Venezianische Klangpracht in Hannover? Das ist gar nicht so abwegig: Im Jahre 1682 engagierte Herzog Anton Ulrich von Braun- schweig-Wolfenbüttel Johann Rosenmüller (1617 bis 1684) als Hofkapellmeister. Der Komponist, der aus Oelsnitz im Vogtland stammt und in Leipzig studiert hat, reiste um 1645 zum ersten Mal nach Italien. 1650 war er zurück in Leipzig, wo er zunächst als Baccalaureus funerum an der Thomasschule und dann ab 1651 auch als Organist an der Niko- laikirche tätig war. Als Thomaskan- tor Tobias Michael erkrankte, übernahm Rosenmüller zusätzlich dessen Dienstpflichten. Um den Musiker zu halten, den man auch andernorts gern angestellt hätte, erklärte der Leipziger Rat ihn 1653, noch zu Lebzeiten Michaels, zu dessen Nachfolger.
Doch im Mai 1655 wurde Rosenmüller beschuldigt, sexuelle Beziehungen zu Thomasschülern gepflegt zu haben. Der näheren Untersuchung entzog er sich durch die Flucht. Er ging nach Venedig, wo er ab 1658 als Posau- nist an San Marco wirkte. Außerdem war er maestro di coro am Ospedale della Pieta.
Da der deutsche Adel damals sehr gern nach Italien reiste – oftmals mit großem Gefolge, in dem sich auch Musiker befanden – wird Rosenmüller in Venedig in jenen Jahren viele Landsleute getroffen haben. Er hat junge Musiker unterrichtet, wie beispielsweise Johann Philipp Krieger, und Werke komponiert für deutsche Hofkapellen. So widmete Rosenmüller 1667 seine Sonate da camera Herzog Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg. Der Herrscher war katholisch, und in seiner Hofkapelle in Hannover sangen italienische Sänger unter Leitung des Venezianers Antonio Sartori. Es wird vermutet, das etliche geistliche Werke Rosen- müllers mit lateinischen Texten für diesen Fürsten entstanden sind; einige davon sind in einer Notensammlung zu finden, die anlässlich der Krönung des Kurfürsten Georg Ludwig von Hannover zum englischen König George I. nach London gelangt ist.
Der Knabenchor Hannover unter Leitung von Jörg Breiding hat nun ge- meinsam mit dem Johann Rosenmüller Ensemble und dem Barockorche- ster L’Arco eine Marienvesper von Johann Rosenmüller eingespielt. Unterstützt werden die jungen Sänger dabei durch die Sopranistinnen Veronika Winter und Maria Skiba sowie die Altisten Henning Voss und Alex Potter.
Arno Paduch, der Gründer des Johann Rosenmüller Ensembles, weist in seinem sehr ausführlichen Begleittext im Beiheft darauf hin, dass es Indizien dafür gibt, die darauf hindeuten, dass zumindest Teile dieser Marienvesper für ein deutsches Publikum geschrieben worden sind. So
sei die Verwendung von Zinken und Posaunen in Italien am Ende des
17. Jahrhunderts nicht mehr üblich, in Deutschland aber sehr beliebt gewesen. Auch die Mehrchörigkeit sei zu diesem Zeitpunkt für italienische Musik „ungewöhnlich“. Insofern könnten zumindest einige der Werke, die hier zusammengestellt worden sind, möglicherweise in früheren Jahrhun- derten bereits in Hannover erklungen sein.
Der Knabenchor Hannover jedenfalls erweist sich als würdiger Nachfolger des italienischen Ensembles aus der Zeit Herzog Johann Friedrichs. Die Buben und Burschen singen prächtig, und sie interpretieren Rosenmüllers üppige Musik mit großem Engagement und mit beeindruckender Virtuosi- tät. Die Aufnahme macht einmal mehr deutlich, dass der Chor, der seit 2002 von Jörg Breiting geleitet wird, derzeit zu den besten Knabenchören Europas gehört. Bravi, großartig!
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