen, und die umfangreiche Altus-Partie auf zwei Sänger aufzuteilen. Knaben freilich wirken nun nicht mehr mit; das ist schade, denn darunter leidet die Wirkung des einzigen Duettes ein wenig. Auch das Continuo wurde aufgestockt - neben dem Cembalo sind nun gleich zwei Truhenorgeln sowie ein Violone zu hören. 
Das Ergebnis kann sich hören lassen; wer die Quellen kennenlernen möchte, aus denen letztendlich auch Bachs berühmte Passionen schöpfen, der sollte diese Doppel-CD nicht verpassen. 

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