„Grigory Sokolovs Klavierspiel bewegt sich mehr und mehr im intergalaktischen Raum. Längst ist der russische Pianist sein eigenes Universum“, urteilten die „Salzburger Nachrichten“ über das Konzert, das er im Sommer 2008 bei den Salzburger Festspielen gegeben hat. Der Mitschnitt ist nun bei der Deutschen Grammophon erschienen. Das Unternehmen teilte jüngst mit, der Musiker habe im Oktober 2014 einen Vertrag mit dem Label unterzeichnet.
Beides löst großes Erstaunen aus – denn Sokolov ist bekannt für seinen rigiden künstlerischen Anspruch. So tritt er schon seit Jahren nicht mehr mit Orchestern auf, weil er die üblichen Probenzeiten als unzureichend empfindet. Er spielt ausschließlich Solo-Abende, und nur 70 Konzerte pro Jahr. Jeweils im Januar und Oktober wechselt er das Repertoire. Die letzte Aufnahme eines Konzertes mit Grigory Sokolov ist 1996 erschienen; sie war bereits 1992 aufgezeichnet worden.
Sokolovs Manager hat allerdings veranlasst, dass einige Konzerte des Pianisten mitgeschnitten wurden – zum einen, um seine Kunst für die Nachwelt zu dokumentieren, zum anderen in der Hoffnung darauf, dass der Künstler sie eines Tages für eine CD-Veröffentlichung freigeben wird. Mit der Deutschen Grammophon scheint Sokolov nun ein Label gefunden zu haben, das zu seinen Ideen passt. Die vorliegende CD sei „ein Statement“, so das Unternehmen: „Seine Alben werden ausschließlich Live-Auftritte wiedergeben. Kein Stück spielt er zweimal auf die gleiche Weise. Daher werden die Aufnahmen auch nicht bearbeitet. Sie sind, wie sie sind. Einmalig. Glücklicherweise kann sich Sokolov mit dem Gedanken anfreunden, diese einmaligen Erlebnisse einer größeren Hörerschaft zugänglich zu machen.“
„Sokolov – The Salzburg Recital“ gibt einen Vorgeschmack auf all die phantastischen Konzerte, die in Zukunft zumindest auf CD zu erleben sind, wenn man nicht zu den Privilegierten gehört, die es sich leisten können, dem Pianisten hinterherzureisen. In Salzburg spielte Sokolov zunächst die zwei Sonaten in F-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart KV 280 und 332. Da ist nichts Hübsches, Oberflächlich-verspieltes zu vernehmen; Sokolov interpretiert Mozarts Werke mit großer Sorgfalt, Klarheit und Intensität. Und man staunt, wie nahe diese Musik plötzlich Beethovens Klavier- sonaten ist – das ist nicht das galante Rokoko, das ist schon fast Wiener Klassik, mit ihrer ganzen Ausdruckstiefe.
In den 24 Préludes op. 28 von Frédéric Chopin begeistert Sokolov mit einer schier überwältigenden Palette an Klangfarben. Auch die beiden Chopin-Mazurken, die der Pianist im Anschluss als Zugaben spielt, gestaltet er mit höchster Präzision und schier unglaublichen Nuancen. Sokolov eilt nicht, seine Tempi sind so gewählt, dass jede Phrase perfekt erklingt und wirken kann. Das ist faszinierend, ja, das hat magische Kraft; so möchte man diese Musik immer und immer wieder hören.
Zu den sechs (!) Zugaben gehören zudem zwei rätselhaft-flüchtige Poèmes von Alexander Scriabin und das reich ausgezierte Les Sauvages aus den Nouvelles Suiten de pièces de clavecin von Jean-Philippe Rameau. Sokolov beendet das Programm mit dem Choralvorspiel Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ aus Johann Sebastian Bachs Orgelbüchlein. Da bei diesem Piani- sten nichts Zufall ist, mag man das als Botschaft verstehen. Es gibt eben keine virtuose Turnübung, keinen brillanten Kehraus zum Finale. Auch das ist große Kunst. Auf die nächsten Konzert-Mitschnitte mit Grigory Sokolov jedenfalls darf man bereits sehr gespannt sein.
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