Wenn es die Reihe Das klassische Klavierkonzert bei Hyperion nicht gäbe, dann müsste man sie erfinden. Howard Shelley, Spiritus rector dieses Projektes, hat dafür mittler- weile so einige vergessene, aber durchaus hörenswerte Musikstücke aus der Zeit der Wiener Klassik aufgespürt und eingespielt. Zunehmend wird deutlich, dass nicht nur zur Zeit Beethovens und Mozarts, sondern auch in den darauffolgenden Jahrzehnten etliche Komponisten durchaus Beachtliches geschaffen haben. Diese Musik, die im Schatten der großen Heroen vollkommen aus dem Blick verschwunden war, wieder ans Licht und vor allem auch vors Publikum zu bringen, das hat sich Shelley zum Ziel gesetzt – beteiligt ist er auch an der Schwesterreihe Das romantische Klavierkonzert, die mittlerweile immerhin 70 (!) Veröffent- lichungen umfasst.
Das klassische Klavierkonzert hat erst die vierte Ausgabe erreicht. Nach Johann Ludwig Dussek, Daniel Steibelt, Franz Xaver Mozart und Muzio Clementi wendet sich Shelley diesmal den Klavierwerken Leopold Antonín Koželuchs (1747 bis 1818) zu. Sein Name ist heute nur noch Musikhisto- rikern bekannt – und doch waren sich einst die Zeitgenossen einig: „Leopold Kozeluch ist ohne Widerrede, bey jung und alt, der allgemein beliebteste, unter unsern itzt lebenden Komponisten und das mit allem Recht“, so urteilte beispielsweise Ernst Gerber im Lexikon der Tonkünstler.
Der Musiker, der aus Böhmen stammte, besuchte das Gymnasium in Prag und studierte anschließend Jura – ohne freilich seine musikalische Ausbildung zu vernachlässigen. Unterricht erhielt er unter anderem bei seinem Cousin Jan Antonín Koželuh und bei Franz Xaver Dussek. Nachdem es ihm gelungen war, sich mit ersten Werken für das Prager Nationaltheater einen Namen zu machen, gab er das Studium auf. 1778 zog Koželuch nach Wien, wo er vom Adel als Virtuose, Komponist und als Klavierlehrer geschätzt wurde. Innerhalb kürzester Zeit war er etabliert; 1781 lehnte er ohne Zögern das Angebot ab, als Nachfolger Mozarts Hoforganist in Salzburg zu werden.
Koželuchs berühmteste Schülerinnen waren Erzherzogin Maria Elisabeth, eine Tochter der Kaiserin, und Maria Theresia Paradis (1759 bis 1824), eine blinde Pianistin, für die auch Mozart komponierte. Der Hof schätzte den Musiker: 1792 wurde Koželuch zum Kammerkapellmeister und Hofkomponisten auf Lebenszeit ernannt. Geschaffen hat er etwa 400 Kompositionen, darunter mehr als 40 Klavierkonzerte, 30 Sinfonien und eine Vielzahl von Sonaten. Nicht wenige davon veröffentlichte er im eigenen Musikverlag.
Wer auf die Idee gekommen ist, ihn deshalb einen Vielschreiber zu schelten, der hat nicht erkannt, dass die Musik des Böhmen, mitunter verspielt und galant, teilweise aber auch an Werke Beethovens und Schuberts erinnernd, ausgesprochen reizvoll ist. „Den Charakter seiner Werke bezeichnen Munterkeit und Grazie, die edelste Melodie mit der reinsten Verbindung und gefälligsten Ordnung in Absicht der Rhytmik und Modulation“, so schrieb Gerber.
Howard Shelley zelebriert die bezaubernden Melodielinien Koželuchs ebenfalls mit Munterkeit und Grazie; der Pianist spielt einfach hinreißend. Etwas weniger begeistern mich die London Mozart Players, die bei dieser Aufnahme den Orchesterpart übernommen haben. Sie könnten durchaus pointierter, präziser und inspirierter musizieren. Aber insgesamt lohnt sich die Aufnahme sehr. Hyperion ist doch immer wieder für eine Überraschung gut.
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