Kaum ein anderer Komponist war dem Lied so zugewandt wie Franz Schubert (1797 bis 1828): Um die 650 Lieder nach Texten von 115 Dichtern hat der Komponist in seinem kurzen Leben geschaffen. Ulrich Eisenlohr hat sie in der Gesamtedition, die er für das Label Naxos geleitet hat, nach den Auto- ren der Texte gruppiert.
Die Aufnahmen folgen zudem der Neuen Schubert-Ausgabe des Bä- renreiter-Verlages, und profitieren somit von neuesten Forschungs- ergebnissen. In einem dicken Begleitheft wird jede einzelne CD aus- giebig gewürdigt, und im Internet sind zudem sämtliche Texte der Lieder zum Nachlesen verfügbar.
Doch dieses Angebot wird eigentlich nicht benötigt. Eisenlohr, der die meisten Aufnahmen auch als Pianist begleitet, konnte für dieses Pro- jekt etliche der besten deutschsprachigen Sänger begeistern. Die lange Liste der Mitwirkenden liest sich - von Ulf Bästlein über Inge- borg Danz, Christoph Genz, Jan Kobow und Sibylla Rubens bis hin zu Roman Trekel und Ruth Ziesak - wie ein Who's who der derzeit füh- renden Lied-Spezialisten. So werden Schuberts Lieder nicht nur exzellent gesungen; auch ihre Texte sind hervorragend zu verstehen.
Das ist für das Projekt essentiell. Denn es war eine besondere Gabe Schuberts, sich auf die künstlerische Eigenart jedes einzelnen Dichters einzustellen. "Mit frappierender Genauigkeit und scheinbar traumwandlerischer Selbstverständlichkeit verbrüdern sich Form- gebung und klingende Musik dem jeweiligen Gedicht, der individu- ellen Sprache des Dichters, verschmelzen sich quasi mit ihr und schaffen so ein neues Ganzes, ein unteilbares Kunstwerk", erläutert Eisenlohr. "Dies geschieht bei den Gedichten Goethes auf andere Weise und hat einen anderen 'Klang' als bei denen Schillers oder Ossians, der empfindsamen oder romantischen Dichter oder der Lyrik aus dem Freundeskreis."
Deutlich wird zudem, wie Schubert von seinem ersten Lied, dem Gesang in C, bis hin zu seinem letzten großen Zyklus, dem sogenann- ten Schwanengesang, seine musikalischen Möglichkeiten weiterent- wickelt. Der Text von Schuberts frühestem Lied, das er im Alter von 13 Jahren geschrieben hat, ist verloren. Und deshalb wird es in dieser Edition auch nicht gesungen, sondern von Daniel Grosgurin auf dem Violoncello gespielt - eine kluge Lösung, weil dies der menschlichen Stimme ziemlich ähnlich klingt. Interessant ist zudem, dass die Ge- samteinspielung auch die Fragmente sowie verschiedene Versionen einer Textvertonung enthält. So kann der Zuhörer kreative Prozesse nachvollziehen - und wird bestätigt finden, was Eisenlohr resümiert: "Nicht Vielfalt und äußere Komplexität führen zum Gipfelpunkt von Schuberts Liedkunst, sondern Verdichtung und Reduktion auf das absolut Wesentliche."
Und damit der Hörer auch ein Klangbild erhält, das dem Original der Schubert-Zeit ziemlich nahe kommt, wurde zumindest die Serie der Lieder nach Texten, die der Empfindsamkeit zuzuordnen sind, durch einen Hammerflügel begleitet (genaueres wird aber leider nicht verraten). Man staunt, wie sehr dies die Klangfarben sowie die Balance zwischen Sänger und Pianist beeinflusst, und grübelt, ob dies nicht eigentlich auch für die anderen Aufnahmen die spannendere Variante gewesen wäre.
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