Auf das Orgelwerk von Felix Nowo- wiejski (1877 bis 1946) aufmerksam wurde ich im vergangenen Jahr durch eine CD aus dem Hause Oehms Classics, auf der der Trierer Dom- organist Josef Still deutsche und polnische Orgelmusik vorgestellt hat. Mit großen Erwartungen habe ich daher nun diese Einspielung ange- hört – und fand sie atemberaubend. Das hat gleich mehrere Gründe.
Zum einen ist natürlich Rudolf Innig ein famoser Organist. Zum anderen ist die Orgelmusik von Felix Nowo- wiejski wirklich großartig, und man kann Innig nicht genug dafür danken, dass er das Gesamtwerk dieses hierzulande nahezu unbekannten Virtuosen des spätromantischen Orgel- klangs eingespielt hat. Es eine Entdeckung zu nennen, wäre untertrieben.
Diese Gesamtaufnahme, erschienen bei Dabringhaus und Grimm, macht auf einen Orgelkomponisten aufmerksam von europäischem Rang. Nowowiejski, Sohn eines Schneiders aus Wartenburg, heute Barczewo, gelegen im Ermland, musste schon früh den Lebensunterhalt seiner Familie finanzieren; Preise und Auszeichnungen ermöglichten ihm aber Musikstudien und Studienreisen, die ihn nach Berlin und Regensburg, aber auch nach Österreich, Italien, Frankreich und Belgien führten. Als Chor- leiter und Organist wirkte er unter anderem an der St.-Hedwigs-Kathedrale in Berlin. Sein Oratorium Quo Vadis, uraufgeführt 1909 in Amsterdam, machte Nowowiejski weltweit berühmt.
Dennoch kehrte er noch im gleichen Jahr nach Polen zurück, wo er Direktor der Krakauer Musikgesellschaft wurde, und zudem Organist und Kapellmeister der Warschauer Sinfoniekonzerte. In seinem Schaffen zeigt sich deutlich, dass er ein engagierter polnischer Patriot war. Seine Vertonung der Rota, eines Liedes, dass sich insbesondere gegen die Germanisierung Polens wendet, ist die Hymne der polnischen Pfadfinder, und wäre beinahe sogar polnische Nationalhymne geworden. Kurioserweise wurde Nowowiejski aber nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges in seiner Heimat derart angefeindet, dass er wieder nach Berlin ging.
Nach Kriegsende lehrte er dann als Orgeldozent in Poznań. Dass er 1920 bei der Abstimmung über die zukünftige Grenzziehung für die Abtretung preußischer Gebiete an Polen agitierte, nahm ihm allerdings nicht nur sein einstiger Lehrer Max Bruch ausgesprochen übel. Dieser Konflikt bewirkte, dass Nowowiejski mit seiner Musik fortan in Deutschland boykottiert wurde – und letztendlich in Vergessenheit geriet. 1939 floh der Organist nach Krakau; 1941 erlitt er einen schweren Schlaganfall, der seiner Musikerlaufbahn ein Ende setzte. 1945 kehrte Nowowiejski nach Poznań zurück, wo er im Januar 1946 starb.
In seiner Musik griff der polnische Komponist Anregungen aus ganz Europa auf. Insbesondere das französische Vorbild hat ihn inspiriert: „Nowowiejski selbst hatte bei der Komposition seiner Orgelwerke dreimanualige Instrumente im Sinne der französischen sinfonischen Orgelmusik vor Augen, die ihm durch seine mehrfachen Aufenthalte in Paris vertraut waren“, schreibt Rudolf Innig in dem sehr informativen Begleitheft zu dieser Doppel-CD. So notierte Nowowiejski auch Register- angaben häufig in französischer Sprache.
Mit seinen neun Orgelsinfonien sowie den vier Orgelkonzerten (die auch ausgeprägt sinfonischen Charakter haben) gehört er, neben César Franck, Louis Vierne, Charles-Marie Widor und vielleicht noch dessen Amts- nachfolger als Organist in Saint-Sulpice, Marcel Dupré, zu den großen Meistern der sinfonischen Orgelmusik.
Die vorliegende Doppel-CD ist das Finale der Gesamteinspielung der Orgelwerke von Felix Nowowiejski. Rudolf Innig stellt hier die Concerts pour orgue op. 56 sowie einige kleinere Musikstücke, darunter die Pièces pour orgue op. 9 und op. 31, vor.
Die vier Orgelkonzerte sind in Krakau entstanden – nachdem Nowo- wiejski, der doch in Berlin studiert und gearbeitet hatte, erkennen musste, dass sein Leben ernsthaft bedroht war. Auch wenn der Komponist selbst die Orgelsinfonien als sein musikalisches Testament bezeichnet hatte, trifft diese Sicht doch vor allem auf die Orgelkonzerte zu – zum einen, weil er sie tatsächlich am Ende seines Lebens geschaffen hat; zum anderen, weil sie stark autobiographisch geprägt sind. So trägt der erste Satz des Konzertes Nr. 1, mit dem Titel Veni Creator, den Zusatz Mon mariage dans la cathedrale Wawel á Cracovie.
Generell sind die Orgelkonzerte Nowowiejskis stark durch inhaltliche Bezüge geprägt, die der Organist mit einer Vielzahl musikalischer Zitate herstellt. So lässt er im Finale des dritten Orgelkonzertes drei Trompeten ein sogenanntes Hejnał blasen, ein Signal, wie es einstmals vom Turm herab erklungen ist. Im Untertitel des Satzes wird es als Fanfare zur Enthüllung des Gnadenbildes der wundertätigen Gottesmutter in Ostra Brama in Wilno bezeichnet, was auch in den musikalischen Kontext passt, der durch ein polnisches Marienlied geprägt ist.
Das Krakauer Hejnał Mariacki aber ist ein besonderes Signal. Der Legende nach bricht es ab, weil der Trompeter beim Tatarenangriff im Jahre 1241 durch einen Pfeil getötet worden ist. In diesem Zusammenhang betrachtet, könnte es also auch zum Widerstand gegen die Besatzer rufen. Alle vier Orgelkonzerte sind durchwebt und getragen von Zitaten und Anspielungen. Und zugleich sind sie musikalisch radikal, konsequent bis an die Grenzen der Tonalität.
Rudolf Innig hat für diese Aufnahmen erneut die Sauer-Orgel im Bremer Dom gewählt. Auf diesem enormen Instrument mit hundert Registern auf vier Manualen und Pedal wählte der Organist mit Sorgfalt Klangfarben aus, die den Vorgaben Nowowiejskis möglichst genau entsprechen. „Weitere große Vorteile (..) waren die für pneumatische Verhältnisse sehr präzise Traktur der im Jahre 1996 vollständig restaurierten Sauer-Orgel, die leichte technische Verfügbarkeit der vielen Register durch eine Setzeranlage mit 512 Kombinationen und nicht zuletzt die hervorragende Akustik im Bremer Dom“, schreibt Innig.
Dank der auch technisch exzellenten Aufnahme kann man den Details seiner Interpretation – und davon leben diese Orgelwerke mit ihrer oftmals sehr kunstvollen Polyphonie ganz entscheidend – auch zu Hause folgen. Eine grandiose Leistung, unbedingt anhören!
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