Kann man Klavier-Etüden von Ignaz Moscheles auch auf der Geige spielen? Ferdinand David (1810 bis 1873) ist dieses Kunststück gelungen. Er hat die Studien für das Pianoforte zur höhern Vollendung bereits ge- bildeter Klavierspieler bestehend aus: 24 characteristischen Tonstücken in den verschiedenen Dur- und Molltonarten op. 70 seines Freundes zu 20 Studien für Violine umgeformt – und die haben es in sich. „Auf den ersten Blick macht das Notenbild im Vergleich zu anderen und mit Effekt- haschereien angefüllten Violin-Etüden des 19. Jahrhunderts keinen allzu komplizierten Eindruck, auch, weil David selten Techniken wie Pizzicato oder Flageolett verwendet“, meint Reto Kuppel. Er hat die Studien nun bei Naxos erstmals eingespielt. „Als ich mich jedoch intensiver mit ihnen beschäftigte, offenbarten sie ihr verstecktes Geheimnis: die violinistische Umsetzung von Klaviertechnik, ein riskantes Experiment.“ Die Liste der technischen Schwierigkeiten, die Kuppel auflistet, ist lang. „Wo der Pianist beide Hände zum Greifen der Töne benutzen kann, muss der Geiger jeden Akkord mit dem Bogen neu anspielen“, meint der Geiger. „Häufig sind Melodie und Begleitung gemeinsam zu greifen. Die Klangfülle des mit Pedal gespielten Klaviers ist auf der Violine schwer imitierbar und führt zu ungewöhnlichem Arpeggio. Bei sehr vielen Stellen ist mehr als ein Finger unhörbar auf die Saiten zu legen. Ungewöhnliche Tonarten zwingen den Geiger häufig, die sonst gemiedene halbe Lage zu benutzen.“
Oftmals ist zudem ein rasantes Tempo erforderlich, damit die ange- strebten Effekte hörbar werden. „Es gibt Stücke, in denen die Grenze der motorischen Belastbarkeit auch eines durchtrainierten Violi- nisten mit solcher Leichtigkeit erreicht wird, dass nur äußerst spezialisiertes Üben eine Realisierung des Stücks ermöglicht, also Hochleistungssport, den keiner hören soll“, räumt Kuppel ein. „David scheint uns aus dem vorletzten Jahrhundert verschmitzt anzulächeln und zu sagen: ,Probiert das mal, Ihr werdet Euch wundern!'“
Kuppel wagt sich an dieses Werk, und man muss sagen: Das Experi- ment gelingt. Souverän und mit schönem Ton absolviert er kühne Läufe, halsbrecherische Akkordfolgen, Springbogenattacken und Doppelgriff-Querfeldeinritte. Doch anders als die bekannte Virtuosenliteratur sind die Werke Davids – und das gilt auch für die Sechs Capricen op. 9 – keine zirzensischen Schaustücke, sondern durchaus ernstzunehmende Miniaturen mit Charakter. Insofern ist es sehr erfreulich, dass sich Reto Kuppel an diese Aufgabe gewagt hat. Das Ergebnis überzeugt, bravo!
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