Seit Jahren singt Anna Netrebko regelmäßig in Baden-Baden. Im vergangenen Jahr entschied sich die Sopranistin, erstmals keine Oper und auch kein Arien-Recital zu singen - sondern Barock- musik, von Giovanni Battista Pergolesi (1710 bis 1736).
Dabei kombinierte sie das berühm- te Stabat Mater mit weltlichen Werken - sie selbst wählte die Kantate Nel chiuso centro, und die italienische Mezzosopranistin Marianna Pizzolato, die Kapellmeister Antonio Pappano für das Projekt vorgeschlagen hatte, entschied sich für Questo è il piano. Das Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia aus Rom spielt zudem die Sinfonia aus dem geistlichen Drama Li prodigi della divina grazia nella conversione e morte di San Guglielmo duca d'Aquitania. Die Musiker, die moderne Instrumente nutzen, sind ganz offenkundig mit den Anforderungen der "Alten" Musik bestens vertraut, und spielen sie souverän.
Die beiden Sängerinnen aber können ihre Ausbildung nicht verleug- nen - und diese hat die Opernbühne zum Ziel, räumt Netrebko ein: "Zuerst versuchte ich, meine Stimme zurückzunehmen und wie eine Barocksängerin zu singen, aber dann fand ich die Idee nicht mehr so gut. Ich musste einen Mittelweg finden und mit meiner eigenen Stimme singen." Die Sängerin interessierte sich ganz offenkundig besonders für die theatralischen Momente von Pergolesis Musik. An manchen Stellen erzeugt das Dramatik; gelungen ist beispielweise Netrebkos messerscharfer Triller, der geradezu schmerzhaft verdeut- licht, wie das Schwert des Leidens die Seele der Gottesmutter beim Anblick ihres gekreuzigten Sohnes durchdringt. So perfekt ist das nicht einmal in der Aufnahme mit René Jacobs zu hören. An anderen Stellen muss man freilich schmunzeln, weil die Sängerinnen über- ziehen und hier und da doch die Primadonna hören lassen.
Was soll's - Netrebko-Fans wird das nicht schrecken. Und Mezzo- sopranistin Pizzolato harmoniert stimmlich sehr gut mit dem Star. Sie hat eine warme, stets gut geführte, allerdings sehr hell timbrierte Stimme; eigentlich sollte ein contralto aber auch klanglich einen Kontrast zum Sopran bieten.
Ein Fachmann der Alten Musik hat diese Aufnahme - besonders Netrebkos unpassenden Gesang - sowas von zerrissen... Zu Recht!
AntwortenLöschenEr wies auch darauf hin, dass ihn die (ahnungsfreien) Netrebbko-Fans sicher dafür steinigen werden.
- (Bin Besitzer von 4 Stabat Mater von Pergolesi-Aufnahmen)
Ich habe gerade nachgezählt - in meinem Regal stehen acht Aufnahmen der Pergolesi-Stabat Mater. ;-) Die Netrebko-Aufnahme kommt da ganz sicher nicht dazu. Aber darum geht es grundsätzlich gar nicht. Fakt ist doch: Wo Netrebko drauf steht, ist auch Netrebko drin. Wenn ich also "Fachmann für Alte Musik" bin, und Alte Musik historisch korrekt hören will, dann mache um die Netrebko-Aufnahme von vornherein einen großen Bogen. Denn ich weiß, das hier eine "modern" ausgebildete Opernstimme zu hören ist. Sich darüber aufzuregen, halte ich für Heuchelei.
AntwortenLöschenDie Frage lautet also: Was hat die Netrebko mit den Mitteln, die ihr nun einmal zur Verfügung stehen, aus dem Stück gemacht? Und, sorry, aber ich finde das Ergebnis für einen Opernstar durchaus respektabel. So werden viele Leute Pergolesi anhören, weil sie Netrebko mögen, die sonst überhaupt keinen Zugang zur "Alten" Musik haben. Und das ist doch sehr positiv, oder??