Dienstag, 28. September 2010

Passion and Lament (Dorian)

Salomon Rossi (ca. 1570 bis 1630) war der erste jüdische Komponist der Musikgeschichte, von dem man mehr weiß als nur den Namen. Rossi wurde 1587 als Sänger und Musiker am Hofe des Herzogs Vincenz I. zu Mantua engagiert. Dort war auch seine Schwester als Sängerin beschäftigt. Mehr als hundert Werke von Rossi sind überliefert; die meisten davon erschienen zwischen 1589 und 1628 im Druck. 
Rossi komponierte Instrumental- werke und zahlreiche Madrigale für Singstimmen, zusammengefasst in mehreren Madrigalbüchern. Daneben entstand 1623 die Sammlung „Ha-shirim asher li-Shelomo“, Psalmen und Gesänge in hebräischer Sprache. Sechs dieser Werke, die jüdische und europäische Musik- traditionen elegant kombinieren, enthält die vorliegende CD, dazu die Stabat Mater von Heinrich Ignaz Franz von Biber in Ersteinspielung und das Oratorium Jephta von Giacomo Carissimi, dem Erfinder des biblischen Oratoriums.
Es musiziert The Bach Sinfonia unter Daniel Abraham - hinreißend sauber, hochglanzpoliert perfekt, und in der Konsequenz leider auch gähnend langweilig. Bemängelt werden muss hier zudem die völlige Unverständlichkeit des Textes. Schade.

Montag, 27. September 2010

The Nightingale and the Butterfly (Linn Records)

Französische Musik für Blockflöte und Laute um die Jahrhundert- wende, und zwar vom 17. zum 18. Jahrhundert - das könnte als Motto über dieser CD stehen. "Die Nachti- gall und der Schmetterling" klingt freilich wesentlich poetischer, und passt zudem gut zu der Musik, die Pamela Thorby, Blockflöten, und Elizabeth Kenny, Lauten, für diese Einspielung ausgewählt haben. 
Wer genau aufpasst, der wird die beiden Tierchen flattern und die Nachtigall sogar singen hören. Francois Couperin hat in seinem Troisième Livre de pièces de clavecin Quatorzième Ordre allerlei Vögel musikalisch porträtiert - so auch die Nachtigall als galantes Symbol. Die CD enthält zudem Werke von Louis Caix d'Hervelois, Robert de Visée, Anne-Danican Philidor und Charles Dieupart. Sie sind durchweg unterhaltsam, und so waren diese hübschen Suiten und Sonaten einst ja auch gedacht. Aber bei aller Liebe zur höfischen Musiktradition - in dieser Ballung wirkt diese Musik ermüdend.

Sonntag, 26. September 2010

The Gentleman's Flute (Oehms Classics)

Wer vor 200 Jahren die aktuellen Hits anhören wollte, der musste selbst musizieren. Instrumental- unterricht gehörte daher zur Stan- dard-Ausbildung der besseren Stände. Im London der Händel- Zeit galt beispielsweise das Cemba- lo als Instrument der Damen. "Ein wahrer Gentleman sollte niemals ohne seine Blockflöte ausgehen", schrieb John Hawkins 1776. Dass sich beides perfekt ergänzte, war ganz gewiss kein Zufall. 
Und die Herren spielten dieses Instrument ziemlich gut, meint Blockflötist Stefan Temmingh: "Der Tonumfang der Blockflötenstimmen in Händelsonaten übersteigt fast nie anderthalb Oktaven. Sie sind leicht vom Blatt zu spielen. In den für Blockflöte arrangierten Opernarien handelte es sich oft um mehr als zwei Oktaven - sie gehören zur gehobenen, schwierigen Litera- tur. Man muss schon ziemlich gut sein, um diese Stücke zu spielen." Bereits wenige Tage nach der Premiere einer neuen Händel-Oper konnte das nach Opern schier narrische Publikum seinerzeit die ersten Arrangements der Ouvertüre sowie der beliebtesten Arien erwerben.
Derartige Hits hat Temmingh gemeinsam mit Musikerfreunden ein- gespielt. Dafür wurden etliche Stücke neu arrangiert, wobei sich die Musiker an zeitgenössischen Quellen orientierten, beispielsweise an den Transkriptionen von William Babell, Händels Cembalisten: "Sie sind unglaublich interessant", so der Flötist, "weil sie niedergeschrie- bene Verzierungen enthalten. Manche von Babells Ornamenten sind ungeheuerlich. Die haben wir übernommen. Selbstverständlich haben wir unsere eigenen verrückten Ideen - aber die verrücktesten stammen immer aus den Quellen." 
Auch die Besetzung, für die sich Temmingh entschied, ist - gelinde gesagt - etwas unkonventionell: Neben diversen Blockflöten, Cembalo (Olga Watts), Viola da Gamba (Domen Marincic) sowie Laute und Theorbe (Axel Wolf) erklingen Barockfagott (Lyndon Watts), Barock- harfe (Loredana Gintoli) und sogar ein Salterio (Olga Mischula) - ein Modeinstrument des 18. Jahrhunderts, das einem Hackbrett ähnelt und auch so klingt, aber mit Ringplektren gezupft wird.
Die einzelnen Instrumente werden pfiffig eingesetzt, so dass sich ingesamt ein abwechslungsreiches Klangbild ergibt. Davor kann sich das virtuose Flötenspiel von Temmingh bestens entfalten. Meine Empfehlung, nicht nur für Händel-Fans.

Elfrun Gabriel - Schumann, Liszt, Mendelssohn, Chopin (Querstand)

Nomen est omen - das wussten schon die alten Römer. Ob die Eltern seinerzeit, als sie ihrem Kind diesen Namen gaben, ans Klavier- spiel gedacht hatten, das freilich darf bezweifelt werden. Die reiche böhmische Musiktradition aber wurde Elfrun Gabriel faktisch in die Wiege gelegt; schon früh entschied sie sich für das Klavier. Im Alter von 14 Jahren gab sie ihre ersten Konzerte. Sie studierte bei  Hugo Steurer und Amadeus Webersinke sowie bei Karl-Heinz Kämmerling, Pawel Serebrjakow in St. Peters- burg und Halina Czerny-Stefanska in Krakow. 
Die Leipziger Pianistin widmete sich vor allem der romantischen Literatur, aber auch Debussy und Elgar, Prokofjew, Schostakowitsch und Tschaikowski, Bach und Mozart finden sich immer wieder in ihren Programmen. Sie galt als ausgesprochene Chopin-Spezialistin, und es ist tragisch, dass sie ausgerechnet die beiden Programme, die sie zum Chopin-Gedenkjahr 2010 vorbereitet hatte, nicht mehr im Konzert vorstellen konnte. Sie sollten von Chopin weg und so wieder zu ihm hin führen, historische Bezüge ausloten, um seinen Aufenthalt in Leipzig kreisend. Im Dezember 2009 hatte Elfrun Gabriel die dafür vorgesehenen Werke vorab im Studio eingespielt; die CD erscheint nun als ihr Vermächtnis. 
1835 lernte Chopin in Leipzig Clara Wieck und Robert Schumann kennen, vermittelt durch Felix Mendelssohn Bartholdy. Elfrun Gabriel wählte vier der acht Fantasiestücke op. 12 von Robert Schumann aus, kontrastiert anschließend mit der Étude Nr. 2 Es-Dur von Franz Liszt - einem Stück aus den sechs Grande Études de Paganini, die der Klaviervirtuose Clara Schumann gewidmet hat. Auch klanglich ist der Unterschied erstaunlich. Während sie den Schumannschen Ideen eher zurückhaltend nachspürte, setzte Gabriel bei Liszt ganz auf orchestrale Klangwucht - eine Überraschung im ansonsten subtil ausbalancierten Umfeld. 
Mit Vogel als Prophet zeigte die Pianistin erneut, wie fein austariert ihr Anschlag und wie präzise ihr Zugriff auf Klangfarben war. Und als besonderes Schmankerl spielte sie die Widmung aus Schumanns Liederzyklus Myrten op. 25, eines der schönsten Liebeslieder über- haupt, für Klavier arrangiert von Clara Schumann, die auf der CD mit einer der drei Romanzen op. 11 zu hören ist. 
Aus dem reichen Schaffen Mendelssohns hat Gabriel zwei Lieder ohne Worte ausgewählt. Und natürlich erklingen auch Werke des Jubilars Frédéric Chopin - Berceuse Des-Dur op. 57, Grande Valse As-Dur
op. 42, Nocturne 13 c-Moll op. 48/1, Fantasie-Impromptu cis-Moll op. 66 und Nocturne 19 e-Moll op. 72/1. "Zeitgenossen Chopins be- richten, dass Chopin leise, mit transparentem Anschlag und dabei farbig spielte. Mein Anliegen ist es, diesem Ideal möglichst nahe zu kommen", so die Pianistin. Sie bezaubert durch ihren ätherischen, nuancenreichen und zugleich glasklaren Vortrag. Anmut, Leichtigkeit und Eleganz kennzeichnen ihr Spiel, doch auch am großen, dramati- schen Auftritt hatte sie hörbar Vergnügen.
Anlässlich des Requiems für Elfrun Gabriel sagte Prof. Dr. Werner Merten: "Sie war als außergewöhnliche Pianistin eine ganz große Persönlichkeit im Sinne dessen, was ihr einstiger Lehrer, der welt- berühmte Klavierpädagoge Karl-Heinz Kämmerling, erst kürzlich ausgeführt hat: ,Es geht aber immer um die Frage, was ich mit der Musik ausdrücken will. Die Verbindung von einem Ton zum nächsten hat enorme Bedeutung. Was zwischen den Klängen geschieht, ist das Wesentliche.'" Diese Laudatio beschreibt die besondere Qualität ihres Klavierspiels vielleicht am besten.

