Es war kein Zufall, dass die Leipziger Stadtväter Georg Philipp Telemann (1681 bis 1767) nach dem Tode Johann Kuhnaus 1722 gern als neuen Thomaskantor gewonnen hätten. Zum einen hatte Telemann in Leipzig studiert und zugleich seine Laufbahn als Musiker begonnen; er war an der Pleiße also kein Unbekannter. Zum anderen war er ohne Zweifel damals der wohl bekannteste deutsche Kom- ponist überhaupt; ähnlich prominent war wohl nur noch Händel.
Über Bach hingegen, der die Stelle schließlich erhielt, nachdem auch ein Christoph Graupner absagen musste, meinten die Stadträte, so steht es im Ratsprotokoll, „da man nun die besten nicht bekommen könne, müße man mittlere nehmen“. Aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts heraus aber veränderte sich diese Bewertung: Bach wurde zum Genie, Telemann jedoch wurde zum Vielschreiber, dem die aufkommende Musikwissenschaft zudem Oberflächlichkeit zuschrieb – schließlich hatte er nicht nur Kirchenmusik, sondern obendrein obendrein noch Opern geschrieben.
Aus diesem Grunde aber wird das Werk des Komponisten erst jetzt in seiner vollen Breite erschlossen, sowie in seiner vollen Schönheit und Bedeutung erkannt. Dass sich die Auseinandersetzung mit der Musik Telemanns lohnt, beweist auch die jüngste Doppel-CD mit dem Oboisten Marcel Pon- seele, der bei Accent gemeinsam mit dem Ensemble Il Gardellino Oboen- musik des Meisters eingespielt hat. Die Concerti, Triosonaten, Sonaten und die Partita Belegen Telemanns enormen Einfallsreichtum, und bieten auch klanglich Abwechslung, nicht zuletzt durch eine Vielzahl unter- schiedlicher Besetzungen, aber schlicht auch aufgrund der versierten musikalischen Gestaltung. Dazu kommt bei dieser Aufnahme noch der faszinierende Klang der Barockoboe, die derzeit wohl niemand so virtuos spielt wie Marcel Ponseele. Zu hören sind mehr als zwei Stunden (!) Programm – und keine einzige Sekunde davon habe ich mich gelangweilt. Bravi! Das ist wirklich große Kunst.
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