Kaum eine andere Komposition hat Musiker und Musikwissenschaft derart fasziniert wie Die Kunst der Fuge, das letzte Werk von Johann Sebastian Bach (1685 bis 1750). Schon die Überlieferungssituation war Anlass für zahlreiche Debatten. Denn eine endgültige Reinschrift fehlt; die Autographen, die sich in der Staatsbibliothek Berlin befinden, geben nach Ansicht von Experten zumeist nicht den finalen Stand der Komposition wieder. Es wird aber vermutet, dass ein Manuskript existierte, das zumindest die (vollständige) Schlussfuge enthalten haben soll.
Dagegen spricht freilich jene Bemerkung, die Carl Philipp Emanuel Bach dort notierte, wo im Manuskript die Notenschrift abbricht: „NB: Ueber dieser Fuge, wo der Nahme B A C H im Contrasubject angebracht worden, ist der Verfaßer gestorben.“ Doch warum sind sämtliche Stücke zuvor sorgsam in Partiturform niedergeschrieben worden – und dieses in einem System, für ein Tasteninstrument?
Derartige Rätsel gibt es viele. So ist die Abfolge der einzelnen Teile umstritten. Auch wird von Anbeginn darüber diskutiert, für welche Instrumente dieser Zyklus eigentlich geschrieben worden ist. Bachs Sohn jedenfalls schrieb 1751, bei der Werbung um Subskribenten für den Erstdruck: „Es ist aber dennoch alles zu gleicher Zeit zum Gebrauch des Claviers und der Orgel ausdrücklich eingerichtet.“
Wie also umgehen mit diesem Rätselwerk der Musikgeschichte? Hans-Eberhard Dentler, studierter Dr. med., aber auch renommierter Cellist, Schüler von Pierre Fournier und Gründer einer Bach-Gesellschaft in Italien, hat sich viele Jahre mit dem Opus beschäftigt. Er ist zu der Überzeugung gelangt, dass man „Bachs Wunderwerk“ – so einst Karl Straube – „als Teil einer groß und komplex angelegten pythagoreischen Rätselfrage zu verstehen“ hat.
Dentler nimmt die vorhandenen Quellen als die gegebenen hin – und er hat anhand der Handschriften seine eigene Edition herausgegeben. Bachs mathematisch-philosophischem Rätsel hat er zudem ein umfangreiches Buch gewidmet, in dem er seine Theorie ausführlich begründet. Im Beiheft zu dieser Einspielung findet sich nun ein Aufsatz, in dem er auf wichtige Argumente hinweist.
Darin begründet er auch seine Entscheidung für eine Besetzung für Violine, Viola, Violoncello, Fagott und Kontrabass. Mit seinem Ensemble L'Arte della Fuga – der Cellist musiziert gemeinsam mit Carlo Parazzoli, Raffaele Mallozzi, Francesco Bossone und Antonio Sciancalepore – hat Dentler diese Vision schließlich zum Klingen gebracht; dokumentiert ist dies auf zwei CD, die bei Oehms Classics erschienen sind.
Um es klar zu sagen: Die gewählte Besetzung überzeugt mich nicht; das Fagott wirkt auf mich inmitten der Streicher mitunter wie ein Irrläufer. Mich fasziniert aber die Leidenschaft, mit der hier musiziert wird, die Intensität dieser Aufnahme. Hier erklingt kein Choral zum Schluss. Die berühmte Fuge beginnt, nimmt ihren Lauf, und bricht dann einfach ab. Der Rest ist Schweigen.
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