Samstag, 25. September 2010

Wilhelmine von Bayreuth (Thorofon)

Wilhelmine, Tochter des "Soldaten- königs" Friedrich Wilhelm I. von Preußen, wurde 1731 mit Friedrich von Brandenburg-Bayreuth ver- heiratet. Der kunstliebende Mark- graf, der selbst passioniert die Flöte spielte, ging, nachdem er 1735 die Regierungsgeschäfte übernommen hatte, daran, den Provinzhof in einen Musensitz zu verwandeln. So kam Bayreuth zum Neuen Schloss, zu einem Opern- haus und sogar zu einer Universi- tät, die aber noch im Jahr ihrer Gründung aufgrund von ebenso massiven wie handfesten Auseinan- dersetzungen zwischen Bürgern und Studierenden nach Erlangen umziehen musste.
Wilhelmine kümmerte sich um Oper und Hofkapelle; die Lieblings- schwester Friedrichs des Großen musizierte und komponierte auch selbst. Von ihren Werken hat sich aber kaum etwas erhalten. Diese CD enthält eine bildhübsche Sonate im galanten Stil, die sie möglicher- weise für ihren Bruder geschrieben hat. Es erklingen zudem Triosona- ten von Musikern aus dem Umfeld des Bayreuther Hofes. So weilten die Brüder Carl Heinrich und Johann Gottlied Graun ebenso mehrfach im Fränkischen, wie Johann Joachim Quantz, bei dem der Markgrafen Flötenstunden nahm, oder der Dresdner Hofkapellmeister Johann Adolf Hasse. 
Johann Pfeiffer, Jakob Friedrich Kleinknecht und Christian Friedrich Döbbert waren Musiker der Hofkapelle; Anna Bon di Venezia kam mit ihren Eltern nach Bayreuth, und wurde von Wilhelmine zur Virtuosa di musica da camera ernannt. Auf dieser CD ist ein Divertimento in A-Dur für zwei Flöten und Basso Continuo aus ihrer Feder zu finden. Bei den meisten dieser Werke handelt es sich um Ersteinspielungen.
Die einzelnen Sonaten unterscheiden sich in ihrer musikalischen Qualität nicht übermäßig. Das mag erstaunen; doch scheint die Mark- gräfin einen ziemlich entschiedenen Musikgeschmack gehabt zu haben. So prägt der sogenannte "galante" Stil sämtliche Werke - was hier keinesfalls eine negative Wertung ist. Denn die Sonaten sind charmante Stücke, voll reizvoller melodischer Wendungen und von der Anmut eines Rokoko-Schlösschens.
Elisabeth Weinzierl und Edmund Wächter - das Münchner Flötenduo - sowie Eva Schieferstein, Cembalo, und Philipp von Morgen, Violon- cello, spielen diese kleinen Perlen des Repertoires tänzerisch leicht, mit Grazie und mit einem Schmunzeln. Wunderschön!

Dvorák: Rusalka (Glyndebourne)

Jedes Jahr im Sommer findet in Glyndebourne, zwei Autostunden von London, ein musikalisches Fest statt, wie es wohl nur in Groß- britannien denkbar ist: Opern- freunde treffen sich in einem Opernhaus, das aus dem Landhaus des Gründers des Festivals, John Christie, hervorgegangen ist, und erleben eine Oper - mit einer überlangen Pause, die traditionell dazu genutzt wird, ein opulentes Picknick im Garten zu genießen. Was dort - selbstverständlich  in Abendkleid und Frack - gespeist wird, das kann man übringens auf der Homepage des Glyndebourne Opera Festivals nachlesen (und gleich mit den Karten ordern). 
Im vergangenen Jahr gab es dort Antonín Dvoráks Oper "Rusalka"; das hauseigene Label legte nun einen Mitschnitt vor. Und der lässt in jeder Beziehung aufhorchen. Das fängt schon damit an, dass in Ori- ginalsprache gesungen wird. Das ist nicht selbstverständlich, denn Tschechisch ist gar nicht so einfach. Die Sänger sind durchweg ex- zellent - angefangen von Ana Mariá Martínez als Rusalka, Brandon Jovanovich als Prinz, Tatjana Pawlowskaja als Fremde Fürstin und Mischa Schelomjanski als Wassermann über Larissa Djadkowa als Hexe Jezibaba, Natasha Jouhl, Barbara Senator und Élodie Méchain als Elfen bis hin zu Diana Axentii als Küchenjunge, Alasdair Elliott als Förster und John Mackenzie als Jäger. Der Glyndebourne Chorus, geleitet von Thomas Blunt, ist eine Wucht. Und auch das London Philharmonic Orchestra entdeckt unter Jirí Belohlávek seine sla- wisch-romantische Ader. Selbst die Inszenierung muss, glaubt man den Fotos, phänomenal gewesen sein.

Sibelius: Violin Concerto, Humoresques; Prokofiev: Violin Concerto No. 1 (EMI Classics)

Das Label inszeniert Vilde Frang, Jahrgang 1986, wie eine Fee - hinterm Baum hervortretend, im weißen Gewand, das Haar lang herabwallend. Doch Vorsicht: Diese junge Dame hat eine Geige in der Hand, und sie kann deutlich mehr als nur bis drei zählen.
Für ihr Debütalbum hat die Norwe- gerin zwei Violinkonzerte ausge- wählt, die man nicht eben über- mäßig häufig zu hören bekommt. Das Violinkonzert in d-Moll op. 47 von Jean Sibelius gilt als sperrig und technisch außerordentlich anspruchsvoll. Auch das Violinkon- zert Nr. 1 in D-Dur op. 19 von Sergej Prokofjew steht nicht eben in dem Ruf, zu den Publikumsfavoriten zu gehören. 
Warum also tut sich Frang solche Klassiker an, die doch noch fast als "modern" gelten? Die Antwort ist einfach: Weil sie es kann. Das feinste Pianissimo und das süffigste Vibrato, die dramatisch-pathetische große Linie und  verschmitztes Pizzicato nebst einer umfangreichen Palette an Klangfarben und Nuancen - Frang beherrscht ihr Instru- ment virtuos, und gestaltet zudem pfiffig. Das macht diese CD zu einem absoluten Hörvergnügen. Brava!

