Doch ein Detail, das Störmthal einen Platz in der Musikgeschichte sichern sollte, hat der Chronist nicht erwähnt: 1722 wurde in Störmthal beschlossen, die alte, baufällig gewordene Dorfkirche auf den neuesten Stand zu bringen und zu sie dabei erweitern. Das schloss auch die Orgel mit ein. Der Schlossherr und Kirchenpatron, Kammerherr Statz Hilmar von Fullen, hielt Ausschau nach einem besonders guten Orgelbauer – und er konnte schließlich Zacharias Hildebrandt unter Vertrag nehmen. Dieser hatte nach seiner Lehr-, Gesellen- und Meisterzeit bei Gottfried Silbermann gerade eine eigene Firma gegründet, und für die Störmthaler Kirche baute er binnen Jahresfrist eine Orgel mit 14 Registern auf einem Manual und Pedal.
Auch zur Qualitätsprüfung war dem Rittergutsbesitzer das Beste gerade gut genug. Und so berichten uns Dokumente aus dem Pfarrarchiv, das Instrument sei „am 2. Novembris 1723, von dem berühmten Fürstlich Anhaltischen-Cöthenischen Capellmeister und Directore Music: auch Cantore zu Leipzig, Herrn Johann Sebastian Bachen, übernommen, examiniret, und probiret, auch vor tüchtig und beständig erkannt, und gerühmet“ worden.
Bach wirkte seit Mai 1723 als Thomaskantor in Leipzig. Und er beließ es nicht bei der Orgelprüfung, er ließ „bei öffentlichem Gottesdienste und Einweyhung besagter Orgel“ als Zeichen besonderer Wertschätzung zusätzlich noch seine Kantate Höchsterwünschtes Freudenfest BWV 194 erklingen.
Die Orgelbank, auf der Bach damals gesessen hat, steht heute noch in der Störmthaler Kirche. Auch das Instrument wurde in späteren Jahrhunderten vergleichsweise wenig verändert. Und nach einer Restaurierung 2008 erklingt die Orgel nun wieder in dem Zustand, in dem sie der Thomaskantor 1723 „vor tüchtig“ befunden hat. Insbesondere auch die originale Stimmtonhöhe bei 462 Hz, also im hohen Chorton, und die historische Stimmung wurden wiederhergestellt.
Diese CD, mit dem Mitschnitt eines Konzertes vom Leipziger Bachfest am 16. Juni 2018, zeigt, warum dies einerseits ein unglaublicher Gewinn ist – und andererseits eine enorme Herausforderung für Organisten. Annette Herr hat dafür ein Programm zusammengestellt, das die Stärken der Hildebrandt-Orgel trefflich aufzeigt. Einen Schwerpunkt bilden natürlich die Orgelwerke Bachs und seiner Zeitgenossen. Doch auch Mozarts Adagio für Glasharmonika klingt auf dem Instrument ganz wunderbar. Das Programm zeigt insbesondere die tonartlichen Möglichkeiten und Grenzen. Und auch der Eingangschor aus der bewussten Kantate erklingt, vorgetragen von einem Solistenquartett und dem Pauliner Barockensemble unter Leitung von David Timm.
Besonders interessant sind die Anmerkungen zur modifiziert mitteltönigen Stimmungsart und die Hörbeispiele dazu. Hier wird ohrenfällig, was authentisches Musizieren an einem solchen Instrument bedeutet, mit welcher Sorgfalt man die Werke dazu auswählen muss. Und man staunt, wie selbstverständlich Organisten zu Bachs Zeiten offenbar auch komplexe Stücke transponieren konnten. Denn das Instrument gab seinerzeit die Tonart vor, das wird ganz klar, wenn man die Bonustracks angehört hat. Sagenhaft!
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