Man sollte sich von diesem un- glaublich hässlichen Cover nicht abschrecken lassen - die Musiker des Ensembles Neobarock stellen auf dieser CD grandiose Musik vor, die unbedingt anhörenswert ist. Volker Möller, Maren Ries, Ariane Spiegel und Fritz Siebert laden ein zur Wiederentdeckung eines Komponisten, der selbst Insidern kaum noch ein Begriff ist.
Dabei wurde Gottfried Heinrich Stölzel (1690 bis 1749) zu Leb- zeiten weithin sehr geschätzt. Bach führte Kirchenkantaten des Komponisten in Leipzig auf, und auch seine Frau Anna Magdalena notierte in ihrem Notenbüchlein eines seiner Stücke: Bist du bei mir, geh ich mit Freuden stammt aus Stölzels Oper Diomedes oder Die triumphirende Unschuld, 1718 in Bayreuth uraufgeführt.
Gottfried Heinrich Stölzel stammte aus dem Erzgebirge. Der Sohn eines Lehrers und Organisten aus Grünstädtel lernte zunächst am Gymnasium Rutheneum in Gera. Dort konnte er die musikalische Ausbildung, die er im Elternhaus begonnen hatte, fortsetzen und durch eine intensive Beschäftigung mit Literatur ergänzen. 1707 ging Stölzel zum Studium nach Leipzig; doch statt der Theologie trieb ihn wohl auch dort die Musik um. So wirkte er im Collegium musicum mit, das damals von Georg Melchior Hoffmann geleitet wurde. Dieser unterstützte Stölzel auch bei seinen ersten Versuchen, sich als Kom- ponist einen Namen zu machen.
1710 wurde in Breslau Stölzels erste Oper Narcissus aufgeführt. Wei- tere Aufträge folgten; die Höfe in Gera und in Zeitz bemühten sich um den jungen Musiker. Doch der wollte noch keine Hofkapellmeister- stelle. Stölzel zog es nach Italien, nach Venedig, Florenz und Rom. Sein Aufenthalt dort brachte ihm nicht nur einen Zuwachs an musi- kalischen Fertigkeiten, sondern auch jede Menge neue Kontakte - und Renommée: 1717 wurde Stölzel nach Bayreuth eingeladen, wo er die Kirchenmusik für die Feierlichkeiten zum 200. Jubiläum der Refor- mation lieferte. Im Anschluss daran wirkte er ein gutes Jahr lang als Leiter der Hofkapelle und Musiklehrer am Gymnasium in Gera.
1719 ging Stölzel nach Gotha, wo er bis an sein Lebensende Hofkapell- meister blieb. Er hat das Musikleben in der thüringischen Residenz mit Sicherheit stark geprägt. Auch für den Sondershäuser Hof kom- ponierte Stölzel. Und wenn man die Werke hört, die das Ensemble Neobarock auf dieser CD vorstellt, dann wird man einmal mehr dar- über staunen, was für großartige Meister doch diese kleinen mittel- deutschen Höfe damals aufbieten konnten.
Stölzel muss ein gigantisches Werk erschaffen haben. Neben zahlrei- chen Orchester- und Kammermusikwerken schrieb er Passionen, Oratorien, Messen und Motetten. Eine ganze Anzahl seiner Kirchen- kantaten - wahrscheinlich waren es einst zwölf komplette Kantaten- jahrgänge - fand sich vor Jahren in einem Verschlag in der Schloss- kirche zu Sondershausen und wird heute dort im Archiv aufbewahrt. Von knapp 20 Opern kennt man zumindest die Titel. Und auch eine ganze Anzahl weltlicher Kantaten scheint Stölzel komponiert zu haben. Über die Hälfte seiner Werke gilt als verloren.
Das ist in der Tat ein Verlust, wie diese CD belegt. Leider gibt das Beiheft keine Auskunft darüber, welche Quellen die Musiker genutzt haben - doch die Mehrheit dieser Sonaten und Quadros dürfte gut
250 Jahre Archivschlaf hinter sich haben und hier in Ersteinspielung erklingen. Der Musikfreund wird sich wünschen, dass diese Stölzel-Aufnahmen bald ergänzt werden. Denn der Komponist vereint den gelehrten Stil, wie wir ihn von Bach kennen und schätzen, Experi- mentierlust und galante Geläufigkeit. Das muss durchaus kein Widerspruch sein, wie man beim Anhören dieser CD bald erfreut feststellen wird. Mehr davon! und besten Dank an die engagierten jungen Musiker für diese Ausgrabung.
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