Donnerstag, 16. September 2010

Franz Lehár: Der Zarewitsch (cpo)

Zarewitsch Aljoscha soll heiraten. Doch von "Weibern" hält der russi- sche Thronfolger gar nichts. Damit er seine Meinung ändert, schiebt ihm der Hof eine Tänzerin unter, die ihn in gewissen Dingen unter- weisen soll. 
Dummerweise verlieben sich die beiden ineinander, und statt brav und standesgemäß zum Altar zu schreiten, flüchtet der Erbe mit der Freundin nach Italien. Erst der Verweis auf die Staatsraison bringt ihn zur Vernunft - und auch die Tänzerin Sonja zum Verzicht auf eine sangestrunkene Liebe. 
Franz Lehár, unter den Komponisten unangefochten der König im Reich der Operette, hat die Partie des Zarewitsch seinerzeit dem Tenor Richard Tauber auf den Leib geschneidert. Wer sich also an dieses farbenreiche, musikalisch sehr anspruchsvolle, aber ansonsten nicht übermäßig spannende Stück heranwagt, der weiß, worauf er sich einlässt. 
In dieser Einspielung sind die vier wesentlichen Partien durchweg mit jungen Sängern besetzt, die sämtlich durch ein angenehmes Timbre und sichere Intonation gefallen. Alexandra Reinprecht singt die Sonja, Matthias Klink den Zarewitsch, Christina Landshamer die Mascha und Andreas Winkler den Leibdiener Iwan. Alle anderen Partien sind Sprechrollen. Es singt zudem der Chor des Bayerischen Rundfunks, und es spielt das Münchner Rundfunkorchester unter Ulf Schirmer. Eine solide Einspielung, die man gut anhören kann.

Quartbone: Esquisse (Perc Pro)

Drei Tenor- und eine Bassposaune - in dieser Besetzung konzertiert das Posaunenquartett Quartbone. Fabrice Millischer, Jean-Philippe Navrez, Aurélien Honoré und Fabien Dornic haben gemeinsam an der Musikhochschule in Lyon studiert. 2006, noch während ihrer Ausbildung, gründeten sie, unterstützt durch ihren Lehrer Michel Becquet, dieses nicht all- tägliche Ensemble . 
Quartbone kombiniert zwei reiz- volle, aber wohl auch sehr un- terschiedliche Posaunentraditionen. Da wäre zum einen die Welt der modernen Posaune, die seit Beethoven ihren festen Platz im Sinfo- nieorchester hat, aber auch außerhalb der Klassik gern gespielt und eingesetzt wird - im Blasorchester beispielsweise, oder im Posaunen- chor. Zugleich setzen die Musiker von Quartbone aber auch gern ihren Vorgänger, die Renaissanceposaune ein, auch "Sacqueboute" oder "Sackbutt" genannt. Sie klingt leiser, klarer und schlanker als das heute übliche Instrument.
Die vier französischen Blechbläser spielen Werke von Tilman Susato über Thomas Tallis bis hin zu Anton Bruckner und Paul Desmond. Das wird nie langweilig. Wer Vergnügen an blitzsauber und zugleich sehr humorvoll vorgetragener Posaunenmusik hat, der sollte sich diese CD nicht entgehen lassen.

Chopin: 21Nocturnes (Oehms Classics)

Artur Rubinstein hat Chopins Nocturnes mehrfach eingespielt; auch von Claudio Arrau gibt es eine exzellente Aufnahme, die vielen Klassik-Fans als Referenz- aufnahme gilt. Was also veranlasst Amir Katz, neben solche Giganten zu treten? "Jede Generation von Pianisten hat ihre eigene Stimme", meint der israelische Pianist in einem Interview im Beiheft zu dieser CD. So weit, so gut.
Hören wir also, was er zu sagen hat - musikalisch, selbstredend. Aber da findet sich nichts, was begeistern würde. Diese CD verwirrt zu- nächst; sie hat mich aber obendrein verärgert. Denn Agogik mag, im rechten Maße und am rechten Ort eingesetzt, ein akzeptables Stil- mittel musikalischer Gestaltung sein. Das bedeutet aber nicht, dass überhaupt kein Grundmetrum mehr gilt. Katz spielt wie ein Schaf, das über eine Wiese bummelt: Hier findet es drei schmackhafte Kräutlein, und hält ein, um sie genüsslich zu verputzen. Dann geht es gemesse- nen Schrittes weiter, links zwei Grashalme, rechts ein Blümchen, Pause, umgucken. Haben sich die Kameraden zu weit entfernt, dann darf's auch mal ein bisschen zügiger voran gehen. Zumindest für ein paar Schritte, bis zum nächsten interessanten Detail. Bei einer Schafherde finde ich das idyllisch, aber in der Musik ist es gruslig, so etwas mag man nicht anhören - sorry!

Fritz Wunderlich - Live on Stage (Deutsche Grammophon)

"Die unmittelbare Wirkung des Gesanges dieses Künstlers ist so spontan, so goldrichtig, da können wir auf analytische Mikroskopie verzichten, uns gemütlich zurück- lehnen und diese kraftvolle Mi- schung aus sonniger mediterraner Stimmqualität und einer mittel- europäischen musikalischen wie darstellerischen Intelligenz ge- nießen, über die nur ein wahrhaft charismatischer Tenor verfügen kann", schrieb Joseph Calleja einst über seinen Kollegen Fritz Wun- derlich. "Unter all dem Beeindruckenden, was er erreicht hat, ist der Beweis, dass Mozart mit Direktheit und Klarheit dargebracht werden kann, ohne auf die interpretatorischen Raffinessen , die dieser Kom- ponist fordert, verzichten zu müssen - und er zeigte einer ganzen Generation, dass Richard Strauss Tenöre mit keinen unüberwind- baren Herausforderungen konfrontiert, solange sie ihr Handwerk beherrschen." 
Was Calleja da notiert hat, das könnte wie ein Motto über dieser CD stehen. Sie zeigt Wunderlich bei seiner Arbeit auf der Opernbühne, ohne Netz und doppelten Boden. Wir erleben ihn in Mitschnitten, die nicht immer von allerbester technischer Qualität sind- als strahlen- den Tamino, als erstaunlich präsenten Don Ottavio und als Belmonte, aber auch als Graf Almaviva, als Leukippos oder als Henry. Und wir erleben magische Momente, wenn er etwa gemeinsam mit Lucia Popp die Sänger-Szene aus Strauss' Capriccio zum Ereignis werden lässt, oder aber die Arie des italienischen Sängers aus dem Rosenkavalier anstimmt.  Man darf gespannt darauf sein, was sich in Archiven noch so anfinden wird.

Chopin: Nokturny (Narodowy Institut Fryderyka Chopina)

Der vietnamesische Pianist Dang Thai Son, aufgewachsen in einer Musikerfamilie, ausgebildet zu- nächst von seiner Mutter, dann am Moskauer Tschaikowski-Konserva- torium, wurde in Europa bekannt, als er 1980 den Chopin-Wettbe- werb gewonnen hatte. Denn es war das erste Mal überhaupt, dass ein asiatischer Pianist in einem der renommierten internationalen Wettbewerbe siegte. 
Zu der Serie "Der wahre Chopin", die vom Narodowy Institut Fryderyka Chopina in Warschau ver- öffentlicht wird, hat Dang Thai Son zwei CD beigetragen. Auf dieser hier spielt er eine Auswahl an Nocturnes, und zwar auf dem Erard des Institutes, erbaut 1849 in Paris, baugleich jenem Instrument, das Chopin tatsächlich gespielt haben soll. In den Vordergrund stellt er dabei ganz klar einen sanglichen Vortrag - eine Auffassung, die mich spontan begeistert. Denn sie zeigt, wie stimmungsvoll diese Werke sind, wie fragil - und wie melodisch. Wunderschön!

