Als der Wiener Kongress 1814/15 über die Neuordnung Europas nach der Niederlage Napoleons beriet, gedachten die Beteiligten mit einer feierlichen Messe auch des Königs Ludwig XVI., der 1793 in Paris guillotiniert worden war. Die Musik für dieses Totengedenken lieferte Sigismund Ritter von Neukomm (1778 bis 1858), der Hauskomponist Talleyrands.
Es ist erstaunlich, aber dieser Musiker ist heute nahezu vergessen. Dabei war er zu Lebzeiten auf drei Kontinenten tätig, und enorm erfolgreich. Sigismund Neukomm, der Sohn eines Salzburger Lehrers, war ein Wunderkind. Im zarten Alter von vier Jahren soll er bereits fließend gelesen haben; wenig später begann seine musikalische Ausbildung. So erlernte der Knabe das Orgelspiel beim Domorganisten Franz Xaver Weissager. Er musizierte zudem auf Streich- und Blasinstrumenten, und erhielt Unterricht in Harmonielehre bei Michael Haydn.
Als er 16 Jahre alt war, wurde Neukomm Titularorganist der Salzburger Universitätskirche; außerdem war er als Korrepetitor am Theater tätig. 1797 ging er schließlich mit einer Empfehlung seines Lehrers Michael Haydn nach Wien, wo er erst Schüler und bald auch Mitarbeiter Joseph Haydns wurde. Für diesen erstellte er beispielsweise die Klavierauszüge der Oratorien Die Schöpfung und Die Jahreszeiten.
Außerdem unterrichtete Neukomm; seine wohl bekanntesten Schüler waren Franz Xaver Wolfgang und Carl Thomas Mozart. Das Werk von Wolfgang Amadeus Mozart schätzte Neukomm übrigens sehr – und nach dem Tode Joseph Haydns 1809 stiftete er diesem den Grabstein.
Der Musiker war ausgesprochen reisefreudig. Er wirkte als Kapellmeister in St. Petersburg und in Rio de Janeiro; wenn er nicht unterwegs war, dann lebte er zumeist in Paris. Im Laufe seines langen Lebens schuf Neukomm unglaublich viele Musikstücke, von der Oper bis zum Klavierkonzert und vom Lied bis zum Oratorium. Sein ebenso umfangreiches wie qualitätvolles Lebenswerk ist im Konzertsaal allerdings derzeit faktisch nicht präsent. Die französische Nationalbibliothek besitzt etwa 2.000 Manuskripte des Komponisten, doch dieser Bestand soll bislang schlecht erschlossen sein. Noteneditionen sind rar.
Umso mehr freut diese Einspielung der Trauermusik, die einst in Wien zum Gedenken an den hingerichteten König von Frankreich erklungen ist. Neukomms Musik ist imposant, und dabei ausgesprochen nobel und elegant. Jean-Claude Malgoire hat diese Trauerklänge mit dem Ensemble La Grande Écurie et la Chambre du Roy sowie dem Chœur de Chambre de Namur würdig eingespielt. Clémence Tilquin, Yasmina Favre, Robert Getchell und Alain Buet sind in den Solopartien zu hören. Musiziert wird voll Respekt, sehr gekonnt und historisch authentisch – so erklingen beispielsweise eine Ophicleide, ein auch von Mendelssohn, Berlioz, Verdi und Wagner verwendetes Blechblasinstrument, das später im Orchester durch die Tuba ersetzt wurde, und ein Tamtam, ein großer Gong unbe- stimmter Tonhöhe, der aus Ostasien stammt und in Frankreich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts gezielt als Effektinstrument bei Trauermusiken eingesetzt wurde.
Neukomms Trauermusik ist ein Werk mit einer einzigartigen Aura. Dieses Requiem, das der Komponist ursprünglich zu Ehren seiner Lehrer, der Gebrüder Haydn und des Organisten Weissager, zu Papier gebracht hatte, gehört für mich zu den schönsten Werken der Funeralmusik überhaupt. Was für eine Entdeckung!
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