Eine umfangreiche CD-Box mit französischer Cembalomusik des
17. und 18. Jahrhunderts hat jüngst Brilliant Classics vorgelegt. 29 CD laden dazu ein, die Entstehung eines eigenständigen französischen Stils nachzuvollziehen. Diese Entwicklung ist untrennbar verbunden mit dem französischen Hof und seiner höfischen Ästhetik.
Musikunterricht gehörte damals unbedingt zur Ausbildung junger Aristokraten: Der Adel ließ nicht nur musizieren; er tanzte und musizierte auch selbst. Die Musik wurde wie kaum eine andere Kunst zum Medium der französischen Herrscher, denn sie bot ideale Möglichkeiten zur Selbstinszenierung. Begonnen hat damit wohl Ludwig XIII.; Jacques Champion de Chambonnières (um 1600 bis 1672), der als Vater der französischen Cembalomusik gilt, gehörte als Cembalist der Chambre du roi und als Tänzer dem innersten Zirkel des Regenten an. Seine Kompositionen gehören zu den frühesten Werken in der Kollektion French Harpsichord Music.
Vollendet wurde diese Entwicklung durch Ludwig IV., den Sonnenkönig. Künste und Wissenschaften betrachtete er als wesentliche Instrumente seiner Herrschaft. Deshalb förderte er sie mit Nachdruck. Und er festigte seine Macht nicht zuletzt durch grandiose höfische Feste, die ihn zum Vorbild für den gesamten europäischen Adel werden ließen. Die Musik jener Zeit vereint Pracht und Anmut, verspielte Eleganz und tänzerische Leichtigkeit.
Die Box enthält das Gesamtwerk für Cembalo von Jean-Henri d’Anglebert (1629 bis 1691), dazu Kompositionen von Gaspard Le Roux (um 1660 bis 1707), Louis-Nicolas Clérambault (1676 bis 1749) und Louis Marchand (1669 bis 1732), die kompletten Pièces de clavecin von François Couperin (1668 bis 1733), einen Querschnitt aus den Werken von Antoine Forqueray (1672 bis 1745) und Jean-Baptiste Forqueray (1699 bis 1782), Vater und Sohn, das Gesamtwerk für Cembalo von Jean-Philippe Rameau (1683 bis 1764) und Joseph-Nicolas-Pancrace Royer (um 1705 bis 1755) sowie die Livres de pièces de clavecin von Jacques Duphly (1715 bis 1789).
Damit umspannt die Box gut 120 Jahre französische Cembalomusik. Sie erscheint wie das Echo des Absolutismus in Frankreich; ihre Blütezeit endet mit dem Sturm auf die Bastille und der Revolution. An der Schwelle dieses Zeitalters wäre noch Claude Balbastre (1724 bis 1799) zu verorten; er wirkte zunächst als Organist und Cembalist bei Hofe, musste dann aber sehen, wie er weiterhin sein Brot verdiente. Und so wirkte er als Organist an Notre-Dame, von den Revolutionären zum Tempel der Wahrheit erklärt, und komponierte Fantasien über die neuen Hymnen und Variationen über die Marseillaise. Von ihm sind meines Wissens ebenfalls zwei Bände mit Cembalomusik überliefert; sie sind in dieser Box allerdings nicht enthalten. Vermissen könnte man eventuell noch die Werke von Louis Couperin (um 1621 bis 1661), dem Onkel von François Couperin.
Ansonsten erscheint die Sammlung ziemlich vollständig. Das ist kein Zufall; Brilliant Classics hat in den letzten Jahren eine ganze Reihe bedeutender Neuaufnahmen französischer Cembalomusik vorgelegt. Die Einzelveröffentlichungen, darunter zahlreiche Weltersteinspielungen, wurden nun noch einmal in dieser Kollektion zusammengefasst. Das lohnt sich. Denn die zwischen 2005 und 2015 entstandenen Aufnahmen wurden von einigen der derzeit besten Cembalisten wie Pieter-Jan Belder, Fran- cesco Cera und Michael Borgstede eingespielt. Zu hören sind außerdem exzellente Nachwuchsmusiker wie Yago Mahúgo und Franz Silvestri – und natürlich auch die derzeit klangschönsten Nachbauten historischer Instru- mente.
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