Montag, 14. Februar 2022

Rossini: Eduardo e Cristina (Naxos)


 Als Gioacchino Rossini (1792 bis 1868) weiland seine Oper Eduardo e Cristina vorstellte, war das Publikum schier aus dem Häuschen vor Begeisterung. Die venezianische Gazetta schrieb nach der Uraufführung 1819: „Es war ein Triumph wie kein anderer in der Geschichte unserer Musikbühnen.“ 

Im Mittelpunkt der Handlung steht Cristina, die Tochter von Carlo, König von Schweden. Sie soll eines Tages den schottischen Prinzen Giacomo heiraten. Dummerweise aber hat sich Cristina bereits insgeheim mit einem gewissen Eduardo zusammengetan, General der schwedischen Armee, und das Paar hat obendrein bereits ein Kind. Der Anblick des kleinen Gustavo treibt Vater Carlo, Tenor, in den Zorn und in die Spitzentöne. Die Geschichte hätte schlecht ausgehen können, wenn Eduardo nicht letztendlich von seinen Männern aus dem Kerker befreit worden wäre und einen Überraschungsangriff der Russen hätte abwehren können. 

Entstanden ist diese Oper seinerzeit für das Debüt der Tochter von Giuseppe Cortesi, Impresario eines venezianischen Theaters und ein Freund Rossinis; und vom ersten Federstrich bis zur Premiere 1819 in Venedig verging nicht einmal ein Monat. In einer solchen Situation griffen Komponisten seinerzeit gern auf Bewährtes zurück. So hat Rossini in diesem Falle schöne Melodien aus mindestens vier anderen Opern wiederverwendet, die durchweg kein Erfolg waren und deshalb nach der Premiere rasch wieder von der Bühne verschwunden sind. Dieses Verfahren bezeichnet man als Pasticchio

Das Publikum damals zollte Eduardo e Cristina sehr viel Beifall; die Oper war ein großer Erfolg, und sie erlebte über 20 Jahre hinweg mehr als hundert Aufführungen von St. Petersburg bis nach New York. Die nächste Generation freilich rümpfte die Nase. Musiker galten nun als Genies, und nur das Original war wertvoll. 

Das hatte Auswirkungen, die bis heute andauern. Denn dies ist die einzige Aufnahme des Werkes, und sie entstand 2017 als Mitschnitt der einzigen neuzeitlichen Inszenierung der Oper mit dem Ensemble des Festivals „Rossini in Wildbad“ und Gianluigi Gelmetti am Dirigentenpult. Zu hören sind Silvia Dalla Benetta, Sopran, als Cristina, Laura Polverelli, Mezzosopran, in der Partie des Eduardo (ursprünglich geschrieben für Countertenor), in der Rolle des Carlo brillant Kenneth Tarver, Tenor, als sein Freund Atlei Xiang Xu, ebenfalls Tenor, und als Giacomo der Bassist Baurzhan Anderzhanov, dazu der Camerata Bach Choir Poznán und die Virtuosi Brunensis. Bravi!


El alma de Paco (eos guitar edition)


 Ist das noch Flamenco, oder ist das teilweise schon Kammermusik? Wer Lust hat, der mag über diese Frage nachsinnen. Mit dieser CD erweist das Eos Gitarrenquartett Paco de Lucía seine Referenz – und ich habe jede Sekunde genossen. „Ahí se siente a Paco, su presencia y también su ausencia“, schreibt Experte José Manuel Gamboa im Beiheft. Seinem Urteil kann man sich nur anschließen. 

Man glaubt es kaum, aber drei der beteiligten Gitarristen haben ihre Kunst nicht etwa in Spanien, sondern in der schönen Schweiz erlernt. Trotzdem musizieren Julio Azcano, Marcel Ege, David Sautter und Michael Winkler, als wären sie mit diesem Repertoire aufgewachsen. Einige Kompositionen auf dieser Silberscheibe wurden von Leo Brouwer, John McLaughlin und José Antonio Rodríguez eigens für die vier Musiker geschrieben. Fast alle Werke sind in Weltersteinspielung zu hören. 

David Sautter und Marcel Ege sind zudem mit eigenen Stücken auf dem Album vertreten. Doch spätestens wenn die berühmte Flamenco-Sängerin Carmen Linares ihren Part anstimmt, dann spürt man, dass diese Kunst auch jenseits der spanischen Grenzen mittlerweile die Saiten und die Herzen erobert hat. 


