Während seines zweimonatigen Aufenthaltes in Neapel, wo er die Aufführung einer Festmusik anlässlich einer Fürstenhochzeit vorbereitete, komponierte Georg Friedrich Händel im Sommer 1708 zwei spektakuläre Kantaten für Bass. Möglicherweise sind sie für den Bassisten Domenico Antonio Manna entstanden, der ebenfalls für die Festmusiken engagiert war. Wer auch immer Nell'africane selve und Cuopre tal volta il cielo gesungen hat - es muss ein grandioser Sänger gewesen sein. Denn die technischen Anforderungen, die diese Kabinettstückchen stellen, sind derart extrem, dass sich bis heute kaum ein Sänger an diese Werke heranwagt.
"Die beiden Kantaten sind ein völlig anderes Kaliber als die Basspar- tien, die Händel später in seinen Londoner Opern für so berühmte Sänger wie Boschi oder Montagnana geschrieben hat", stellt Rai- mund Nolte fest. Er muss es wissen, denn er ist der Solist der vorlie- genden Aufnahme. "In beiden Kantaten finden wir (...) den Kontrast zwischen einer recht hoch gelegenen Baritonarie und einer Arie mit absurd großem Umfang und außergewöhnlicher Tiefe. In der ersten Arie von Cuopre tal volta il cielo geht es noch vergleichsweise human zu mit Umfang Fis-fis'. Nur im Accompagnato findet sich ein tiefes D, das ein geübter Sänger des Barock leicht in die Höhe um- legen konnte. Die Schlussarie Per pietà de miei martiri liegt dagegen sehr hoch mit Umfang G-g'", erläutert der Sänger. "Viel drastischer sind die Verhältnisse in Nell'africane selve, wo die zweite Arie Chiedo amore den Umfang A-fis' verlangt, während die erste Arie gewissermaßen 'denVogel abschießt'. Es handelt sich um ein Lamento über das traurige Schicksal eines gefangenen Löwen, der nun nicht mehr der König des Dschungels ist. Mit Tonsprüngen von mehr als zweieinhalb Oktaven vom tiefen Cis bis a' verstrickt sich der Löwe im Netz."
Ob die afrikanische Wildnis oder ein Sturm vor der Küste Neapels - Händel setzt auf Naturbilder, brillant in Tonmalereien umgesetzt, um das Leiden von Liebenden zu schildern. In rasant-verwegenen Triolen- koloraturen und ebenso gewagten Sprüngen quer durch die Register zeigt er das aufgewühlte Meer. Lautmalereien und unge- wöhnliche Akkorde entführen das Publikum in ein hochartifizielles Afrika - die Zuhörer der Barockzeit, die derlei Kunstkniffe zu würdigen wussten, werden begeistert gewesen sein.
Doch selbst die meisten Solisten der Händel-Zeit dürften diese Partien mit ihren mörderischen Anforderungen gemieden haben. Der Maestro selbst schrieb auch in Rom zwei Bass-Kantaten; sie sind ebenfalls hörenswert, doch technisch lang nicht so anspruchsvoll. Bassbariton Raimund Nolte hat sich an alle vier Kantaten gewagt, und sich dabei sehr achtbar geschlagen. Auch die Batzdorfer Hofkapelle musiziert lustvoll, und ergänzt Händels Kantaten noch um zwei hübsche Instrumentalstücke, deren Grundsubstanz möglicherweise ebenfalls aus diesen frühen Jahren stammt.
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