Aleksandra und Alexander Grychtolik beschäftigen sich seit vielen Jahren intensiv mit Improvisation und Generalbass-Spiel. Noch im 17. und 18. Jahrhundert gehörte beides selbstverständlich zum Handwerks- zeug eines jeden Musikers; doch mit dem veränderten Werkverständnis der Romantik brach diese Tradition ab. Heute sind am ehesten noch Kanto- ren und Organisten in dieser Kunst ausgebildet, sie spielen Improvisatio- nen mitunter noch in Konzerten.
Dass es möglich ist, Musik nicht nur modern, sondern auch im Stil der Bach-Zeit und sogar im Duo zu improvisieren, beweist das Ehepaar Grychtolik mit dieser ganz erstaunlichen CD. „Zentral war für uns, mit dieser CD etwas von dem Trance-artigen ,Flow' zu vermitteln, in den sich ein Improvisator spielen muss, um in die barocke Musiksprache einzu- tauchen“, berichten die beiden Musiker. Im Zentrum der Einspielung stehen vier Sonaten über zwei bezifferte Bässe von Bernardo Pasquini (1673 bis 1710), furios vorgetragen auf zwei Cembali. „Die berühmten Sonaten von Pasquini bestehen eigentlich nur aus zwei Basslinien und kurzen Angaben zu den Harmonien in Form von äußerst lückenhaften Generalbassziffern“, erläutert Aleksandra Grychtolik. „Wir hatten quasi eine ,Carte Blanche' und konnten unsere ganz eigene, individuelle ,Fassung' dieser Sonaten in verschiedenen Stimmungen und Stilen improvisieren. Man wird diese Sonaten deshalb nie mehr genau so hören wie auf der CD, deswegen ist sie für uns auch eine Dokumentation unserer gemeinsamen musikalischen Arbeit.“
Alexander Grychtolik lässt darauf die Improvisation einer Partita in der Art Johann Sebastian Bachs folgen, Aleksandra Grychtolik antwortet mit der Fantasie fis-Moll Wq. 67 von Carl Philipp Emanuel Bach. Atemberau- bend freilich erscheint insbesondere der Rahmen, in den die beiden Musiker diese Proben ihrer Kunst stellen: Die CD beginnt mit einer Ciaccona improvvisata per la Madonna di Grodowiec nach Antonio Bertali (11605 bis 1669), und sie endet mit einer irrwitzigen Concerto-Improvisation für zwei Cembali.
„Das war für die Tonmeisterin während der CD-Aufnahme ziemlich aufregend, denn bei richtigen Live-Improvisationen gibt es natürlich keine Noten, die der Tonmeister hätte mitverfolgen können. So etwas ist für Cembalo-CDs ein echtes Novum“, meint Alexander Grychtolik. „Man hört förmlich, wie die musikalischen Gedanken sich erst beim Spielen richtig ausformen und der Hörer die unmittelbare Entstehung von Barockmusik erlebt – das unterscheidet sich von üblichen CD-Hörge- wohnheiten.“
Die Grychtoliks musizieren virtuos und wie aus einem Atem. Wer diese CD zum ersten Male anhört, der mag es gar nicht glauben, dass man heutzu- tage wieder so Cembalo spielen kann, so lebendig und temperamentvoll. Der alte Bach würde sich darüber sicherlich freuen – weit mehr als über so manche ehrfurchtsvoll eingespielte „Originalklang“-Aufnahme, die daherkommt wie aus dem Museum.
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