"Unstreitig der größte Organist der Welt", begeisterte sich einst Christian Friedrich Daniel Schu- bart, der sein Spiel gehört hatte. "Er ist ein Sohn des weltberühmten Sebastian Bach und hat seinen Vater im Orgelspiel erreicht, wo nicht übertroffen. Er besitzt ein sehr feuriges Genie, eine schöpfe- rische Einbildungskraft, Origina- lität und Neuheit der Gedanken, eine stürmende Geschwindigkeit und die magische Kraft, alle Herzen mit seinem Orgelspiel zu bezaubern. Der Natur der Orgel hat er sich ganz bemächtiget; sein Registerverständnis hat ihm noch niemand nachgemacht. (...) Schade, dass seine Orgelkompositionen kostbarer und seltener als Gold sind! Doch es ist ein Trost für die Kunst, daß dieser erste Meister seine Orgelstücke selbst sammelt und versprochen hat, sie nach seinem Tode herauszugeben."
Wilhelm Friedemann Bach (1710 bis 1784) war der älteste Sohn Johann Sebastian Bachs. Er studierte in Leipzig Jura, Philosophie und Mathematik, und wurde 1733 Organist an der Sophienkirche in Dres- den. 1746 ging er nach Halle/Saale, wo er 18 Jahre lang als Organist und Musikdirektor an der Marktkirche wirkte. 1763 wurde er als Nachfolger von Christoph Graupner zum Hessisch-Darmstädtischen Hofkapellmeister ernannt. Die Stelle trat er nicht an, den Titel durfte er aber trotzdem führen. 1764 gab er sein Amt auf. Denn durch die verheerenden Auswirkungen des Siebenjährigen Krieges hatten sich die Arbeitsbedingungen in der Saalestadt derart verschlechtert, dass Wilhelm Friedemann Bach es vorzog, als Virtuose auf Konzertreisen zu gehen - möglicherweise in der Hoffnung, in einer der europäischen Musikmetropolen eine Anstellung zu erhalten. 1774 ließ er sich schließlich in Berlin nieder. Doch eine Stelle fand er nicht mehr.
Seine Werke galten lange als verschollen. So ist von seinem Orgelwerk kaum noch etwas aufzufinden. Experten gehen heute davon aus, dass Wilhelm Friedemann Bach nicht nur ein Virtuose des Orgelspiels, sondern in erster Linie auch ein Meister in der Improvisation gewe- sen sein muss.
Friedhelm Flamme hat für cpo alle überlieferten Stücke an der Hille- brand-Orgel der Münsterkirche St. Alexandri zu Einbeck eingespielt. Dabei handelt es sich um ein neues Instrument, das 2008 von der Orgelwerkstatt Martin Hillebrand aus Altwarmbüchen fertiggestellt wurde. Ein Teil der Register verblieb in der Disposition des 19. Jahr- hunderts, die Register des Plenums in Hauptwerk und Pedal hingegen folgten dem Vorbild eines älteren Instruments aus dem 18. Jahrhun- dert. Flamme demonstriert, dass sich die Hillebrand-Orgel ideal für Bachs Musik eignet. Er präsentiert die Werke des Organistenkollegen - in erster Linie Fugen und Choralvorspiele - so ansprechend, dass der Zuhörer geneigt ist, Schubarts Urteil zu bestätigen. Surround-Sound macht dies auch klanglich zu einem Erlebnis. Auf die Fortsetzung von Flammes CD-Reihe, in der er Orgeln und Orgelmusik aus Nord- deutschland vorstellt, darf man jedenfalls gespannt sein.
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