Montag, 13. September 2010

Schubert: Works for Fortepiano Vol. VI (Etcetera)

  
Was für ein Sound! Manchmal ge- schehen doch tatsächlich Wun- der. Und es ist kaum zu glauben, dass man dieses vortreffliche Instrument einem Zufall ver- dankt: Im Frühsommer 1998 wurde auf dem Speicher von Schloss Vilain XIIII zu Leut in Belgien ein Instrument entdeckt, das man zunächst für ein Cembalo hielt. Nachdem aber die Staub- schichten beseitigt waren, erwies sich dieses "Cembalo" als ein Hammerflügel aus der Werkstatt der berühmten Nanette Streicher.
Erbaut 1826 in Wien, mit Seriennnummer 2090, zeigte sich dieses Instrument zwar etwas ramponiert, aber dennoch in grundsätzlich guter Erhaltung. Sogar die Wiener Mechanik war noch im Original vorhanden. Nach behutsamer Restaurierung wurde das Fortepiano 2002 wieder in den Dienst genommen - und erklingt nun hier, gespielt von Jan Vermeulen. 
Der Fortepiano-Spezialist hat die Sanierung dieses kostbaren Instrumentes begleitet, und schließlich begonnen, darauf das Werk von Franz Schubert vorzustellen. Aus dieser Konzertreihe entstand schließlich  eine Gesamteinspielung - und die hat es in sich. Denn Vermeulen stellt mit seiner Interpretation manch lieb gewordene Hörgewohnheit in Frage. Er spielt brillant, ganz ohne Frage - doch das Hammerklavier klingt nun einmal anders als ein moderner Konzert- flügel, und verlangt vom Pianisten auch eine gänzlich andere Gestaltung. 
Das Instrument, ein Geradsaiter mit lediglich sechs Oktaven, be- eindruckt durch seinen faszinierend durchsichtigen Klang, insbe- sondere im Bassregister, und durch seine enorm präzise Ansprache. Dieser Klang ist wirklich kristallklar, und die Läufe perlen daher, wie man das vom modernen Klavier gar nicht mehr kennt. "Romantisch" wirkt das freilich nicht; wer einen Schubert sozusagen mit Spitzen- deckchen erwartet, der wird entsetzt sein. Es stellt sich jedoch die Frage, ob Vermeulen nicht jenem Klang, den Schubert zu Lebzeiten im Ohr hatte, wesentlich näher kommt, als alle Kritiker heute, die ihn lieber "weicher" und "gemütvoller" hören wollen.

Paganini: 24 Caprices; Julia Fischer (Decca)

Julia Fischer war acht Jahre alt, als sie Paganinis Capricen zum ersten Male hörte. Damals saß sie, als Mit- glied eines Kinderkurses, auf einer Holzbank in einer österreichischen Kirche und lauschte Thomas Ze- hetmair,  die Noten auf dem Schoß, berichtet die junge Violinistin. Jedes zu Ende gespielte Stück habe sie ordentlich abgehakt, erinnert sich die  Musikerin, und nach der Nummer 24 habe sie gedacht: "Wenn ich die auch mal spielen kann, dann habe ich es geschafft, dann bin ich eine echte Geigerin." 
Mittlerweile kann sie das, und viele dieser Piecen hat sie zudem bereits öffentlich gespielt, denn die virtuosen Häppchen sind eine lohnende Zugabe im Konzert; bestens geeignet, um das Publikum nachhaltig zu beeindrucken. Natürlich sind diese Stücke technisch anspruchsvoll - es sind ja eigentlich auch Etüden, Übungsstücke, an denen Musiker bestimmte Bewegungsabläufe trainieren, hunderte Male, bis der gewünschte Effekt "sitzt". Sie sind zudem durchaus faszinierend, weil jedermann mitbekommt, dass sie schwierig sind. Aber sind sie musikalisch auch derart lohnend, dass man sich daran machen muss, alle 24 hintereinander für eine CD einzuspielen?
"Ich kann nur ein Stück aufnehmen, an das ich glaube", meint Julia Fischer. Und ihre Technik ist in der Tat grandios. Die 24 Capricen spielt sie so locker, als ginge es um - pardon! - Kaffeehausmusik. Im Beiheft wird erläutert, sie gebe "dem Komponisten Niccoló Paganini mit dieser Aufnahme zurück, was er in den letzten 200 Jahren verloren hat: seine Bedeutung als Musikrevolutionär, der 1782 in die Wiener Klassik hineingeboren wurde, um halb Europa mit dieser romantisch-irrwitzigen Musik in seinen Bann zu ziehen." Davon freilich höre ich nichts; ich höre Etüden, blitzsauber und teilweise rasant gespielt, aber ohne Herzblut - und vollkommen ohne Humor.

Sonntag, 12. September 2010

Franz Schubert - Herbstblätter (Gramola)

Die fallenden Blätter auf dem Cover dieser CD sind kein Zufall: Es er- klingen Werke, die Franz Schubert (1797 bis 1828) in seinem letzten Lebensjahr geschaffen oder zu- mindest veröffentlicht hat. Charlotte Baumgartner stellt die Sechs Moments musicaux D 780 neben die Vier Impromptus D 935, die Zwölf Grazer Walzer D 924 und den Grazer Galopp C-Dur D 925. 
Dass Schubert kein Kind von Trau- rigkeit war, zeigen insbesondere diese letzteren Werke. "In Grätz erkannte ich bald die ungekünstelte und offene Weise, mit und neben einander zu seyn", resümierte der Komponist nach seinem Besuch, im September 1827. "Besonders werde ich nie die freundliche Herberge (...) vergessen, wo ich seit langer Zeit die vergnüglichsten Tage ver- lebt habe." Bei der Familie Pachler wurde der Komponist erfreut empfangen. 
Karl Pachler, Advokat und Brauereibesitzer, führte ein ziemlich großes Haus - und das meint nicht nur die Anzahl der Zimmer. Denn die Familie war für ihre Gastfreundschaft ebenso berühmt wie für ihren Salon. Die Dame des Hauses, Marie Leopoldine Pachler, war eine exzellente Pianistin, die bereits Beethoven sehr geschätzt hatte. 
Es wird vermutet, dass die Walzer und der Galopp im Hause Pachler komponiert wurden. Schubert war bekannt dafür, dass er gern Tanz- vergnügen vom Klavier aus begleitete, und stundenlang die Musik dazu improvisierte. Die besten Einfälle brachte er zu Papier, so dass wir uns heute noch daran erfreuen können.
Bekannter aber sind die Moments musicaux sowie die Impromptus, die wohl jedermann "im Ohr hat", wie es so schön bildhaft heißt. Leider bemüht sich die Pianistin Charlotte Baumgartner gerade bei diesen kleinen Charakterstücken um eine ausgefeilte Gestaltung, und tut für mein Empfinden dabei des Guten ein wenig zu viel. Insbeson- dere dort, wo sie romantisierend aus dem Metrum tritt, wirkt das wie Zuckerguss - und den hat der arme Schubert doch wirklich nicht verdient.

