Der russische Pianist Andrej Hoteev gibt sich nicht damit zufrieden, fleißig Konzerte zu spielen. Immer wieder hinterfragt er kritisch, was ihm Verlage aufs Pult stellen. So hat er bereits mehrere Werke Tschaikowskis in Urfassungen vorgestellt.
Nun hat er sich zwei bekannten Werken von Modest Petrowitsch Mussorgski (1839 bis 1881) zuge- wandt. Dazu hat er in St. Petersburg die Originalhandschriften des berühmten Klavierzyklus Bilder einer Ausstellung und der Lieder und Tänze des Todes studiert. Im Beiheft zu dieser CD listet Hoteev sorgsam auf, worin sich die Manuskripte und die wichtigsten Editionen unterscheiden.
„Mussorgskys beste Freunde – Rimsky-Korssakow, Glasunow und Stassow –, die für die Publikation dieses Werkes verantwortlich waren, schätzten Mussorgskys musikalisches Talent sehr hoch. Nichtsdesto- weniger interpretierten sie seine revolutionären, manchmal sogar radikalen kompositorischen Neuerungen – in der Harmonik, Artiku- lation, musikalischen Logik, dem Pedalgebrauch usw. - oft als Fehler eines nicht gründlich ausgebildeten Genies ohne Diplom“, erklärt Hoteev die Entstehung dieser Abweichungen. Mit besten Absichten korrigierten sie daher diese vermeintlichen Fehler ihres Freundes.
Neue Ausgaben, so der Pianist, hätten die Mängel ihrer Vorgänger zwar überarbeitet, aber zugleich neue Korrekturen eingebracht. Dazu gesellen sich dann noch die Tücken der Technik. So stellte Hoteev fest, dass es sich bei dem „Promenaden-Akkord“, den die Bärenreiter-Urtext-Ausgabe enthält, schlicht um einen Lesefehler handelt, zustande gekommen durch eine schlechte Reproduktion. Die vorliegende Aufnahme basiert daher auf den Originalmanuskripten beider Werke, die sich in der Russischen Nationalbibliothek St. Petersburg befinden. Im Beiheft werden die wichtigsten Abweichungen auch anhand von Abbildungen aus den Manuskripten nachvollziehbar erläutert.
Hoteev macht es somit möglich, Mussorgski neu zu hören. Es sind viele kleine, aber wichtige Details, die er geändert hat. Hier ein Akkord, dort eine Repetition, hier eine Phrasierung, dort ein Rhythmus, da ein Vorzeichen – das Ergebnis ist erstaunlich, zumal sich diese „Kleinigkeiten“ summieren. Das Klangbild unterscheidet sich krass von dem, was man üblicherweise im Ohr hat. Auch beim Tempo geht der Pianist eigene Wege. Seine Promenade bespielsweise erfolgt im Schlenderschritt. Hoteev musiziert sehr überlegt und sorgsam. Davon profitieren nicht nur die Küken, die hier wirklich tanzen. Die Lieder und Tänze des Todes hingegen sind regelrecht gruslig. Die vier Lieder werden auf dieser CD durch Elena Pankratova erstmals in den tatsächlich vorgesehenen Tonarten gesungen. Die russische Sopranistin verfügt über den dafür erforderlichen sehr großen Stimmumfang und ein faszinierendes Timbre. Leitstern dieser Aufnahme ist der Respekt vor den Absichten des Komponisten – und das bekommt der musikalischen Substanz ganz hervorragend. Andrej Hoteev hat sich damit ohne Zweifel große Verdienste erworben.
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