Die Passions- und Osterzeit des Jahres 1708 brachte in Rom gleich zwei herausragende musikalische Ereignisse: In der Karwoche, am Mittwoch, erklang im Palazzo des Kardinals und Vizekanzlers des Heiligen Stuhls Pietro Ottoboni ein Passionsoratorium des italieni- schen Altmeisters Alessandro Scarlatti. Und am Ostersonntag folgte darauf im Palazzo des Prinzen Ruspoli die Resurrezione des 23jährigen Georg Friedrich Händel.
Während dieses Werk durch die Händel-Forschung schon vor einiger Zeit wieder erschlossen worden ist, fand Scarlattis Oratorium lange keine Beachtung. Das hat Michael Schneider zum Anlass genommen, La Colpa, il Pentimento, la Grazia 1991 mit dem Orchester und Vokal- ensemble La Stagione erstmals wieder aufzuführen.
Das abendfüllende Oratorio per la Passione di Nostro Signore Gesù Cristo erweist sich als theologisch hoch anspruchsvoller Diskurs zwischen den allegorischen Figuren Schuld, Reue und Gnade. Das Libretto dafür schrieb Ottoboni höchstpersönlich. Eingebettet darin erklingen die Klagegesänge des Jeremias - in italienischer Sprache, was eigentlich damals nicht üblich war. Scarlatti nutzt die Psalmodie, um ihr einen kunstvollen Orchestersatz beizufügen, der die Lamenta- tiones musikalisch ausdeutet. "Scarlattis Werk ist von einer außer- gewöhnlichen Ernsthaftigkeit und einzigartigen Ausdruckstiefe", resümiert Schneider in dem sehr informativen Beiheft. Dies lasse es "auch über die Passionszeit hinaus zu einem bedeutenden Zeugnis der Auseinandersetzung mit den Problemen menschlicher Existenz werden."
Schneider entschied zudem, Scarlattis Oratorio durch die Lamenta- tione per il Mercordi Santo sowie Crocifissione e Morte di Nostro Signore Giesù Cristo, eine Cantate für Altstimme und Orchester, beides von Alessandro Stradella, zu ergänzen. Die Solopartien singen Mechthild Bach und Petra Geitner, Sopran, sowie Kai Wessel, Alt.
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