Eine Reise durch die Geschichte der Fuge tritt das Armida Quartett auf dieser CD an. „Fugales, kontrapunk- tisches Denken und Komponieren ist die Königsdisziplin der europäischen Musik, seit diese um 1200 aus dem Schatten der nur mündlichen Überlieferung in die Schriftlichkeit der Mensural-Notation heraustrat“, erklärt Reinhard Goebel in seinem Begleittext zu dieser Einspielung, der beinahe so faszinierend ist wie die Aufnahme selbst. „Die Technik besteht im Wesentlichen darin, durch Imitation der Intervalle und Rhythmen einer zuerst eintretenden Stimme – Dux genannt – seitens des ihm nachfolgenden Comes eine sinnfällige Verknüpfung herzustellen.“
Das Armida Quartett startet diese Einspielung mit den beiden frühesten gedruckten deutschen Werken für Instrumental-Ensemble aus dem Jahr 1602 – zwei Fugen von Valentin Haussmann (um 1560 bis 1614). Nächste Station ist eine Sonate a quattro aus der Feder von Alessandro Scarlatti (1660 bis 1725) – die der Komponist ausdrücklich senza Cembalo auf- geführt wissen wollte, weshalb sie mitunter als eines der ersten Streich- quartette angesehen wird.
Natürlich ist auch der letzte, unvollendet gebliebene Zyklus von Johann Sebastian Bach (1685 bis 1750) vertreten – Die Kunst der Fuge, „das Summum Opus einer 500-jährigen Tradition, wie auch seiner eigenen Lebensleistung“, so Goebel. Noch die Generation nach Bach schätzte Fugen; zu hören ist dies am Beispiel einer Quartett-Sonate des Bach-Schülers Johann Gottlieb Goldberg (1727 bis 1756) – hier komplettiert Cembalist Raphael Alpermann die Besetzung. Goebel nennt dieses Werk „ein Musterbeispiel der ungebrochenen Lebenskraft der spätbarocken Fugen-Kunst kurz vor ihrer Entzauberung: ein Feuerwerk des Geistes und der Finger, ein Akademie-Stück, das Kenner nach dem Hören analytisch sezierten und diskutierten, um den sinnlichen Genuß durch geistige Erkenntnis zu überhöhen.“
Mit Adagio und Fuge c-Moll KV 546 von Wolfgang Amadeus Mozart (1756 bis 1791) naht auch schon das Finale. Denn schon wenige Jahre später hat die Fuge ihre Magie eingebüßt: „Aber den Sinn des fugirten Finale wagt Ref. nicht zu deuten: für ihn war es unverständlich, wie Chinesisch“, das schreibt der Rezensent der Allgemeinen musikalischen Zeitung im Jahre 1826 über die Große Fuge op. 133, ursprünglich das Finale des Streich- quartettes B-Dur op. 130 von Ludwig van Beethoven (1770 bis 1827). Wie der Autor sie in Grund und Boden verreißt, das ist durchaus unterhaltsam zu lesen – doch uns beweist es, dass er mit dem wuchtigem Opus so gar nichts mehr anzufangen wusste. Selbst Musikkritiker Eduard Hanslick sah in der Großen Fuge Beethovens „ein merkwürdiges Document seiner gewaltigen, aber bereits seltsam kranken Phantasie“.
Der Rezensent der Allgemeinen musikalischen Zeitung vermutet: „Vielleicht wäre so manches nicht hingeschrieben worden, könnte der Meister seine eigenen Schöpfungen auch hören. Doch wollen wir damit nicht voreilig absprechen: vielleicht kommt noch die Zeit, wo das, was uns beym ersten Blicke trüb und verworren erschien, klar und in wohlgefälligen Formen erkannt wird.“ Das Armida Quartett jedenfalls, gegründet 2006 in Berlin, mittlerweile mit diversen hochkarätigen Musikpreisen ausgezeichnet, weiß mit den „ungeheuren Schwierigkeiten“ bestens umzugehen, und die „babylonische Verwirrung“ in eine Ordnung zu bringen.
Dieses Album überzeugt vom ersten bis zum letzten Ton sowohl durch das erlesene Konzept als auch durch das phantastische Zusammenspiel der beteiligten Musiker. Martin Funda und Johanna Staemmler, Violine, Teresa Schwamm, Viola, und Peter-Philipp Staemmler, Violoncello, musizieren wirklich hinreißend. Diese CD ist ein ganz großer Wurf, ohne Zweifel, und hat jede Aufmerksamkeit verdient. Unbedingt anhören!
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