Samstag, 11. September 2010

Giuliano Sommerhalder - Romantic Virtuosity (Solo Musica)

Trompeter haben ein Problem: Wollen sie konzertieren, dann müssen sie zumeist weit in der Musikgeschichte zurückgehen, um geeignete Literatur zu finden. Das hat seinen Grund darin, dass Pau- ken und Trompeten üblicherweise zur Klangwelt des Adels gehörten. Mit dem Aufkommen eines bürger- lichen Musiklebens verschwanden sie in die hinteren Reihen des Sin- fonieorchesters; und wer Trompe- tenkonzerte sucht, die nicht aus dem Generalbass-Zeitalter stammen, der muss tief schürfen.
Giuliano Sommerhalder, Jahrgang 1985, seit 2006 Solotrompeter des Gewandhausorchesters Leipzig, hat sorgfältig gesucht - und ganz erstaunliche Werke sowohl für die moderne Trompete als auch für ihren volkstümlichen Bruder, das Cornet à Pistons, entdeckt. So schrieb Oskar Böhme (1870 bis 1938), geboren in Potschappel bei Dresden, ein Trompetenkonzert in e-Moll op. 18, das an Mendels- sohns Violinkonzert erinnert. Die CD enthält auch noch zwei Bravour- stücke für Cornet à Pistons, die erahnen lassen, warum 1897 das Mariinskij-Theater in St. Petersburg den jungen Musiker als Solo- trompeter engagierte. Grandios! 
Wilhelm "Wassily" Brandt (1869 bis 1923) stammte aus der Coburger Gegend, spielte mit 18 Jahren bereits als Solotrompeter der Philhar- monie von Helsinki, und wechselte 1890 nach Moskau ans Bolschoi-Theater. Er lehrte bis 1911 als Professor am Moskauer Konservato- rium, und gilt als Begründer der russischen Trompetenschule. Sommerhelder hat hörbar Vergnügen an seinem halsbrecherischen Ersten Konzertstück in f-Moll op. 11, und auch an dem Zweiten Konzertstück in Es-Dur op. 12 mit seinem Marschfinale und seinen Anleihen bei der russischen Ballettmusik. 
Russland aber ist den beiden deutschen Trompetenvirtuosen zum Verhängnis und zum Schicksal geworden. Böhme starb, nach offiziel- len Daten 1938, irgendwo in Sibirien. Brandt wurde 1912 an das Konservatorium im wolgadeutschen Saratow berufen. Dort starb er 1923 an Sepsis, "nachdem zwei Jahre Hungersnot, Aufruhr und Seuchen die dortige Bevölkerung dezimiert hatten", so Max Som- merhalder in dem sehr informativen Beiheft: "Das Wrack seines Instrumentes wurde ein halbes Jahrhundert später im über- schwemmten Keller seines Hauses gefunden." 
Gustav Cords (1870 bis 1951) und Carl Höhne (1860 bis 1927) lebten in Berlin; Sommerhalder hat aus ihrem Schaffen die Konzert-Fantasie es-Moll bzw. die Slawische Fantasie, beide für Cornet à Pistons, ausgewählt. Glanzstück der CD ist jedoch das Konzert Nr. 1 in c-Moll von Wladimir Ananjewitsch Peskin (1906 bis 1988), der in Genf aufgewachsen war, wo sein revolutionär gesinnter Vater im Exil lebte. 1917 kehrte die Familie nach Russland zurück; Peskin studierte am Moskauer Konservatorium Klavier, musste das Studium jedoch aufgeben, weil seine Hände dieser Belastung nicht gewachsen waren. 
Als sein Vater von Stalins Schergen verfolgt und seine Mutter nach Kasachstan deportiert wurde, verdingte sich Peskin als Pianist beim Balalaikaorchester der Roten Armee. Dort lernte er Timofej Dok- schitzer kennen, einen Trompetenstudenten, der später weltberühmt werden sollte. Er wurde sein Klavierbegleiter, und komponierte zahlreiche Stücke für ihn - darunter auch das hochvirtuose Werk, das diese CD eröffnet. Es dürfte weltweit noch immer nicht allzu viele Trompeter geben, die sich an Peskins Werke heranwagen. 
Sommerhalder ist diesem irrsinnig schwierigen Stück technisch wie musikalisch in jeder Hinsicht gewachsen. Es klingt, es klingt sogar faszinierend gut, und auch die anderen "romantischen" Stücke gestaltet der junge Trompeter so gekonnt, dass es Spaß macht, ihm zuzuhören. Begleitet wird Sommerhalder von der Neuen Philharmo- nie Westfalen unter Heiko Mathias Förster.

Schmankerln & Postres (Genuin)

Im Konzert erklingen sie heute üblicherweise nur noch als Zugabe - das Duo Intermezzo hingegen widmet sich ausschließlich den musikalischen Miniaturen. Ralf Mathias Caspers, Violine, und Tamaki Takeda-Caspers, Piano, stellen auf dieser CD Auszüge aus drei Konzertprogrammen vor: Liebesfreud und Liebesleid ist eine musikalische Reise, Mögen Sie Brahms? rankt sich um Anekdoten aus dem Leben des Komponisten und So'n Theater! bringt Musik, die ursprünglich für Film und Bühne entstanden ist. 
Die beiden Musiker haben sich mit der Auswahl der kleinen Kostbar- keiten sehr viel Mühe gegeben. So finden sich beispielsweise Intro- duction et Rondo capriccioso op. 28 von Camille Saint-Saens neben Coffee and Cakes von Charlie Chaplin oder der Melodie op. 42,3 von Peter Tschaikowski. Auf dieser CD lässt sich so manche Entdeckung machen - sie beginnt beispielsweise mit einem eleganten Intermezzo scherzoso von Gustav Sänger, das nie zuvor eingespielt worden ist. 
Musiziert wird mit Sachverstand, mit Leidenschaft und mit ein bisschen Augenzwinkern - und die Einspielung sorgt auch beim Hörer für gute Laune, garantiert.

Freitag, 10. September 2010

Family Matters - musica novantica vienna (Gramola)

"Familienangelegenheiten", nennt das Ensemble musica novantica vienna diese CD mit Flöten-Trios von Johann Sebastian Bach und seinen Söhnen Wilhelm Friede- mann, Carl Philipp Emanuel und Johann Christian Bach.  Man könnte dieses Motto freilich auch mit "auf die Familie kommt es an" übersetzen. Im Hause Bach konnte man wahrscheinlich der Musik nicht entrinnen, zumal sicherlich auch zahllose Musiker den Thomaskantor besuchten.
Um es gleich vorweg zu sagen: Katharina Kröpfl und Robert Pinkl, Traversflöte, Wolfgang Rieger, Barockcello und Erich Traxler, Cem- balo/Hammerklavier, musizieren traumhaft stilsicher und klang- schön. Insbesondere die beiden Triosonaten in G-Dur BWV 1038 und 1039 sind wahre Muster an Phrasierung und auch an Miteinander-Musizieren, das hört man gern.
"Ins gesamt aber sind sie gebohrne Musici, u. kan versichern, daß ich schon ein Concert Vocaliter u. Instrumentaliter mit meiner Familie formiren kan, zumahln da meine itzige Frau gar einen saubern Soprano singet, auch meine älteste Tocher nicht schlimm einschlä- get", so beschrieb einst Vater Bach seinen musikalischen Haushalt. An den Werken der drei Söhne aber erlebt man, wie die Musik sich weiterentwickelt hat. 
Schon die Triosonate in D-Dur F 47 von Wilhelm Friedemann Bach ist ein hübsches, elegantes Stück, ganz auf die "empfindsame" Flöte hin konzipiert, und meilenweit entfernt vom Werk des Vaters. Das Trio in E-Dur Wq 162 von Carl Philipp Emanuel Bach setzt obendrein noch auf ein gerüttelt Maß Virtuosität, und erprobt den neuen, "galanten" Stil in aller Konsequenz. Das Trio in G-Dur von Johann Christian Bach, dem jüngsten Bach-Sohn, entstand in dessen Mailänder Lehrzeit - und erinnert bereits stärker an den frühen Haydn als an Vater Bach.

