„Haargenau folgen, was auf dem Blatt steht: Das ist eine Vorstellung, die den Musikern bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts komplett fremd war“, sagt Shunske Sato, der Kon- zertmeister des Ensembles Concerto Köln. Im Barockzeitalter hätte das niemand so gemacht: „Das Inter- pretieren – also Arrangieren, Komponieren, Vierzieren, also letztlich ein eigenes Werk aus einem vorhandenen Stück zu kreieren – war ein Beweis dafür, dass man ein wahrer Musiker ist.“
Wie diese Freiheit klingen kann, wenn sie genutzt wird, das demonstrieren die Musiker, sämtlich Spezialisten im Bereich der historischen Aufführungspraxis, mit dieser Aufnahme der wohl bekanntesten Konzerte der Musikgeschichte – Die vier Jahreszeiten von Antonio Vivaldi. Dabei sind sie konsequent; auch der Hörer soll die Musik so erleben, als säße er im Konzert – ohne technische Tricks und aufwendige Nachbearbeitung. Entstanden ist dieser Mitschnitt als Ergebnis der engen Partnerschaft des Orchesters mit dem High-End-Audio-Spezialisten MBL, die bereits seit 2009 besteht. MBL baut seit 1979 in Berlin exzellente Stereoanlagen, die von Kennern sehr geschätzt werden.
Der langjährige Chefentwickler des Unternehmens, Jürgen Reis, ist Musiker und Tonmeister, und er lässt es sich nicht nehmen, persönlich alle Aufnahmen durchzuführen, die das Prädikat MBL tragen dürfen. Das bedeutet in diesem Falle: Keine Schnitte, kein Absetzen und Neuanfangen, nur ein Take, keine Kompressoren, kein künstlicher Hall. Nur die Musiker und ihr Spiel, der umgebende Raum – in diesem Falle die Paterskirche in Kempen mit ihrer hervorragenden Akustik – und natürlich die Musik.
„Jedes Mal, wenn ich mir die Partitur der Quattro stagioni anschaue, bin ich erstaunt, wie einmalig sie sind“, sagt Shunske Sato. „Ich weiß, das klingt nach einem Klischee, aber die Genauigkeit der Orchestrierung, die Originalität der Harmonien, die Kompromisslosigkeit hinsichtlich der Expressivität, der Sinn für die Dramatik, kein Ton zuviel oder zu wenig – das ist meisterhaft.“ Vor und zwischen den vier Konzerten wurden noch zwei weitere Werke Vivaldis eingefügt, die Zäsuren setzen und aufhorchen lassen – die dramatische Sinfonia Al Santo Sepolcro RV 169, geschaffen wahrscheinlich für die Karwoche, und das zauberhafte Concerto RV 156, eine Lieblingszugabe des Ensembles.
Im Spannungsfeld von armonia und inventione bewegen sich die Musiker von Concerto Köln sehr souverän; sie deuten die Partitur mit expressivem Spiel aus, und der Solist nutzt alle Möglichkeiten, um gekonnt zu improvisieren. Dabei verzichten die Musiker aber auf Mätzchen – es geht um Ausdruck, nicht um Geschwindigkeitsrekorde oder besonders ruppiges Spiel. Das Ergebnis ist gelungen; die Musiker erschaffen mit Tönen Klanggemälde, denen man gut folgen kann, auch wenn man die Verse, an denen sich Vivaldi einst orientierte, gar nicht kennt. Man hört die Hitze über den sommerlichen Feldern flimmern, die Vögel zwitschern, die Blitze zucken, die Hunde bellen, und so klirrend kalt war auch der Winter selten.
„Was wir da machen, ist eigentlich bescheiden“, meint der Konzertmeister. „Wir tauschen keine Sätze aus, wie es im Barock üblich war. Ich prälu- diere nicht, und es werden auch keine eigenen Kompositionen einge- schoben. (..) Wir möchten das Publikum unterhalten und überraschen – eben zeigen, was so viel mehr noch in den eigentlich recht bekannten Noten steckt.“ Perfekt!
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