Wie weit verzweigt die Musiker- familie Bach war, davon vermittelt diese 3-CD-Box eine Ahnung. Helmuth Rilling, der sich insbeson- dere dem Vokalwerk Bachs seit Jahrzehnten und in geradezu enzyklopädischer Breite widmet, hat dafür geistliche Musik aus allen Generationen zusammengestellt. Ausgangspunkt dieser musikhisto- rischen Exkursion ist die Trauer- musik Unser Leben ist ein Schatten von Johann Bach (1604 bis 1673). Der älteste Sohn des Wechmarer Musikers Johannes Bach, Begründer der Erfurter Linie der Familie, ist der erste Bach, aus dessen Feder Kompositionen überliefert sind. Auch sein jüngster Bruder Heinrich (1615 bis 1692) hat komponiert. Von den Werken des Begründers der Arnstädter Linie freilich hat sich kaum etwas erhalten; zu hören ist auf dieser CD Ach, dass ich Wassers g'nug hätte in meinem Haupte. Georg Christoph Bach (1642 bis 1697), der Stammvater der Fränkischen Linie, war der älteste Sohn des Erfurter Stadtpfeifers und späteren Arnstädter Hof- und Stadt- musikus Christoph Bach. Nur ein einziges Werk aus seiner Feder ist überliefert, das Psalmkonzert Siehe, wie fein und lieblich ist's.
Johann Christoph Bach (1642 bis 1703), der älteste Sohn Heinrichs, wurde 1663 Organist der Schlosskirche in Arnstadt. Zwei Jahre später berief ihn der Eisenacher Rat zum Stadtorganisten, und er wurde Cembalist der herzoglichen Hofkapelle. Auf der CD ist er mit der Solo-Kantate Wie bist Du denn, o Gott, in Zorn auf mich entbrannt vertreten. Im Beiheft wird ihm von Textautor Klaus Hofmann zudem die Motette Ich lasse dich nicht, Du segnest mich denn zugeschrie- ben, "die wahrscheinlich in J.S. Bachs Notensammlung vorhanden war und lange Zeit als Werk des Thomaskantors galt". In der Titel- übersicht allerdings wird sie als Werk Johann Sebastian Bachs geführt.
Von Johann Michael Bach (1648 bis 1692), dem zweiten Sohn Heinrichs, ist die Neujahrsmusik Sei, lieber Tag, willkommen zu hören. Er war der Vater von Bachs erster Frau Maria Barbara, und also der Großvater von Carl Philipp Emanuel (auf dieser CD nicht vertreten!) und Wilhelm Friedemann Bach (1710 bis 1784). Aus seinem Werk wurde für diese CD die Osterkantate Erzittert und fallet ausgewählt.
Johann Nikolaus Bach (1669 bis 1753) wiederum war der älteste Sohn von Johann Christoph Bach. Er studierte an der Universität in Jena, reiste anschließend durch Italien und wurde dann Stadtorganist in Jena, später zusätzlich Universitätsorganist. Von ihm erklingt hier die Missa brevis Allein Gott in der Höh sei Ehr. Sein Zeitgenosse Johann Ludwig Bach (1677 bis 1731) gehört keinem der oben benannten Zweige der Bach-Familie an. Er war der Sohn des Schulmeisters und Kirchenmusikers Jakob Bach aus Thal in Thüringen. Er absolvierte das Gymnasium in Gotha, studierte dann Theologie und ging an- schließend als Lehrer und Kantor nach Bad Salzungen. Von dort wechselte er nach Meiningen, wo er zunächst als Hofkantor und Pagenerzieher, und dann als Hofkapellmeister wirkte. Die Kantate
Die mit Tränen säen zeigt, dass die thüringische Residenz seinerzeit einen phantastischen Chor gehabt haben muss.
Die mit Tränen säen zeigt, dass die thüringische Residenz seinerzeit einen phantastischen Chor gehabt haben muss.
Johann Ernst Bach (1722 bis 1777), ein Urenkel von Johann Bach, war Patenkind und zweitweilig auch Schüler von Johann Sebastian Bach. 1749 übernahm er die Organistenstelle seines Vaters, des Eisenacher Stadtorganisten Johann Bernhard Bach; zeitweilig leitete er auch die Weimarer Hofkapelle. Auf CD ist er mit der Pfingstkantate Die Liebe Gottes ist ausgegossen zu vernehmen.
Aus der Mailänder Zeit von Johann Christoph Bach (1735 bis 1782), des jüngsten Sohnes des Thomaskantors, bekannt auch als "Londoner Bach", sind Teile eines Requiems zu hören. Das Schaffen seines Bruders Johann Christoph Friedrich Bach (1732 bis 1795), dem "Bückeburger Bach", wird durch die Motette Wachet auf, rufet uns die Stimme repräsentiert. Sein Sohn Wilhelm Friedrich Ernst Bach (1759 bis 1845) beschließt mit einem Vater unser die lange Reihe der geist- lichen Kompositionen.
"Wenn es je eine Familie gegeben hat, in welcher eine ausgezeichne- te Anlage zu einer und eben derselben Kunst gleichsam erblich zu seyn schien, so war es gewiß die Bachische", meinte schon Bachs Biograph Johann Nikolaus Forkel. "Durch sechs Generationen hindurch haben sich kaum zwey oder drey Glieder derselben gefunden, die nicht die Gabe eines vorzüglichen Talents zur Musik von der Natur erhalten hatten, und die Ausübung dieser Kunst zu der Hauptbeschäftigung ihres Lebens machten."
Indem Helmuth Rilling den Spuren der Bach-Familie folgt, macht er auch gut 200 Jahre Musikgeschichte hörbar - ein interessantes Unterfangen, das allerdings durch die Reihenfolge der Werke beeinträchtigt wird. Denn der Zeitstrahl startet auf jeder CD neu, an willkürlich gewählter Stelle, was einige Verwirrung stiftet. Wann und wo die Aufnahmen entstanden sind, bleibt das Geheimnis des Labels. Beteiligt sind an dem Projekt ganze Heerscharen von Musikern und Sängern sowie vier Chöre. Die Qualität der einzelnen Einspielungen differiert leider erheblich - und somit kann hier auch kein ungetrübtes Hörvergnügen versprochen werden. Dennoch ist das Konzept interessant, und der Erkenntnisgewinn beträchtlich.
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