Donnerstag, 9. September 2010

Werner: 6 Fugues a 4; Albrechtsberger: 6 Quartets op. 16 etc. (Hungaroton)

Zur Zeit des Wiener Klassizismus erfreuten sich Insider weiter an Präludien und Fugen - allerdings war diese "erhabene" Musik nicht unbedingt mehr den Tasteninstru- menten vorbehalten. Selbst wenn sie in der Kirche gespielt wurden, erklangen nun oftmals Streich- instrumente zumindest gemeinsam mit der Orgel. 
Am kaiserlichen Hof wie im bürger- lichen Salon aber war das Streich- quartett seinerzeit sehr en vogue. So übernahm diese Kammermusik- formation die gefragte "altmodische" Form - selbst Kaiser Joseph II., der Violoncello spielte, ließ regelmäßig seine Hof-Kammermusiker kommen, um mit ihnen im Quartett zu musizieren. Sein Lieblings- komponist Christoph Sonnleithner schrieb eigens für ihn 36 Streich- quartette, die meisten davon mit Fugenfinale. 
Für die vorliegende CD hat das Authentic Quartet, ein ungarisches Ensemble, das auf zeitgenössischen Instrumenten spielt, aber andere Werke ausgewählt: Die Sechs Fugen für Streichquartett von Gregor Joseph Werner (1693 bis 1766), dem Vorgänger Haydns im Dienste des Fürsten Esterházy, sind Streichquartett-Transkriptionen von Ouvertüren zu Oratorien dieses Komponisten. Sie sind interessant, wenn auch keine leichte Kost.
Der Wiener Kirchenmusiker und Kontrapunkt-Experte Johann Georg Albrechtsberger soll mehr als 150 Kirchensonaten geschrieben haben, die aus Präludium und Fuge bestehen. 1798 schuf er seine Sechs Streichquartette op. 16. Ich finde sie formal perfekt, aber ehrlich gesagt ziemlich langweilig. Daran können auch die begnadeten Streicher Zsolt Kalló, Balász Bozzai (Violine), Gábor Rác (Viola) und Csilla Vályi (Cello) wenig ändern, bei aller Brillanz des Vortrages. Abschließend erklingt die Sonata in C (pro festo Paschalis), op. 11a, hier ohne Continuo-Cembalo, deren erster Satz die Melodie des Chorals "Christus ist erstanden" nach Art einer Bachschen Choral- bearbeitung verwendet - gefolgt von einer bewegten Fuge, die der Freude über die Auferstehung Form und Ausdruck verleiht.

Albrechtsberger: Music for Entertainment (Hungaroton)

Johann Georg Albrechtsberger (1736 bis 1809) war zur Zeit Haydns und Mozarts ein Gigant des Wiener Musiklebens. Als Kirchen- musiker gelangte er zu Ruhm und Ehre, seine Zeitgenossen erklärten ihn zum besten Organisten der damaligen Zeit; in die Musikge- schichte aber ist er vor allem als ein gesuchter Kompositionslehrer und als ein ausgewiesener Experte in Sachen Kontrapunkt eingegan- gen.
Zu Albrechtsbergers Komposi- tionsschülern gehörten unter anderem Ignaz Moscheles, Carl Czerny, Johann Nepomuk Hummel, Mozarts Sohn Franz Xaver - und Ludwig van Beethoven, über den der Meister allerdings meinte, er werde "nie was Ordentliches machen." 
Auch kluge Leute können sich halt irren. Und auch was sein eigenes Werk betraft, täuschte sich Albrechtsberger, als er an den Verleger Breitkopf schrieb: "Wenn ich Ihnen mit meinen 4, 5 oder 6 stimmigen Geigen fugen, oder mit Gradualen, Offertorien, oder andere Kirchen Stücken mit oder ohne Orgel dienen kann, so stehe ich Ihnen um einen billigen Preis zu Diensten. Um die Gallanterie- oder Theater Stücke habe ich mich in meinem Leben wenig besorgt." 
Gerade diese hübschen kleinen Werke aber, die Albrechtsberger in jungen Jahren komponiert hat, lagen der Nachwelt besonders am Herzen. Das wird wenig verblüffen, wie die vorliegende CD aufzeigt. Denn zum einen sind einige der Stücke geradezu experimentelle Musik, verglichen mit dem Standard der damaligen Zeit. Und zum anderen sind sie wirklich sehr schön; sie beweisen, dass ein großer Meister auch aus wenig viel machen kann.
Denn ein Komponist musste damals oft mit den Musikern vorlieb nehmen, die gerade vorhanden waren. So kamen Besetzungen zustande wie ein Flötenquartett, also Flöte, Violine, Viola, Cello, oder ein Trio mit Flöte, Harfe und Violoncello oder aber Flöte, Viola und Violone, was kein Schreibfehler ist, sondern eine Art Baßgambe. Und selbst wenn die Musiker keineswegs Meister ihres jeweiligen Faches waren, ist es doch erstaunlich, wie klangvoll sich dennoch auch für eine solche Besetzung komponieren lässt. 
Der ungarische Flötist Pál Németh hat gemeinsam mit Andrea Vigh, Harfe, und Mitgliedern des Savaria Barockorchesters einige dieser Raritäten für das Label Hungaroton auf zeitgenössischen Instrumen- ten eingespielt. Und diese Aufnahme kann man wirklich genießen.

Mittwoch, 8. September 2010

Schütz: Musikalische Exequien, Bußpsalmen (cpo)

Als Heinrich Reuß Posthumus 1635 in Gera starb, hatte er sein Haus bestens bestellt. Selbst seine Bei- setzung hatte der Landesherr bereits vorbereitet - vom Datum und Ablauf der Zeremonie über die Reihenfolge, in der die Gäste im Trauerkondukt vom Schloss zur Familiengruft in der städtischen Kirche ziehen sollten, bis hin zum Text, der seinen Lebensweg würdigen sollte. 
Denn der reußische Landesvater hatte beschlossen, dass für sein Begräbnis der Tag und das biblische Vorbild Simeons gerade recht komme - was jener seinerzeit beim Anblick des Jesuskindleins sagte, das wird als Nunc dimittis noch heute zur Nacht in wohl jedem Kloster gebetet. Er hatte den Text für seine Leichenpredigt festgelegt. Und er hatte Bibelworte und Kirchenlied-Strophen ausgewählt, und einen Sarg aus Kupfer damit beschriften lassen. 
Seine Familie beauftragte schließlich den Dresdner Hofkomponisten Heinrich Schütz, einst im benachbarten Bad Köstritz als reußisches Landeskind geboren, mit der Umsetzung dieser Inszenierung in eine Trauermusik. Schütz schuf die Musikalischen Exequien - eines seiner Meisterwerke, das wie alle anderen auch umgehend aus dem Musik- leben und dem Gedächtnis des Publikums entschwand.
Nun liegt die Wiederentdeckung seines Werkes bereits einige Jahr- zehnte zurück, es sind zahlreiche - auch brillante - Aufnahmen auf dem Markt, und man fragt sich daher, warum es noch eine weitere sein muss. Bei dieser Einspielung mit Weser-Renaissance Bremen unter Manfred Cordes fällt mir dafür, ehrlich gesagt, kein Grund ein. Das ist ja alles ganz solide gemacht. Aber auch ziemlich langweilig. Denn bereits die Besetzung mit neun Sängerinnen und Sängern, Chitarrone und gleich zwei Orgeln sowie - in drei der Bußpsalmen - Harfe erlaubt wenig klangliche und dynamische Differenzierung. Doch genau davon lebt diese Musik. Schade.

