„Projekte müssen nicht immer lang- fristig geplant sein oder eigenen Ideen entspringen. Manchmal fliegen sie einem geradewegs zu!“, berichtet Rainer Orlovsky, Konzert- meister des Ensembles Concerto Melante, im Beiheft zu dieser CD. Im Jahre 2010 habe ihm Reinhard Goebel eine Kopie des Manuskripts übergeben und gemeint: „Das haben wir mit Musica Antiqua Köln nicht mehr geschafft, vielleicht ist das was für Concerto Melante?“ Goebel, selbst ein famoser Geiger, hatte mit seinen Musikerkollegen etliche Werke aus dem Archivschlaf erweckt, und wurde dafür sowohl von der Kritik als auch vom Publikum gefeiert. Eine Erkrankung zwang ihn bedauerlicherweise, die Violine aufzugeben. Der Musik blieb er verbunden, wie diese CD belegt, für die er zusätzlich zur musikalischen Substanz sogar einen längeren Text beisteuerte. Darin beklagt er den Niedergang der italienischen Musik im 18. Jahrhundert. Goebel nennt Vivaldi – der der Sohn eines Barbiers war – einen „lächerlichen, aber leider Gottes stilbildenden Parvenue aus dem Friseurladen“. Geiger witzeln ja gern, Vivaldi habe nur ein einziges Violinkonzert geschrieben – aber dieses mehrere hundert Mal.
Domenico Gallo (um 1730 bis vermutlich 1768) teilte diese Haltung nicht. Über das Leben dieses Komponisten wissen wir derzeit gar nichts; nicht einmal seine Lebensdaten lassen sich belegen. Goebel vermutet ihn, da ihm ansonsten nur eine Handvoll Sakralwerke zuzuordnen sei, hinter Klostermauern. „Seine zwölf in einer Partitur-Reinschrift erhaltenen , Sonate a Quattro' (elf viersätzige Chiesa-Sonaten sowie eine Follia-Variationsreihe) lehnen ausdrücklich jeglichen Vivaldi-Bezug ab“, so Goebel, „und wenden sich stattdessen jenem Kompositionsstil zu, der in Neapel durch Durante und seine Streicherkonzerte repräsentiert wird: Themen-Wahl und Motiv-Sprache der langsamen Sätze sind (pseudo-)galant, die Kompositionsweise nicht nur der schnellen Sätze ist fugal, polyphon, altmodisch, gelehrt.“ Auf den ersten Blick erscheint die Ton- sprache Gallos mitunter ungelenk und wunderlich. Doch beim Blick in die Partitur sei festzustellen, so Goebel, dass sie „absolut fehlerlos kompo- niert“ ist.
Zitate vermeidet der Komponist – kein populäres Thema von Vivaldi, keine effektvolle Kadenz von Corelli, und auch wenn diese Werke für Soli und Orchester geschrieben sind, nennt Gallo sie nicht Concerto, sondern schlicht Sonate. „Nicht Venedigs ,moderne' Musik war für den Komponi- sten Domenico Gallo Inspirationsquelle, sondern eher die Musik und die Geisteshaltung der Vorgängergeneration um Giovanni Legrenzi und Antonio Lotti“, stellt Goebel fest. Im Dezember 2014 hat das Ensemble Concerto Melante diese eigenwilligen Werke eingespielt. Musiziert wird technisch und aufführungspraktisch auf höchstem Niveau. So kann der Zuhörer hier eine Weltersteinspielung genießen – ohne Zweifel eine ist dies Entdeckung ersten Ranges, wie sie nur sehr selten gelingt.
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