Der Flötenkönig - das ist mitnich- ten Emmanuel Pahud, der Solo- flötist der Berliner Philharmoniker, trotz der albernen Kostümierung, in der er auf dem Cover dieser CD zu sehen ist. Im Januar 2012 jährt sich zum 300. Male der Geburtstag Friedrichs II. von Preußen, auch Friedrich der Große genannt. Und so wird dies vermutlich nicht die letzte CD sein, die in den kommen- den Monaten dem Monarchen gewidmet werden wird, der mit derselben Leidenschaft Flöte spielte, mit der er auch seine Soldaten exerzierte.
"Es ist eines, Geschichte aus einem Geschichtsbuch zu lernen, Daten, Fakten und Zitate zu einem Gesamtbild zu addieren. Für mich als Musiker ist ein weiterer Schlüssel, um diese historische Epoche zu verstehen, die Musik selbst", meint Emmanuel Pahud in seinem Essay "Der neue Geist zu Hofe", beigefügt im Beiheft dieser Doppel-CD - Copyright by Axel Brüggemann, da wundert sich der Leser allerdings: Von wem stammt denn dieser Text - vom Musiker, oder von einem Musikjournalisten? Noch staunend, liest man weiter: "Schließlich funktioniert sie ähnlich wie die Sprache. Sie wandelt sich mit ihrer Zeit: neue Vokabeln werden erfunden und die Grammatik erweitert, um ein verändertes Lebensgefühl auszudrücken."
Um diesen Übergang deutlich werden zu lassen, hat der Flötist - oder war es die Mannschaft von EMI Classics, man ist sich da schon nicht mehr ganz sicher - Werke ganz unterschiedlicher Komponisten ne- beneinander gestellt. "Johann Sebastian Bach war ein Perfektionist der Form: er hat mit komplexen Systemen und Harmonien gearbei- tet, ja gar mit mathematischen Codes und sie durch seine Genialität belebt", meint Pahud. "Die nächste Generation hat diese alten Formen durchaus aufrecht erhalten, es wurden weiterhin Solostücke oder Sonaten geschrieben. Aber die Freiheit innerhalb der alten Formen wurde durch Carl Philipp Emanuel Bach, durch Quantz und auch durch Friedrich selbst erweitert. Man erkennt das daran, dass die Taktzahlen nicht mehr genau stimmen, dass alles interaktiver wirkt - und dass die Musiker suchen, was man im Jazz die ,Blue Note' nennt. Eine Stimmung, einen individuellen Ausdruck."
Der Schritt vom Barock in die Ära der Aufklärung spiegele sich in der Alltagskultur in Preußen und in seiner Musik wieder, so der Flötist: "Wer genau hinhört, versteht, wie sehr die Musiker von den moder- nen Ideen geprägt waren - und wie sie daran gearbeitet haben, sie in Musik zu übersetzen. Jeder auf seine Art." Und in seiner Position, denn da erkennt Pahud enorme Unterschiede. "Ebenso wie die Stücke Carl Philipp Emanuel Bachs, der zwar auch mit den Konventionen seines Vaters gebrochen hat, bleiben Quantz' Kompositionen Werke eines Untergebenen." Die Werke Friedrichs hingegen seien "am schwierigsten zu spielen", sagt der Flötist: "Das liegt daran, dass sie den Duktus des Herrschers tragen. Er bestimmt die Regeln, er ent- scheidet, was richtig und falsch ist." Nun ja.
Für diese CD hat Pahud exzellente Mitstreiter, allen voran Trevor Pinnock am Cembalo, der sich seit vielen Jahren der Alten Musik verschrieben hat, und hier die Kammerakademie Potsdam ebenso versiert führt, wie man das von seinen Aufnahmen mit dem von ihm gegründeten Ensembe The English Concert gewohnt ist. Die jungen Musiker spielen frisch und engagiert. Bei den Sonaten, allen voran die Triosonate aus Bachs Musikalischem Opfer BWV 1079, wirken dann allerdings Matthew Truscott, Violine, und Jonathan Manson, Violon- cello, mit.
Beide sind ausgewiesene Experten für Barockmusik; desto mehr verwundert es allerdings, dass sie hier nicht "richtige" Barockmusik spielen, sondern eine Aufführungspraxis pflegen, die man bestenfalls als historisch informiert bezeichnen könnte. Emmanuel Pahud spielt für die Musik, mit der er sich hier beschäftigt, schlicht das falsche Instrument. Wer das berühmte Gemälde genau betrachtet, das Friedrich beim Musizieren in Sanssouci zeigt, dem wird auffallen, dass der König mitnichten eine Böhm-Flöte mit Klappenmechanismus in Händen hält. Die gab es damals nämlich noch gar nicht. Und durch den Gebrauch einer Traversflöte ergeben sich nicht nur ganz andere technische Herausforderungen für den Solisten, es ergibt sich auch grundsätzlich ein gänzlich anderer Klang.
Insofern hinterlässt diese CD nicht den allerbesten Eindruck - bei aller technischen Brillanz. Natürlich ist Pahud ein sehr guter Solist, aber die Quantz-Konzerte sowie etliche Werke der beiden Bachs hat auf der Querflöte auch beispielsweise der Dresdner Flötist Eckart Haupt ein- gespielt. Wenn ich ganz ehrlich sein soll - diese Aufnahmen gefallen mir besser, auch wenn sie mittlerweile schon einige Jährchen auf dem Buckel haben. Ich finde sie stimmiger, musikantischer - und darum wird auch nicht so ein Rummel betrieben.
"Während der Aufnahme dieser CD passierte etwas, das mich faszinierte: Ich musste für jedes Werk in eine andere Rolle schlüpfen. Jeder Komponist, der Freidenker Friedrich, sein Lehrer Quantz, der revolutionäre Carl Philipp Emanuel Bach und Anna Amalia von Preußen haben aus unterschiedlichen Positionen komponiert", berichtet Pahud. "Bei allen unterschieden sich der Tonfall und der Sprachduktus der Musik. Für uns als Interpreten ist das eine große Herausforderung. So sind die einzelnen Stücke dieser CD zu kleinen Opern geworden, die von unterschiedlichen Menschen erzählen. Irgendwann formte sich aus all den Mosaiken für mich ein Bild über das Treiben, das Denken und den Geist am Hofe Preußens." Spätestens dort kann ihm der Zuhörer garantiert nicht mehr folgen; und vielleicht hätte EMI Classics auch generell das Beiheft etwas stärker auf die Musik und etwas weniger auf die Person Friedrichs ausrichten sollen. Informationen statt Klischee und Preußenkönig, gern auch ein paar Zeilen über die Musiker. So übertönt das Marke- ting-Getrommel die Flötentöne. Schade.
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