Montag, 6. September 2010

Beethoven: Diabelli variations - Márta Kurtág (BMC)

Es gibt einige Werke, die das Zeug zur Bibel des Klavierspiels haben - und wenn man Bachs Wohltempe- riertes Klavier sozusagen als das Alte Testament ansieht, dann hätten Beethovens Diabelli-Varia- tionen durchaus das Format für den Vergleich mit dem Neuen Testament. Das sahen schon Beet- hovens Zeitgenossen ganz ähnlich: "Der Herausgeber erblickt in dieser riesigen Tonschöpfung gewissermassen den Mikrokosmos des Beethovenschen Genius überhaupt, ja sogar ein Abbild der ganzen Tonwelt im Auszuge. Alle Evolutionen des musikalischen Denkens und der Klangfantasie - vom erhabensten Tiefsinn bis zum verwegensten Humor - in unvergleich- bar reichster Mannigfaltigkeit, gelangen in diesem Werke zur bered- testen Erscheinung", begeisterte sich 1871 Hans von Bülow. "Uner- schöpflich ist das Studium desselben, unaufzehrbar die in seinem Inhalte dem musikalischen Hirne ganzer Generationen gebotene Nahrung." 
Márta Kurtág, die Frau des ungarischen Komponisten György Kurtág, hat die 33 Veränderungen über einen Walzer von Anton Diabelli op. 120 1952 zum ersten Mal vor Publikum vorgestellt - zu ihrem Diplomkonzert an der Budapester Musikakademie. Die vorliegende Aufnahme spielte die Pianistin 1999 ein. Dazwischen liegen nicht nur Jahre. "Die Diabelli-Variationen habe ich mehrmals im Konzert gespielt", berichtet Márta Kurtág, "manchmal jedoch erst nach einer langen Pause. In solchen Fällen haben wir sie mit meinem Mann immer wieder neu aufgebaut, und ich habe sie auch immer wieder neu einstudiert." 
Mit der Einspielung von Beethovens grandiosem Werk wollte die damals 72jährige Pianistin ein Zeichen setzen, eine Spur hinterlassen - es war ihre erste Solo-Aufnahme überhaupt. "Stets war mein Kummer, dass ich für die Welt nicht als eigenständiges Wesen existiere, sondern nur als jemand, der quasi nur als ,Anhängsel' meines Mannes gilt." Doch die akustischen Bedingungen der Auf- nahme waren ungünstig, und so fand die Einspielung zunächst wenig Beachtung. Nach dem Remastering dürfte sich das nun ändern. 
Denn diese Interpretation ist derart facetten- und nuancenreich, und zugleich derart kraftvoll, mitunter auch energisch, und ausdrucks- stark, dass man erstaunt aufblickt: Was, schon die Fuge und das abschließende Menuett? Von Vergreisung keine Spur! Und noch immer entwickelt sich diese faszinierende Künstlerpersönlichkeit weiter: "Manchmal denkt mein Mann, dass ich mit meinen 82 Jahren die Diabelli-Variationen erneut aufnehmen sollte", meint die Virtuo- sin. "Für mich ist das selbstverständlich illusorisch... Vielleicht würde ich sie heute anders spielen: freier, weniger streng und mit mehr Wärme..."

The Circle of Robert Schumann (Capriccio)

Dass Robert Schumann mit zahl- reichen Musikern seiner Zeit bekannt und mit etlichen auch eng befreundet war, ist kein Geheimnis. Wie weit aber diese Beziehungen reichten, das erstaunt bei näherer Überlegung dann doch. So begeg- nete er in seinen Leipziger Jahren, nicht zuletzt in seiner Funktion als Musikkritiker, sämtlichen bedeu- tenden Geigern seiner Zeit - von Henry Vieuxtemps bis Charles Li- pinski, dem er Carnaval widmete.
Ferdinand David, der Konzert- meister des Gewandhausorchesters, ging bei den Schumanns ein und aus. 1850 schrieb er an den Komponisten: "Deine Fantasiestücke für Piano und Clarinette gefallen mir ungemein; warum machst Du nichts für Geige und Clavier? es fehlt so sehr an etwas gescheidtem Neuen, und ich wüßte niemand, der es besser könnte als Du." Und in der Tat schuf Schumann 1851 zwei Violinsonaten - die erste, die Sonate in a-Moll op. 105, wurde 1852 in Leipzig von David uraufge- führt; die zweite, die Große Sonate d-Moll op. 121, ist ihm gewidmet. Joseph Joachim spielte sie 1853 in Düsseldorf zum ersten Male vor Publikum.
Auch die dritte, die sogenannte F.A.E-Sonate a-Moll für Violine und Klavier aus dem Jahre 1853 bringt die vorliegende Doppel-CD. Sie ist ein Kuriosum, wie die Widmung belegt: "In Erwartung des verehrten und geliebten Freundes Joseph Joachim schrieben diese Sonate Robert Schumann, Johannes Brahms, Albert Dietrich." Die drei Töne F, A und E spielen darin die Hauptrolle - sie stehen für "Frei, aber einsam", das Motto des Junggesellen Joachim. Schumann ersetzte unmittelbar nach der Freundesgaudi kurzerhand die beiden Sätze seiner Kollegen durch eigene Kreationen - kühn, hochvirtuos (da ohne Rücksicht auf die technischen Möglichkeiten der Violine), und enorm spannungsvoll.
Die drei Romanzen op. 94 entstanden 1849, eigentlich für Oboe und Klavier. Doch schon zum Weihnachtsfest spielte Clara Schumann sie gemeinsam mit dem Dresdner Geiger Franz Schubert; es existiert zudem eine Fassung für Klarinette. 
Auch Joseph Joachim komponierte; allerdings war der Violinvirtuose derart selbstkritisch, dass er kaum eines seiner Werke gelten lassen wollte. Unter den wenigen Stücken, die er veröffentlichte, ist eine Romanze C-Dur für Violine und Klavier - ein reizendes Salonstück. Selbst Clara Schumann trug etwas bei: Im Juli 1853 komponierte sie Drei Romanzen op. 22 für Violine und Klavier - eines von lediglich zwei Kammermusikwerken aus ihrer Feder, gewidmet dem lang- jährigen Kammermusikpartner Joseph Joachim. 
Und noch ein weiterer Musikus gehörte quasi zur Familie: Woldemar Bargiel, der Halbruder von Clara Schumann, der Sohn der ersten Ehefrau Friedrich Wiecks, Marianne Tromlitz, aus ihrer zweiten Ehe mit dem Klavier- und Gesangslehrer Adolph Bargiel. Er studierte am Leipziger Konservatorium, unterrichtete später in Köln, Rotterdam und Berlin, und gehörte zu den angesehendsten Kompositionslehrern Europas. Auf der vorliegenden Doppel-CD ist er mit der Sonate f-Moll für Klavier und Violine op. 10, entstanden 1854, vertreten. Sie ist, soviel sei hier verraten, in ihrer Dramatik, ihrem Pathos und ihrer Klangfülle eines der stärksten Stücke dieser Einspielung, und es spricht für die große Sorgfalt, mit der Gudrun Schaumann, Violine, und Christoph Hammer, Klavier, die Werke dafür ausgewählt haben. Denn Bargiels Sonate ist aus dem Konzertleben verschwunden; es ist sehr verdienstvoll, dass die beiden Musiker sie hier nun wieder- entdeckt haben. 
Auch im Klangbild bemühen sich die Musiker um Originalität. Schaumann spielt eine Stradivari aus dem Jahre 1731 mit Darm- saiten. Hammer begleitet sie an einem historischen Hammerflügel von Johann Baptist Streicher, Wien, 1836. Das hat seine Reize, nimmt den Musikern aber zugleich auch Chancen zur Differenzierung; nicht umsonst haben sich Instrumente weiterentwickelt.

