„Am Anfang stand ein Gesellschafts- spiel mit Musik“, so berichtet das Beiheft zu dieser CD: „Im Berliner Haus des Geheimen Staatsrats Friedrich August von Staegemann führte eine Schar junger Kunst- freunde im Herbst 1816 ein kleines Theaterstück mit Liedern auf.“ Es ging darin um eine junge Dame namens Rose, die schöne Müllerin, die von drei Männern umschwärmt wird – einem Müller, einem Gärtner und einem Jäger. Diesem gelingt es letztendlich, das Herz des Mädchens zu erobern.
Um die bei dieser Aufführung improvisierten Gesänge durch „echte“ Vertonungen zu ersetzen, wurde dann der Berliner Komponist Ludwig Berger (1777 bis 1839) hinzugezogen. Er wählte zehn Stücke aus und veröffentlichte sie im Jahre 1818 unter dem Titel Gesänge aus dem gesellschaftlichen Liederspiele ,Die schöne Müllerin’. Die Liedtexte stammten von verschiedenen Autoren, allerdings waren schon unter den von Berger in Musik gesetzten Stücken bereits fünf aus der Feder von Wilhelm Müller. Der junge Mann, der es später in seiner Heimatstadt Dessau bis zum Hofrat brachte, spielte bei dem Theaterstück kurioserweise auch tatsächlich die Rolle des Müllerburschen.
Er schrieb brillante Gedichte, die von seinen Zeitgenossen mit großer Begeisterung gelesen wurden. So überarbeitete und erweiterte er in späteren Jahren auch seine Beiträge zu jenem Liederspiel, und veröffentlichte schließlich eine Folge von 23 Gedichten nebst einem ziemlich ironischen Prolog und einem Epilog. Auf diese Werke wiederum wurde dann Franz Schubert (1797 bis 1828) aufmerksam. Der Komponist ignorierte die Ironie; er vertonte 20 dieser Gedichte – und schuf mit Die schöne Müllerin einen bedeutenden Liederzyklus der Romantik.
Auf dieser CD erklingen nun zum allerersten Male beide „Müllerinnen“, gesungen von dem Tenor Markus Schäfer, begleitet von Tobias Koch – der dabei auch ein ganz besonderes Klavier benutzte. Koch spielt ein Piano- forte von Johann Fritz, Wien um 1830, mit Wiener Mechanik und vier Pedalen, aus der Sammlung Beetz. Der „authentische“ Klang ist ja kein Wert an sich, aber in diesem Falle ist er ein Erlebnis. Denn dieses Instru- ment ist sehr viel dezenter und zugleich mit seinen vielen Farben und seinem schwebenden Klang wesentlich präsenter als ein moderner Flügel.
Berger hat die meisten Gedichte als Strophenlieder gestaltet, und dabei nur selten Varianten auskomponiert. Es ist aber bekannt, dass die Interpreten jener Zeit den Notentext relativ frei gestalteten und abwandelten. Auf der Suche nach der zeitgenössischen Vortragspraxis stießen Schäfer und Koch auf interessante Dokumente – Abschriften und frühe Ausgaben der Schönen Müllerin, mit Eintragungen und Varianten, die zeigen, dass auch bei derart durchkomponierten Werken ein kreativer Umgang mit dem Notentext gang und gäbe war. So wurden Wiederholungen genutzt, um eigene Ideen einzubringen.
Schäfer und Koch haben diese Praxis ausprobiert, wobei sie auf Variatio- nen im Sinne einer Auszierung meistens verzichten. Statt dessen haben die beiden Musiker nach Möglichkeiten gesucht, Details sowohl aus dem Text als auch aus der Musik hervorzuheben und weiterführend auszudeuten. Nicht nur in der Singstimme, sondern auch im Klavierpart haben sie gemeinsam verblüffende Lösungen gefunden, die aufhorchen lassen. Dabei gehen sie mit Schuberts Musik stets achtsam um. Das Ergebnis finde ich sehr beachtlich und durchaus bedenkens- und hörenswert.
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