Samstag, 23. April 2011

Striggio: Mass in 40 Parts (Decca)

Alessandro Striggio d.Ä. (1536/37 bis 1592) war der natürliche Sohn und Erbe eines Aristokraten aus Mantua. 1559 ging er an den Hof von Herzog Cosimo I. de Medici in Florenz. Sein gehobener sozialer Rang ermöglichte ihm eine Doppel- karriere als Musiker und Diplomat. Beides war eng miteinander ver- knüpft. So reiste er 1567 im Winter quer durch Europa, um Maximilian II., dem neuen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, im Namen seines Herrn eines seiner Werke, die Missa Ecco si beato giorno, zu präsentierten. Striggio traf den Kaiser in Brünn und berichtete, dieser sei entzückt gewesen. 
Der Komponist reiste weiter nach München, wo die Messe für Herzog Albert V. erklang - sehr wahrscheinlich unter der Leitung von Orlan- do di Lasso - und ging dann anschließend nach Paris, wo er eine außerliturgische Aufführung vor dem jungen Charles IX. und seiner Mutter Catherine de Medici, einer Kusine Cosimos, leitete. Brieflich bat er dann seinen Dienstherrn, noch England aufsuchen zu dürfen, was ihm offenbar auch gestattet wurde. 
Auch dort scheint er sein Werk vorgestellt zu haben. Ein Zeitgenosse, der die Aufführung möglicherweise miterlebt hat, berichtet, diese Musik - "whence the Italians obteyned the name to be called Apices of the world" - habe eine himmlische Harmonie verbreitet. Und ein Herzog habe gefragt, ob es nicht auch in England jemanden gebe, der ein solches Werk zu schaffen in der Lage sei. Thomas Tallis solle sich doch daran versuchen - was der auch tat, indem er Spem in alium schrieb, eine ebenfalls 40stimmige Motette, die zwar einige der italienischen Kompositionstechniken adaptiert, aber zugleich den Kontrapunkt, den Striggio sorgsam meidet, geradezu meisterhaft einsetzt. Dadurch entstehen außerordentlich faszinierende Disso- nanzen - und Tallis gelang so ein Kunstwerk, das dem Vorbild des italienischen Kollegen mindestens ebenbürtig ist. 
Etliche Werke Striggios sind überliefert, darunter sieben Bücher mit Madrigalen sowie die Madrigalkomödie Il cicalamento delle donne al bucato. Sein gleichnamiger Sohn schrieb später übrigens das Libretto zu Monteverdis Orfeo. Robert Hollingworth hat nun mit dem Ensem- ble I Fagiolini für das Label Decca eine hochinteressante Auswahl der Werke Alessandro Striggios eingespielt. Sie beginnt mit der Motette Ecce beatam lucem, die im April 1591, wohl im Dom von Florenz, päpstlichen Gesandten zu Ehren im Rahmen eines aufwendigen Spek- takels erstmals aufgeführt wurde. Dabei scheinen - wie im Theater - maskierte und kostümierte Sänger und Instrumentalisten dank Wolkenmaschinen durch den Raum "geschwebt" zu sein. Und wie man hört, verstand man sich nicht nur in Venedig trefflich auf die Gestal- tung von mehrchörigen Gesängen. 
Aus dem erfolgreichen Werk wurde dann in zwei Schritten die Paro- diemesse Missa Ecco si beato giorno, ein ganz erstaunliches Musik- stück, teilweise sogar sechzigstimmig. Sie galt als verloren, doch dann wurden vor einiger Zeit die Stimmbücher in Paris entdeckt. So er- klingt sie hier auf dieser CD als Weltersteinspielung, gefolgt von einigen Madrigalen Striggios, die übrigens erneut zeigen, wie im
16. Jahrhundert Musik zur Repräsentation und als Mittel der Politik genutzt wurde. 
Als zusätzliche kleine Kostbarkeit enthält die CD ein kurzes Stück von Vincenzo Galilei, mit dem Striggio befreundet war. Und natürlich wird Tallis' Spem in alium vorgetragen, erstmals nach einer neuen Edition von Hugh Keites. Die Besetzung und die Verteilung der einzel- nen Stimmen hat Hollingworth klug überlegt; zu dem gigantischen Solistenensemble - Chor kann man diese Formation nicht wirklich nennen - kommen ganze Scharen an Instrumentalisten, die durchweg historisch korrekt streichen, blasen und zupfen. Das Ergebnis klingt grandios. Diese CD ist ein Ereignis - und wohl dem, der technisch so ausgestattet ist, dass er die räumlichen Effekte, die durch die Mehr- chörigkeit zustande kommen, wahrnehmen und genießen kann. 


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