Das Ensemble Dolce Risonanza erwirbt sich zunehmend einen Namen durch Entdeckungen am Rande des üblichen Wiener Reper- toires. Das gilt auch für diese CD, eingespielt im September 2010 in der Stadtpfarrkirche Hainburg, unweit von Wien.
Warum Hainburg an der Donau? Weil Joseph und wohl auch Mi- chael Haydn dort einen Teil ihrer Kindheit verbracht und ihre mu- sikalische Ausbildung begonnen haben. In Hainburg lebte Thomas Haydn, der Großvater der bekannten Musiker. Er gehörte zu den we- nigen Bürgern, die bei der Einnahme der kleinen Stadt 1683 durch die Türken nicht erschlagen oder verschleppt worden sind. Sein Sohn Mathias erlernte ebenfalls das Wagnerhandwerk, ging anschließend auf Gesellenreise, und ließ sich nach seiner Rückkehr in dem einige Kilometer entfernten Dorf Rohrau nieder.
Enkel Joseph kam 1738 nach Hainburg, wo er beim Schulmeister wohnte und ersten Unterricht erhielt. "Ich verdanke es diesem Manne noch im Grabe, daß er mich zu so vielerley angehalten hat, wenn ich gleich dabey mehr Prügel als zu essen bekam", berichtete der Komponist später seinem Biographen über diese Jahre. Denn 1740 reiste Hofkapellmeister Georg von Reutter durch die Lande, auf der Suche nach talentiertem Chornachwuchs für den Stephansdom. So kam der achtjährige Haydn als Sängerknabe nach Wien; einige Jahre später folgte ihm sein Bruder Michael nach. Die Ausbildung, die beide dort erhielten, ermöglichte ihnen ein vergleichsweise sorgen- freies Leben; hungern jedenfalls mussten die Musiker nie wieder.
Diese CD ist aber nicht nur den Haydn-Brüdern gewidmet; die Musiker um Florian Wieninger erinnern auch an einige ihrer Zeitgenossen - und das Programm, das wohl in erster Linie Wieninger zusammenge- stellt hat, erweist sich bald als sehr attraktiv. Es dominiert selbstver- ständlich die Orgel, ein ausgesprochen klangschönes Instrument aus der Werkstatt der Firma Pirchner, Steinach am Brenner, aus dem Jahre 1982. Sie beginnt mit einem Präludium nebst Fuge von Johann Georg Albrechtsberger (1736 bis 1809). Darauf folgt ein Salve Regina a quattro voci ma Soli, 2 Violini, Viola, Basso ed organo concertato von Joseph Haydn, ein melodienseliges Paradestück, hörenswert gesungen von Barbara Fink, Ida Aldrian, Daniel Johannsen und Klemens Sander.
Die Sonata sexta K 366 von Johann Joseph Fux (1660 bis 1741) demonstriert exemplarisch, wie seinerzeit eine Triosonate in ein Orgelwerk verwandelt wurde - ein gängiges Verfahren, das Fux freilich besonders virtuos beherrschte. Nicht umsonst war er der Kompositionslehrer einer ganzen Musikergeneration. Sein Lehrwerk Gradus ad Parnassum schätzte auch Haydn sehr, und verwendete es seinerseits im Unterricht.
Von Michael Haydn stammen Präludium, Versetten und Cadenza zum Magnificat V. toni, MH 176. Dieses Werk, das uns heute etwas sonderbar erscheint, beruht auf der klösterlichen Tradition, den gregorianischen Gesang der Mönche versweise mit einem kurzen Orgelstück abwechseln zu lassen, das erklingt, während der Priester den entsprechenden Text laut betet. Ah! Jesu recipe, MH 131, eine ziemlich umfangreiche Arie für Sopran, zwei Violinen, Bass und konzertierende Orgel zeigt gleich im Anschluss, dass der Komponist nicht nur meditative Musik, sondern auch virtuose Bravourstückchen zu schreiben verstand.
Bekannt sind die Stücke für die Flötenuhr von Joseph Haydn; Organist Anton Holzapfel lässt es sich nicht nehmen, drei dieser hübschen Miniaturen vorzutragen. Die große Überraschung aber ist das Finale dieser CD - ein Concerto per l'organo con 2 violini e basso von Hof- kapellmeister Reutter. Instrumentalmusik muss in der katholischen Kirchenmusik einst breite Einsatzmöglichkeiten und große Bedeutung gehabt haben; sie verschwand jedoch aus dem Gottesdienst mit der Aufklärung, die Nüchternheit und Funktionalität forderte. Die belieb- testen Werke aber gingen nicht verloren; damals wurde aus so man- chem Orgel- ein Clavier-Konzert. Erkennbar ist ein solcher Wechsel aus dem sakralen in den profanen Raum oftmals daran, dass diese Stücke nicht den vollen Tonumfang ausnutzen, wie ihn Cembalo oder Hammerklavier anbieten. So wurde auch jenes bedeutende Werk Reutters als Orgelkonzert identifiziert, das im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien aufgefunden wurde.
Wieninger und den Musikern von Dolce Risonanza ist dafür zu dan- ken, dass sie mit dieser CD eine kirchenmusikalische Tradition vor- stellen, die außerordentlich reich gewesen sein muss, aber leider im Gottesdienst keinen Platz mehr hat. Die schönen Stücke sollten daher nun rege im Kirchenkonzert erklingen; sie sind eindeutig zu hochwer- tig dafür, ungespielt im Archiv einzustauben.
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