Samstag, 5. Januar 2013

Bach - Böhm: Music for weddings and other festivities (Ricercar)

"Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang" - dieser Ausspruch wird keinem geringeren zuge- schrieben als dem Reformator Martin Luther. So wird es nicht verblüffen, dass auch die große Musikerfamilie Bach, wo sie Ursache dazu hatte, offenbar gern gefeiert hat.  
Bach-Biograph Johann Nikolaus Forkel schreibt, dass ihm die beiden ältesten Söhne des Thomas- kantors berichtet hätten, die Familie Bach habe die Angewohnheit, sich einmal im Jahr vollzählig zu versammeln. "Da die Gesellschaft aus lauter Cantoren, Organisten und Stadtmusikanten bestand, die sämmtlich mit der Kirche zu thun hatten, und es überhaupt damahls noch eine Gewohnheit war, alle Dinge mit Religion anzufangen, so wurde, wenn sie versammelt waren, zuerst ein Choral angestimmt", so Forkel. "Von diesem andächtigen Anfang gingen sie zu Scherzen über, die häufig sehr gegen denselben abstachen. Sie sangen nemlich nun Volkslieder, theils von possierlichem, theils auch von schlüpfri- gem Inhalt zugleich miteinander aus dem Stegreif so, daß zwar die verschiedenen extemporierten Stimmen eine Art von Harmonie ausmachten, die Texte aber in jeder Stimme andern Inhalts waren. Sie nannten diese Art von extemporierter Zusammenstimmung Quodlibet, und konnten nicht nur selbst recht von ganztem Herzen dabey lachen, sondern erregten auch ein eben so herzliches und unwiderstehliches Lachen bey jedem, der sie hörte."
Als Beispiel für ein solches Quodlibet erklingt zum Abschluss dieser CD BWV 524 - mit einer Fülle von Scherzen und Anspielungen, die uns heute nicht mehr alle verständlich sind, aber doch beweisen, wie ausgelassen im Hause Bach einst gefeiert und gestichelt worden ist. Denn der zentrale Punkt dieses Werkes ist ein Backtrog, den ein Abkömmling der Musikerfamilie einst versuchsweise anstelle eines Schiffes genutzt haben muss - was wohl mit einem Bad im Teich endete. Und wer den Schaden hatte, der braucht hier um Spott nicht zu sorgen. 
Das Quodlibet ist leider als Fragment überliefert; es fehlen die ersten und die letzten beiden Seiten. Leonardo García Alarcón und die Mitglieder des Ensembles Clematis haben dieses wenig bekannte Werk dennoch mit Wonne zelebriert - und gleich noch um ein weiteres Zitat bereichert, das aus den Goldberg-Variationen stammt, und ebenfalls ein Quodlibet ist. Die Sänger und Musiker haben für diese CD auch noch weitere Werke herausgesucht, die bei großen Familienfesten der Bachs erklungen sein könnten. Als Hochzeitsmusik für seine eigene Feier 1679 komponierte beispielsweise der Eisenacher Organist Johann Christoph Bach (1642 bis 1703) die Kantate Meine Freundin, du bist schön
Kurios ist auch die Geschichte der Hochzeitskantate Der Herr denket an uns BWV 196. Als Pastor Lorenz Stauber  im Jahre 1707 in der Kirche zu Dornheim Johann Sebastian und Maria Barbara Bach traute, war unter den Hochzeitsgästen die Schwester der Brautmutter. Sie muss den verwitweten Pfarrer schwer beeindruckt haben; im Juni 1708 heiratete das Paar - und Bach schrieb für den Traugottesdienst eine seiner ersten Kantaten. Was von ihr überliefert ist, das findet sich ebenfalls auf dieser CD. 
Georg Böhm (1661 bis 1733) stammte aus Thüringen, und wirkte später als Organist in Lüneburg. Dort verbrachte Johann Sebastian Bach seine letzten Schuljahre. Er war sogenannter Mettenschüler am Michaeliskloster; er musste also kein Schulgeld bezahlen, war aber im Gegenzug verpflichtet, als Chorsänger Dienst zu tun. In der Lüne- burger Residenz des Herzogs Georg Wilhelm konnte der junge Bach die Hofkapelle hören, die den französischen Stil pflegte. Auch lief er große Strecken zu Fuß, um namhafte Organisten spielen zu hören. Möglicherweise hat Böhm den Gymnasiasten im Orgelspiel unter- wiesen. Eines der wenigen Werke für Singstimmen, das von Böhm überliefert ist, eröffnet diese CD. Es ist ein geistliches Konzert über das Hohelied, Mein Freund ist mein, aber es hat mehr mystischen als weltlichen Bezug. Insofern fällt dieses Stück etwas aus dem Rahmen. Das dieses beeindruckende Werk durch die Bach-Familie aufgeführt worden ist, das erscheint nicht sehr wahrscheinlich. 
Die Sänger und Musiker von Clematis widmen sich den Raritäten aus der Bach-Zeit mit Hingabe und Sachkenntnis. Das Ensemble, das von Leonardo García Alarcón am Cembalo geleitet wird, musiziert sehr hörenswert und ergänzt durch dieses Album das Bild der Bach-Familie um einen spannenden Aspekt. 


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