Als „Triumph des Geistes über die Materie“ bezeichnete Bach-Biograph Spitta einst die Partiten und Sonaten des Komponisten für Violine solo. „Das Superlativhafte und Originäre dieser Kompositionen kann nie zur Genüge hervorgehoben werden“, so Midori Seiler. „Verschwenderisch greift Johann Sebastian Bach mit Harmonik und Farbenreichtum in den Fundus seiner Klangsprache, um dabei seine große Meisterschaft zu offenbaren: Mithilfe festgezurrter Regeln dem kreativen Geist die größte Freiheit zu ermöglichen.“
Seit Jahren beschäftigt sich die Musikerin mit den Werken, die Bach für Solo-Violine geschrieben hat. Midori Seiler hat diese auch bereits eingespielt, doch die Arbeit daran geht immer weiter: „Bin ich Geigerin geworden, um Bachs Solowerke zu spielen, oder spiele ich Bachs Solowerke, um Geigerin zu sein? Ich weiß nur so viel: Der innere Antrieb, diese Stücke zu spielen, zu ,meistern' ist seit vielen Jahren mein Motor, der mich immer wieder an Grenzen führt und darüber hinaus.“
Wie schon die Partiten, hat Midori Seiler nunmehr auch die Sonaten am historischen Ort, im Johann-Sebastian-Bach-Saal des Köthener Schlosses, eingespielt. Die Geigerin spielt so natürlich, so tief empfunden, dass diese komplexe Musik beinahe wirkt, als wäre sie improvisiert. Nichts ist hier aufgesetzt, gekünstelt, erzwungen. Mit einer Violine von Andrea Guarneri, angefertigt um 1680, Darmsaiten und einem Barockbogen von Bastian Muthesius erkundet sie Klang und Melodik der einzelnen Stimmen, die Bach kompromisslos in einem polyphonen, mehrstimmigen Satz verflochten hat. Midori Seilers Interpretation erinnert mich sehr an das Lautenspiel von Toyohiko Satoh, das eher musikalische Meditation als virtuose Demonstration ist. Atemberaubend!
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