Dienstag, 8. Februar 2022

Per il Salterio (Ramée)


 Die Zuhörer für das Salterio zu begeistern, ist das Anliegen von Virtuosin Margit Übellacker und ihrem Musizierpartner Jürgen Banholzer, Cembalo und Orgel. Gemeinsam konzertieren sie als Ensemble La Gioia Armonica, und diesem Namen macht die Aufnahme in der Tat alle Ehre. 

Das Salterio, über dessen Geschichte, Gebrauch und Spielweise die beiden Musiker ausführlich im Beiheft berichten, erscheint mit seinem ätherischen Klang für die Musik der sogenannten Empfindsamkeit als das perfekte Instrument. Es ähnelt dem Hackbrett der volkstümlichen süddeutschen Stubenmusik, oder dem Zymbal, das in der ungarischen Musik ebenfalls heute noch verwendet wird. 

Das Salterio war im 18. Jahrhundert in Italien sehr in Mode. Es wurde insbesondere in Adelskreisen hochgeschätzt, und so wird es nicht verwundern, dass aus jener Zeit zahlreiche Kompositionen für das Instrument überliefert sind. 

Für die CD haben Margit Übellacker und Jürgen Banholzer eine schöne Auswahl an Sonaten für Salterio und Basso continuo im galanten Stil zusammengestellt. Zu hören sind Werke von Pietro Beretti, Angelo Conti, Baldassare Galuppi und Carlo Monza. Musiziert wird gekonnt, allerdings könnte nach meinem Empfinden das Salterio akustisch etwas mehr im Vordergrund stehen.  


Montag, 7. Februar 2022

Robert Schumann - Lieder in historischen Aufnahmen (Hänssler Profil)

 

Was für eine Schatzkiste! Mehr als hundert Jahre Liedgesang sind in dieser 4-CD-Box dokumentiert: Lotte Lehmann, Fjodor Schaljapin, Elisabeth Schwarzkopf, der junge Dietrich Fischer-Dieskau, Lilli Lehmann, Richard Tauber, Flora Nielsen, Hans Hotter, und noch sehr viel mehr Bühnenlegenden sind hier zu hören. Auch unter den Klavierpartnern findet sich so manche Legende. Doch bei etlichen der Lieder, die berühmte Sänger seinerzeit in die Aufnahmetrichter der Plattenfirmen gesungen haben, ist heute nicht mehr herauszufinden, wer sie seinerzeit begleitet hat. Die frühesten Tondokumente dieser Edition reichen immerhin bis in das Jahr 1901 zurück. 

Was für eine Sammlung hat Keith Hardwick da 1984 für EMI zusammengestellt! Es ist wunderbar, dass Hänssler Classic nunmehr diese Raritäten, sorgsam restauriert und remastered, wieder zugänglich macht. Dieter Fuoß als Herausgeber hat für diese Box drei CD mit Schumann-Liedern in historischen Aufnahmen noch durch eine weitere CD mit Liederzyklen des Komponisten, ebenfalls in historischen Einspielungen, ergänzt. Beim Anhören kommt Nostalgie auf: Was für Stimmen! Danke für diese Edition. 


Schubert: Die schöne Müllerin - Winterreise - Schwanengesang (Capriccio)

 

Als junger Sänger hatte Bo Skovhus seinerzeit Franz Schuberts Schöne Müllerin schon einmal aufgenommen. 2016 ging der Bariton, mittlerweile gereift, an eine Neuinterpretation aller drei Schubert-Zyklen. Klavierbegleiter ist der Wiener Pianist Stefan Vladar. 

„Ich bin sehr dankbar, dass ich es nochmals machen darf. Wenn man jünger ist, reflektiert man viel weniger über das was passiert, wenn man älter ist dagegen mehr und mehr. Bei diesen Zyklen ist das sehr hilfreich, man versteht inzwischen alles viel besser“, zitiert das Label den Sänger. 

Der geneigte Leser sieht mich von der Einspielung allerdings nicht sehr begeistert. Man hört eine Folge von Liedern, aber sie wirken seltsam unverbunden; eher wie ein Liedprogramm als wie eine Geschichte. Statt Dramatik zeigt die Aufnahme oft einen seltsamen Gleichmut, hilfloses Erstaunen statt Erregung und Verzweiflung. Natürlich kann man das so machen – aber passt das wirklich zu den Liedern? 

Skovhus beeindruckt vor allem durch sein enormes Legato – mir wäre der Text aber zumindest ähnlich wichtig. Im Schwanengesang ist Vladar immer präsent, meiner Meinung nach manchmal zu präsent; er setzt Akzente und treibt Skovhus voran. Die Tempi sind oft ganz schön flott. Am besten gefällt mir die Winterreise, dort ist auch mehr Ruhe, mehr Ausdruck, und das Zusammenspiel des Sängers und des Pianisten ist offensichtlicher. Aber insgesamt: Nun ja. Meine persönliche Lieblingsaufnahme wird das nicht. 


