Mahan Esfahani hat bei der Deutschen Grammophon nun die Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach eingespielt – eines der großen Rätsel der Musikge- schichte. „I haven`t the foggiest notion what Bach's 'Goldberg' Variations 'are' and I find most of the cosmological and numerological chatter around them to be tremen- dously irritating, but I cannot deny that I find a great deal of narrative and life beyond the score when I play them“, merkt der iranische Cembalist an. Die Variationen, die im letzten Lebensjahrzehnt des Komponisten entstanden sind, bieten sowohl eine Lebensbilanz als auch einen Blick darauf, wie er als Musiker auf Inno- vationen reagierte: „We hear this from the charming polonaise of the first variation (..) and the Scarlattian arabesques of the first variation to the obvious feast-day cantata-band in the sixteenth variation. Then there is the wind trio à la Dresde in the canon in unison (Var. 3) and, in the canon in contrary motion at a fifth (Var. 15), what sounds like a wordless vocal setting from a never composed Passion“, berichtet Esfahani. „Whenever I play the canon at the octave (Var. 24), I cannot help but imagine the grand ensemble of horns and strings in the opening movement of the cantata Sie werden aus Saba alle kommen (BWV 65). Other variations seems to come from outer space (Var. 25, while the last nine variations always remeind me of the final two Cantos from Dante's Inferno. And, when we finally reach the Quodlibet (Var. 30), Sebastian plays Virgil to our Dante – and, as we walk out of the earth to riveder le stelle (see again the stars), we meet the Bach family singing their village songs and laughing heartily, exclaiming: 'See? After all these fireworks, life's really about cabbages and potatoes.'“
Der alte Thüringer Kanon Kraut und Rüben erklingt in der Tat, neben der heute nicht mehr so bekannten Melodie Ich bin so lang nicht bei dir gwest, im Quodlibet – kurz bevor sich der Kreis schließt, und die Variationen mit einer Wiederholung der Aria enden. Und bei aller Berufung auf Wanda Landowska, Zuzana Rûzicková oder gar Ferruccio Busoni: Die Interpre- tation von Mahan Esfahani erinnert vielfach an eine Einspielung mit Keith Jarrett, aus dem Jahre 1989, abgesehen freilich von Esfahanis Neigung zum extrabreiten Rubato. Ganz ehrlich: Das irritiert, und wirkt ein wenig aus der Zeit gefallen.
Esfahani, klassisch ausgebildet, hat bereits mit seinem brillanten Debüt- album Time Present and Time Past, in Zusammenarbeit mit dem Ensemble Concerto Köln, eindrucksvoll demonstriert, dass „alte“ und „neue“ Musik keineswegs Gegensätze sind. Die Deutsche Grammophon hatte mit diesem Album, eigenen Angaben zufolge die erste Cembalo-Veröffentlichung seit über 30 Jahren bei diesem Label, ohne Zweifel einen großen Wurf gelandet – und die Goldberg-Variationen sind durchaus eine würdige Fortsetzung. Der Cembalist liest Partituren aus der tiefen Einsicht in die Musikgeschich- te heraus, und macht auch seinem Publikum Muster deutlich, die er dabei aufgespürt hat. Das Ergebnis aber klingt keineswegs akademisch-spröde, sondern hinreißend lebendig.
In der Auseinandersetzung mit den Goldberg-Variationen nähert sich Esfahani verblüffenderweise jener Werkauffassung an, zu der auch der Jazzmusiker Keith Jarrett einst gelangt war, auch wenn dieser mit Bachs großem Variationszyklus insgesamt noch etwas freier umgeht als sein junger Kollege.
Ein klangschönes Cembalo, nebenbei bemerkt, konnte Esfahani für diese Einspielung nutzen. Das Instrument hat Huw Saunders, London, im Jahre 2013 als Nachbau eines Originals von Johann Heinrich Harraß aus dem thüringischen Großbreitenbach, entstanden um 1710, angefertigt. Ein ähnliches Instrument, es befindet sich im Berliner Musikinstrumenten-Museum der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, soll einst Wilhelm Friede- mann Bach von seinem Vater geerbt haben. Leider ist es heute nicht mehr spielbar. Es wird berichtet, dass Harraß dieses „Bach-Cembalo“ nach Bachs Vorgaben und norddeutschem Vorbild für den Musiker angefertigt haben soll, als dieser noch in Arnstadt wirkte. Belegt ist das nicht. Sowohl das Sondershäuser als auch das Berliner Harraß-Cembalo wurden vielfach nachgebaut.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen