Donnerstag, 23. Juni 2011

Bach: Cello Suites; Badiarov (Ramée)

Diese Aufnahme dokumentiert ein musikhistorisches Experiment. Es soll die Frage klären, wie das Instrument aussah, für das Johann Sebastian Bach seine Cello-Suiten einst geschrieben hat. Verschiede- ne Kandidaten sind in der Diskus- sion: Entstanden die berühmten Werke für Viola pomposa? Für Violoncello? Oder für Violoncello piccolo?
„Violoncello ist ein Italiänisches einer Violadigamba nicht un- gleiches Bass-Instrument, wird fast tractiret wie eine Violin, neml. es wird mit der lincken Hand theils gehalten, und die Griffe formiret, theils aber wird es wegen der Schwere an des Rockes Knopff ge- hänget“, schreibt Gottfried Walther 1708 in seinen Praecepta der musicalischen Composition. Johann Mattheson berichtet in seinem Das neu-eröffnete Orchestre 1713: „Der hervorragende Violoncello, die Bassa Viola und Viola di Spala, sind kleine Bass-Geigen / in Vergleichung der grössern, mit 5 auch wol 6. Sayten / worauff man mit leichterer Arbeit als auff den großen Machinen allerhand geschwinde Sachen / Variationes und Mannieren machen kann; insonderheit hat die Viola di Spala, oder Schulter-Viole einen grossen Effect beim Accompagnement, weil sie starck durch- schneiden und die Thone rein exprimiren kan. Ein Bass kann nimmer distincter und deutlicher herausgebracht werden als auf diesem Instrument.“
Zeitgenössische Quellen berichten, Bach habe die Viola pomposa erfunden. Doch er selbst schreibt in allen Partituren „Violoncello piccolo“; auch war dieses Instrument ganz offenbar im Cello-Register gestimmt – die Viola pomposa hingegen, für die Telemann, Pisendel und Graun komponierten, wie eine Bratsche. Bach aber hat die Stimme für sein rätselhaftes Instrument aber obendrein im Violin- schlüssel notiert; so findet sich das in diversen Kantaten. Das Noten- material zeigt, dass das Violoncello piccolo offenbar vom ersten Geiger gespielt wurde. Was für ein Durcheinander!
Und obendrein ergab sich da noch ein physikalisches Problem: Die schwingenden Saiten jener Instrumente, die als Viola pomposa oder Violoncello piccolo überliefert sind, sind nur etwa halb so lang wie die eines modernen Cellos. Wie also soll man ihnen die notwendige Masse geben, damit sie so tief klingen können? Originalsaiten, die als Vorbild dienen könnten, sind nicht erhalten.
Unterstützt durch Fachleute aus ganz Europa, hat der Geiger und Geigenbauer Dmitry Badiarov den Versuch gewagt, Violoncelli da spalla nachzubauen, wie sie einst der Leipziger Instrumentenbauer Johann Christian Hoffmann angefertigt hat, ein Zeitgenosse Bachs. Die meisten dieser Miniatur-Celli sind verloren; man hat später Bratschen und Kindercelli daraus gemacht. Lediglich etwa 40 Violoncelli piccoli sind noch in Museen und Sammlungen weltweit erhalten. In Brüssel und Leipzig fand Badiarov Instrumente, an denen er sich orientierte. Einige Spezialisten halfen ihm bei der Suche nach einer geeigneten Besaitung.
Das Ergebnis ist nun auf dieser CD zu hören – und das ist wahrlich eine Offenbarung. Denn Badiarovs Violoncello piccolo da spalla spricht trotz seiner dicken Saiten erstaunlich gut an; es reagiert schnell und präzise, und klingt mitunter wie eine Singstimme, manchmal auch wie ein Barockfagott, und in der hohen Lage eher wie eine Bratsche. Gerade im Spiel von Akkkorden erweist sich die enorme Klangschön- heit dieses Instrumentes; und zu Bachs Cello-Suiten passt das Klangbild wirklich perfekt. Badiarov spielt gelassen und zugleich sehr elegant. Diese beiden CD sind ein Muss für jeden, der sich für das originale Klangbild barocker Musik interessiert – und in jedem Falle gehört diese zu den Bach-Referenzaufnahmen. 

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