Montag, 15. Juli 2013

Alte Meister - In Bearbeitung durch Karl Straube (MDG)

„Jetzt spielen wir richtiger, aber früher war es schöner!“ - das sollen Studenten gesagt haben, die Karl Straube in Leipzig unterrichtete. Ein Lebensweg wie der von Montgomery Rufus Karl Siegfried Straube (1873 bis 1950) ist heute nicht mehr denkbar. Denn er erhielt seine Ausbildung zunächst von seinem Vater Johannes Straube, einem Berliner Organisten und Harmoniumbauer. Im Alter von 15 Jahren wurde Straube dann Schüler von Heinrich Reimann, dem Organisten der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.
Auch ohne Musikstudium ist Straube dann eine atemberaubende Karriere gelungen. 1897 wurde er Organist am Willibaldi-Dom in Wesel. 1903 übernahm er das Amt des Organisten an der Thomaskirche zu Leipzig, und er wurde zudem Dirigent des Chores des Leipziger Bachvereins, den er später in den Gewandhauschor integrierte. Seit 1907 lehrte er zudem Orgelspiel am Leipziger Konservatorium; Straube war auf Jahrzehnte der bedeutendste Orgellehrer Deutschlands, und prägte so die musikalische Landschaft bis in die 70er Jahre ganz entscheidend.
1918 wurde Karl Straube als Nachfolger von Gustav Schreck Thomas- kantor. 1919 gründete er das Kirchenmusikalische Institut Leipzig, das er nach dem Zweiten Weltkrieg entschlossen wieder etablierte und bis 1948 leitete. Sein Wirken ist geprägt durch die Suche nach dem perfekten Klang. Einerseits förderte er moderne Musik, wie die von Max Reger. Andererseits beschäftigte sich Straube intensiv mit den Werken der sogenannten Alten Meister – wie Buxtehude, Pachelbel, Muffat, aber auch Bach. Das führte ihn in der Konsequenz zur Abkehr von einer allzu romantischen Musik- auffassung.
Dabei nutzte Straube allerdings die klanglichen und spieltechnischen Möglichkeiten der spätromantischen Instrumente weidlich aus, die typischerweise über eine pneumatische Traktur und eine Crescendowalze verfügten. „Wie ich auf der Orgel artikulierte, habe ich in meiner Ausgabe ,Alte Meister des Orgelspiels’ vom Jahre 1904 und in der 1907 veröffent- lichten Sammlung ,Choralvorspiele alter Meister’ niederzulegen ver- sucht“, schrieb Straube schließlich in seinen Erinnerungen. „Ich gab damit Aufführungsvorschriften, die nicht einer nüchternen Überlegung am Schreibtisch entsprangen, sondern Ausdruck eines von dem nachprüfen- den Verstande kontrollierten, ursprünglich spontanen Empfindens waren.“
Domorganist Andreas Sieling hat einige der Werke aus Straubes Samm- lung „Alte Meister“ an der Großen Sauer-Orgel im Berliner Dom eingespielt – einem Instrument, das der Sauer-Orgel der Leipziger Thomaskirche so ähnlich ist, dass Sieling detailgetreu den Vorgaben Straubes folgen konnte. Der hatte seinen Notenband seinerzeit akribisch mit Angaben zu Register- wahl, Artikulation sowie zahlreichen dynamischen und agogischen Hin- weisen versehen. 

Sieling zeigt, wie sein berühmter Kollege vor hundert Jahren Alte Musik auf die deutschen sinfonischen Großinstrumente „übersetzt“ hat. Diese brillante Interpretation der Interpretation erweist sich als ein spannendes musikhistorisches Experiment. Denn unsere Hörgewohnheiten lassen uns bei „Alter“ Orgelmusik, etwa von Georg Muffat, Johann Gottfried Walther, Johann Pachelbel oder Dieterich Buxtehude, andere Klänge erwarten. Lässt man sich auf die Version ein, die Sieling auf dieser CD präsentiert, dann wird man feststellen, dass die romantischen Klangfarben durchaus ihren Reiz haben.


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