Sonntag, 5. September 2010

Ayumi - Baroque Lute Duets (Carpe Diem)

"Es gibt nicht viele Aufnahmen von Barocklautenduos", schreibt Toyohiko Satoh im Beiheft zu dieser CD. Das liege u.a. an der modernen Besaitung mit metall- umsponnenen Nylonsaiten: "Die Basssaiten der Laute haben mit dieser Bespannung eine viel zu lange Ausklingzeit, was spätestens bei zwei Lauten zu einem uner- träglichen Durcheinander im Bass- bereich führt." Toyohiko Satoh und seine Tochter Miki spielen daher auf Darmsaiten.
Ohnehin scheint die Literatur, die für diese Besetzung zu finden ist, nicht gerade üppig bemessen zu sein. Satoh stellt fest, dass mit dem Wechsel von der Renaissance- zur Barocklaute französischer Stimmung im 17. Jahrhundert die Duette verschwinden, und erst im 18. Jahrhundert wieder in nennenswerter Anzahl erscheinen. "Für unser Repertoire sind aber nur wenige dieser Werke geeignet, da viele von ihnen nicht vollständig erhalten sind, andere zu viele Fehler enthalten, und meinem Empfinden nach nicht alle dieser Werke von hoher musikalischer Qualität sind", schätzt der Lautenist ein. 
Bei der Auswahl der Werke für diese CD hat er daher geradezu krimi- nalistischen Spürsinn entwickelt. Die Manuskripte der vier Lauten- duette befinden sich in London, Brüssel, Moskau und Warschau; oftmals sind sie zudem unvollständig. So ist zu einer Suite in d-Moll, die zumindest in Teilen von Sylvius Leopold Weiss stammen soll, nur eine Tabulaturstimme bekannt. Die andere hat Satoh rekonstruiert. Vollständig überliefert ist hingegen das Duetto in G-Dur von dem- selben Komponisten - ein ausnehmend hübsches Werk, in dem beide Partner vom Komponisten gleich behandelt werden. 
Über einen Komponisten namens Corigniani fanden sich keinerlei biographische Informationen - und Satoh vermutet, dass es sich um das Pseudonym eines deutschen Musikers handelt. Die CD enthält aus seiner Feder ein anmutiges und trotz der tiefen Lage auch erstaunlich klangvolles Concerto in B-Dur. Bei einem weiteren Werk ist die Spurensuche einfacher, denn der Autor selbst hilft dabei: Partie Polonaise en B / ij Traituite de C / A Deux Luths Pour Le Premiere / Faite á 2 violes et La Basse / Par L'Autheur Msr Melante - was, in anderer Reihenfolge, den Namen "Teleman" offenbart. Drei Sätze der Partie Polonaise erklingen zum Abschluss dieser CD; Telemann schrieb sie für Gambe, und so ergibt sich auch hier eine gewisse Beeinträchtigung durch die tiefe, nicht unbedingt lautengerechte Lage. 
Der Zuhörer, so er denn nicht gerade selbst Lautenist ist, wird sich dadurch vermutlich wenig beeindruckt zeigen. Denn es sind durch- weg charmante, musikalisch teilweise auch sehr anspruchsvolle Werke, die Satoh hier mit seiner Tochter gekonnt vorstellt. Bravi!

Donnerstag, 2. September 2010

Birth of the String Quartet Vol. 1 - Casal Quartet (Solo Musica)

Was für ein Klang! Das Casal Quar- tett aus der Schweiz, ohne Zweifel eines der besten Streichquartette Europas, hat sich auf eine Zeitreise durch die Geschichte dieser sehr speziellen Musikform begeben - und spielt dabei ganz besondere Instrumente: Das sogenannte Stainer-Quartett - zwei Violinen, eine Viola und ein Violoncello, die ein Mäzen namens Gustave Huguenin 1951 dem Musikkolle- gium Winterthur geschenkt hat. Sein Wunsch: Die kostbaren Instrumente aus der Werkstatt des österreichischen Geigenbauers Jacobus Stainer (um 1619 bis 1683) sollten nicht nur musealen Zwecken dienen, sondern vor allem auch viel gespielt werden.
Daria Zappa, 1. Violine, Rachel Späth, 2. Violine, Markus Fleck, Viola, und Andreas Fleck, Violoncello, erfüllen dieses Vermächtnis des Stifters brillant. Schon allein das einzigartige Klangbild, das sich durch den Gebrauch der historischen Instrumente ergibt, ist eine Offenbarung. "Unser Hören und Spielen wird durch das reiche Ober- tonspektrum der Instrumente um eine überaus sinnliche, aufregende Farbpalette erweitert, die wir uns und dem Publikum auf modernem Instrumentarium nicht erschließen könnten", schreibt Markus Fleck erfreut. "Wir gehen davon aus, dass dieses erste Abenteuer der An- fang einer langen und nachhaltigen Beschäftigung mit den Instru- menten von Jacobus Stainer und dem Klang des 18. Jahrhunderts ist."
Die Geburtsstunde der Gattung Streichquartett verorten die vier Schweizer Virtuosen im Jahre 1715. Damals schrieb Alessandro Scarlatti vier Sonate à quattro senza cembalo - mit vier gleichbe- rechtigten Stimmen, ohne Generalbass. Viele andere italienische Komponisten griffen diese Idee auf - auch Giovanni Battista Sammartini, der mit seinem Schaffen ganze Scharen von Kollegen inspirierte, unter anderem Wolfgang Amadeus Mozart, Luigi Boccherini und Joseph Haydn.
"Vor bald drei Jahrhunderten entwickelte sich eine Musikgattung, die in ihrer perfekten Form bis heute einzigartig und unübertroffen ist: Die Vereinigung von vier Streichinstrumenten zum Streichquar- tett. Der Klang des Streichquartetts ist gleichzeitig intim und or- chestral, sein Ausdruck sowohl solistisch als auch kammermusi- kalisch, seine Farbpalette homogen und individuell, seine Möglich- keiten flexibel und universal, sein Repertoire ohne Grenzen", be- geistert sich das Quartett. Diese Begeisterung überträgt sich auf den Hörer, zumal die Beschäftigung mit dem barocken Repertoire auch die Interpretation der Werke aus der Übergangszeit zur Klassik deutlich beeinflusst hat. Spürbar wird das am Umgang mit solchen Fragen wie Phrasierung und Dynamik. Wer die Gattung Streichquar- tett liebt, der sollte sich diese CD in jedem Falle besorgen - sie ist nicht nur klanglich eine Offenbarung.

Mittwoch, 1. September 2010

Johann Christian Bach /Johannes Brahms: Sinfonien (Altus)

Er ist immer noch nicht im Ruhe- stand! Der Dirigent und Violinist Gerhard Bosse, Jahrgang 1922, wurde bereits während seines Studiums Mitglied des Gewand- hausorchesters Leipzig. Nach dem Krieg, den er in Linz überstand, wurde er zunächst Lehrkraft und 1949 auch Professor an der Musikhochschule Weimar. 1951 wurde er Konzertmeister des Rundfunksinfonieorchesters Leipzig sowie Professor und Leiter der Orchesterabteilung sowie der Kammermusik-Meisterklassen am Leipziger Konservatorium. Von 1955 bis zu seiner Pensionierung 1987 war er Konzertmeister des Gewandhausorchesters.
Seit 1961 musiziert Bosse regelmäßig in Japan. Er hat dort das Kirishi- ma International Music Festival ins Leben gerufen und zwanzig Jahre lang geleitet. Auch heute noch musiziert er regelmäßig als Gast- dirigent im Land der aufgehenden Sonne - beispielsweise mit dem New Japan Philharmonic. So dirigierte er im März des vergangenen Jahres in Tokio mit diesem Orchester ein Konzert mit einem inte- ressanten Programm: Es kombiniert die Sinfonie für Doppelorchester in D-Dur op. 18 von Johann Christian Bach (1735 bis 1782), dem "Londoner Bach", mit der Sinfonie Nr. 2 in D-Dur op. 73 von Johannes Brahms - keine leichte Kost, aber durchaus spannend, und hier sehr achtbar vorgestellt. Ein Kritikpunkt aber soll hier nicht verschwiegen werden: Leider bringt das Beiheft seine ausführlichen Informationen ausschließlich in japanischer Sprache.