Die vier sogenannten Siegesoratorien galten einst 1746/47 dem Sieg der Hannoveraner Dynastie über die Armee des katholischen Thronprä- tendenten Charles Edward Stuart. Er war 1745 auf den Hebriden gelandet, und sammelte dann in Schottland Truppen um sich. Zunächst zogen die Aufständischen erfolgreich nach Süden. Doch die schottischen Stämme hatten nicht wirklich ein Interesse daran, England zu erobern, und Unterstützung aus Frankreich blieb aus. Deshalb scheiterte der Zweite Jakobitenaufstand; mit einer abenteuerlichen Flucht konnte sich Bonnie Prince Charlie in Sicherheit bringen, während seine Anhänger drakonisch bestraft wurden.
Georg Friedrich Händel feierte in seinen Oratorien den gottesfürchtigen Heerführer und sein tatkräftiges Volk – den Londonern, die angesichts der heranziehenden Aufständischen bereits von Panik ergriffen waren, dürfte dies gefallen haben. Jedenfalls waren alle vier Werke Publikumserfolge. Heute stehen sie allerdings nicht mehr oft auf dem Programm. Während Judas Maccabaeus heute gelegentlich aufgeführt wird, ist beispielsweise Joshua nur selten zu hören. Dieses Oratorium schildert die Einnahme des gelobten Landes durch das Volk Israel. Die Göttinger Händelfestspiele haben sich daran gewagt – und das hat sich durchaus gelohnt, wie der Live-Mitschnitt vom 29. Mai 2014 aus der Stadthalle beweist.
Im Mittelpunkt des Werkes steht das Volk, präsent in überwältigenden Chorszenen, so beim Einsturz der Mauern von Jericho, beim Feiern des Pessachfestes oder im finalen Jubel und Lobpreis. Das ist eine Aufgabe, der sich die Profis vom NDR Chor mit Präzision und Temperament stellen – sie haben, nach dem Orchester, den umfangreichsten Part, und sie gestalten ihn hinreißend. Die perfekten barocken Instrumentalklänge dazu ergänzt das Festspiel-Orchester Göttingen unter Leitung von Laurence Cummings. Die Musiker sind Spezialisten aus dem Bereich der historischen Aufführungspraxis, und auch sie begeistern mit jener Kombination aus Sachkenntnis und Leidenschaft, die man schon beim NDR Chor gar nicht genug loben kann.
Dem Heerführer Joshua, sehr hörenswert gesungen von dem tenore di grazia Kenneth Tarver, überbringt ein Engel Gottes Weisungen. Auch diese Partie ist mit einem Tenor besetzt. Sie ist klein, aber alles andere als trivial und wird von Joachim Duske übernommen. Leider erfährt man über diesen Solisten im ansonsten umfangreichen Beiheft nichts. Alle anderen Mitwirkenden werden mit Biographien vorgestellt. Man fühlt sich in die Oper versetzt, wenn dann der junge Kämpfer Othniel und seine Freundin Achsah (Renata Pokupic und Anna Dennis, Mezzosopran und Sopran) miteinander turteln. Othniel hofft, nach der Schlacht bei ihrem Vater Caleb (gesungen von Bariton Tobias Berndt) um ihre Hand anhalten zu können. Wie Händel Kampf und Liebe als Kontraste nebeneinander stellt, wie er Affekte zu Musik und Musik zu Gefühl werden lässt, das ist immer wieder faszinierend. Unbedingt anhören!
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