„Der Concentus und ich haben 2013 im Theater an der Wien, im ,Heimattheater' Beethovens, den Fidelio aufgeführt“, berichtete Nikolaus Harnoncourt in einem Gespräch, das im Beiheft zu dieser CD nachzulesen ist. „Das war der Anlass, der war so ein Augen- und Ohrenöffner für uns, dass aus dem Concentus selbst der Wunsch kam, jetzt müssten wir an die Symphonien gehen. Und dann haben wir erst einmal die Erste und die Zweite Symphonie gespielt, dann die Dritte und nun die Vierte und Fünfte. Wir tasten uns also langsam heran und hoffen dann, den gesamten Zyklus in Graz spielen zu können.“
Diese Hoffnung ging leider nicht in Erfüllung; die Kraft hat dafür nicht mehr ausgereicht. Im Dezember 2015, einen Tag vor seinem 86. Geburts- tag, verkündete der Österreicher, der mit vollem Namen Johannes Nicolaus Graf de la Fontaine und d’Harnoncourt-Unverzagt heißt, den Rücktritt vom Dirigentenpult. Am 5. März 2016 ist er dann gestorben.
Der Musiker, der seine Karriere 1952 als Cellist ausgerechnet bei den Wiener Philharmonikern unter Herbert von Karajan begann, war unermüdlich auf der Suche nach der musikalischen Wahrheit, dem „richtigen“ Klang. So fand er sich bald mit Musikerkollegen im Concentus Musicus Wien zusammen, um in Vergessenheit geratene historische Spieltechniken und verloren gegangenes rhetorisches Verständnis wiederzubeleben. Obwohl er sich lange dagegen gesträubt hatte, begann Harnoncourt in den 70er Jahren, auch als Dirigent zu wirken. Er arbeitete mit renommierten Orchestern, und er erarbeitete mit diversen Ensembles eine Vielzahl von Opern. Gern gab Harnoncourt sein Wissen an die jüngere Generation weiter. So prägte er eine ganze Generation von Musikern und Musikfreunden. Die Styriarte in Graz ist schließlich „sein“ Festival geworden.
Die Vierte und die Fünfte Symphonie von Ludwig van Beethoven sind Harnoncourts letzte CD-Aufnahme. Im Mai 2015 spielte er beide mit dem Concentus Musicus im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins ein, und zwar zum ersten Mal ausschließlich auf Instrumenten, wie sie zur Beethovenzeit genutzt worden sind. Damit erfüllte sich Harnoncourt einen lang gehegten Wunsch. Über die Vierte meint Harnoncourt: „Sie ist wahrscheinlich einfach eine Symphonie, in der Beethoven alle seine musikalischen Kenntnisse eingebracht hat. Seine Kompositionsweise ist hier sozusagen mehr in den gewohnten Bahnen und man hat das Gefühl, er folgt Poesien, sehr poetischen Gedichten. Ich glaube, gerade die Vierte bietet ungeahnt viele Assoziationen und Bilder an.“
Auch die Fünfte liest Harnoncourt neu. Es sei „wirklich grotesk, dass sie als ,die' Symphonie schlechthin gilt, weil es wahrscheinlich die einzige Nicht-Symphonie ist von allen.“ Sie beginne nicht einmal mit einem Thema – und das mit dem Schicksal, das an die Pforte klopft, möge man bitte ebenfalls nicht so ernst nehmen: „Das hat angeblich der Anton Schindler, Beethovens Sekretär, darüber nachträglich gesagt, aber der hat so viele Sachen gesagt, die er nicht verstanden hat. Man soll diesen Leuten, die um ein Genie herum sind, nicht alles aufs Wort glauben.“
Den Kern des Werkes sieht Harnoncourt im Wechsel von c-Moll nach
C-Dur – und wenn sich dieser Wechsel ereignet, kommen obendrein neue Instrumente hinzu: Drei Posaunen, eine Piccoloflöte und ein Kontrafagott, so erklärt der Dirigent: „Mit Ausnahme des Kontrafagotts sind das die Instrumente der Freiluftmusik.“ Hier öffne sich eine Türe nach außen, ins Freie. Diese Lesart lässt das Ensemble konsequent hörbar werden; das klingt mitunter ungewohnt, aber es ist ohne Zweifel reizvoll.
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