Dies ist keine gewöhnliche Vivaldi-Einspielung: Mit dem Album „La Venezia di Anna Maria“ erinnern Midori Seiler und das Concerto Köln an Anna Maria dal Violin. Als Findelkind kam sie in Venedig ins Ospedale della Pietà. Im Waisenhaus wuchs sie auf, und dort erhielt sie eine ausgezeichnete Ausbildung. Fleiß und Talent machten Anna Maria zu einer Violinvirtuosin von europäischem Rang.
Es gab damals wenig Möglichkeiten für eine Frau, im Musikerberuf tätig zu werden. Umso interessanter ist der Einblick, den diese CD in das Repertoire gibt, das den erstklassigen Ensembles der vier venezianischen Ospedali seinerzeit zu einem derart exzellenten Ruf verholfen hat. Kaum ein Besucher der Stadt jedenfalls dürfte damals darauf verzichtet haben, den Mädchen und Frauen zuzu- hören, wenn sie in der Kirche musizierten.
Obwohl Anna Maria (vermutlich 1696 bis 1782) nach heutigen Maßstäben ein Star war, ist über sie als Person erstaunlich wenig bekannt. Wir wissen, dass sie zwei Mal eine jeweils bessere Geige erhielt; ab 1720 wurde sie zudem maestra genannt – sie begann also, selbst zu unterrichten. 1721 hörte Johann Christoph Nemeitz ihr Spiel und meinte, dass die Geigerin „von Virtuosen unseres Geschlechts wenig ihres gleichen hat“. Zeitgenos- sen schrieben sogar Lobgedichte auf sie.
Dennoch blieb die Musikerin ihr ganzes Leben im Ospedale della Pietà. Antonio Vivaldi, ihr Lehrer und Mentor, komponierte fast 30 Concerti per Anna Maria. Eine große Anzahl davon findet sich in ihrem „Spielbuch“, ihrer Notenkollektion, die Midori Seiler zu dieser Einspielung inspirierte.
Die Geigerin, die seit 2017 wieder als Professorin an der Musikhochschule in Weimar lehrt, hat gemeinsam mit Concerto Köln für dieses Projekt vier Concerti per Anna Maria von Vivaldi ausgewählt – RV 260, RV 308, RV 270a und RV 248 – und dazu die Konzerte RV 120, RV 158 sowie die Sinfonia in F-Dur RV 140.
Komplettiert wird das Programm durch ein Concerto a Quattro in g-Moll von Baldassare Galuppi und ein Concerto in B-Dur von Tomaso Albinoni. Concerto Köln gestaltet den Orchesterpart, wo es sich anbietet, durch den Einsatz von Blasinstrumenten farbig. Dies scheint auch in Venedig seiner- zeit üblich gewesen zu sein. Auch zwei Harfen sind dazu aufgeboten; die Orchestrierung übernahm Lorenzo Alpert, Fagottist und künstlerischer Leiter des Ensembles. Midori Seiler ist mit dem Orchester seit vielen Jahren vertraut. Diese enge Verbundenheit prägt auch die Aufnahme. Sie zeigt enorme künstlerische Reife, fernab jeder Oberflächlichkeit, Effekt- hascherei und Eitelkeit. Faszinierend.
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