Als der junge Wilhelm Backhaus 1905 gemeinsam mit Richard Strauss in Berlin dessen Burleske vorgetragen hatte, schwärmte der Komponist, dieser Pianist sei "ein Künster von glänzenden Fähig- keiten, eminent musikalisch, un- fehlbare Technik."
Als Backhaus 1969 starb, rühmte ihn die Times in ihrem Nachruf als den „größten überlebenden Ver- treter der klassischen deutschen Musiktradition, wie sie im Konservatorium seiner Geburts- stadt Leipzig gepflegt wurde.“ Glücklicherweise können wir nahezu vom Beginn seiner Karriere an heute noch nachvollziehen, wie Backhaus musiziert hat, denn der Klaviervirtuose spielte bereits 1907 seine erste Platte ein. Als er 1909 auf einer Acht-Minuten-Platte Aus- schnitte des Grieg-Konzertes vorstellte, war dies die erste Schall- platteneinspielung eines Konzertes überhaupt.
Diese beiden frühen Aufnahmen sind auf der vorliegenden CD nicht zu bewundern, aber dafür eine Auswahl nicht minder spektakulärer Ein- spielungen. So zeigt Mozarts Krönungskonzert KV 537, aufgenommen 1940 in Berlin, gleich zu Anfang, wie schnell auch in der Musik die Moden wechseln. Backhaus hat dafür Kadenzen entwickelt, die Puristen heute Schweißperlen auf die Stirn treiben dürften. Sogar ein paar Takte Beethoven vermeint man da herauszuhören - und der Pianist hat in seine Stimme ohnehin zusätzliche Noten eingefügt. Zu dieser Interpretation passt das aber. Und Mozart selbst wäre wohl vor Lachen vom Klavierhocker gefallen, wenn sich jemand die Mühe gemacht hätte, ihm zu erklären, was eine Urtextausgabe ist.
Selbstzweck freilich war das Virtuosentum für Wilhelm Backhaus nicht: „Mein Ziel ist nicht, das Publikum zu überreden, dass ich gut spiele, sondern ihm die Schönheit des Werkes, das ich interpretiere, nahezubringen.“ Bis ins Detail nachspüren kann man seiner künst- lerischen Handschrift in den Klavierrollenaufnahmen auf der ersten CD. Da wäre zum einen die Tatsache, dass das Rollenklavier präzise nachvollzieht, was ihm die Rolle vorgibt. Zum anderen aber hat Backhaus etliche Werke für diese Aufnahmen bearbeitet.
Die zweite CD bringt dann akustische und elektrische Aufnahmen aus den Jahren 1908 bis 1928 - darunter Werke von Franz Liszt, Frédéric Chopin, Franz Schubert und erneut der Naila-Walzer von Léo Délibes; er scheint zu Backhaus frühen Paradestücken zu gehören. Die Paganini-Variationen von Johannes Brahms op. 35 sind ebenfalls sowohl in der Rollen-Aufzeichnung als auch in einer Aufnahme für His Masters Voice zu hören. Das ist alles sehr beeindruckend - zumal, wenn man bedenkt, dass eine Schellackplatte nur für etwa viereinhalb Minuten Musik pro Seite ausreicht.
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