Berühmte Opernchöre (BR Klassik)

 

Der Chor des Bayerischen Rundfunks fügt dem schon vorhandenen umfangreichen Bestand erstklassiger Aufnahmen eine weitere hinzu: Auf dieser CD demonstrieren die Sängerinnen und Sänger unter Leitung von Ivan Repušić eindrucksvoll, dass sie auch berühmte Opernchöre hinreißend vortragen können. Auch das Münchner Rundfunkorchester hat an diesem Repertoire hörbar Vergnügen. Das abwechslungsreiche Programm reicht von Verdi bis Tschaikowski und von Puccini bis Wagner. 

Samstag, 5. Februar 2022

Erinnerung - Homage to Humperdinck (Deutsche Grammophon)


 Dieses Doppel-Album, dass die Deutsche Grammophon anlässlich des hundertsten Todestages von Engelbert Humperdinck 2021 veröffentlicht hat, lädt dazu ein, den Komponisten und sein Werk neu zu entdecken. Selbstverständlich erklingen Auszüge aus den Opern Hänsel und Gretel und Die Königskinder, die noch heute ihren Platz im Repertoire haben. Zu hören ist auch ein von Richard Wagner autorisiertes Humperdinck-Arrangement des Vorspiels zur Oper Tristan und Isolde

Doch das Programm, das der Pianist Hinrich Alpers mit Sorgfalt zusammengestellt hat, macht deutlich, dass man Engelbert Humperdinck (1854 bis 1921) Unrecht tut, wenn man ihn nur als Wagner-Schüler betrachtet. Dieses Album macht deutlich, dass er sehr bald zu einer eigenen musikalischen Handschrift fand. 

Humperdinck war auch ein höchst respektabler Liederkomponist, wie eine Auswahl an Kunstliedern zeigt, die Alpers gemeinsam mit der Sopranistin Christina Landshamer eingespielt hat. Außerordentlich spannend sind zudem Ausschnitte aus den Orchestersuiten zu Shakespeares Sturm, hier zu hören mit den Bamberger Symphonikern unter Karl Anton Rickenbacher. Diese Schauspielmusik für die Eröffnung des Neuen Schauspielhauses am Berliner Nollendorfplatz erscheint mit ihrer detailreichen Orientierung am Bühnengeschehen beinahe wie ein Vorgänger heutiger Filmmusiken. Um das Meer zu erleben, und sich nicht nur von musikalischen Vorbildern, sondern vor allem auch von der Realität inspirieren zu lassen, hatte sich Humperdinck seinerzeit übrigens als Pensionsgast in Heringsdorf auf Usedom einquartiert. 

Weitere Facetten seines Schaffens werden in einem kleinen Klavierstück sichtbar: Erinnerung schrieb Humperdinck als 17jähriger in das Poesiealbum seiner Schwester Ernestine. Die nachdenkliche Miniatur ist auf der zweiten CD in Weltersteinspielung zu hören, interpretiert von Hinrich Alpers. Nach dem frühen Tod der Schwester schrieb der Bruder ihr eine Trauermusik. Es ist der langsame Mittelsatz des Klavierquintettes G-Dur aus dem Jahr 1875, das von Alpers mit dem Schumann Quartett vorgetragen wird. Den Schlusspunkt setzt das Streichquartett in C-Dur, entstanden in den Jahren 1919/20, ebenfalls eingespielt vom Schumann Quartett. 


Tormenti d'Amore (Querstand)

 

Einen ganz besonderen Schatz präsentieren die Musiker des Ensembles Capella Jenensis unter der musikalischen Leitung von Gerd Amelung, gemeinsam mit dem Countertenor Philipp Mathmann: Musikalien, die Anton Ulrich von Sachsen-Meiningen bei seiner Reise nach Wien im Jahre 1724 für das Meininger Musikarchiv kopieren ließ. 

Aus dieser bedeutenden Kollektion von 107 Manuskripten mit insgesamt 297 Werken aus dem Wiener Musikleben jener Zeit sind einige Kompositionen auf dieser Doppel-CD zu hören, einige in Weltersteinspielung. So enthält das Programm vier Kantaten, von denen drei ausschließlich im Meininger Archiv überliefert worden sind. Außerdem erklingen zwei Sonaten Johann Adolf Hasses sowie zwei ebenfalls unter seinem Namen publizierte Sinfonien, bei denen Forscher jüngst feststellen konnten, dass sie der Kopenhagener Hofkapellmeister Paolo Scalabrini komponiert hat.